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Bild: Kurt F. Domnik/pixelio
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Metaanalyse
Wer viel weissen Reis isst erkrankt eher an Typ-2-Diabetes – aber ist es der Reis?
Die markante Zunahme der Inzidenz von Typ-2-Diabetes war zuerst in den westlichen Industrienationen mit ihren Umwälzungen bei der Ernährung zu beobachten, macht sich inzwischen aber auch in Ländern mit mittleren oder geringen Einkommen bemerkbar, in denen jetzt die meisten neuen Diabetesfälle auftreten. Sicher spielen dabei eine übermässige Energieaufnahme und ein Überschuss an Körperfett eine wichtige Rolle, man muss aber noch weitere, spezifische ernährungsbedingte Faktoren annehmen. Ernährungsspe-
zialisten von der Harvard School of Public Health in Boston haben nun einen systematischen Review mit Metaanalyse vorgelegt, der eine Korrelation zwischen dem Konsum von weissem Reis und dem Auftreten eines Typ-2-Diabetes postuliert. Die Autoren fanden 7 prospektive Kohortenstudien an westlichen und asiatischen Populationen. Über lange Beobachtungsräume von 4 bis 22 Jahren traten unter den 352 384 Teilnehmerinnen und Teilnehmern 13 284 neue Typ-2-DiabetesFälle auf. Chinesische und japanische Populationen zeigten generell einen viel höheren Reisverzehr als westliche Bevölkerungen. Das gepoolte relative Risiko [RR] betrug 1,55 (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,20–2,01), wenn unter den asiatischen Teilnehmern diejenigen mit dem tiefsten und dem höchsten Reiskonsum verglichen wurden. Bei westlichen Populationen ergab dieser Vergleich ein RR von 1,12 (95%-KI 0,94–1,33), war also nicht signifikant. Die Wissenschaftler fanden
auch eine Dosis-Wirkungsbeziehung mit einem RR von 1,11 (95%-KI 1,08–1,14; p für linearen Trend < 0,001) und kommen zum Schluss, dass ein höherer Reisverzehr das Risiko für Typ-2-Diabetes signifikant erhöht, «besonders in asiatischen Bevölkerungen». Ein begleitendes Editorial im «British Medical Journal» gibt sich wenig überzeugt von dieser Korrelation, denn hier wurden sehr heterogene Studien in einen Topf geworfen – eine wirklich schlüssige Aussage liesse sich wohl nur anhand der individuellen Daten der Studienteilnehmer machen. Zudem verglichen die Autoren jeweils sehr unterschiedliche Reisverzehrniveaus. So waren die Unterschiede zwischen sehr hohem und sehr tiefem Reiskonsum in westlichen und asiatischen Ländern immens. Auf Basis der vorliegenden Untersuchung liessen sich jedenfalls praktische Konsequenzen für Patienten und ihre Ärzte oder mit Prävention befasste Institutionen nicht ableiten, hält der Editorialist fest. HB❖ Emily A Hu et al.: White rice consumption and risk of type 2 diabetes: meta-analysis and systematic review. BMJ 2012;344:e1454. doi: 10.1136/bmj.e1454 Bruce Neal: White rice and risk of type 2 diabetes (Editorial). BMJ 2012;344:e2012. doi: 10.1136/bmj.e2021 Kohortenstudie aus der Grundversorgung Blutdruckdifferenzen an den Armen sagen etwas über die Prognose aus Eine Differenz des BD-Messwerts zwischen den Armen ist sowohl bei Gesunden und Schwangeren als auch bei Populationen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko beschrieben worden. Sie gilt auch als Grund für eine verzögerte Hypertoniediagnose, weshalb heutige Guidelines zur Diagnosestellung immer eine mehrmalige, beidseitige Messung empfehlen. Eine Kohortenstudie hat untersucht, ob ein Seitenunterschied bei der Messung des systolischen Blutdrucks mit einem geringeren 10-Jahres-Überleben einhergeht und dazu 230 Patienten aus ländlichen Allgemeinpraxen rekrutiert, bei denen an 3 aufeinander folgenden Besuchen jeweils der Blutdruck an beiden Armen gemessen worden war. Nach einem medianen Follow-up von 9,8 Jahren berichten die Autoren, dass 24 Prozent der Patientinnen und Patienten eine mittlere systolische BD-Differenz von 10 mmHg und 9 Prozent einen Unterschied von 15 mmHg aufwiesen. Diese BD-Diskrepanzen waren mit einem erhöhten Gesamtmortalitätsrisiko assoziiert (adjustierte Hazard Ratio [HR] 3,6, 95%-Konfidenzintervall [KI] 2,0–6,5 für die geringere BD- Differenz und HR 3,1, 95%-KI 1,6–6,0 für die grössere BD-Differenz). Das Todesrisiko war auch bei jenen 183 Patienten ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung bei BD-Seitendifferenz erhöht (HR 2,6, 95%-KI 1,4–4,8 resp. 2,7, 95%-KI 1,3–5,4). Eine Seitendifferenz beim diastolischen Blutdruck war hingegn nur schwach mit dem kardiovaskulären Risiko und der Gesamtmortalität assoziiert. Fazit: Messungen des Blutdrucks an beiden Armen müssen zur Routinepraxis gehören. HB❖ Christopher E Clark et al.: The difference in blood pressure readings between arms and survival: primary care cohort study. BMJ 2012;344:e1327. doi: 10.1136/bmj.e1327 Dae Hyun Kim: Differences in blood pressure between arms.May be diagnostically useful but needs further evaluation as a prognostic marker (Editorial). BMJ 2012; 344:e2033. doi: 10.1136/bmj.e2033 262 ARS MEDICI 6 ■ 2012 Cochrane Review bestätigt Sumatriptan s.c. bringt rasche Hilfe zur Coupierung akuter Migräneanfälle Ein Cochrane-Review kann anhand von randomisierten doppelblinden, Plazebo- oder mittels anderer Therapie kontrollierten Studien die Evidenzlage für die gute Wirkung von Sumatriptan bei subkutaner Applikation zur Anfallsunterbrechung bei Migräne untermauern. Die Autoren berücksichtigten 35 Studien mit 9365 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die meisten Daten wurden mit der 6-mg-Dosis gewonnen. Sumatriptan übertraf Plazebo bei allen WirksamkeitsOutcomes. Für den Vergleich Sumatriptan 6 mg s.c. und Plazebo waren die «numbers needed to treat» (NNT) 2,9 für Schmerzfreiheit nach einer und 2,3 nach zwei Stunden, 2,2 für Kopfschmerzbesserung nach einer und 2,1 nach zwei Stunden sowie 6,1 für anhaltende Schmerzbefreiung nach 24 Stunden. Die Ergebnisse für die 4-mg- und 8-mg-Dosis waren denjenigen für die 6-mg-Dosis ähnlich, wobei 6 mg der 4-mg-Dosis nur bei Schmerzfreiheit nach einer Stunde überlegen war und 8 mg der 6-mg-Dosis nur für die Schmerzlinderung nach einer Stunde. Es gab keine Hinweise auf eine bessere Wirkung bei Applikation einer zweiten Dosis wenn die erste nicht ausreichend gewirkt hatte. Auch die Linderung der kopfschmerzasso- ziierten Symptome wie Nausea, Licht- und Lärmempfindlicheit sowie die Besserung der migräneassoziierten Funtkionsbehinderung waren unter Sumatriptan besser als unter Plazebo. Die Nebenwirkungen waren meist leicht und vorübergehend und unter Suma- triptan häufiger. Vergleiche mit Behandlungs- alternativen wie anderen Triptanen, Aspirin plus Metoclopramid oder Dihydroergotamin waren mangels ausreichender Daten in einer gepoolten Analyse nicht möglich. HB❖ Derry CJ, Derry S, Moore RA. Sumatriptan (subcutaneous route of administration) for acute migraine attacks in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Feb 15;2:CD009665. Metaanalyse von Kohortenstudien aus den USA Ein gutes kardiovaskuläres Risikoprofil zahlt sich bis ins hohe Alter aus RÜCKSPIEGEL Vor 10 Jahren Stammzellen Die an der Universität Minnesota tätige belgische Stammzellforscherin Catherine Verfaillie publiziert mit ihrem Team den ersten Artikel, in dem berichtet wird, dass multipotente Stammzellen nicht nur aus Embryonen, sondern auch aus dem Knochenmark Erwachsener gewonnen werden können. Verfaillies Team gerät später unter Verdacht, einige der Resultate geschönt zu haben, weil diese von anderen Labors nicht reproduziert werden können. Mittlerweile unbestritten ist jedoch, dass die zellulären Alleskönner in der Tat auch bei Erwachsenen zu finden sind. Vor 50 Jahren Medizinstatistik Die Medizinstatistik etabliert sich als eigenständige Fachrichtung. An der Universität Mainz wird der erste Lehrstuhl für Medizinische Dokumentation und Statistik eingerichtet. Anfang der Siebzigerjahre hat bereits so gut wie jede Universitätsklinik eine Abteilung für Medizinstatistik. Vor 100 Jahren Scharfe Skala Der bei dem Pharmaunternehmen Parke-Davis tätige Pharmakologe Wilbur L. Scoville erfindet eine Skala, um den Schärfegrad von Chilischoten zu bestimmen. Im Hinblick auf die Evaluation von Therapien oder präventiven Interventionen wird oft mit dem kardiovaskulären (CV) 10-Jahresrisiko operiert. Zur Abschätzung des wesentlich höheren Lebenszeitrisikos bedarf es nicht nur längerer Beobachtungszeiträume sondern auch der Berücksichtigung konkurrierender Risiken, beispiesweise an einem Krebsleiden zu sterben. Eine Metaanalyse hat jetzt auf individuellem Niveau die Daten von 18 Kohortenstudien mit 257 384 weissen und schwarzen Männern und Frauen in den USA gebündelt, deren Risikofaktoren (BD, Cholesterin, Rauchen, Diabetes) im Alter von 45, 55, 65 und 75 Jahren erfasst worden waren. Unter den 55-Jährigen hatten diejenigen mit einem optimalen Risikoprofil (Gesamtcholesterin < 4,7 mmol/l, BD < 120/< 80 mmHg, Nichtraucher, kein Diabetes) ein substanziell tiefe- res CV-Risiko bis zum Alter 80 Jahre als Teil- nehmer mit zwei oder mehr Risikofaktoren (4,7% vs. 29,6% bei Männern und 6,4% vs. 20,5% bei Frauen). Studienteilnehmer mit optimalem Risikoprofil hatten auch ein gerin- geres Lebenszeitrisiko für tödliche Koronar- ereignisse oder nicht tödlichen Herzinfarkt (3,6% vs. 37,5% Männer; < 1% vs. 18,3% Frauen) sowie tödlichen und nicht tödlichen Hirnschlag (2,3% vs. 8,3% Männer; 5,3% vs. 10,7% Frauen). Diese Trends waren so- wohl unter Weissen wie unter Afroamerika- nern zu beobachten und bestätigten sich auch in den verschiedenen Geburtskohorten der über eine Epoche von 50 Jahren durchgeführ- ten Beobachtungsstudien. HB❖ Jarett D. Berry et al.: Lifetime Risks of Cardiovascular Disease. N Engl J Med 2012;366:321–329. Dabei wird der Capsaicingehalt der scharfen Früchte durch Verkosten definierter Verdünnungsschritte in Zuckerwasser bestimmt. Die Verdünnungsstufe, bei der keine Schärfe mehr zu schmecken ist, definierte er als eine Scoville Unit. Reines Capsaicin hätte demnach etwa 15 Millionen Scoville, die schärfsten Chilis etwa 300 000 Scoville. Dass dieses Mass aufgrund der doch sehr individuellen Schärfeempfindlichkeit der Probanden eher eine Schätzung «Pi-mal-Daumen» war, versteht sich von selbst. Heute wird der Capsaicingehalt mittels Chromatografie auf das Nanogramm genau bestimmt (Foto: Paul S, cc).