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STUDIE REFERIERT
GLP-1-Rezeptoragonisten zur Gewichtskontrolle nicht allgemein empfehlenswert
ten. In einem systematischen Review mit Metaanalyse untersuchten dänische Wissenschaftler kürzlich die Auswirkungen einer Behandlung mit GLP1R-Agonisten bei leicht oder stark übergewichtigen Patienten (1).
Aus einer Metaanalyse geht hervor, dass mit GLP-1-Rezeptoragonisten sowohl bei Diabetikern als auch bei Übergewichtigen ohne Diabetes eine Gewichtsreduktion sowie eine Senkung des Blutdrucks und des Gesamtcholesterins erreicht werden kann. Ein Kommentator weist jedoch darauf hin, dass noch wichtige Fragen zur Sicherheit dieser Substanzen offen sind.
BMJ
In den USA sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung übergewichtig (BodyMass-Index [BMI] 25–29,9) oder stark übergewichtig (BMI ≥ 30). Diese Anteile sind in Europa zwar niedriger, steigen aber auch hier kontinuierlich an. Ein Gewichtsverlust ist meist nicht leicht zu erreichen und aufrechtzuerhalten. In Metaanalysen zu Sibutramin (Reductil®, nicht mehr im AK der Schweiz) und Orlistat (Xenical® u.a.) wurde eine Gewichtsreduzierung von 3 bis 5 kg beobachtet, in einigen der analysierten Studien kam es jedoch zu Abbruchraten von bis zu 50 Prozent, möglicherweise aufgrund unerwünschter Wirkungen. Dies weist darauf hin, dass diese Medikamente in der klini-
Merksätze
❖ GLP-1R-Agonisten führen bei Übergewicht innerhalb eines Zeitraums von 20 Wochen zu Gewichtsverlust.
❖ GLP-1R-Agonisten senken die HbA1c-Werte, den Blutdruck und das Gesamtcholesterin.
schen Praxis weniger wirksam sein könnten. Aus anderen Metaanalysen geht hervor, dass die Adipositas-Chirurgie mit einem langfristigen Gewichtsverlust verbunden ist, Kosten und Sicherheitsaspekte die Anwendung jedoch auf ausgewählte Patienten beschränken. Das Diabetesrisiko steigt mit dem Ausmass des Übergewichts. Bei einem BMI von 25 bis 29,9 ist es bereits dreifach erhöht, und bei einem BMI ab 35 ist das Diabetesrisiko im Vergleich zum gesunden Index von 18,5 bis 24,9 um etwa das 20-Fache erhöht. Die Schwierigkeiten der Diabetesbehandlung werden angesichts des niedrigen Anteils jener Patienten deutlich, der therapeutische Ziele erreicht (< 50%). Einige Probleme im Behandlungsmanagement könnten mit Unzulänglichkeiten derzeit verfügbarer Medikamente zusammenhängen. Dazu gehören Gewichtszunahme (Thiazolidindione, Sulfonylharnstoffe, Insulin), Hypoglykämien (Sulfonylharnstoffe, Glinide, Insulin) und gastrointestinale Nebenwirkungen (Metformin, Alpha-Glukosidasehemmer). Das Glukagon-like Peptide-1 (GLP 1) ist ein Hormon, das vom Darm als Reaktion auf die Nahrungsaufnahme ausgeschüttet wird. Die GLP-1-basierte Therapie wurde kürzlich als neue Option zur unterstützenden Behandlung des Diabetes mellitus eingeführt. GLP 1 verstärkt die endogene Insulinsekretion, die durch die Aufnahme von Nahrung ausgelöst wird, hemmt gleichzeitig die Glukagonsekretion und verbessert so die Glukosehomöostase. Zudem reduziert es den Appetit und die Nahrungsaufnahme. Studien mit Typ-2Diabetikern weisen darauf hin, dass GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1RAgonisten) einen günstigen Einfluss auf die Stoffwechselregulierung ausüben und zu Gewichtsverlust führen könn- Methoden In die Metaanalyse wurden 25 randomisierte kontrollierte multizentrische internationale Studien eingeschlossen, an denen erwachsene Patienten mit oder ohne Diabetes mit einem BMI ab 25 teilnahmen. Die Patienten erhielten zweimal täglich oder einmal wöchentlich Exenatid (Byetta®) oder einmal täglich Liraglutid (Victoza®) über einen Zeitraum von mindestens 20 Wochen. Als Kontrollinterventionen wurden Plazebo, orale Antidiabetika und Insulin untersucht. Das primäre Ziel bestand in der Evaluierung der Wirkungen von GLP-1RAgonisten bei Übergewichtigen mit und ohne Diabetes. Als sekundäre Endpunkte wurden Veränderungen des systolischen und des diastolischen Blutdrucks, der Plasmakonzentrationen von Leberenzymen (Alaninaminotransferase, alkalische Phosphatase) und des Gesamtcholesterins sowie die unerwünschten Wirkungen untersucht. Bei Patienten mit Diabetes Typ 2 wurden zusätzlich die Marker der glykämischen Kontrolle (Nüchternglukose, HbA1c) und der Anteil der Patienten mit einem Zielwert des HbA1c von weniger als 7 Prozent erfasst. Ergebnisse Alle eingeschlossenen Studien wurden zwischen 2004 und 2011 veröffentlicht. Die meisten Untersuchungen wurden in Europa und den USA durchgeführt, und die durchschnittliche Studiendauer variierte von 20 bis 52 Wochen. An 3 Studien nahmen übergewichtige Patienten ohne Diabetes teil, während die Teilnehmer in den weiteren 22 Untersuchungen an Diabetes Typ 2 litten. In 3 Studien wurde Exenatid (2-mal täglich) direkt mit Liraglutid oder mit lang wirksamem Exenatid (1-mal wöchentlich) verglichen. In den meisten Studien betrug die Dosis von Liraglutid 1,2 mg oder 1,8 mg/Tag. Nur in 1 Studie mit Übergewichtigen ohne Diabetes wurden Liraglutiddosierungen von 2,4 mg und 3 mg/Tag angewendet. Exenatid wurde in Dosierungen ARS MEDICI 6 ■ 2012 293 STUDIE REFERIERT von 10 bis 20 µg/Tag oder von 2 mg/ Woche appliziert. Die Patienten der Kontrollgruppen erhielten Plazebo, Sulfonylharnstoffe der dritten Generation, Insulin, Dipeptidyl-Dipeptidase-4Hemmer, Thiazolidindione oder Metformin (Glucophage® und Generika). Bei den mit GLP-1R-Agonisten behandelten Patienten wurde eine ausgeprägtere Gewichtsreduzierung beobachtet als in den Kontrollgruppen. Die durchschnittliche Differenz betrug -2,9 kg (95%-Konfidenzintervall [KI]: -3,6 kg bis -2,2 kg). Bei Patienten ohne Diabetes beobachteten die Autoren unter GLP-1R-Agonisten einen Gewichtsverlust von -3,2 kg (95%-KI -4,3 kg bis -2,1 kg) und bei Patienten mit Diabetes Typ 2 eine durchschnittliche Gewichtsabnahme von -2,8 kg (95%-KI: -3,4 kg bis -2,3 kg) (1). Beim Vergleich zwischen Patienten, die Liraglutid oder Exenatid erhielten, sowie beim Vergleich zwischen der zweimal täglichen Dosis und dem lang wirkenden Exenatid stellten die Wissenschaftler keine signifikanten Gewichtsunterschiede fest. In der Gesamtanalyse zeigten GLP-1RAgonisten eine günstige Wirkung auf den systolischen und den diastolischen Blutdruck sowie auf die Cholesterinwerte und die glykämische Kontrolle. Die Ergebnisse bezüglich der Leberenzyme waren widersprüchlich. Als häufigste Nebenwirkungen wurden Übelkeit, Durchfall und Erbrechen beobachtet, wobei die unerwünschten Wirkungen mit steigender Dosis zunahmen. Ernste Zwischenfälle wie schwere Hypoglykämien traten jedoch nur selten auf. Diskussion Bei Patienten mit Diabetes Typ 2 ist die glykämische Kontrolle häufig mit einer Gewichtszunahme verbunden. Die Ergebnisse dieser Metaanalyse legen nach Ansicht der Autoren nahe, dass die Behandlung Übergewichtiger mit GLP1R-Agonisten unabhängig von einer Diabeteserkrankung eine wirksame Intervention darstellt. Dies gilt vor allem bei Patienten mit Bluthochdruck, erhöhten Cholesterinwerten oder anderen gesundheitlichen Störungen im Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom. Als Schwäche ihrer Untersuchung werten die Autoren, dass nur industriegesponserte Studien in die Metaanalyse eingeschlossen werden konnten und daher keine Subgruppenanalysen im Hinblick auf verzerrende Auswirkungen durch Interessenkonflikte möglich waren. Kommentar Raj Padwal von der Universität Alberta (Kanada) kommentiert die Ergebnisse in der gleichen Ausgabe des «BMJ» zurückhaltender (2). Die gepoolten Schätzungen zur Gewichtsreduzierung sind seiner Ansicht nach schwierig zu interpretieren, weil die Ergebnisse von Vergleichen der GLP-1R-Agonisten mit Plazebo und mit aktiven Kontrollmedikamenten kombiniert wurden. Patienten mit Diabetes Typ 2 sprechen konsistent schlechter auf Interventionen zur Gewichtskontrolle an als Personen ohne Diabetes, was teilweise durch konventionelle Antidiabetika verursacht wird. In dieser Hinsicht sind die gewichtsreduzierenden Eigenschaften der GLP-1R-Agonisten von Nutzen. Die Reduzierung des Gewichts sowie die Senkung des Blutdrucks und des Gesamtcholesterins sind allerdings nicht sehr ausgeprägt und waren mit hohen Kosten verbunden. Zudem stehen prospektive Daten bezüglich der damit verbundenen klinischen Endpunkte wie kardiovaskuläre Ereignisse noch aus. Angesichts der Tatsache, dass andere antidiabetische und Anti-AdipositasMedikamente – wie kürzlich Thiazolidindione und Sibutramin – wegen ungünstiger Sicherheitsprofile wieder vom Markt genommen werden mussten, sollte man bei der Anwendung von GLP-1R-Agonisten Vorsicht walten lassen, bis Ergebnisse aus Studien mit harten Endpunkten verfügbar sind, meint Raj Padwal. Obwohl die Metaanalyse von Tina Vilsbøll und ihrem Team den Nutzen der GLP-1R-Agonisten betont, sollte die gängige Praxis derzeit nicht geändert werden. Die Modifizierung von Ernährung und Lebensstil sind die Eckpfeiler der Behandlung bei Diabetes Typ 2, und die Behandlung mit Statinen und Blutdrucksenkern zur Reduzierung kardiovaskulärer Risikofaktoren ist unerlässlich. Metformin bleibt weiterhin das Medikament der ersten Wahl, und HbA1c-Werte sollten individuell festgelegt werden. Bei entsprechender Indikation kann die glykämische Kontrolle mit anderen Medikamenten inklusive GLP-1R-Agonisten weiter verbessert werden. Bei Übergewichtigen ohne Diabetes kann der Off-label-Use von GLP-1R-Agonisten zur Gewichtskon- trolle auf der Basis derzeitiger Erkennt- nisse nach Ansicht des Kommentators nicht empfohlen werden. Die wichtigsten offenen Fragen betref- fen die Sicherheit der GLP-1R-Agonis- ten. So haben sich aus Tierstudien Be- denken bezüglich eines erhöhten Risikos für Pankreatitis, Pankreasmetaplasie und Tumoren der C-Zellen der Schild- drüse ergeben. Die klinische Relevanz für Menschen ist bis anhin unbekannt. Die Daten aus Anwendungsbeobach- tungen und Metaanalysen ausgewähl- ter Patienten in randomisierten Studien sind zwar vielversprechend, dennoch ist eine weitere engmaschige Über- wachung der neuen Substanzen uner- lässlich, resümiert Raj Padwal. ❖ Petra Stölting Quellen: 1. Vilsbøll Tina et al.: Effects of glucagon-like peptide-1 receptor agonists on weight loss: systematic review and meta-analyses of randomised controlled trials, BMJ 2012;344:d7771 2. Padwal Raj: Glucagon-like peptide-1 agonists, BMJ 2012; 344:d7282 Interessenkonflikte: (1) Keine deklariert. (2) Der Autor ist derzeit ein «Site Investigator» im Zusammenhang mit einer Studie von Novo Nordisk zu GLP-1R-Agonisten. 294 ARS MEDICI 6 ■ 2012