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BERICHT
Biomarker finden immer breitere Anwendung
Tests für Troponine und N-terminales natriuretisches Peptid Typ B
Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) Paris, 27. bis 31. August 2011
Bei den kardialen Biomarkern ist vieles im Fluss. Heutige Tests messen schon winzigste Konzentrationen der Troponine, was neue Anwendungsmöglichkeiten erwarten lässt. Zur Abstimmung der komplexen Therapie bei chronischer Herzinsuffizienz sind serielle Bestimmungen natriuretischer Peptide hilfreich.
HALID BAS
Troponintests erlauben schon heute viele Anwendungen «Zunächst müssen wir ganz klar festhalten, dass wir jetzt in der Ära der sensitiven und hochsensitiven Troponintests sind», erklärte Prof. Stefan Blankenberg, Universitäres Herzzentrum Hamburg, in seiner Bestandesaufnahme dessen, was Troponintests heute leisten
sprechen, da wir die Troponinspiegel kontinuierlich messen können wie viele andere Laborparameter, zum Beispiel Lipidwerte, auch.» In vielen Spitälern ist heute ein sensitiver Troponin-T-Test (sTNT) in Gebrauch, der eine hohe Präzision hat (Tabelle). Einen Schritt weiter gehen die heutigen hochsensitiven Troponin-T-Tests (hsTNT), die sehr geringe Troponinkonzentrationen bei über der Hälfte der Allgemeinbevölkerung nachweisen können, da ihre Spiegel in Abhängigkeit unter anderem von Geschlecht und Alter oberhalb der Nachweisschwelle liegen. Noch nicht auf dem Markt sind supersensitive TNT, dank deren Nachweisschwelle sogar 99 Prozent der Allgemeinbevölkerung ein messbares Resultat aufweisen und deren künftiger Verwendungszweck noch offenbleiben muss. Als Beispiele erwähnte Prof. Blankenberg den «Siemens Centaur Ultra» als sTNT sowie «Beckman Coulter Access hscTNI», «Roche Elecsys hs-cTNT» und «Abbott Architect STAT hsTNI». Mit den heutigen hochsensitiven Tests lassen sich bei verschiedenen Formen von Herzinsuffizienz erhöhte Troponinspiegel nachweisen. Die Gründe für Troponinerhöhung sind vielfältig und umfassen oxidativen Stress, proinflam-
«Heute sollten wir nicht mehr von einem ‹positiven› Resultat sprechen, da wir die Troponinspiegel kontinuierlich messen können wie viele andere Laborparameter auch.»
können. «Bis vor wenigen Jahren hatten wir bloss die konventionellen Tests, die mehr oder weniger wie ein Schwangerschaftstest waren und bloss ein Negativ/positiv-Ergebnis lieferten», so Blankenberg, «aber heute sollten wir nicht mehr von einem ‹positiven› Resultat
matorische Zytokine, neurohumorale Aktivierung, erhöhte ventrikuläre Wandspannung, Veränderungen des Kalziumeinstroms und epikardiale Ursachen, die in reversible oder irreversible Schädigungen von Kardiomyozyten münden können. Für erhöhte Tropo-
ninspiegel bei einer Herzinsuffizienz gibt es zudem wichtige und oft in Kombination auftretende extrakardiale Ursachen wie Adipositas, Diabetes oder Hypertonie. Ausserdem sind selbst sehr tiefe Troponinspiegel sehr eng mit einer diastolischen Dysfunktion assoziiert. Als Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Daten erwähnte Prof. Blankenberg: Hochsensitive Troponintestsysteme verbessern die Diagnostik bei akutem Myokardinfarkt, führen aber auch zu nachweisbaren Konzentrationen aus extrakoronaren Ursachen. Die Troponinspiegel sind bei akutem und chronischem Herzversagen mit ungünstigeren Outcomes assoziiert. Im Vergleich zu etablierten Markern für Herzinsuffizienz wie N-terminales pro-Typ-B-natriuretisches Peptid (NtproBNP) oder mittelregionales proatriales natriuretisches Peptid (MRproANP) bietet hochsensitives Troponin keine spezifische Information zur Diagnose des akuten oder chronischen Herzversagens. Hochsensitives Troponin könnte künftig in der Bevölkerung diejenigen Individuen identifizieren, welche an einer beginnenden Herzinsuffizienz leiden. Dies wäre der Beginn von durch Biomarker geleiteten Primärpräventionsstrategien. Hochsensitives Troponin ist mit den echokardiografischen Phänotypen von diastolischer und systolischer Herzinsuffizienz eng korreliert, und zwar in Konzentrationsbereichen, die weit unterhalb der diagnostischen Kriterien für einen akuten Myokardinfarkt liegen.
Biomarker-geleitete Therapie bei Herzinsuffizienz Bisher gab es einige klinische Studien, welche eine Biomarker-geleitete Therapie bei Herzinsuffizienz untersuchten. Ausgangspunkt ist die Beobachtung,
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Troponinveränderungen im Alter
Prof. Stephen L. Seliger
Ältere Personen, die körperlich aktiver leben, haben seltener klinisch relevante Anstiege der mit einem hochsensitiven Test bestimmten Troponin-T-Werte als Senioren mit überwiegend sitzendem Lebensstil. Prof. Stephen L. Seliger, University of Maryland, Baltimore/USA, berichtete am ESC-Kongress in Paris über eine Analyse, die sich auf 1786 Menschen über 65 Jahre stützt, die an der Cardiovascular-Health-Studie, einer longitudinalen Multizenterstudie von in der Gemeinschaft lebenden Senioren, teilnahmen (1). Alle waren bei Aufnahme in die Studie frei von Herzinsuffizienz, und für alle lagen eine initiale Troponin-T-Messung (hsTNT ≥ 3 pg/ml, bestimmt mit Elecsys Roche) sowie eine Zweitmessung 2 bis 3 Jahre später vor. Das Ausmass der körperlichen Freizeitaktivität (gemessen mit einem Aktivitätsscore aus dem Fragebogen Minnesota Leisure Time Physical Activity) und ein Anstieg des hsTNT-Spiegels um mindestens 50 Prozent gegenüber der Ausgangsmessung sagten beide ein grösseres Risiko für eine beginnende Herzinsuffizienz voraus. «Wir schlagen daher vor, den hochsensitiven Troponin-TTest als nützlichen Surrogatmarker zur Abschätzung des Potenzials einer kardiovaskulären Trainingsintervention bei älteren Menschen zu betrachten», sagte Prof. Seliger. Allerdings hatte er keine Zahlen zur Hand, die eine Abnahme des Troponins durch gesteigerte körperliche Aktivität belegen. Publikationen auf der Basis derselben grossen Kohortenstudie (2, 3) haben schon früher gezeigt, dass hsTNT-Werte das Risiko für
Herzversagen und kardiovaskulären Tod vorhersagen. Ein Anstieg
dieses Biomarkers um 50 Prozent oder mehr innert 2 bis 3 Jahren
steigerte das Herzinsuffizienzrisiko um 61 Prozent und die kardio-
vaskuläre Mortalität um 71 Prozent.
In der jetzigen Analyse waren weder das Alter noch die Aus-
gangswerte des Troponin T mit dem Ausmass der körperlichen
Aktivität beziehungsweise Ganggeschwindigkeit noch mit der
Prävalenz einer Koronarerkrankung korreliert. Allerdings hatten
die meisten Studienteilnehmer von Beginn an eine Hypertonie.
Dies war ebenso wie das Vorkommen eines Diabetes bei den kör-
perlich wenig Aktiven häufiger als bei den körperlich besonders
Aktiven. Wie Prof. Seliger gegenüber dem Kardioportal Heartwire
sagte, wurden jene Individuen aus der Studie ausgeschlossen, bei
denen der hsTNT zu Beginn keinen messbaren Troponin-T-Wert
ergeben hatte; dies betraf etwa ein Drittel der Teilnehmer. «Damit
haben wir uns aber auf jene Art der subklinischen kardialen Dys-
funktion konzentriert, von der wir glauben, dass sie in Troponin-T-
Erhöhungen ihren Niederschlag findet», meinte Prof. Seliger und
äusserte die vorläufige Vermutung, dass «höhere Niveaus körper-
licher Aktivität die negativen Auswirkungen steigender Troponin-
T-Werte auf das Risiko und die daraus entstehenden Schäden
vermindern».
❖
Quellen: 1. Seliger SL, Tkaczuk A, Gottdiener J, et al. Physical exercise and long-term changes
in high-sensitivity troponin T in the elderly. European Society of Cardiology 2011 Congress. Abstract 5180. 2. deFilippi CR, de Lemos JA, Christenson RH, et al. Association of serial measures of cardiac troponin T using a sensitive assay with incidence heart failure and cardiovascular mortality in older adults. JAMA 2010; 304: 2494–2502. 3. Omland T, de Lemos JA, Sabatine MS, et al. A sensitive cardiac troponin T assay in stable coronary artery disease. N Engl J Med 2009; 361: 2538–2547.
dass serielle Messungen von Biomarkern, zum Beispiel von NT-proBNP, Aussagen über die Prognose erlauben und in der Lage sind, besonders intensi-
dialer Marker Bedarf für eine Intensivierung der Behandlung anzeigen. Als Merkpunkte seiner Ausführungen erwähnte Prof. Januzzi den Einsatz ob-
«Erfolgreich ist eine Biomarker-geleitete Therapie am ehesten bei Herzinsuffizienz aufgrund einer linksventrikulären systolischen Dysfunktion.»
ver Therapie bedürftige Patienten herauszufiltern. Die Ergebnisse entsprechender Studien waren aber bisher sehr widersprüchlich. Dies könnte auch daran liegen, dass die medikamentöse Herzinsuffizienztherapie trotz aller Guidelines nicht konsistent und oft genug nicht konsequent genug gehandhabt wird, meinte Prof. James Januzzi, Boston Massachusetts General Hospital, Boston/USA. Biomarker könnten hier jedoch weiterhelfen, da sie auch bei vermeintlich sehr guter Therapieführung jene Patienten identifizieren, deren steigende Konzentrationen kar-
jektiver Parameter zur Diagnostik und zur Risikostratifizierung sowie zur Leitung des Behandlungsmanagements, der zu einer besseren Nutzung adäquater Therapien führt. Die Messung natriuretischer Peptide (NP) zur objektiven Steuerung der Behandlung erscheint vielversprechend, da sie Patienten mit höherem Risiko identifizieren hilft und eine bessere Abstimmung der Therapie ermöglicht. Erfolgreich ist eine solche Biomarkergeleitete Therapie am ehesten bei Herzinsuffizienz aufgrund einer linksventrikulären systolischen Dysfunktion.
Dazu ist ein möglichst tiefes NP-Ziel anzustreben, und die Therapie muss – individuell gut abgestimmt – geändert werden, um es zu erreichen. Bei einer Biomarker-geleiteten Therapie benötigen ältere Patienten ein anderes Vorgehen als junge, aber auch sie können von der geleiteten Therapie profitieren. Nonresponders in Bezug auf eine geleitete Therapie haben eine schlechte Prognose, und bei ihnen sind andere Behandlungsansätze notwendig.
Hochsensitive Troponintests bei akuten Koronarsyndromen Die Therapie beim akuten Myokardinfarkt (AMI) ist eine Erfolgsgeschichte, sie hängt aber massgeblich von einer raschen und akkuraten Diagnose ab. Der Einbezug der hochsensitiven Troponintests in die klinische Praxis erlaubt es, Patienten mit akutem Herzinfarkt früher zu erkennen und zu behandeln. Die inzwischen äusserst tiefen
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Tabelle:
Troponintests mit unterschiedlich tiefer Nachweisschwelle
Assay
konventioneller TNT kontemporärer sensitiver TNT (sTNT) hochsensitiver TNT (hsTNT) supersensitiver TNT (ssTNT)* * noch nicht auf dem Markt
Kriterium
10%-Variationskoeffizient ≥ 99. Perzentile
nachweisbar bei ≥ 50% der Allgemeinbevölkerung
nachweisbar bei ≥ 95% der Allgemeinbevölkerung
Myokardinfarkt: Diagnose + ++
++
?
Anwendung
Risikostratifikation: Sekundärprävention
(+) +
++
?
Risikostratifikation: Primärprävention
– –
+
?
Nachweisgrenzen sorgen aber auch für Verwirrung, dann nämlich, wenn Patienten mit Tachyarrhythmie, einer hypertensiven Notsituation oder Herzinsuffizienz mit einem hsTNT «positiv» sind, ohne dass eine Koronarobstruktion vorliegt. Hier verspricht ein diagnostischer Algorithmus Abhilfe, über den Dr. Philip Raaf, Universitätsspital Basel, in Paris berichtete. Er basiert auf einer Analyse von 887 Patienten, die im Rahmen der laufenden Studie Advantageous Predictors of Acute Coronary Syndromes Evaluation (APACE) mit akutem
Brustschmerz auf der Notfallstation gesehen wurden. Der Algorithmus basiert auf dem Vorhandensein einer ST-Hebung und auf dem Ausgangswert des hsTNT sowie dessen Veränderung während der ersten Stunde. Bei der Unterscheidung AMI oder kardiale, nicht koronare Erkrankung waren die absoluten hsTNT-Veränderungen (bis hinunter zu 0,005 μg/l) wesentlich diskriminatorischer als die relativen. 98,4 Prozent der Notfallpatienten mit AMI hatten einen hsTNT-Wert über 0,028 μg/l oder eine absolute Zunahme um mehr als 0,005 μg/l in der ersten
Stunde. Bemerkenswerterweise brachte
die Beobachtung der hsTNT-Werte nach
der ersten Stunde kaum weitere dia-
gnostische Schärfe.
❖
Halid Bas
«Troponins assessment – does it really carry clinical messages?» (S. Blankenberg) «Biomarkers-guided therapy» (J. Januzzi) Clinical Seminar: Biomarkers for optimal management of heart failure. 28. August 2011. «High sensitive cardiac troponin in the distinction of acute myocardial infarction from acute cardiac non-coronary disease» (P. Haaf et al.) Abstract Session: Biomarkers in acute coronary syndrome. 31. August 2011.
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