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STUDIE REFERIERT
Auch hochbetagte Hypertoniker profitieren von Blutdrucksenkung
Aus einer Verlängerungsstudie geht hervor, dass auch hochbetagte Hypertoniker rasch von einer Blutdrucksenkung profitieren. Zudem zeigte sich, dass eine frühzeitige Intervention mit einem grösseren Nutzen verbunden ist als ein späterer Behandlungsbeginn.
BMJ
Die Hypertonie bleibt auch bei sehr alten Menschen ein Risikofaktor für die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität. Vor den Ergebnissen der HYVET-Studie (Hypertension in the Very Elderly Trial) bestand jedoch Unsicherheit bezüglich des Nutzens und der Risiken einer antihypertensiven Behandlung bei Hochbetagten. Die HYVET-Studie wurde mit Patienten ab 80 Jahren und einem systolischen Blutdruck ab 160 mmHg durchgeführt. Die randomisierte plazebokontrollierte Studie wurde aufgrund einer signifikanten Senkung der Mortalität unter der aktiven Behandlung vorzeitig abgebrochen. In einem verlängerten Follow-up der Syst-EUR-Studie (Systolic Hypertension in Europe) zeigten sich Hinweise, dass eine frühzeitige Intervention bei
Merksätze
❖ Patienten über 80 Jahre mit einem systolischen Blutdruck ab 160 mmHg profitieren von einer antihypertensiven Behandlung.
❖ Der Nutzen zur Reduzierung kardiovaskulärer Ereignisse zeigt sich innerhalb eines Jahres.
❖ Bei eigenständig lebenden Personen ab 80 Jahren sollte ein Blutdruck-Screening und gegebenenfalls eine Behandlung durchgeführt werden.
jüngeren älteren Menschen mit einem grösseren Nutzen im Vergleich zu einem späteren Behandlungsbeginn verbunden ist. Das Steuerungsgremium der HYVET-Studie stimmte daraufhin einer Verlängerung des Studienzeitraums um ein Jahr zu, um ergänzende Informationen zu den Ergebnissen der Hauptstudie zu erhalten. Dabei war vor allem die Frage von Interesse, ob sich auch bei Hochbetagten ein rascher Nutzen zeigen würde. Ausserdem versprach man sich auch zusätzliche Informationen zur Sicherheit der antihypertensiven Behandlung in dieser Altersgruppe.
Studiendurchführung Im Anschluss an die randomisierte kontrollierte HYVET-Studie wurde der Untersuchungszeitraum um ein Jahr bei offener Durchführung der aktiven Behandlung verlängert. Die Folgestudie wurde in allgemeinmedizinischen Einrichtungen in Ost- und Westeuropa sowie in China und Tunesien durchgeführt. In die verlängerte Untersuchung wurden nur randomisierte Patienten aus der HYVET-Studie eingeschlossen. Teilnehmer, die in der Hauptstudie eine blutdrucksenkende Behandlung erhalten hatten, setzten ihre Medikamenteneinnahme fort. Patienten, die während des randomisierten Zeitraums mit Plazebo behandelt worden waren, erhielten jetzt eine aktive blutdrucksenkende Medikation. Das Therapieregime bestand – wie in der Hauptstudie – aus Indapamid SR (Fludex® SR) 1,5 mg (plus Perindopril [Coversum® N) 2–4 mg wenn erforderlich). Als Blutdruckziel wurden Werte unter 150/80 mmHg angestrebt. Die Studienendpunkte waren identisch mit denen der Hauptstudie. Als primärer Endpunkt wurden alle Schlaganfälle (tödliche und nicht tödliche Schlaganfälle, aber keine transienten ischämischen Attacken) definiert. Zu weiteren Endpunkten gehörten die Gesamtmortalität, die kardiovaskuläre Mortalität und kardiovaskuläre Ereignisse.
Ergebnisse Von den 1882 Teilnehmern der Hauptstudie nahmen 1712 (91%) an der Verlängerung teil. Während der Verlängerungsphase wurden insgesamt 1682 Patientenjahre untersucht. Von den Patienten, die an der Verlängerungsphase teilnahmen, erhielten am Ende des Hauptstudienzeitraums 235 (25%) aus der Verumgruppe Indapamin SR als Einzelsubstanz (Stufe 1), 262 (28%) Indapamin SR plus Perindopril 2 mg (Stufe 2) und 416 (45%) Indapamin SR plus Perindopril 4 mg (Stufe 3). Zu Beginn der Extensionsphase wurden dann zunächst alle Patienten mit Indapamid als Einzelsubstanz behandelt, unabhängig von der Medikation, die sie in der Hauptstudie erhalten hatten. Am Ende des doppelblinden Untersuchungszeitraums der Hauptstudie betrug der durchschnittliche systolische Blutdruck im Sitzen 145,0/76,6 mmHg bei aktiver Medikation und 159,3/ 80,8 mmHg unter Plazebo, mit einem signifikanten Unterschied von 14,3/ 4,2 mmHg (p < 0,001). Nach 6 Monaten des Verlängerungszeitraums betrug die Differenz des Blutdrucks zwischen den beiden Gruppen nur noch 1,3/ 0,6 mmHg und war somit nicht mehr signifikant. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Blutdruckwerte bei 145,3/76 mmHg bei den ehemals aktiv behandelten und bei 146,6/76,6 mmHg bei den vormals mit Plazebo behandelten. Die Wertedifferenz blieb bis zum Ende des Verlängerungszeitraums minimal (Abbildung). Bezüglich des primären Endpunkts der Schlaganfälle wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen der Behandlungs- und der Plazebogruppe festgestellt (n = 13; HR 1,92, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,59–6,22, p = 0,28). Im Hinblick auf kardiovaskuläre Ereignisse wurden ebenfalls keine signifikanten Unterschiede (n = 25, HR 0,78, 95%KI 0,36–1,72; p = 0,55) beobachtet. Bezüglich der Gesamtmortalität (n=47, HR 0,48, 95%-KI 0,26–0,87, p=0,02) und der kardiovaskulären Mortalität (n=11, HR 0,19, 95%-KI 0,04–0,87, p=0,03) zeigten sich dagegen Unterschiede. Eine Adjustierung für Alter, Geschlecht, den systolischen Blutdruck im Sitzen zu Untersuchungsbeginn und für frühere kardiovaskuläre Erkrankungen veränderte die Ergebnisse nicht. 296 ARS MEDICI 6 ■ 2012 STUDIE REFERIERT Systolischer Blutdruck (mmHg) Systolischer Blutdruck 160 155 150 vormals aktiv behandelt vormals mit Plazebo behandelt 145 140 135 Diastolischer Blutdruck (mmHg) Diastolischer Blutdruck 82 80 78 76 74 Abbildung: Durchschnittliche Blutdruckwerte im Verlauf der zwölfmonatigen HYVET-Verlängerungsstudie (nach Beckett et al.) lären Endpunkt erreicht. Somit sind die Ergebnisse beider Untersuchungen zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse vor allem im Hinblick auf Personen ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung übertragbar. Die Tatsache, dass die Unterschiede zwischen den Raten an kardiovaskulären Ereignissen in beiden Gruppen innerhalb des Verlängerungszeitraums von einem Jahr nicht mehr vorhanden waren, stützt die Empfehlung eines regelmässigen Screenings bei über 80-Jährigen mit anschliessender Senkung des Blutdrucks bei Werten ab 160 mmHg. Als Schwäche ihrer Studie erachten die Wissenschaftler, dass ausschliesslich Patienten aus der HYVET-Hauptstudie in die Untersuchung eingeschlossen wurden. Überlebensunterschiede zwischen Patienten beider Gruppen und unterschiedliche Abbruchraten in der Hauptstudie führten dazu, dass die Teilnehmerzahlen beider Gruppen nicht mehr ausgeglichen waren. Als weitere Schwäche betrachten die Autoren den kurzen Studienzeitraum von einem Jahr, sie verfügten jedoch nicht über die notwendigen Mittel für eine längere Untersuchung. Die Ergebnisse der Verlängerungsstudie sollten im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Hauptstudie interpretiert werden. ❖ Diskussion Die geringfügigen Unterschiede bezüglich der Inzidenz von Herzinsuffizienz und Schlaganfall zwischen den zuvor aktiv und den zuvor plazebobehandelten Teilnehmern weisen darauf hin, dass auch bei hochbetagten Hypertonikern mit einer Senkung und Kontrolle des Blutdrucks ein rascher Nutzen erzielt werden kann. Die Unterschiede bezüglich der Gesamtmortalität und der kardiovaskulären Mortalität zeigen wiederum, dass einige Aspekte des Nutzens einer Blutdruckkontrolle erst mit der Zeit zum Tragen kommen und deshalb eine möglichst frühzeitige Intervention erforderlich ist. In der HYVET-Studie litten die meisten Teilnehmer zum Zeitpunkt der Rekrutierung nicht unter manifesten kardiovaskulären Erkrankungen. Zudem hatten Patienten, die an der Verlängerungsstudie teilnahmen, während der Hauptstudie noch keinen kardiovasku- Petra Stölting Beckett N. et al.: Immediate and late benefits of treating very elderly people with hypertension: results from active treatment extension to Hypertension in the Very Elderly randomised controlled trial, BMJ 2012; 344:d7541 Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Imperial College London gesponsert und mit Zuschüssen der British Heart Foundation sowie des Institut de Recherches Internationales Servier unterstützt. Drei der Autoren haben Honorare von verschiedenen Unternehmen erhalten, die blutdrucksenkende Medikamente herstellen. ARS MEDICI 6 ■ 2012 297