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Arsenicum: Kein Korrektor da
Untertitel
-
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Es gäbe kein Arsenicum, wenn unser Typograf nicht stets «An’s Arsenicum denken!»-SMS und -E-Mails schicken würde. Ohne ihn würde der Abgabetermin textlos verstreichen, denn im 365 days-a-year/24-hours-a-day-Modus verliert der Hausarzt die zeitliche Orientierung. Ständig arbeitet man, nur von kurzen Ess- und Schlafphasen unterbrochen. Örtlich ist man noch orientiert – klar, man kommt ja gar nicht mehr aus der Praxis raus.
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kein Korrektor da

E s gäbe kein Arsenicum, wenn unser Typograf nicht stets «An’s Arsenicum denken!»-SMS und -E-Mails schicken würde. Ohne ihn würde der Abgabetermin textlos verstreichen, denn im 365 days-a-year/24-hours-a-day-Modus verliert der Hausarzt die zeitliche Orientierung. Ständig arbeitet man, nur von kurzen Ess- und Schlafphasen unterbrochen. Örtlich ist man noch orientiert – klar, man kommt ja gar nicht mehr aus der Praxis raus. Autopsychisch auch noch – man weiss nur zu gut, dass man Hausarzt X ist und zur aussterbenden Spezies der allzeitbereiten Grundversorger gehört. Auch situativ ist man sich im Klaren: Wieder eine Patientin mit HWI. Urinstatus. Antibiotikum. «Reicht Montag auch noch?», mailt man dem Typografen, wenn Freitag das Arsenicum fällig ist. «Klar, es ist sowieso kein Korrektor da!», antwortet er. Panik packt den Praktiker. Ja, aber wer korrigiert einen dann? Was machen die Dame und die beiden Herren denn jetzt, die für Grammatik, Stil, sachliche Richtigkeit und perfekte Typografie garantieren? (Anm. des Typografen: Für Letzteres garantiere ich!). Liegen sie im Süden am Strand oder fahren sie Ski? Auf jeden Fall fehlen sie in der Redaktion. Diese stillen, bescheidenen Mitarbeiter, die schweigend über den Druckfahnen brüten, hier ein Komma streichen, dort statt eines Dativs einen Genitiv einsetzen und zurückfragen, wer wohl der «Bnudesart» sei. Nur manchmal verziehen sie schmerzlich das Gesicht – aber nicht wegen eines kapitalen grammatikalischen Bocks, sondern wenn es im Grossraumbüro wieder mal allzu laut hergeht und die Hektik vor Heftabschluss hörbar wird. Denn sie lauschen quasi der Sprache der Texte, während ihr wachsames typografisches Auge die Lettern scannt. Die Korrektoren bewahren mich vor Fehlern, was äusserst beruhigend ist. Sie sind die einzigen im rauen Berufsalltag, die das tun: Freundlich, taktvoll, wirksam. Dank ihnen gibt es diese ganz kleine geschützte Nische, in der man garantiert fehlerfrei arbeitet. Sie

verbessern und optimieren. Garantieren Schutz vor Blamagen. Verhindern literarische Kunstfehlerprozesse. Manchmal schmunzeln sie sogar während der Lektüre – höchstes Lob für den Kolumnisten! Rosenfluh gönnt sich den Luxus echter Korrektoren, studierter Germanisten, und vertraut nicht nur auf Computerprogramme, die Texte eben nicht so wie Menschen korrigieren können. Nur schon bei der automatischen Rechtschreibeprüfung schlägt einem der Thesaurus die merkwürdigsten Alternativen vor: Statt «Tarmed» will er «Tarnung» oder «Talmud». Nun ist mir der Tarmed in der Tat so babylonisch unverständlich wie es Mischna und Gemara für Leute sind, die weder Hebräisch noch Aramäisch können. Und Tarmed ist auch Tarnung – nämlich eines eindeutigen Lohnabbaus. (Frage des Typografen: Sollte hier nicht besser «von + Dativ» gebraucht werden statt des Genitivs?). Aber am Tarmed ist nicht zu rütteln. Noch nicht mal auf dem bekannterweise geduldigen Papier. Historisch waren Korrektoren echte Gelehrte, die neben ihrer Muttersprache nicht nur Griechisch und Latein, sondern auch Medizin, Theologie und Philosophie beherrschten. Ich vermute, dass unsere Korrektoren das auch tun. Nachweislich beherrschen sie medizinische Termini, glauben an Ars Medici und seine Mitarbeiter und stellen sich vermutlich oft die Seins- und Sinnfrage. Wie schön wäre es, so einen Korrektor auch in der Praxis zu haben, der milde meine Differenzialdiagnosen und Therapien hinterfragen würde («Hast du beim HWI auch an eine Cranberry-Prophylaxe gedacht?»). Etwas bange schicke ich den Text an den Typografen, der schon wieder mailt. (Das Rechtschreibeprogramm – augenscheinlich ein Gutschweizerisches – kennt das Wort «mailt» nicht und schlägt stattdessen vor: «mahlt, malt, mault, maiet, maist, mait»). Aber es wäre dem Typografen nicht recht, wenn ich maisen oder maulen würde. Deshalb zeige ich Mut zur Unvollkommenheit und sende die Kolumne. Ganz ohne Gewähr. (Frage des Typografen: Heisst das nicht «ohne Gewehr»?). Ja. Das auch. Aber mit Fehlern.

ARSENICUM

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ARS MEDICI 6 ■ 2012