Transkript
FORTBILDUNG
Synkopen: Wann wird es gefährlich?
Ziel dieser kurzen Übersichtsarbeit ist es darzulegen, wie man bei einem Patienten mit einer Synkope eine Risikostratifizierung vornehmen kann. Zudem soll diese Arbeit beim Entscheid helfen, ob und welche Zusatzuntersuchungen bei der Abklärung der Synkope notwendig sind.
RICHARD KOBZA
Eine Synkope ist definiert als vorübergehender, selbstlimitierender Bewusstseinsverlust, der üblicherweise zum Sturz führt. Die Synkope tritt plötzlich auf, und nachfolgend kommt es zu einer spontanen, vollständigen, prompten Erholung. Der zugrunde liegende Mechanismus ist eine transiente zerebrale Hypoperfusion.
Epidemiologie und Bedeutung Die Inzidenzrate für eine erstmalige Synkope beträgt 6,2/1000 Patienten pro Jahr (1). Patienten mit einer kardiovaskulären Erkrankung haben eine fast doppelt so hohe Inzidenz wie Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankung (10,6 vs. 6,4/1000 Patienten pro Jahr). Die Mortalität steigt bei Patienten mit Synkope aller Ursachen um zirka 30 Prozent, bei Patienten mit kardialer Synkope sogar auf das Doppelte im Vergleich zu Patienten ohne Synkopen. Patienten mit vasovagalen Synkopen haben keine erhöhte Mortalität.
Merksätze
Pathophysiologie und Ursachen Jede Verminderung der Herzleistung oder des totalen peripheren Gefässwiderstandes kann zu einem Blutdruckabfall und zur Abnahme des zerebralen Perfusionsdrucks führen (Tabelle 1). Kardiovaskuläre Krankheiten machen 20 bis 50 Prozent aller Ursachen von Synkopen aus, davon liegen in etwa 10 bis 40 Prozent der Fälle Rhythmusstörungen vor. An zweiter Stelle steht eine reflektorische Genese (ca. 25%). Bei 25 bis 40 Prozent aller Patienten kann die Ursache der Synkope nicht geklärt werden. In Tabelle 2 sind Punkte aufgelistet, die auf eine kardiovaskuläre Synkope schliessen lassen. Bei Patienten nach einem Myokardinfarkt ist eine Synkope bis zum Beweis des Gegenteils als Folge einer Kammertachykardie zu betrachten. Synkopen bei Trägern interner Kardioverter-Defibrillatoren (ICD) sollten Anlass geben, den ICD abzufragen. Eine Kammertachykardie kann nämlich ein erster Ausdruck einer Instabilität der kardialen Grunderkrankung sein, da normale Alltagsaktivitäten per se keine Rhythmusstörungen auslösen sollten (2).
Prognose Unter prognostischen Gesichtspunkten ist der Nachweis, respektive das Fehlen einer kardialen Grunderkrankung besonders wichtig (Tabelle 3) (3). Die Prognose ist in der Regel günstiger, wenn keine kardiale Grunderkrankung vorliegt. Bei schwerer Funktionseinschränkung und tachykarden Rhythmusstörungen als Ursache der Synkope muss von einer deutlich schlechteren Prognose ausgegangen werden. In Tabelle 3 sind Kriterien einer potenziell gefährlichen Synkope aufgelistet. Treffen diese zu, sind eine rasche (stationäre) Abklärung und Behandlung notwendig.
❖ Kardiovaskuläre Krankheiten machen 20 bis 50 Prozent aller Ursachen von Synkopen aus, davon liegen in etwa 10 bis 40 Prozent der Fälle Rhythmusstörungen vor.
❖ Bei Patienten nach einem Myokardinfarkt ist eine Synkope bis zum Beweis des Gegenteils als Folge einer Kammertachykardie zu betrachten.
❖ Die Prognose ist in der Regel günstiger, wenn keine kardiale Grunderkrankung vorliegt.
❖ Bei Patienten mit vasovagalen Synkopen ist die Mortalität nicht erhöht.
Diagnostik Bei der initialen Evaluation hat sich der behandelnde Arzt folgende drei entscheidende Fragen zu stellen: 1. Ist der Bewusstseinsverlust durch eine Synkope bedingt
oder liegt ein nicht synkopales Geschehen zugrunde? 2. Besteht eine kardiale Erkrankung? 3. Gibt es entscheidende klinische Hinweise in der Ana-
mnese, die auf die Diagnose hinweisen?
Die initiale Evaluation umfasst ❖ eine sorgfältige Anamnese ❖ eine körperliche Untersuchung (Blutdruck beidseitig,
sowie liegend und stehend, Herzgeräusche)
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FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Ursachen für Synkopen
neurokardiogen vasovagal, Karotissinussyndrom situationsbedingte Synkope
orthostatisch autonome Dysfunktion (z.B. M. Parkinson) Volumenmangel
Herzrhythmusstörungen als primäre Ursache Sinusknotenerkrankung, AV-Block paroxysmale supraventrikuläre und ventrikuläre Tachykardien
strukturelle Herzerkrankung oder kardiopulmonale Erkrankung valvuläre Herzerkrankung (Aortenstenose) akuter Myokardinfarkt/Ischämie obstruktive Kardiomyopathie atriales Myxom Aortendissektion Perikarderguss/-tamponade Lungenembolie/pulmonale Hypertonie
zerebrovaskulär Vascular Steal Syndrome
Tabelle 2:
Wie erkennt man eine kardiovaskuläre Synkope?
❖ Vorhandensein einer strukturellen Herzerkrankung ❖ Familienanamnese mit plötzlichem Herztod oder Kanalerkrankung
(Long-QT-, Brugada-Syndrom) ❖ Synkope während Belastung ❖ pathologisches EKG ❖ plötzliches Herzrasen mit nachfolgender Synkope ❖ EKG-Veränderungen, die auf eine rhythmogen bedingte Synkope
hinweisen: – bifaskzikulärer Block – andere intraventrikuläre Reizleitungsstörungen (QRS > 120 ms) – AV-Block II° Typ Mobitz – Sinusbradykardie < 50 pro Minute oder Sinuspausen – über 3 Sekunden – nicht anhaltende Kammertachykardie – Präexzitation (WPW-Syndrom) – langes- oder kurzes QT-Intervall (5)
nach (4)
❖ ein EKG (Rhythmusstörungen, Präexzitation, QT-Verlängerung, Hinweise für Brugada-Syndrom oder arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie, frische/alte Ischämie).
Anamnese In der Anamnese sollten folgende Fragen systematisch abgeklärt werden: 1. Bedingungen direkt vor der Synkope:
Position (aufrecht, sitzend, stehend), Aktivität (in Ruhe, vor oder nach körperlicher Anstrengung), Situation (Miktion, Defäkation, Husten), prädisponierende Faktoren (z. B. längeres Stehen, postprandial), verursachende Ereignisse (z. B. Angst, starke Schmerzen, Halsbewegungen) 2. Symptome zu Beginn der Synkope: Übelkeit, Erbrechen, Kältegefühl, Schwitzen, Aura, Schmerzen im Nacken oder den Schultern 3. Synkopenereignis (Augenzeugen): Hautfarbe (Blässe, Zyanose), Dauer der Bewusstlosigkeit, Bewegungen (tonisch-klonisch etc.) 4. Ende des Synkopenereignisses: Zungenbiss, Urin- oder Stuhlabgang, Muskelschmerzen, Übelkeit, Verwirrtheit 5. Persönliche Anamnese: Anzahl und Dauer früherer Synkopen, plötzlicher Herztod in der Familie, Herzrhythmusstörungen in der Familie, kardiale Vorerkrankungen, neurologische Erkrankung (Epilepsie, Narkolepsie, Parkinson), internistische Erkrankungen (Diabetes mellitus etc.), Medikamente (blutdrucksenkende Medikamente, Antiarrhythmika, QT-verlängernde Medikamente)
Diagnostische Kriterien Wenn vorangegangene Ereignisse wie Angst, starke Schmerzen, emotionaler Stress oder längeres Stehen mit typischen Prodromalsymptomen vergesellschaftet sind, handelt es sich um vasovagale Synkopen. Wenn eine Synkope während oder direkt nach Miktion, Defäkation, Husten oder Schlucken auftritt, handelt es sich um situationsbedingte Synkopen. Von einer orthostatischen Synkope spricht man, wenn die Dokumentation einer orthostatischen Hypotonie vorliegt, die mit Synkope oder Präsynkope assoziiert war. Synkopen als Folge einer Arrhythmie sind folgendermassen charakterisiert: ❖ symptomatische Sinusbradykardie < 40 pro Minute oder
Sinuspausen > 3 Sekunden ❖ AV-Block II° Mobitz II oder AV-Block III° ❖ schnelle paroxysmale supraventrikuläre oder ventrikuläre
Tachykardie (Abbildung) ❖ Schrittmacherdysfunktion Synkopen als Folge einer myokardialen Ischämie zeichnen sich durch Symptome mit EKG-Zeichen einer akuten myokardialen Ischämie mit oder ohne Myokardinfarkt (verschiedene Mechnismen: low output, arrhythmogen) aus.
Zusatzuntersuchungen Bei Verdacht auf kardiale Erkrankung ist seine Echokardiografie indiziert. Die Karotissinusmassage wird empfohlen für Patienten über 40 Jahre mit Synkopen unklarer Ätiologie. Die Kipptischuntersuchung wird bei unklarer erster Synkope in Hochrisikosituationen empfohlen (Verletzung oder berufliches Risiko) und bei Patienten ohne kardiale Grunderkrankung mit wiederholten unklaren Synkopen.
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Abbildung: Rhythmusstreifen mit Breitkomplextachykardie mit Frequenz von 165 pro Minute.
Tabelle 3:
Risikokriterien, die für eine stationäre respektive intensive Abklärung/Behandlung sprechen
Vorliegen einer bedeutenden strukturellen oder koronaren Herzerkrankung: Herzinsuffizienz, niedrige linksventrikuläre Auswurffraktion, St. n. Myokardinfarkt
Klinische Zeichen oder EKG-Veränderungen, die für eine rhythmogene Synkope sprechen:
Synkope während Belastung Palpitationen zum Zeitpunkt der Synkope Familienanamnese mit plötzlichem Herztod nicht anhaltende Kammertachykardie bifaszikulärer Block Sinusbradykardie (< 50 pro Minute ohne bradykardisierende Medikamente oder körperliches Training) Präexzitation (WPW-Syndrom) langes- oder kurzes QT-Intervall Das Erscheinungsbild entspricht einem RSB mit erhöhtem ST-Abgang in V1 bis V3, kompatibel mit dem Brugada-Syndrom. Negative T-Wellen in den rechten präkordialen Ableitungen, Epsilon-Welle ist mit einer arrhythmogenen, rechtsventrikulären Dysplasie kompatibel.
Vorliegen bedeutender Erkrankungen: schwere Anämie Elektrolytstörung
nach (4)
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache der Synkope. Bei
einer rhythmogenen Synkope muss die Arrhythmie behan-
delt werden. Wichtig ist es aber, nach einer Ursache der
Arrhythmie zu suchen und diese möglichst zu eliminieren.
Bei Synkopen bei Patienten mit struktureller Herzerkran-
kung steht die spezifische Behandlung der Kardiopathie im
Vordergrund.
❖
PD Dr. med. Richard Kobza, FESC Leitender Arzt Herzzentrum Luzern, Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: richard.kobza@luks.ch Internet: www.herzzentrumluzern.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
Referenzen: 1. Soteriades ES, Evans JC, Larson MG, Chen MH, Chen L, Benjamin EJ, Levy D: Incidence
and prognosis of syncope. N Engl J Med 2002; 347: 878–885. 2. Kobza R, Duru F, Erne P: Leisure-time activities of patients with ICDs: findings of a sur-
vey with respect to sports activity, high altitude stays, and driving patterns. Pacing Clin Electrophysiol 2008; 31: 845–849. 3. Schoenenberger AW, Kobza R, Jamshidi P, Zuber M, Abbate A, Stuck AE, Pfisterer M, Erne P: Sudden cardiac death in patients with silent myocardial ischemia after myocardial infarction (from the Swiss Interventional Study on Silent Ischemia Type II [SWISSI II]). Am J Cardiol 2009; 104: 158–163. 4. Moya A, Sutton R, Ammirati F et al.: Guidelines for the diagnosis and management of syncope (version 2009): the Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2009; 30: 2631–2671. 5. Kobza R, Roos M, Niggli B, Abacherli R, Lupi GA, Frey F, Schmid JJ, Erne P: Prevalence of long and short QT in a young population of 41,767 predominantly male Swiss conscripts. Heart Rhythm 2009; 6: 652–657.
Das Langzeit-EKG ist für Patienten indiziert, die eine strukturelle Herzerkrankung haben, und bei hoher Wahrscheinlichkeit für eine die Synkope verursachende Arrhythmie sowie für Patienten, bei welchen der Mechanismus trotz weitgehender Untersuchungen unklar ist. Elektrophysiologische Untersuchungen sind nötig, wenn die initiale Evaluation eine arrhythmogene Ursache der Synkope nahelegt, zum Beispiel bei Patienten mit pathologischem EKG und/oder struktureller Herzerkrankung, bei mit Palpitationen vergesellschafteten Synkopen oder Familienanamnese mit plötzlichem Herztod. Ein Belastungs-EKG ist sinnvoll für Patienten mit Synkopen während oder kurz nach körperlicher Belastung. Die Koronarangiografie kommt infrage, falls die Synkope als Folge einer myokardialen Ischämie aufgetreten ist (zur Diagnosebestätigung und insbesondere Therapie).
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