Transkript
STUDIE REFERIERT
ASS in der Primärprävention: eine Metaanalyse
die sich weder durch bedeutende demografische Merkmale noch durch Teilnehmercharakteristika erklären liess.
Wie zuverlässig verhindert ASS vaskuläre und nichtvaskuläre Ereignisse?
Eine kürzlich publizierte Metaanalyse geht der Frage nach, ob ASS auch in der Primärprävention vaskulärer und nichtvaskulärer Ereignisse wirksam und sicher ist.
einschluss bei 57 Jahren lag. Die in den verschiedenen Studien verabreichten ASS-Dosierungen lagen zwischen 75 und 500 mg, wobei ASS entweder täglich oder jeden zweiten Tag eingenommen wurde.
ARCHIVES OF INTERNAL MEDICINE
Aktuelle Daten sprechen dafür, dass ASS in der kardiovaskulären Primärprävention einen gewissen Nutzen zeigt, dem aber ein erhöhtes Blutungsrisiko gegenübersteht. Noch nicht definitiv geklärt ist ferner, ob eine ASS-Prophylaxe die Krebssterblichkeit senken kann. Eine aktuelle Metaanalyse randomisierter, kontrollierter Studien versucht, diese Fragen zu klären. Berücksichtigt wurden neun Studien mit jeweils mindestens 1000 Teilnehmern, in denen über die Kriterien kardiovaskuläre Erkrankungen, nichtvaskuläre Outcomes oder Tod berichtet wurde. Insgesamt wurden die Daten von mehr als 102 000 Teilnehmern ausgewertet, deren Durchschnittsalter bei Studien-
Merksätze
❖ Trotz einer bedeutenden Reduktion der Rate nichtletaler Herzinfarkte führt die ASSProphylaxe bei Personen ohne vorbekannte kardiovaskuläre Erkrankung nicht zu einer Senkung der kardiovaskulären oder der Krebsmortalität.
❖ Dem Nutzen der ASS-Prävention steht die erhöhte Rate klinisch bedeutsamer Blutungen gegenüber.
❖ Eine routinemässige Primärprävention mit ASS ist nicht gerechtfertigt.
Ergebnisse Während der durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 6,0 Jahren kam es insgesamt zu 4278 kardiovaskulären Ereignissen. 2169 Ereignisse waren durch eine koronare Herzkrankheit (KHK) bedingt. In 1540 Fällen handelte es sich um nichtletale Herzinfarkte, in 592 Fällen um tödliche KHK-Ereignisse. Die Behandlung mit ASS reduzierte die Rate kardiovaskulärer Ereignisse um 10 Prozent (Odds Ratio [OR] 0,90; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,85–0,96; number needed to treat [NNT] 120). Dies war in erster Linie auf die Reduktion nichttödlicher Myokardinfarkte zurückzuführen (OR 0,80; 95%-KI 0,67–0,96; number needed to treat 162). Eine signifikante Reduktion kardiovaskulärer Todesfälle konnte nicht beobachtet werden (OR 0,99; 95%-KI 0,85–1,15). Das galt in gleicher Weise für die Krebsmortalität (OR 0,93; 95%-KI 0,84–1,03). Allerdings registrierten die Untersucher auch ein erhöhtes Risiko «nicht trivialer» Blutungen (OR 1,31; 95%-KI 1,14–1,50; number needed to harm [NNH] 73). Dabei schienen Probanden, die täglich ASS einnahmen, ein höheres Blutungsrisiko aufzuweisen als diejenigen, die nur jeden zweiten Tag mit ASS behandelt wurden. Bei Probanden, die zu Beginn ein niedrigeres kardiovaskuläres Risiko aufwiesen, war die NutzenRisiko-Relation der ASS-Prophylaxe besonders ungünstig. Hinsichtlich koronarer Herzkrankheit und Blutungsergebnissen wurde eine signifikante Heterogenität beobachtet,
Diskussion
Der kardiovaskuläre Haupteffekt einer
ASS-Primärprävention besteht in der Re-
duktion nichtletaler Herzinfarkte. Hin-
sichtlich tödlicher Myokardinfarkte,
Schlaganfälle oder kardiovaskulärer
Todesfälle konnte in der vorliegenden
Metaanalyse kein realer Nutzen der
ASS-Primärprävention gezeigt werden.
Dem Nutzen der ASS-Gabe muss das
erhöhte Blutungsrisiko gegenüberge-
stellt werden: So betrug die NNT für die
Vermeidung eines nichtletalen Herz-
infarkts 162, die NNH für eine «nicht
triviale» Blutung dagegen 73. Natürlich
kann man argumentieren, dass ein
Herzinfarkt ein potenziell ernsteres Er-
eignis ist als eine Blutung. Deshalb soll-
ten Ärzte und Patienten die relativen
Vorzüge einer täglichen ASS-Gabe im
Rahmen einer Primärprävention sorg-
fältig bedenken, schreiben die Autoren.
In zukünftigen Studien sei zu klären,
ob es bestimmte Patientensubgruppen
gibt, die im Hinblick auf eine ASS-Pri-
märprävention eine günstige Nutzen-
Risiko-Relation aufweisen.
Einige aktuelle Leitlinien empfehlen den
Einsatz von ASS zur Primärprävention
von kardiovaskulären Ereignissen.
Diese Leitlinien basieren jedoch auf Stu-
dien, die bis zum Jahr 2005 publiziert
wurden; neuere Forschungsergebnisse
blieben bis jetzt unberücksichtigt. Die
Autoren der aktuellen Metaanalyse
sind der Ansicht, dass man diese Leitli-
nien noch einmal überdenken sollte –
insbesondere in Ländern, in denen zahl-
reiche, im Übrigen gesunde Personen
ASS verschrieben bekommen, da ein
beträchtlicher Prozentsatz dieses Per-
sonenkreises Blutungskomplikationen
entwickeln kann.
Was die Krebsmortalität anbelangt, so
konnte in der vorliegenden Metaana-
lyse im Gegensatz zu früheren Studien
kein protektiver Effekt von ASS gezeigt
werden.
❖
Andrea Wülker
Seshasai SRK et al.: Effect of aspirin on vascular and nonvascular outcomes. Meta-analysis of randomized controlled trials. Arch Intern Med 2012; online first (9. Januar 2012), doi: 10.1001/archinternmed.2011.628
Interessenkonflikte: keine deklariert
248 ARS MEDICI 5 ■ 2012