Metainformationen


Titel
Arsenicum: Gender Autosalon
Untertitel
Gender Autosalon
Lead
Attraktionen zeigte der 82e Salon International de l’Auto et Accessoires Genève. Einige hätte ich gerne mitgenommen. Aber meine Frau sprach ein Veto: Kein Geld! Wir müssten zuerst unser Hausdach spenglern lassen. Anderes Blech, Lack und Leder sei dann nicht mehr im Budget drin. Und überhaupt – dieser Autosalon käme ihr eher wie ein Coiffeursalon vor. In der Tat: Rudel von jungen Frauen, die von Technik keine Ahnung hatten, lungerten um Autos herum, verdeckten interessante Details von Motorhauben, Interieurs oder Konsolen mit ihren Brüsten, Beinen und Gesässen.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rubriken
Schlagworte
-
Artikel-ID
1453
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/1453
Download

Transkript


MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gender Autosalon

A ttraktionen zeigte der 82e Salon International de l’Auto et Accessoires Genève. Einige hätte ich gerne mitgenommen. Aber meine Frau sprach ein Veto: Kein Geld! Wir müssten zuerst unser Hausdach spenglern lassen. Anderes Blech, Lack und Leder sei dann nicht mehr im Budget drin. Und überhaupt – dieser Autosalon käme ihr eher wie ein Coiffeursalon vor. In der Tat: Rudel von jungen Frauen, die von Technik keine Ahnung hatten, lungerten um Autos herum, verdeckten interessante Details von Motorhauben, Interieurs oder Konsolen mit ihren Brüsten, Beinen und Gesässen. Dabei wollte man als potenzieller Kunde doch schauen, wie die Dinger gebaut sind (Anm. des Layouters: die Autos!). Keine Chance – man konnte kaum einen Blick aufs Chassis und noch weniger in den Motor- oder Kofferraum erhaschen. Denn leicht bekleidete Beautys standen einem ständig im Weg, befingerten die Autos, räkelten sich lasziv auf ihnen herum – ohne dass die Ordnungskräfte einschritten. Vermutlich gehören diese Damen in die Kategorie Accessoires. Meine Frau grummelte leise vor sich hin, dass die männlichen Verkäufer nicht Muscle-Shirts und Shorts trügen statt Anzüge mit Krawatte und Gilets. Sie sah darin eine Frauendiskriminierung. Genau wie im Eröffnungsdatum der Messe, dem 8. März. Dies sei der internationale Frauentag. Dessen Aktionen wie Hausarbeitsstreik am Tag und Sexverweigerung in der Nacht würden durch den Salon boykottiert, weil Mann in den Ausstellungshallen wandele, nur an Autos statt an Genderanliegen dächte, sich an den Ständen verpflege und nachts im Hotel Pay-Movies schaue. Der Gender-Gap war bei den Besuchern offensichtlich: fast nur Männer. Furchtlos schreibe ich diesen Fakt. Denn falls Hirslanden-Chirurg Dr. Josef E. Brandenberg aus Luzern einen bösen Leserbrief an AM schreiben sollte, wie er es in der SÄZ gegen eine Karikatur von ANNA tat, wird unser Verleger Altorfer nicht so wie die Gelb-Heftler handeln, die Dr. Hartmann-Allgöwer
sich selbst verteidigen liessen. Dass der nie um ein Scherzchen verlegene Werner Bauer mal ernsthaft für

die Freiheit der Satire oder die Kollegin mit dem Zeichenstift eintreten würde, hat natürlich niemand von ihm erwartet, der ihn kennt. Aber von dem in zwei Fakultäten gestählten Chefredaktor, von Satiriker Taverna, von Notre Cher Jacques oder Ethikguru Martin durfte die Leserschaft dies fordern. Doch keiner der semantisch und syntaktisch gebildeten Herren zeigte dem Leserbriefschreiber auf, dass sein vermutlich anders gemeinter Satz «Dass alle Spezialisten ‹fette Schlitten› und Hausärzte Kleinwagen fahren, ist perfid» ein Brüller war, über den wir uns gut amüsierten. Unser Richard hätte den Traumaexperten sanft darauf hingewiesen, dass keineswegs «die Mehrheit der Ärzteschaft weiblich» sei: Im Jahr 2010 arbeiteten satte 64,2 Prozent Männer und nur 35,8 Prozent Frauen ärztlich, nur in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen war die Frauenrate höher. Die Diskrepanz zwischen empirischen Fakten und Meinungen des Kollegen Knochenarzt zu Einkommen, Einsatz, Pensum und Auto war evident. Da jener sich als Immerhin-VW-GolfCabrio-Fahrer outete (nicht VW eco up!) ist die Arbeitshypothese zulässig, dass sein Neurocranium trotz mittelgescheiteltem dichten Haupthaar mehr Kälte, Hitze, Wind, Regen und UV-Strahlung ausgesetzt ist, als dies bei einer Festdach-Limousinen-Fahrerin der Fall ist. Dies könnte erklären, warum er sich empört, wenn das Statussymbol Auto mit Männern in Verbindung gebracht wird, was die Progenium-Studie 2010 und die McKinsey-Erhebung 2012 klar belegt haben. Seinen Selektionsbias legte der Orthopäde aber offen: Er kenne halt mehr Hausärzte, die Ferraris, Maseratis und Mercedes besitzen, wogegen die ihm bekannten Spezialisten mit Smart, Golf oder ähnlichem unterwegs seien. Nach dem Salon bin ich nun überzeugt, dass es sich bei Autoliebhaberinnen ausschliesslich um Frauen zwischen 18 und 30 in High Heels und durchsichtigen Prachtkleidern handelt, die vermutlich weder ärztlich tätig sind noch Auto fahren, sondern ihre Liebe zum Auto durch Körperkontakt mit demselben ausdrücken.

ARSENICUM

200

ARS MEDICI 5 ■ 2012