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BERICHT
Allergien der Atemwege
Wie wirksam sind kausale Therapien?
Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) Amsterdam, 24. bis 28. September 2011 Thematic Poster Session: P110 Risk and detection of childhood asthma and allergy. Poster Discussion: S. Bal, et al.: Regulatory T cells in healthy and asthmatic subjects challenged with rhinovirus.
Die Disposition zu allergischen Reaktionen ist genetisch bedingt. Deshalb gelingt es nicht immer, Allergien auf Dauer durch eine rein symptomatische Therapie in den Griff zu bekommen. Verschiedene Studien belegen den Erfolg kausaler Therapien.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Mindestens 20 Prozent der Bevölkerung sind gegen irgendeine Substanz allergisch. Die meisten leiden an allergischer Rhinitis oder Bronchialasthma. Allergien kommen in Ländern mit hohem sozioökonomischem Standard häufiger vor. Die sogenannte Hygienehypothese besagt, dass frühkindliche Stimuli, beispielsweise Infektionen, das Immunsystem in eine «nicht allergene» Richtung lenken. Wird das kindliche Immunsystem nicht ausreichend stimuliert, begünstigt dies die Entwicklung von Atopien und Allergien. Anders ausgedrückt: Ein Zuviel an Sauberkeit und Hygiene ist nicht immer gut. Da bei chronischem Verlauf Komplikationen und Langzeitfolgen (Nasenschleimhautveränderungen, chronische Pansinusitis, Otitis media, Störungen des Geruchssinns) auftreten können, muss eine allergische Rhinitis konsequent behandelt werden. Symptomatisch wird sie zumeist mit H1-Anti-
histaminika, Cromoglicinsäure und Glukokortikoid-Nasensprays behandelt. Nicht immer gelingt es jedoch, die Erkrankung durch diese Therapie dauerhaft im Griff zu halten. Daher setzt man grosse Hoffnungen auf kausale Therapiemassnahmen. Auf dem ERSKongress wurden hierzu neue Forschungsergebnisse präsentiert.
Wie kommt es zur Allergie? «Bei Allergikern ist das Gleichgewicht zwischen den T-Zell-Subpopulationen gestört», stellte Suzanne Bal vom Akademischen Medizinischen Zentrum in Amsterdam fest, «die Balance zwischen den T-Zelltypen ist zugunsten der TH2-Zellen verschoben, während die Zahl der TH1-Zellen vermindert ist.» Kurz zusammengefasst stellt man sich die Pathogenese allergischer Atemwegserkrankungen inzwischen so vor: Allergene der verschiedensten Art (z.B. Pollen, Ausscheidungen von Hausstaubmilben oder Tierhaarepithelien) dringen zunächst über das Epithel von Nasen- oder Bronchialschleimhaut in den Körper ein. Dort treffen sie auf hoch spezialisierte antigenpräsentierende Zellen («dendritische Zellen»), die das Antigen aufnehmen und verarbeiten. Das Antigen wird in Peptide zerlegt und an MHC-Moleküle gebunden. In dieser Form wird es T-Zellen präsentiert. Dies führt zur Aktivierung und Vermehrung von T-Zellen mit passendem Rezeptor. Im weiteren Verlauf differenzieren sich CD4+-T-Helferzellen zu TH1- und TH2-Zellen. Hierbei entwickelt sich ein Ungleichgewicht der T-Zelltypen: Die Zahl der TH1-Zellen ist vermindert, die der TH2-Zellen vermehrt. Während TH1-Zellen unter anderem Interferongamma, Tumornekrosefaktor-alpha und Interleukin (IL)-2 produzieren, stellen TH2-Zellen unter anderem IL-4, -5, -6, -10 und -13 her. Die nunmehr vermehrt
gebildeten Interleukine 4 und 13 wiederum fördern die allergenspezifische Immunglobulin-E-Produktion durch Plasmazellen.
Kausale Therapien Die beste Methode ist sicherlich die Allergenkarenz. Doch diese Massnahme kann zumeist nur unvollständig oder zeitlich begrenzt durchgeführt werden. Des Öfteren ist eine Allergenkarenz auch nur möglich, wenn ein Berufswechsel erfolgt – beispielsweise bei der Mehlstauballergie des Bäckers. Die anderen beiden kausalen Therapieverfahren haben im Wesentlichen zwei Angriffspunkte. Während die spezifische Immuntherapie das Missverhältnis TH1/TH2 zugunsten von TH1 normalisiert, bindet Omalizumab (Xolair®) allergenspezifische IgE-Antikörper.
Spezifische Immuntherapie Auch gut 100 Jahre nach Erstbeschreibung sind die immunologischen Wirkmechanismen der spezifischen Immuntherapie (SIT, Hyposensibilisierung) nicht im Detail bekannt. Wie verschiedene Studien zeigen, beruht die Hyposensibilisierung letztlich auf einer Verstärkung der spezifischen Immunantwort in Richtung TH1 (messbar am Anstieg von Interferon-gamma) und einer Abschwächung der TH2-Ausrichtung (messbar an einem Absinken von Interleukin-4).
Bestimmung der Allergene steht am Anfang Als Erstes werden die für die Auslösung des Asthmas verantwortlichen Allergene bestimmt. Als Nächstes werden anfänglich sehr geringe, weit unter der Reaktionsschwelle liegende Allergendosen zugeführt. Die Dosen werden allmählich kontinuierlich gesteigert, bis ein Zustand erreicht ist, in dem die Allergene in natürlich vorkommenden
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Abbildung: Schleimiges und entzündliches Exsudat im Bronchuslumen mit spindelförmigem Charcot-Leyden-Kristall (Hinweis auf zerfallende Eosinophile) bei allergischem Asthma bronchiale.
Konzentrationen keine oder nur eine sehr abgeschwächte allergische Reaktion hervorrufen. Die Dosissteigerung folgt einem Schema, das individuell angepasst werden muss. Verwendet werden Depotextrakte (Allergen an Aluminiumhydroxid absorbiert) und Allergoide (Modifikation der Allergene durch Vorbehandlung mit Formaldehyd bzw. Glutaraldehyd). Das konkrete Vorgehen unterscheidet sich je nach Allergen und verwendetem Allergenextrakt. Für alle verfügbaren Allergenextrakte liegen Dosierungsrichtlinien der Herstellerfirmen vor. Grosse Studien der letzten Jahre belegen, dass die Therapie bei ausgewählten Patienten gut wirksam ist. Nach Möglichkeit sollten nur Allergologen oder mit der Immuntherapie erfahrene Ärzte die spezifische Immuntherapie durchführen, da sie auch die damit verbundenen möglichen unerwünschten Reaktionen beherrschen können. Wegen der Gefahr schwerer, zum Teil lebensbedrohlicher anaphylaktischer Reaktionen bei den Allergeninjektionen sollten Hyposensibilisierungen nur unter Einhaltung entsprechender Vorsichtsmassnahmen (Bereitstellung von Notfallmedikamenten zur Behandlung eines anaphylaktischen Schocks) durchgeführt werden. Das Risiko solcher Reaktionen steigt mit der Allergenkonzentration des Impfstoffs.
Welche Applikationsform ist die beste? Die therapeutische Wirksamkeit der SIT mit subkutanen Injektionen (SCIT)
konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden. Ein Positionspapier der WHO hat die SCIT als kausale Therapie zur Behandlung IgE-vermittelter Inhalationsallergien definiert. Die Wirksamkeit der SCIT konnte in zahlreichen Studien bei allergischer Rhinokonjunktivitis, die durch Pollen- und Hausstaubmilbenallergie bedingt ist, nachgewiesen werden. Die Allergene können auch über die Schleimhäute von Mundhöhle, Gastrointestinaltrakt oder Nase appliziert werden. Von diesen Verabreichungsformen wird die sublinguale Applikation (SLIT) als die verträglichste und effektivste Form angesehen.
Wovon hängt der Erfolg der SIT ab? Voraussetzungen für eine erfolgreiche Hyposensibilisierung sind die Verwendung eines Impfstoffs mit den richtigen Antigenen und eine frühzeitige, konsequente Behandlung über mehrere Jahre. Viele Patienten reagieren jedoch auf zahlreiche verschiedene, teilweise unbekannte Auslöser allergisch, sodass eine vollständige Hyposensibilisierung nicht immer möglich ist. Bei länger bestehender Erkrankung sowie im höheren Lebensalter und bei Polyallergien nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolgs ab. Deshalb sollte eine Hyposensibilisierung gegen ein bekanntes Allergen möglichst früh beginnen.
Monoklonaler Anti-IgE-Antikörper Omalizumab Da IgE-Antikörper bei der allergischen Reaktion eine wichtige Rolle spielen, bieten sich monoklonale Anti-IgE-
Antikörper als Therapieprinzip an. Der monoklonale Anti-IgE-Antikörper Omalizumab wurde in der Schweiz 2006 als Zusatzbehandlung bei Patienten ab 12 Jahren mit schwerem persistierendem allergischem Asthma zugelassen, die einen positiven Hauttest zeigen und trotz inhalativer Glukokortikoidund Beta-2-Sympathomimetikatherapie immer noch unter schweren Asthmaexazerbationen leiden. Die Kosten für Omalizumab werden in der Schweiz von den Kassen nur bei der Behandlung durch Spezialärzte (Pneumologen, Allergologen) übernommen, vor Weiterbehandlung des Patienten durch den Hausarzt muss vorab eine Kostengutsprache eingeholt werden. Omalizumab ist ein humanisierter Anti-IgE-Antikörper, der nur zirka 5 Prozent Mausprotein enthält und sich gezielt gegen ein Epitop im FcAnteil von IgE richtet. Durch Komplexbildung mit den frei zirkulierenden IgE-Molekülen verhindert er deren Bindung an IgE-Rezeptoren auf Mastzellen. Verschiedene Studien zeigten, dass unter Langzeitgabe von Anti-IgEAntikörpern auch die IgE-Rezeptordichte auf der Oberfläche von Entzündungszellen abnimmt. In klinischen Studien an Patienten mit schwerem allergischem Asthma konnte nachgewiesen werden, dass die Zahl der Asthmaanfälle in der Omalizumabgruppe signifikant geringer war als in der Plazebogruppe. Zudem benötigten die Patienten unter Omalizumab deutlich seltener eine Notfallbehandlung. Omalizumab wird alle 2 bis 4 Wochen subkutan injiziert. Seine Metabolisierung und Elimination erfolgen CYPunabhängig in der Leber und im retikulohistiozytären System mit einer mittleren Halbwertszeit von 26 Tagen. Die Dosis – 75 mg bis 600 mg pro Injektion – wird an die IgE-Serumspiegel und das Gewicht des Patienten angepasst. Da der Körper ständig IgE weiterproduziert, muss Omalizumab alle 2 bis 4 Wochen nachinjiziert werden, um den IgE-Spiegel niedrig zu halten.❖
Claudia Borchard-Tuch
Weiterführende Literatur: Klimek L, Pfaar O: Allergische Rhinitis. Immunologische und neurogene Mechanismen. HNO 2011; 5(12): 1191– 1197. Wüthrich B: 100 Jahre spezifische Immuntherapie. ARS MEDICI 2011; 6: 230–232.
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