Transkript
POLITFORUM
Mehr Studienplätze und Alternativen zum Numerus clausus
XUNDHEIT IN BÄRN
INTERPELLATION vom 29.9.2011
Urs Schwaller Ständerat CVP Kanton Fribourg
Die Problematik des anstehenden Grundversorgermangels, der zu geringen Studienplätze und der Fehlentwicklung, was die Spezialisierung betrifft, wurde schon oft thematisiert. Wir haben in der Schweiz zu wenige Studienplätze in der Medizin, und die Auswahlkrite-
rien mit Numerus clausus oder selektiven Prüfungen nach einem oder zwei Jahren vermögen als Selektionskriterium nicht zu befriedigen. Das Medizinstudium gehört indes zu den teuersten Studiengängen. Es gilt richtige Auswahlverfahren zu treffen und die besten Ärztinnen und Ärzte auszubilden. In diesem Zusammenhang bitten wir den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten: ❖ Wie beurteilt er den bestehenden Numerus
clausus sowie das selektive Prüfungsverfahren Anfang Studium hinsichtlich der Qualität der angehenden Ärztinnen und Ärzte? ❖ Wie beurteilt er ein Praktikumsjahr in einem Spital oder Krankenheim statt eines
Numerus clausus als Zulassungsvoraussetzung zum Medizinstudium? ❖ Sieht er eine Möglichkeit, die Absolventen des Medizinstudiums zu verpflichten, nach dem Studienabschluss für eine gewisse Zeit in von Unterversorgung bedrohten Regionen (z. B. Bergtälern) zu praktizieren? ❖ Welche weiteren Alternativen sieht er zur Selektionierung beim Zugang zum Medizinstudium sowie zur Attraktivitätssteigerung der Hausarztmedizin? ❖ Wie sieht der Zeitplan aus? In welchen Schritten und in welcher zeitlichen Perspektive werden welche Massnahmen zur Sicherstellung der Grundversorgermedizin getroffen?
Antwort des Bundesrates vom 30.11.2011
Der Bundesrat verweist vorab auf seine identische Antwort auf die gleichlautende Interpellation Fraktion CVP/EVP/glp. Die quantitative Steuerung der Aus- und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte sowie Fragen der Zulassung zum Studium liegen im Kompetenzbereich der Kantone. Ein konkreter Vorschlag im Rahmen der Motion «Bundeskompetenz für Mindestzahl von Studienplätzen an medizinischen Fakultäten», mit welchem der Bund die quantitative Steuerung in der Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte übernehmen sollte, wurde am 13. September 2011 vom Ständerat abgelehnt. Der Bundesrat hat am 16. September 2011 in Erfüllung der Motion 08.3608 von Jacqueline Fehr einen Bericht verabschiedet, der zahlreiche Empfehlungen zur Lösung für bestehende Probleme in der Aus- und Weiterbildung sowie für die selbstständige Praxistätigkeit der Grundversorgerinnen und -versorger enthält. Die wichtigste Empfehlung besteht darin, die Zahl der Studienabschlüsse in Humanmedizin um rund 50 Prozent auf 12001300 Abschlüsse pro Jahr zu erhöhen. In Bezug auf die Zulassung hat der Bundesrat angesichts der über 4000 Anmeldungen zum Medizinstudium und der hohen Ausbildungskosten bereits mehrfach die Zweckmässigkeit des Numerus clausus betont (siehe Stellungnahme auf die Motion Häberli-Koller. Mehr Schweizer Nachwuchs dank Aufhebung des Numerus clausus, zweitletzter Absatz: Der Eignungstest, der heute zum Einsatz kommt, ist in diesem Sinne ein guter Prädiktor für den Studienerfolg. Die Erfolgsquoten an Universitäten mit NC betragen zwischen 80 und 90 Prozent, diejenigen an Universitäten ohne NC liegen dagegen aufgrund der inneruniversitären Selektion bei rund 50 Prozent. Allfällige Änderungen des Auswahlverfahrens sind denkbar, wenn diese geeignet sind, Studienerfolg und Berufseignung besser als bisher vorherzusagen). Die hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Gesundheitsversorgung ist Ausdruck für die hohe Aus- und Weiterbildungsqualität.
Grundsätzlich ist es denkbar, dass die Universitäten auch andere Zulassungskriterien festlegen. Die Möglichkeiten und Wirkungen neuer Auswahlkriterien wie des vorgeschlagenen Praktikumsjahrs müssten aber allfälligen Nachteilen gegenübergestellt werden. Weiterhin müssen die Zulassungskriterien primär das Ziel unterstützen, dass die Kandidatinnen und Kandidaten mit hoher Wahrscheinlichkeit die Anforderungen des anspruchsvollen Studiums erfüllen können und dass sie ihren Beruf dann auch tatsächlich ausüben. Die Idee der Verpflichtung zur vorübergehenden Ausübung des Arztberufes in unterversorgten Regionen würde sich primär an die Hausärztinnen und -ärzte richten. Die Tätigkeit als Hausärztin oder Hausarzt kann jedoch erst nach Abschluss einer entsprechenden Weiterbildung und nicht bereits nach Studienabschluss ausgeübt werden. Das Problem der drohenden Unterversorgung in entlegenen Gebieten könnte hingegen besser mit einer verstärkten regionalen Koordination angegangen werden, indem beispielsweise mehrere von einer effektiven oder drohenden Unterversorgung betroffene Gemeinden sich über Investitionen in gemeinsame Praxisinfrastrukturen verständigen, diese auch finanzieren und damit die Möglichkeit schaffen, dass beispielsweise junge Grundversorgerinnen und -versorger, eventuell in Teilzeitarbeit, «angestellt» werden können. Diese müssten sich nicht mit hohen Investitionen langfristig für eine bestimmte Region verpflichten. Eine engere Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen wie beispielsweise Pflegenden und weiteren nicht ärztlichen Berufen ist zusätzlich erstrebenswert. Entsprechende Modelle werden gegenwärtig in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des BAG und der GDK unter Einbezug der Ärztinnen und Ärzte sowie der Pflegenden diskutiert. Untersuchungen zeigen, dass der Entscheid zur Wahl des Fachgebietes in der Regel nicht bereits bei Studienbeginn feststeht, sondern erst im Verlauf des Studiums
oder der Weiterbildung getroffen wird. Die Förderung enger Beziehungen der Studierenden mit Hausärztinnen und -ärzten während der Aus- und Weiterbildung (Mentoring) ist besser geeignet, den jungen Ärztinnen und Ärzten den Beruf näherzubringen und damit die Hausarztmedizin zu stärken als Selektionskriterien bei Studienbeginn. Der Bundesrat ist überzeugt, dass auch die integrierte Versorgung einen Beitrag zur Erhöhung der Attraktivität der Hausarztmedizin leisten wird. Dies deshalb, weil Grundversorger im Rahmen einer integrierten Versorgung eine koordinierende Funktion für die Patientinnen und Patienten wahrnehmen und ihre Stellung und Verantwortung damit gestärkt werden. Der Bund engagiert sich zusammen mit den Kantonen, um eine genügende Grundversorgung auch in Zukunft sicherzustellen. Die entscheidenden Massnahmen im Bereich der quantitativen Steuerung der Aus- und Weiterbildung liegen im Kompetenzbereich der Kantone. Eine Arbeitsgruppe unter der gemeinsamen Leitung des Bundesamtes für Gesundheit und der Schweizerischen Universitätskonferenz wird ab Dezember 2011 konkrete Lösungen zur Erhöhung der Studienplatzkapazitäten im Rahmen der geltenden Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen ausarbeiten. Zusätzlich hat der Bundesrat mit dem direkten Gegenentwurf zur Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» ein Massnahmenpaket vorgestellt, das die Stellung der Hausarztmedizin in Aus- und Weiterbildung in Zukunft stärken soll. Die notwendigen Anpassungen des Medizinalberufegesetzes sind derzeit in Vernehmlassung. Einige der Forderungen der Hausärztinnen und -ärzte sind bereits erfüllt (z. B. neues Weiterbildungsprogramm, Aufhebung des Zulassungsstopps).
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Medizinische Grundversorgung durch Anreize sichern
INTERPELLATION vom 29.9.2011 Fraktion CVP/EVP/glp (Sprecherin: Ruth Humbel)
Der Wirtschaftsförderung sieht bei der Neuansiedlung von Unternehmen Steuererleichterung vor, und dies insbesondere in den Randgebieten. In diesem Zusammenhang er-
suchen wir den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten: ❖ Kann dieses Prinzip nicht auch häufiger auf
die medizinischen Dienstleistungen in bestimmten Regionen angewandt werden? ❖ Wie weit können Steuererleichterungen einen Anreiz zum Ausbau des medizinischen Grundangebotes in peripheren und dünnbesiedelten Regionen schaffen? Wie weit beurteilt er die Grundversorgung als Aufgabe des Service public? ❖ Wenn die Grundversorgung als Service public anerkannt wird, welche Aufgaben ergeben sich daraus für die öffentliche Hand,
insbesondere was das Zurverfügungstellen von Infrastrukturen betrifft? ❖ Wie kann die Praxisassistenz für angehende Hausärztinnen und Hausärzte ausgebaut werden, damit sie besser auf das künftige Arbeitsgebiet vorbereitet werden? ❖ Wie müssen Bund und Kantone Aus- und Weiterbildungsplätze in der Hausarztmedizin unterstützen? ❖ Welche weiteren Möglichkeiten sieht der Bundesrat, um die Attraktivität des Berufs «Hausarzt» zu steigern?
Antwort des Bundesrates vom 30.11.2011
Der Bundesrat verweist vorab auf seine identische Antwort auf die gleichlautende Interpellation Schwaller 11.3934. Die Gesundheitsversorgung ist eine öffentliche Aufgabe der Kantone. Der Bund trägt seinerseits die Verantwortung dafür, dass die Bevölkerung sich zu tragbaren Bedingungen gegen die Risiken von Krankheit und Unfall versichern kann. Auch wenn der Bund nicht zuständig ist für die in der Interpellation angesprochene finanzielle Unterstützung versorgungspolitischer Massnahmen, sind Bund und Kantone nichtsdestotrotz daran, gemeinsam Lösungen zur Gewährleistung der Grundversorgung zu erarbeiten, und einige Massnahmen wurden bereits implementiert. Grundsätzlich lässt es das Bundesgesetz vom 14. September 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden zu, dass die Kantone auch Neugründungen von Unternehmen im Bereich des medizinischen Grundangebots mit Steuererleichterungen fördern können. Nutzt ein Kanton diese Möglichkeit, so kann der Bund zudem gestützt auf das Bundesgesetz über Regionalpolitik Steuererleichterungen bei der direkten Bundessteuer gewähren. Die Unternehmen können in den Genuss von solchen Steuererleichterungen kommen, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 12 des Bundesgesetzes über Regionalpolitik und gemäss der Verordnung vom 28. November 2007 über die Gewährung von Steuererleichterungen im Rahmen der Regionalpolitik erfüllt sind und sich das Unternehmen in einem Gebiet befindet, das in der Verordnung des Volkswirtschaftsdepartements (EVD) über die Festlegung der Anwendungsgebiete für Steuererleichterungen aufgeführt ist. Der Bundesrat bezweifelt, dass Steuererleichterungen in peripheren Regionen den erwünschten Effekt haben werden. Dies deshalb, weil die Einkommen der Grundversorger in ländlichen Regionen mit geringer Spezialistendichte bereits heute deutlich höher sind als in städti-
schen Regionen. Das höhere Einkommen ist demnach nicht der allein entscheidende Faktor für die Standortwahl. Vielmehr wollen junge Hausärztinnen und -ärzte in Teams und Teilzeit arbeiten, was im Rahmen einer Einzelpraxis nicht möglich ist. Wenn die Grundversorgung nicht mehr durch privatwirtschaftliche Initiativen gesichert werden kann, ist es aus der Sicht des Bundesrates eine Aufgabe der Kantone, die Grundversorgung (insbesondere den Notfalldienst) sicherzustellen. Heute werden die Leistungen im ambulanten Bereich hauptsächlich durch private Organisationen erbracht und nur im Fall der Organisationen für Hilfe und Pflege zu Hause (Spitex) teilweise finanziell von der öffentlichen Hand unterstützt. Es ist grundsätzlich möglich, dass sich die Kantone und Gemeinden in Zukunft in abgelegenen Regionen im ambulanten Bereich stärker im Infrastrukturbereich engagieren, wenn sie beispielsweise zum Schluss gelangen, dass so die Versorgung auch langfristig am besten sichergestellt werden kann. Die kantonale Kompetenz erstreckt sich auch darauf, sicherzustellen, dass genügend Gesundheitspersonal zur Verfügung steht. Dies umfasst auch die Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung, welche heute hauptsächlich im Spital erfolgt. Die Praxisassistenz, d. h. die Weiterbildung in Hausarztpraxen, wird derzeit von Kantonen oder Dritten finanziell unterstützt. Ihre langfristige Finanzierung wird derzeit geprüft (vgl. dazu auch Antwort zu Frage 5 Modell PEP). Für die Weiterbildungsstellen sind grundsätzlich die Kantone (Spitäler) und das Schweizerische Institut für Aus-, Weiter- und Fortbildung (Qualität) zuständig. Bund und Kantone haben im Rahmen des Dialogs Nationale Gesundheitspolitik im August 2011 Empfehlungen verabschiedet, wie die Kosten der ärztlichen Weiterbildung in Zukunft finanziert werden können. Demnach können die Kantone in Leistungsverträgen mit den Listenspitä-
lern quantitative und qualitative Vorgaben zur Bereitstellung von Assistenzarztstellen festhalten und die Weiterbildungsleistungen entsprechend abgelten. Der Bundesrat hat weitere Empfehlungen im Bericht vom 16. September 2011 in Erfüllung der Motion von Jacqueline Fehr formuliert. Der Bericht stellt eine deutliche Zunahme bei den erteilten Praxisbewilligungen für Hausärztinnen und -ärzte im Jahr 2010 fest (Aufhebung des Zulassungsstopps für Grundversorger per 1.1.2010). Auch die Zahl der Weiterbildungsabschlüsse in Fachgebieten der ärztlichen Grundversorgung hat von Jahr zu Jahr zugenommen. Die Hausarztmedizin ist insbesondere aus Sicht junger Ärztinnen attraktiv. Sie sollte daher mit Teilzeitarbeit und Familie gut vereinbar sein. Dem Wunsch nach Teilzeitarbeit stehen jedoch häufig Angebote zur Übernahme von Einzelpraxen gegenüber. Der Bundesrat sieht deshalb die grösste Herausforderung in der Veränderung der Angebotsstrukturen: Weg von der Einzelpraxis hin zu grösseren ambulanten Versorgungseinheiten. Dadurch könnten Teilzeitarbeit, Teamarbeit und Vernetzung gefördert werden. Durch die gemeinsame Nutzung der Infrastrukturen könnte auch die Gewinnspanne der Praxen verbessert werden. Der Bundesrat erachtet die am 30. September 2011 verabschiedete KVG-Revision zu Managed Care als richtigen Ansatz, um den strukturellen Wandel voranzutreiben und damit die Attraktivität der ärztlichen Grundversorgung auch in ländlichen Regionen zu verbessern.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt
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