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FORTBILDUNG
Therapie des Reizdarmsyndroms bei Erwachsenen
Konventionelle und alternative/komplementäre Behandlungsoptionen
Auch wenn das Reizdarmsyndrom keine «gefährliche» Erkrankung ist, kann die typische Symptomatik – Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall oder Obstipation – den Alltag der betroffenen Patienten erheblich beeinträchtigen. Neben den konventionellen RDS-Medikamenten gibt es auch eine Reihe von komplementären und alternativen Behandlungsmöglichkeiten.
ALTERNATIVE MEDICINE REVIEW
Entsprechend der dominierenden Symptomatik lässt sich das Reizdarmsyndrom (RDS) in verschiedene Untergruppen einteilen: Man unterscheidet das Diarrhö-dominante Reizdarmsyndrom (RDS-D), das Reizdarmsyndrom mit vorherrschender Obstipation (RDS-O) und gemischte Formen (RDS-M), schreiben Saunjoo L. Yoon und Mitarbeiter in der «Alternative Medicine Review».
Konventionelle Pharmakotherapie Aufgrund der grossen Bandbreite an RDS-Beschwerden zielen die medikamentösen Behandlungsoptionen vor allem auf eine Symptomreduktion ab.
Merksätze
❖ Spasmolytika, Prokinetika, Laxanzien, Loperamid, Codein und Antidepressiva zählen zu den konventionellen Therapieoptionen bei Reizdarmsyndrom.
❖ Viele Reizdarmpatienten sind gegenüber komplementären und alternativen Therapiemethoden (CAM) aufgeschlossen.
❖ Einige pflanzliche Monopräparate sowie die Kombinationspräparate Iberogast® und Padma® Lax konnten in klinischen Studien die Reizdarmsymptomatik reduzieren.
❖ Andere CAM wie Mind-Body-Therapien, spezifische Probiotika, Akupunktur und so weiter erscheinen vielversprechend, doch muss in weiteren Studien geklärt werden, wie diese Optionen eingesetzt werden sollten, um den grösstmöglichen Nutzen für Reizdarmpatienten zu erzielen.
Behandlung bei RDS-D Der Opioidrezeptoragonist Loperamid (Imodium® oder Generika) wirkt lokal im Gastrointestinaltrakt und mindert Motilität und Spasmen. Auch Codein kann die gastrointestinale Motilität sowie viszerale und abdominelle Schmerzen reduzieren, wirkt aber auch auf das ZNS, was zur Sedierung führt. Darüber hinaus besteht bei Codein ein gewisses Missbrauchsrisiko. Viele Reizdarmpatienten leiden aufgrund einer Serotoninstimulation der intestinalen 5-HT3-Rezeptoren auch an Übelkeit und Erbrechen. Zur Behandlung dieser Symptome werden heute oft 5-HT3-Rezeptorantagonisten wie Ondansetron (z.B. Zofran®), Granisetron (z.B. Kytril®), Alosetron und Cilansetron verordnet, die bei RDS-D auch als viszerale Analgetika wirken. (In dieser Indiaktion sind 5-HT3-Rezeptorantagonisten in der Schweiz jedoch nicht zugelassen.)
Behandlung bei RDS-O und RDS-M Ballaststoffe regen die Darmmotilität an und lockern die Stuhlkonsistenz auf. Führt die vermehrte Ballaststoffzufuhr nicht zum gewünschten Erfolg, können Laxanzien wie beispielsweise Polyethylenglykol (Macrogol, z.B. Transipeg®) verordnet werden. Insgesamt ist die Effektivität von Ballaststoffen und Laxanzien bei RDS-O jedoch begrenzt. Prokinetika wie Metoclopramid (Paspertin®, Primperan®), Domperidon (Motilium®) und Cisaprid (in der Schweiz nicht mehr im Handel) werden häufig off label eingesetzt, auch wenn keine spezifische Indikation für die Behandlung des RDS besteht. Lubiproston (Amitiza®) ist ein vor Kurzem zugelassenes Prokinetikum, das auf Chloridkanäle wirkt und die Wassersekretion ins Darmlumen erhöht. Prokinetika erhöhen die gastrointestinale Motilität und wirken viszeral analgetisch.
Spasmolytika Spasmolytika wirken antagonistisch auf cholinerge Rezeptoren und reduzieren dadurch Kontraktionen des Gastrointestinaltrakts. In der Behandlung des RDS haben sich die Spasmolytika Cimetropium, Pinaveriumbromid (Dicetel®), Hyoscin (Scopolamin, Buscopan®) und Otilonium als effektiv erwiesen. Je nach Symptomatik werden Spasmolytika bis zu dreimal täglich verabreicht. Zusätzlich werden Prokinetika oder Laxanzien gegeben, um die gastrointestinale Motilität zu normalisieren, ohne eine Obstipation hervorzurufen.
Antidepressiva Trizyklische Antidepressiva und selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI) werden ebenfalls zur supportiven
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RDS-Therapie eingesetzt. Ursprünglich wurden sie verabreicht, um psychische Begleiterkrankungen wie Angst und Depression zu behandeln. Heute ist jedoch bekannt, dass auch Reizdarmpatienten ohne depressive Erkrankung von niedrig dosierten Antidepressiva profitieren können, da diese Medikamente die Magen-Darm-Motilität normalisieren und viszerale Schmerzen reduzieren können. Trotz der verfügbaren konventionellen Medikamente zur Behandlung des RDS wird weiterhin nach effektiveren Therapiemöglichkeiten mit günstigerem Nebenwirkungsprofil gesucht.
Komplementäre und alternative Therapien Bis zu 50 Prozent der RDS-Patienten berichten, dass sie komplementäre und alternative Methoden (CAM) anwenden. Dazu zählen unter anderem pflanzliche Präparate einschliesslich chinesischer Kräutermischungen, Hypnose, Entspannungstechniken, Akupunktur, Ernährungsumstellung, Probiotika und körperlicher Aktivität.
Pflanzliche Präparate Verschiedene pflanzliche Arzneimittel wurden in der Therapie des RDS getestet. Dazu zählten Präparate mit Pfefferminzöl, Gelbwurz (Curcuma longa) und Artischockenblätterextrakt. Diese Phytotherapeutika führten in verschiedenen Studien zu einer signifikanten Reduktion der Reizdarmsymptomatik, doch wurde nicht in allen Studien eine Plazebogruppe mitgeführt. Darüber hinaus wurden Kombinationspräparate untersucht, unter anderem ein nach den Prinzipien der tibetischen Medizin hergestelltes Kräutermittel, das unter dem Handelsnamen Padmed Laxan® vertrieben wird, sowie eine Kombination aus neun Heilkräutern, die als Iberogast® erhältlich ist. Das pflanzliche Kombinationspräparat Iberogast enthält Auszüge aus der Bitteren Schleifenblume sowie aus Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchten, Mariendistelfrüchten, Melissenblättern, Pfefferminzblättern, Schöllkraut und Süssholzwurzel. Iberogast interagiert mit verschiedenen gastrointestinalen Rezeptoren, die bei der Regulation der Motilität und bei der Schmerzwahrnehmung eine wichtige Rolle spielen. In mehreren klinischen Studien erwies sich Iberogast in der Behandlung der Dyspepsie als wirksam. Darüber hinaus konnte in einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie gezeigt werden, dass Iberogast auch bei Reizdarmsyndrom abdominelle Schmerzen reduziert und die allgemeine Reizdarmsymptomatik bessert. Das Präparat Padmed Laxan enthält Wirkstoffe aus Alantwurzel, Aloetrockenextrakt, Brechnusssamen, Cascararinde, Colombowurzel, Enzianwurzel, Faulbaumrinde, Ingwerwurzel, Kondurangorinde, Langem Pfeffer, Myrobalanenfrucht, Rhabarberwurzel sowie Weissen Ton, Natriumhydrogencarbonat und Natriumsulfat. Padmed Laxan bessert die Symptomatik bei Reizdarmsyndrom mit vorherrschender Obstipation. In einer randomisierten, doppelblinden Beobachtungsstudie, die sich über drei Monate erstreckte, erwies sich Padmed Laxan im Vergleich zu Plazebo als überlegen: Das Phytotherapeutikum führte zu einem deutlicheren Rückgang der Symptome Obstipation, Bauchschmerzen und Flatulenz. Aus tierexperimentellen Untersuchungen ist bekannt, dass Padmed Laxan unter anderem auf cholinerge
Rezeptoren wirkt und dadurch die Kontraktilität glatter Muskelzellen im Kolon reduziert.
Mind-Body-Medizin Von den Mind-Body-Therapien werden die Hypnotherapie und die kognitive Verhaltenstherapie von Reizdarmpatienten am besten akzeptiert. Hypnotherapie soll zu verschiedenen psychologischen und physiologischen Veränderungen wie Reduktion von Angst und Depression sowie zu Verminderung von Kolonkontraktionen führen. Doch sind weitere methodologisch hochwertige Studien erforderlich, um den Stellenwert der Hypnotherapie in der supportiven Behandlung des RDS zu etablieren. Die kognitive Verhaltenstherapie erwies sich in verschiedenen klinischen Studien und Metaanalysen als ähnlich wirksam wie die herkömmliche medikamentöse RDS-Therapie. Kombiniert man beide Methoden, kann dies zu einer besseren Symptomreduktion führen. Auch Entspannungsmethoden wie die progressive Muskelrelaxation können eine Besserung von RDS-Symptomen bewirken.
Ernährungsumstellung Auch wenn es aus klinischen Studien nicht immer eine starke Evidenz für den Nutzen einer Ernährungsumstellung gibt, so ist eine Modifikation der Ernährung doch die wichtigste nicht medikamentöse Massnahme für RDS-Patienten. Lebensmittelunverträglichkeiten und -allergien können zu einer Exazerbation von Reizdarmsymptomen führen, und viele RDS-Betroffene berichten, dass ganz bestimmte Lebensmittel vermehrte Beschwerden hervorrufen. Einige Mediziner setzen mit Erfolg Eliminationsdiäten ein, bei denen die häufigsten Nahrungsmittelallergene weggelassen werden. Vorsicht ist geboten bei Zuckeraustauschstoffen wie Sorbit, Mannit und Xylit. Sie werden schlecht aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert und können zu vermehrter Flatulenz und abdominellen Beschwerden führen. Was die Ballaststoffzufuhr angeht, muss unterschieden werden zwischen löslichen Ballaststoffen, die die Reizdarmsymptomatik bessern können, und unlöslichen Ballaststoffen (z.B. aus Vollkornprodukten und Nüssen), die entweder eine geringe Wirkung zeigen oder die Reizdarmsymptomatik sogar verschlimmern.
Probiotika Zum Einsatz von Probiotika bei RDS gibt es eine Reihe von Untersuchungen. So führte die Gabe eines Bacillus-coagulans-Stamms in zwei Studien zu einer signifikanten Abnahme von Bauchschmerzen und Blähungen beziehungsweise zu einer Reduktion der Stuhlfrequenz. Erste positive Ergebnisse liegen auch zu Bifidobacterium infantis (in Infloran®) und Saccharomyces boulardii (Perenterol®) vor.
Akupunktur/Moxibustion Akupunktur kann zu physiologischen Veränderungen führen, die mehrere endogene Neurotransmittersysteme betreffen. Für die Behandlung von Reizdarmpatienten ist der Einfluss von Akupunktur und Moxibustion auf die serotonerge und cholinerge Neurotransmission der Hirn-Darm-Achse von besonderem Interesse. Studien, in denen Reizdarmpatienten mit Akupunktur oder mit einer Kombination aus
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Akupunktur und Moxibustion behandelt wurden, ergaben jedoch unterschiedliche Resultate. Eine Cochrane-Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass umfangreichere Studien gerechtfertigt sind, um den Nutzen von Akupunktur/Moxibustion bei RDS zu bestätigen.
Körperliche Aktivität Bewegung kann Stress reduzieren und die Funktion des Magen-Darm-Trakts positiv beeinflussen. Studien mit Reizdarmpatienten zeigen, dass körperliche Aktivität zu einer
Linderung der Reizdarmsymptomatik führt. Günstig sind beispielsweise Radfahren und bestimmte Yogatechniken. ❖
Andrea Wülker
Yoon SL et al.: Management of Irritable Bowel Syndrome (IBS) in Adults: Conventional and Complementary/Alternative Approaches. Alternative Medicine Review, LLC, 2011, 16(2): 134–151.
Interessenlage: nicht deklariert
BEKANNTMACHUNG
Preis für Präventivmedizin 2012
Daylong actinica® ausgezeichnet
Die Internationale Gesellschaft für Präventivmedizin e.V. (IGP) hat das dermatologische Präparat Daylong actinica® mit dem Preis für Präventivmedizin 2012 ausgezeichnet.
Grund für die Auszeichnung sei das hohe Potenzial in der Prophylaxe des hellen Hautkrebses sowie die Reduktion bereits manifester Präkanzerosen wie aktinischer Keratosen, heisst es in einer Pressemitteilung von IGP und Spirig Pharma AG. Nachgewiesen wurde die Wirkung von Daylong actinica® in einer Studie mit organtransplantierten Patienten unter langfristiger Therapie mit Immunsuppressiva, einer Hochrisikogruppe, bei der die Inzidenz von Hauttumoren deutlich erhöht ist. In der bereits 2009 veröffentlichten 2-jährigen prospektiven, kontrollierten klinischen Studie* wurden insgesamt 120 organtransplantierte Patienten eingeschlossen (40 Herz-, 40 Nieren- und 40 Lebertransplantierte). Alle Studienteilnehmer erhielten Informationen über protektive Massnahmen zum Lichtschutz. Die 60 Patienten der Verumgruppe verwendeten einmal täglich Daylong actinica® in ausreichender Schichtdicke (2 mg/cm2). Während der 24-monatigen Behandlung entwickelten in der Kontrollgruppe 42 der 120 Patienten insgesamt 82 neue aktinische Keratosen, während die Zahl der Läsionen in der Lichtschutzgruppe zurückging (-102 vs. +82; p < 0,01). Prozentual ausgedrückt ging in der Lichtschutzgruppe die Anzahl aktinischer Keratosen nach 24 Monaten um 53 Prozent gegenüber dem Ausgangsbefund zurück; in der Kontrollgruppe stieg sie hingegen um 43 Prozent. Während in der Lichtschutzgruppe keine neuen Plattenepithelkarzinome und 2 neue Basalzellkarzinome auftraten, waren es in der Kontrollgruppe 8 neue Plattenepithelkarzinome und 9 neue Basalzellkarzinome. IGP-Jurysprecher Prof. Dr. med. Jörg Schulz, Dr. Ulrich Hornung, Geschäftsführung der Spirig Pharma GmbH Deutschland, und Prof. Dr. med. Julia Welzel, Chefärztin der Klinik für Dermatologie und Allergologie im Klinikum Augsburg Süd, an der Preisverleihung (v.l.). Überdies zeichne sich das Präparat durch eine patienten- freundliche Handhabung aus, sagte Frau Prof. Dr. med. Julia Welzel, Chefärztin der Klinik für Dermatologie und Allergologie im Klinikum Augsburg Süd, an der Preisver- leihung in Berlin. So erhöhe der Dosierspender die Compli- ance des Patienten und gebe ihm ein sicheres Gefühl, den Lichtschutz richtig anzuwenden: «Durch diesen erhebli- chen Patientenbenefit hat Daylong actinica® die geforder- ten Kriterien zur Anwendungssicherheit und Verbesserung der Compliance überzeugend erfüllt», erläuterte sie die Juryentscheidung. ❖ RBO *Ulrich C et al.: Prevention of non-melanoma skin cancer in organ transplant patients by regular use of a sunscreen: a 24 months, prospective, case-control study. Br J Dermatol 2009; 161 (Suppl. 3): 78–84. 164 ARS MEDICI 4 ■ 2012