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FORTBILDUNG
Proteaseinhibitoren bei Hepatitis C
Telaprevir und Boceprevir beim Genotyp 1 wirksam
Die Proteasehemmer Telaprevir und Boceprevir haben sich in Kombination mit der Standardmedikation aus pegyliertem Interferon und Ribavirin als wirksam bei Hepatitis C vom Genotyp 1 erwiesen. Dieses Übersichtsreferat fasst wichtige Aspekte zur Anwendung in der klinischen Praxis zusammen.
haben sich gegen den Genotyp 1 als wirksam erwiesen. In älteren Studien zeigten beide Substanzen im Rahmen einer kurzfristigen Monotherapie eine beträchtliche antivirale Aktivität, allerdings entwickelten sich schnell Resistenzen. In nachfolgenden Studien wurden die Substanzen deshalb mit der Standardmedikation aus pegyliertem Interferon (Pegasys®, Cylatron®, PegIntron®) und Ribavirin (Rebetol, Virazole®, in Copegus®) kombiniert.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Bei 70 bis 80 Prozent aller mit Hepatitis C infizierten Patienten entwickelt sich eine chronische Hepatitis, die in eine Leberzirrhose oder ein Leberkarzinom übergehen kann. Bei manchen Patienten kann die Infektion durch eine antivirale Behandlung von begrenzter Dauer beseitigt werden. Die Proteaseinhibitoren Telaprevir und Boceprevir sind die ersten direkt gegen Hepatitis C wirkenden antiviralen Substanzen, die zur Behandlung zugelassen wurden. Bei beiden Medikamenten handelt es sich um peptidmimetische Inhibitoren der Serinprotease, die eine entscheidende Rolle bei der Virenreplikation spielt und zudem in die Immunevasion der Viren involviert ist. Die Hemmung der Protease blockiert somit die Virenreplikation und kann die Immunantwort gegenüber der Infektion verbessern.
Wie wirksam sind Proteaseinhibitoren? Das Hepatitis-C-Virus liegt in verschiedenen Genotypen mit Variationen des Proteasegens und des Proteaseproteins vor. Die Wirksamkeit von Proteaseinhibitoren variiert entsprechend dem jeweiligen Genotyp. Telaprevir und Boceprevir
Merksätze
❖ Telaprevir und Boceprevir sind gegen Hepatitis-C-Viren vom Genotyp 1 wirksam.
❖ Die Wirkstoffe werden jeweils in Kombination mit dem Standard aus pegyliertem Interferon und Ribavirin appliziert.
❖ Bei etwa 50 bis 60 Prozent der Patienten kann die Behandlungsdauer von 12 Monaten auf 6 Monate verkürzt werden.
❖ Die Proteasehemmer können Nebenwirkungen von Interferon oder Ribavirin verstärken.
Telaprevir (Incivo®) Zwei randomisierte Phase-III-Studien verglichen die duale Standardtherapie (pegyliertes Interferon und Ribavirin) mit der Dreiertherapie (zusätzlich Telaprevir) bei 1088 therapienaiven und bei 663 bereits behandelten Patienten. In beiden Studien erhielten die Patienten während der ersten 12 Wochen die Dreifachtherapie und über die restliche Behandlungszeit die Zweifachtherapie. In der ADVANCE-Studie war die Dreifachtherapie mit Telaprevir bei therapienaiven Patienten mit einer signifikanten Verbesserung der Heilungsraten verbunden. In der Telaprevir-Gruppe erreichten 75 Prozent der Teilnehmer ein dauerhaftes virologisches Ansprechen, unter der Zweifachtherapie lediglich 44 Prozent. Zudem erlaubte in der Tripeltherapiegruppe die Überprüfung des virologischen Ansprechens in Woche 4 und 12, einen grossen Anteil (58%) von Patienten zu identifizieren, bei denen die übliche Behandlungsdauer von 48 Wochen auf 24 Wochen verkürzt werden konnte, ohne den Behandlungserfolg zu gefährden. In der Phase-III-Studie RESPONSE war die Dreifachtherapie mit Telaprevir bei zuvor bereits behandelten Personen mit einer signifikanten Verbesserung des dauerhaften virologischen Ansprechens verbunden. Von den Patienten mit Rezidivmuster erreichten 83 Prozent unter der Tripeltherapie ein dauerhaftes virologisches Ansprechen, während dies unter der dualen Therapie nur bei 24 Prozent der Teilnehmer erreicht werden konnte.
Boceprevir (Victrelis®) Bei zuvor noch nicht behandelten Patienten wurde in der SPRINT-2-Studie mit einem Boceprevir-haltigen Triple bei 66 Prozent ein dauerhaftes virologisches Ansprechen erzielt, unter der dualen Standardtherapie lediglich bei 38 Prozent der Teilnehmer. Die RESPOND-Studie untersuchte die Wirksamkeit von Boceprevir/Interferon/Ribavirin bei partiellen Respondern und Relapsern im Vergleich zur Zweifachtherapie. Null-Responder waren jedoch aus der Studie ausgeschlossen. Die Ansprechraten der partiellen Responder
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Kasten:
Bereits erwiesene Wechselwirkungen mit Proteasehemmern
❖ Die Inhibition von CYP 3A4 durch Telaprevir erhöht die Exposition gegenüber Substraten dieses Enzyms wie Simvastatin (Zocor® und Generika) und Lovastatin (nicht im AK der Schweiz) sowie Tacrolimus (Prograf® und Generika) und Ciclosporin (Sandimmun®).
❖ Die Induktion von CYP 3A4 durch Efavirenz (Stocrin®) reduziert die Telaprevir- und Boceprevir-Spiegel.
❖ Die Hemmung von CYP 3A4 durch Boceprevir erhöht die Blutkonzentrationen von Midazolam (Dormicum® und Generika).
❖ Boceprevir senkt die Konzentration an Ethinyl-Östradiol bei Patientinnen, die kombinierte orale Kontrazeptiva einnehmen.
betrugen 52 Prozent unter der Dreifachtherapie und 7 Prozent in der Standardtherapiegruppe, die Ansprechraten der Relapser lagen bei 75 Prozent unter der Dreifachkombination und bei 29 Prozent unter Interferon/Ribavirin.
Wie sicher sind Proteaseinhibitoren? Die Behandlung mit Interferon und Ribavirin ist mit Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptomen, Müdigkeit und Anämie verbunden. Proteaseinhibitoren können die Anämie verstärken. Zu den häufigsten Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Proteaseinhibitoren gehören Anämie und Neutropenie sowie Pruritus, Übelkeit und Diarrhö, was zu beträchtlichen Abbruchraten führen kann. Besonders problematisch ist bei Telaprevir und Boceprevir das Risiko für Hautausschläge, die bei der Dreifachtherapie häufiger beobachtet werden als unter der Standardbehandlung. Diese Hautausschläge sind meist makulopapulös oder ekzematös und können schwere Formen annehmen. Hautausschläge gehören zu den häufigsten Ursachen für Behandlungsabbrüche im Zusammenhang mit Proteasehemmern. Etwa 3 bis 6 Prozent der Patienten beenden ihre Behandlung deswegen.
Welche Vorsichtsmassnahmen sind erforderlich? Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten Beide Medikamente werden in der Leber verstoffwechselt und sind Inhibitoren von Zytochrom P450 3A4 (CYP 3A4) und des P-Glykoproteins. Daher besteht ein erhebliches Potenzial für Wechselwirkungen mit schwer zu prognostizierendem Ausmass, sodass bei Medikamenten, die ähnlich metabolisiert werden und als Induzierer oder Hemmer dieser Systeme bekannt sind, besondere Vorsicht geboten ist (Kasten). Wenn möglich sollte eine derartige Komedikation vermieden und auf nicht von der Leber metabolisierte Medikamente umgestellt werden. Die Rücksprache mit einem Spezialisten zur Komedikation vor Behandlungsbeginn ist ebenfalls eine geeignete Vorsichtmassnahme.
Herzrhythmusstörungen In Studien mit gesunden Probanden wurde im Zusammenhang mit Telaprevir und Boceprevir ein verlängertes QT-
Intervall beobachtet. In Phase-II- und Phase-III-Studien wurden bisher jedoch keine ernsthaften Herzrhythmusstörungen beobachtet. Dennoch sollten Proteaseinhibitoren bei Patienten mit kongenitalen oder medikamenteninduzierten verlängerten QT-Syndromen vorsichtig angewendet werden. Dies gilt auch für Patienten, die Medikamente einnehmen, welche das QT-Intervall verlängern, wie Alpha-1-Adrenorezeptorantagonisten oder die Antiarrhythmika Amiodaron (Cordarone® und Generika) und Flecainid (Tambocor®).
Anämie und Neutropenie Bei der antiviralen Behandlung der Hepatitis C kommt es häufig zu Anämien, und manchmal ist deshalb eine Modifizierung der Behandlung erforderlich. Das Ausmass der Anämie variiert entsprechend patientenbezogenen Faktoren wie der Schwere der Symptome, dem Alter und den jeweiligen Komorbiditäten. Die Anämie wird vor allem durch Ribavirin hervorgerufen, sodass eine Dosisreduzierung oder ein Absetzen dieser Substanz notwendig sein kann. Ein Proteaseinhibitor kann diese Anämie verstärken. Die Dosis des Proteasehemmers kann jedoch nicht reduziert werden, da es unter suboptimaler Dosierung zur Entwicklung resistenter Stämme kommen kann. Unter pegyliertem Interferon und Ribavirin treten oft Neutropenien auf. Wird dem Regime ein Proteasehemmer hinzugefügt, nimmt die Anzahl der Betroffenen noch zu. Die Neutropenie scheint unter Boceprevir öfter aufzutreten als unter Telaprevir, möglicherweise wegen der längeren Behandlungsdauer. Direkte Vergleiche wurden jedoch noch nicht durchgeführt. Die Neutropenie wird von Interferon verursacht, sodass eine Reduzierung der Interferondosis erforderlich sein kann. Die Dosis des Proteasehemmers kann aus den bereits genannten Gründen nicht verringert werden. Bei einer schweren Neutropenie mit Sepsis muss die antivirale Behandlung ganz abgebrochen werden. Treten bei der antiviralen Behandlung Infektionen auf, ist die Überwachung der Neutrophilenzahl ratsam.
Hautausschläge/Rash Zu Beginn der Behandlung mit einem Proteasehemmer – vor allem bei Telaprevir – sollten die Patienten angewiesen werden, bei Hautausschlägen den Hausarzt aufzusuchen. Schwere Hautausschläge können mit systemischen Manifestationen wie Eosinophilie und Fieber verbunden sein. Bei diesen Patienten ist die Behandlung mit dem Proteasehemmer abzubrechen und eine geeignete Unterstützungstherapie einzusetzen. Leichte bis mittelgradige Hautausschläge können mit topischen Kortikosteroiden oder Antihistaminika behandelt werden. Patienten mit Rash sollten engmaschig überwacht werden. Geht der Ausschlag trotz einer geeigneten Behandlung nicht zurück oder verschlimmert sich sogar, muss der Proteasehemmer abgesetzt werden. Bisher haben sich Hautausschläge bei Absetzen des Proteasehemmers in allen Fällen zurückgebildet.
Resistenzentwicklung Das Therapieversagen von Proteaseinhibitoren ist mit einem Risiko für die Entwicklung resistenter Stämme verbunden. Zum Therapieversagen kommt es vorwiegend bei fortgeschrittener Lebererkrankung und bei therapieerfahrenen
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Null-Respondern, weil auch pegyliertes Interferon und Ribavirin bei diesen Patienten weniger wirksam sind. Eine erfolgreiche Behandlung ist eng mit dem Erreichen eines negativen Virusnachweises im Blut assoziiert. Eine dauerhafte Virämie weist dagegen auf Therapieversagen und Resistenzentwicklung hin. Kann kein negativer Virusnachweis erzielt und aufrechterhalten werden, ist dies ein Hinweis, alle antiviralen Medikamente abzusetzen.
Wie erfolgt die Einnahme, und wie wird sie überwacht? Beide Proteasehemmer sind oral verfügbar und werden dreimal täglich eingenommen. Ribavirin wird zweimal täglich eingenommen und pegyliertes Interferon einmal wöchentlich subkutan injiziert. Das Monitoring muss in speziellen Kliniken von Spezialisten für Hepatitis C vorgenommen werden. Die Wirksamkeit der Behandlung wird durch eine Bestimmung des Virustiters im Plasma zu Beginn und in den Wochen 4, 8, 12, 24 und 48 überprüft. Bei manchen Patienten kann eine verkürzte «response-guided»-Therapie durchgeführt werden. Dazu ist die Messung des Virustiters unter Telaprevir in Woche 4 und 12 und unter Boceprevir in Woche 8 und 24 erforderlich. Bei behandlungsnaiven Patienten, die zu diesen Zeitpunkten eine Virusnegativität erreichen und bei denen der Virustiter im weiteren Verlauf negativ bleibt, kann eine verkürzte Behandlung durchgeführt werden. Nach 6 Monaten wird der Virustiter erneut überprüft, um sicherzustellen, dass ein dauerhaftes Ansprechen erzielt wurde.
Die Sicherheit der Behandlung wird durch die Messung des Hämoglobinspiegels und der Neutrophilenzahl überwacht. Bei Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung und einem Risiko für eine hepatische Dekompensation unter Interferon werden zusätzlich Leberfunktionstests durchgeführt.
Wie wirksam sind Proteaseinhibitoren
im Vergleich zu anderen Medikamenten?
Die Dreifachtherapie mit Proteasehemmern ist im Vergleich
zur Standardtherapie mit besseren Behandlungsergebnissen
verbunden, allerdings gibt es noch keine Daten zur Langzeit-
sicherheit. Zudem profitieren viele Patienten mit Hepatitis C
nicht von Telaprevir oder Boceprevir, weil beide Substanzen
speziell auf den Hepatitis-C-Virus vom Genotyp 1 abzielen.
Patienten, die sich mit einem anderen Genotyp infiziert
haben, eignen sich daher nicht für die Behandlung. Bei
Unverträglichkeiten gegenüber Interferon oder Ribavirin
kann mit Proteasehemmern ebenfalls kein Behandlungs-
erfolg erzielt werden.
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Petra Stölting
Rowe Ian A, Mutimer David J: Protease inhibitors for treatment of genotype 1 hepatitis c virus infection, BMJ 2011;343:d6972.
Interessenkonflikte: Die Originalarbeit wurde nicht gesponsert. Einer der Autoren hat von Janssen und MSD, den Herstellern von Telaprevir und Boceprevir, Gelder für Beratungstätigkeiten erhalten.
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