Transkript
FORTBILDUNG
Management des prämenstruellen Syndroms
Prämenstruelle Störungen können mit nicht medikamentösen Massnahmen sowie mit psychotropen oder ovulationshemmenden Medikamenten behandelt werden. Eine kurze Übersicht zu den wichtigsten evidenzbasierten Therapieoptionen.
BMJ
Prämenstruelle Beschwerden beeinträchtigen das soziale und berufliche Leben zahlreicher Frauen von der ersten Regelblutung bis zur Menopause. Eine sorgfältige Evaluierung der Symptome (Kasten 1) ist die wichtigste Voraussetzung zur Auswahl individuell geeigneter Behandlungsoptionen (Kasten 2). Die Intervention richtet sich nach dem Ausmass und der Schwere der Symptome sowie dem Stand der Familienplanung und den Wünschen der Patientin.
Nicht medikamentöse Massnahmen Bei Frauen mit weniger schweren Symptomen sind nicht medikamentöse Massnahmen oft ausreichend. Zu Ernährungsempfehlungen und pflanzlichen Supplementen liegen allerdings keine verlässlichen Studiendaten vor. Der Fruchtextrakt aus Vitex agnus castus (Mönchspfeffer, z.B. Prefemin®, Premens®) hat sich als einziges pflanzliches Präparat in einer kleinen plazebokontrollierten Studie bei prämenstruellen Symptomen als wirksam erwiesen. In manchen plazebokontrollierten Studien hat sich auch gezeigt, dass Kalzium, Vitamin B6 und Sport prämenstruelle Beschwerden lindern können. Eine kognitive Verhaltenstherapie (10 Sitzungen) mit Entspannungstechniken, Stressmanagement und Durch-
Merksätze
❖ Prämenstruelle Störungen können das berufliche und soziale Leben massiv beeinträchtigen.
❖ Die Symptome stehen in engem Zusammenhang zur Ovulation.
❖ Die Behandlung richtet sich nach der Art und Schwere der Symptome sowie nach dem Stand der Familienplanung und den Präferenzen der Patientin.
setzungstraining zeigte sich ähnlich wirksam wie eine sechsmonatige Behandlung mit Fluoxetin (Fluctine® und Generika), wobei die positive Wirkung der kognitiven Verhaltenstherapie wahrscheinlich länger andauert.
Diuretika Spironolacton (Aldactone®, Xenalon®) hat sich in einer Dosierung von 100 mg/Tag (während der Gelbkörperphase) in randomisierten plazebokontrollierten Studien als wirksam zur Reduzierung von Blähungen, Schwellungen, Missempfindungen der Brüste und Stimmungsstörungen erwiesen.
Psychotrope Medikamente Aus Metaanalysen randomisierter plazebokontrollierter Studien geht hervor, dass selektive SerotoninwiederaufnahmeHemmer (SSRI) wie Fluoxetin, Paroxetin (Deroxat® und Generika), Citalopram (Seropram® und Generika), Sertralin (Zoloft® und Generika) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI) wie Venlafaxin (Efexor® und Generika) psychische und physische Symptome wirksam reduzieren können, wenn sie kontinuierlich oder 14 Tage vor der Regelblutung eingenommen werden. Dabei werden meist niedrigere Dosen als zur Behandlung von Stimmungsstörungen angewendet. Die Symptome können sich bereits innerhalb von 48 Stunden nach Behandlungsbeginn bessern. Reversible Nebenwirkungen wie Fatigue, Schlafstörungen, Übelkeit, gastrointestinale Störungen, Kopfschmerzen, Schwitzen und Zittern treten bei der intermittierenden Behandlung seltener auf. Die kontinuierliche Anwendung ist mit verminderter Libido und Orgasmusschwierigkeiten verbunden. Zu häufigen Nebenwirkungen beim Absetzen von SSRI zählen Schläfrigkeit, Lethargie, Übelkeit, Gereiztheit, gedrückte Stimmung und lebhafte Träume. Bei intermittierendem Gebrauch werden diese Nebenwirkungen jedoch selten beobachtet. SSRI und Kontrazeptiva können gleichzeitig gegeben werden, ohne dass die Wirksamkeit eines Medikaments beeinträchtigt wird. Unter SSRI ist auch eine Schwangerschaft möglich, denn die Substanzen haben bisher keine teratogene Wirkung gezeigt. Die kontinuierliche Einnahme von SSRI oder SNRI kann eine Option für Frauen mit prämenstrueller Exazerbation affektiver Störungen sein. Ein direkter Vergleich beider Substanzklassen liegt nicht vor. Anxiolytika wie Alprazolam (Xanax® und Generika) und Buspiron (nicht im AK der Schweiz) haben sich ebenfalls als wirksam im Vergleich zu Plazebo gezeigt, scheinen aber weniger wirksam zu sein als SSRI und weisen zudem ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil auf.
182
ARS MEDICI 4 ■ 2012
FORTBILDUNG
Kasten 1:
Informationen, die vor der Behandlung erfasst werden sollten
Menstruation: Häufigkeit, Dauer, Schwere, Schmerzen, Regelmässigkeit, Amenorrhö, letzte Periode
Prämenstruelle Symptome: Art und Ausmass, Zeitpunkt vor und nach der Menstruation, symptomfreie Phasen. Seit wie vielen Jahren treten die Symptome auf?
Suizidgedanken: Gab oder gibt es Überlegungen dazu?
Art und Ausmass der Beeinträchtigung: Arbeit, Schule, Hobbys, soziale Aktivitäten, Familie, Partner, Arbeitskollegen und jeweiliger Stresslevel
Amenorrhö: Wurde eine Behandlung mit anschliessender Amenorrhö vorgenommen? (Hysterektomie mit Erhalt der Ovarien, Levonogestrel-freisetzendes Intrauterinsystem, Ablation des Endometriums) Dauern die Symptome trotzdem an?
Andere Ursachen: Gibt es andere psychische oder physische Beschwerden oder solche, die sich vor der Menstruation verschlimmern? Sind diese Beschwerden während der Follikelphase weniger ausgeprägt?
Hormonbehandlung: Kombinierte Kontrazeption oder nur mit Progesteron, Gestagene, Hormonersatztherapie
Kontrazeption: Art der Kontrazeption, Zufriedenheit mit der Verhütungsmethode und Stand der Familienplanung
Weitere Diagnosen: Liegen weitere gynäkologische Diagnosen vor wie schwere Menstruationsblutung, Endometriose, Bauchschmerzen, Dyspareunie, Schmierblutungen?
Behandlungsoptionen: Wünsche der Patientin, nicht medikamentöse oder medikamentöse Behandlung, Bereitschaft, nicht zugelassene Medikamente anzuwenden
Bisherige Behandlung: Selbst eingenommene und vom Arzt verordnete Medikamente, positive und negative Erfahrungen damit, wirksam oder unwirksam
Hormonbehandlung ohne Ovulationshemmung Progesteron und Gestagene (Norethisteron [Micronovum®, Primolut®], Medroxyprogesteron [DepoProvera®, Farlutal®, Profadem®], Levonorgestrel [in Mirena®, NorLevo®]), die in der Gelbkörperphase verabreicht werden, sind als einzige hormonelle Arzneimittel in Grossbritannien zur Behandlung des prämenstruellen Syndroms zugelassen. Aus einem systematischen Review geht jedoch hervor, dass sie in diesem Anwendungsbereich nicht wirksam sind und die Symptome oft reaktivieren. Sie eignen sich daher nur zum Schutz des Endometriums während einer Östrogenbehandlung zur Ovulationshemmung.
Orale Kontrazeptiva Orale Kontrazeptiva hemmen die Ovulation, induzieren jedoch einen neuen exogenen Zyklus, der mit progesteronassoziierten Symptomen verbunden sein kann. Dieser Effekt kann mit einem neueren Kontrazeptivum aus Drospirenon und 20 µg Ethinylestradiol (YAZ®, 24 Wirkstofftabletten, danach 4 Plazebotabletten) vermieden werden. Drospirenon hat antidiuretische und antiandrogene Eigenschaften. Es
hemmt in der genannten Kombination die Ovulation und lindert effektiv die Beschwerden, ohne physische und psychische Begleitsymptome zu verursachen. Ein ähnlicher Nutzen kann jedoch auch mit dem Standardregime eines oralen Kontrazeptivums mit 30 µg Ethinylestradiol und Drospirenon 21/7 (Yasminelle®) erreicht werden.
GnRH-Agonist-Analoga Randomisierte kontrollierte Studien haben gezeigt, dass GnRH-Agonisten prämenstruelle Beschwerden wirksam lindern können. Lang wirksames GnRH hemmt die Steroidproduktion in den Eierstöcken, was zu einer künstlich herbeigeführten Menopause führt und so das prämenstruelle Syndrom lindert. Der induzierte Östrogenmangel kann jedoch mit Hitzewallungen, nächtlichen Schweissausbrüchen, gedrückter Stimmung, Schlafstörungen, und gelegentlich mit Osteoporose verbunden sein. Eine «Add-back»-Behandlung mit einer Kombination aus Östrogen und Progesteron oder Tibolon (Livial®) vermindert die Nebenwirkungen und verlängert die Wirkdauer, ohne die Effektivität zu reduzieren. Zur Langzeitsicherheit von GnRH-Agonisten in Kombination mit «Add-back»-Behandlung sind nur wenige Daten verfügbar. GnRH-Agonist-Analoga verhindern keine Schwangerschaft, sodass zusätzlich verhütet werden muss. Entsprechend einer neuen Metaanalyse scheint Tibolon die prämenstruellen Symptome weniger zu reaktivieren als zyklisches Östrogen und Progesteron.
Estradiol Transdermalpflaster und subkutane Estradiolimplantate hemmen wirksam den Eisprung. Die Anwendung von Östrogen als Einzelsubstanz kann jedoch zur endometrischen Hyperplasie führen und erhöht das Risiko für ein Endometriumkarzinom. Der Schutz des Endometriums mit Progesteron ist von grosser Bedeutung, orales Progesteron kann jedoch prämenstruelle Symptome auslösen. Mit einem Levonorgestrel-freisetzenden Intrauterinsystem kann dieses Problem aufgrund der lokalen Wirkung des Progesterons theoretisch vermieden werden, dennoch leiden manche Frauen in den ersten Behandlungsmonaten unter prämenstruellen Symptomen und empfindlicher Brust. Eine Kombination aus Östrogen und einem Levonogestrel-freisetzenden Intrauterinsystem schützt das Endometrium, gewährleistet die Kontrazeption und reduziert bei Frauen mit starker Menstruation die Blutung.
Chirurgische Optionen Die Ablation des Endometriums oder die Hysterektomie beseitigen die Menstruation, jedoch nicht die prämenstruellen Symptome, weil die Ovarialfunktion erhalten bleibt. Bei Frauen mit sehr schweren und beeinträchtigenden Symptomen kann eine bilaterale Oophorektomie in Erwägung gezogen werden, allerdings muss die Patientin ausführlich zu den Konsequenzen einer chirurgisch herbeigeführten, vorzeitigen Menopause aufgeklärt und beraten werden. Zudem muss darauf geachtet werden, das Östrogen bis zum Alter der natürlichen Menopause zu ersetzten. Die Entfernung des Uterus zusammen mit den Eierstöcken ermöglicht eine Östrogensubstitution als Monotherapie, sodass Progesteroninduzierte Symptome ausbleiben. Vor einer chirurgischen
ARS MEDICI 4 ■ 2012
183
FORTBILDUNG
Kasten 2:
Evidenzbasierte Behandlungsoptionen
Die folgenden Behandlungsoptionen und Dosierungen basieren auf aktuellen Empfehlungen und evidenzbasierten Studien.
Lebensstil Informationen zum prämenstruellen Syndrom, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken, regelmässiger Sport
Supplementierung Kalziumkarbonat, Magnesiumoxid, Vitamin B6 (nicht mehr als 100 mg/Tag), Mönchspfeffer
Nicht hormonelle Medikamente Diuretika: Spironolacton (z.B. Aldactone®): 100 mg/Tag während der Gelbkörperphase
Psychotrope Substanzen Fluoxetin (z.B. Fluctine®): 10–20 mg/Tag kontinuierlich oder während der Gelbkörperphase Paroxetin (z.B. Deroxat®): 10–30 mg/Tag Citalopram (z.B. Seropram®): 10–30 mg/Tag Sertralin (z.B. Zoloft®): initial 25–50 mg/Tag, kann bis zu 150 mg/Tag erhöht werden Venlafaxin (z.B. Efexor® ER): 75–112,5 mg/Tag
Anxiolytika Alprazolam (z.B. Xanax®): 0,25–4,0 mg 2- bis 3-mal täglich Buspiron: 10–60 mg/Tag Progesteron und Gestagen (nicht empfohlen) Norethisteron (Trinovum®, Primolut®), Medroxyprogesteronacetat (DepoProvera®), Levonorgestrel
Orale Kontrazeptiva Drospirenon und niedrige Dosen an Ethinylestradiol (Yasminelle®, YAZ®)
GnRH-Agonisten Goserelin (z.B. Zoladex®): eine Injektion mit 3,6 mg für 1 Monat oder 10,8 mg für 3 Monate mit oder ohne «Add-back» (Tibolon [Livial®] 2,5 mg/Tag)
Gonadotropininhibitor Danazol (Danatrol®): 200–400 mg/Tag
Estradiol Transdermalpflaster (z.B. Estraderm®): 100 mg; auf 200 mg erhöhen, wenn Ovulation nicht gehemmt wird Subkutanes Implantat: 50 mg; auf 75 mg oder 100 mg erhöhen, wenn Ovulation nicht gehemmt wird
Operation Bilaterale Oophorektomie und Hysterektomie
ptomfrei sind, haben eine «echte» prämenstruelle Störung. Diesen Frauen können die verschiedenen Optionen stufenweise angeboten werden. Bei Frauen mit geringfügigen körperlichen prämenstruellen Symptomen reicht häufig eine Bestätigung aus, dass es sich um normale Beschwerden handelt. Bei einer Patientin mit beeinträchtigenden Symptomen ohne beschwerdefreies Intervall kann eine psychische oder physische Störung vorliegen, die nicht mit dem Menstruationszyklus assoziiert ist. Bei diesen Frauen handelt es sich vermutlich nicht um eine prämenstruelle Störung, sodass zunächst die zugrunde liegende Erkrankung evaluiert und behandelt werden sollte. Symptome der Perimenopause können prämenstruellen Beschwerden ähneln, treten jedoch ebenfalls nicht zyklisch auf. Leiden Frauen unter einer Progesteronbehandlung an Symptomen wie bei einer prämenstruellen Störung, kann eine Veränderung der Medikation, der Dosis oder der Behandlungsdauer Abhilfe schaffen. Bei Frauen, deren Beschwerden von einem oralen Kontrazeptivum verursacht werden, kann ein Wechsel zu einem anderen Präparat oder zu einem Intrauterinsystem vorgenommen werden. Frauen mit massiver prämenstrueller Beeinträchtigung und nur teilweiser Erleichterung nach der Menstruation leiden möglicherweise unter einer psychischen oder körperlichen Erkrankung mit Exazerbationen im Zusammenhang mit dem Ovarialzyklus. In diesen Fällen verbessern sich die Symptome oft bei erfolgreicher Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung. Mitunter kann diesen Patientinnen auch mit einer Kombination aus psychologischen Interventionen und psychotropen Medikamenten geholfen werden.
❖
Petra Stölting
O’Brien Shaughn, Rapkin Andrea et al.: Diagnosis and management of premenstrual disorders, BMJ 2011; 342:d2994
Interessenkonflikte: Die vorliegende Studie wurde nicht gesponsert. Zwei der vier Autoren haben Vergütungen von Bayer Schering und Astra Zeneca erhalten.
Intervention sollte jedoch eine Behandlung mit GnRH erprobt werden.
Management in der Hausarztpraxis Die Diagnose sollte anhand der Anamnese und anhand von Aufzeichnung der Patientin über zwei Monate vorgenommen werden. Die Auswertung gibt Aufschluss über Art und Ausmass des prämenstruellen Syndroms und dient als Grundlage zur Auswahl geeigneter Behandlungsoptionen (Kasten 2). Frauen mit beeinträchtigenden prämenstruellen Symptomen, die nach der Menstruation mindestens eine Woche sym-
184
ARS MEDICI 4 ■ 2012