Transkript
COPD – die unterschätzte Gefahr
Hinweise zum Management
BERICHT
Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS)
Amsterdam, 24. bis 28. September 2011
Die COPD belegt heute Platz 4 der Todesursachenstatistik. Eine kausale Behandlung gibt es bis anhin nicht, jedoch ist eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs zu erreichen.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
«Es beginnt mit ganz normalem Husten und Auswurf», erklärte Christine Blunt, Faculty of Health and Social Care, London South Bank University, «später kommt Luftnot unter Belastung als weiteres klassisches Symptom hinzu.» Die ersten Symptome sind somit wenig spezifisch, sodass die COPD relativ spät erkannt wird – mit fatalen Folgen: Zurzeit sterben in Europa 300 000 Menschen jährlich an der progressiv verlaufenden Lungenerkrankung. Die Krankheit verläuft schleichend, ein erster Husten entwickelt sich zu Anfällen akuter Atemnot, die Betroffenen verlieren ihre körperliche Leistungsfähigkeit, der Allgemeinzustand verschlechtert sich, Depressionen können auftreten. Klagen die Patienten über Luftnot unter Belastung, hat die Gewebezerstörung in der Lunge bereits eingesetzt. Ein Teufelskreislauf entsteht: Die Atemnot führt zu Bewegungsmangel, was zu einer weiteren Abnahme der Fitness führt. Immer mehr Lungengewebe geht verloren, was der Körper durch ein erhöhtes Atemvolumen auszugleichen versucht. Das Atmen wird ineffizienter. Der Arzt wird in der Regel viel zu spät aufgesucht, da es zunächst
ja «nur Husten» ist (Kasten 1). Zum Zeitpunkt der Diagnose sind oft bereits 50 Prozent des Lungenvolumens verloren. Bei jedem Patienten, der regelmässig unter Atemnot, chronischem Husten oder Auswurf leidet, sollte an eine COPD gedacht werden. Die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) hat die COPD in vier Schweregrade eingeteilt (Tabelle 1). Die Diagnose richtet sich nach den Beschwerden des Patienten, in erster Linie aber nach den Ergebnissen des Lungenfunktionstests.
Komplexe Pathomechanismen Auf dem Kongress wurde deutlich, dass die zugrunde liegenden Pathomechanismen der COPD nur teilweise geklärt sind. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass die Entzündungen in den Atemwegen und im Lungenparenchym im Wesentlichen durch neutrophile Granulozyten, Makrophagen und CD8+-T-Lymphozyten ausgelöst werden. Diese Zellen aktivieren verschiedene Proteasen und leiten eine Fibrose der kleinen Atemwege ein.
Schliesslich kommt es zum Untergang von Lungenparenchym. Eine Hyperreagibilität des Bronchialsystems führt reflektorisch zu einer Freisetzung von Acetylcholin. Acetylcholin löst eine Degranulation der Mastzellen in der Bronchialwand aus. Hierbei werden Entzündungsmediatoren freigesetzt. Acetylcholin und andere Mediatoren führen zu Bronchokonstriktion, Hypersekretion von zähem Schleim und der Ausbildung eines Wandödems. Die Zilienfunktion ist beeinträchtigt, sodass der Schleimtransport gestört ist und sich Schleim in der Lunge ansammelt. Dies wird durch sekundäre bakterielle Infektionen verstärkt. Haupterreger sind Haemophilus influenzae, Pneumokokken, Staphylokokken und verschiedene gramnegative Keime. Die von den Bakterien produzierten Mediatoren und Toxine verstärken den Krankheitsprozess.
Individualisierte Therapie gefordert Da es sich bei der COPD um ein komplexes Krankheitsgeschehen handelt, dessen Schweregrad von zahlreichen
Kasten 1:
Was weiss die Öffentlichkeit über COPD?
Eine im August 2011 von Novartis durchgeführte Befragung bei mehr als 6000 Teilnehmern in 6 Ländern ergab:
❖ 72 Prozent der Befragten dachten, dass COPD nur Raucher betrifft.
❖ 65 Prozent der Teilnehmer war nicht bewusst, dass COPD auch unter 65-Jährige betreffen kann, und 50 Prozent glaubten nicht, dass Frauen auch betroffen sein könnten.
❖ 25 Prozent dachten fälschlicherweise, dass COPD durch eine Infektion verursacht wird.
❖ 18 Prozent glaubten, dass COPD-Patienten genauso aktiv wie Gesunde sind.
❖ Bei einer Einordnung von 10 Krankheiten, die die Haupttodesursache in den USA und der EU darstellen, setzten die Befragten COPD auf den 8. Platz.
ARS MEDICI 4 ■ 2012
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BERICHT
Tabelle 1:
Schweregrade der COPD
Schweregrad FEV1
FEV1/FVC Symptomatik
I (leichtgradig)
> 80%
< 70% II (mittelgradig) 50–80% < 70% III (schwer) 30–50% < 70% IV (sehr schwer) < 30% < 70% Leichte Atemwegsobstruktion, häufig begleitet von chronischem Husten und Auswurf. In diesem Stadium merkt der Patient möglicherweise noch gar nicht, dass seine Lungenfunktion eingeschränkt ist. Stärkere Atemwegsobstruktion, Atemnot bei körperlicher Anstrengung. Husten und Auswurf können jetzt häufiger auftreten. Zumeist suchen die Patienten in diesem Stadium den Arzt auf. Ausgeprägte Atemnot, eingeschränkte körperliche Belastbarkeit, Erschöpfung und wiederkehrende Exazerbationen – plötzliche, potenziell lebensbedrohliche Verstärkung des Schweregrads der Symptome, die die Lebensqualität des Patienten fast immer beeinträchtigen. Schwere Atemwegsobstruktionen und chronische respiratorische Insuffizienz. FEV1 = forciertes exspiratorisches Volumen in einer Sekunde (Einsekundenkapazität); FVC = forcierte Vitalkapazität Tabelle 2: Therapieleitlinien nach GOLD I II III IV Aktive Reduktion von Risikofaktoren: Raucherentwöhnung, Schutzimpfungen Zusätzlich Dauertherapie mit einem oder mehreren lang wirksamen Bronchodilatatoren, zusätzlich Rehabilitation Zusätzlich inhalative Glukokortikoide bei wiederkehrenden Exazerbationen Zusätzlich Langzeitsauerstofftherapie bei chronischer respiratorischer Insuffizienz; prüfen, ob chirurgische Behandlung angezeigt ist GOLD: Global initiative for chronic Obstructive Lung Disease Faktoren, unter anderem auch von Komorbiditäten, abhängt, müssen die therapeutischen Massnahmen individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. Ziele eines guten Therapiemanagements sind die Prävention und Kontrolle der Symptome, insbe- Nicht medikamentöse Massnahmen von Anfang an COPD-Patienten sollten mit dem Rauchen aufhören (Kasten 2) und zudem gegen Pneumokokken und Influenza geimpft werden. Bei Übergewicht ist eine Ernährungsumstellung angesagt. «Der Arzt wird in der Regel viel zu spät aufgesucht. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind oft bereits 50 Prozent des Lungenvolumens verloren.» sondere die Verbesserung der Atemnot und damit der körperlichen Belastbarkeit und die Verringerung von Komplikationen. Der Arzt muss dem gefährlichen Teufelskreiskauf aus Zunahme der Atemnot und Verringerung der körperlichen Belastbarkeit entgegenwirken. Hierdurch kann zumindest das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt werden. Jeder Patient sollte sich ausreichend bewegen, sich hierbei jedoch nicht überanstrengen. Expositionen gegenüber Staub und luftverschmutzenden Substanzen sollten möglichst vermieden werden. Der Arzt sollte bei Stadium-IVPatienten prüfen, ob chirurgische Behandlungsmassnahmen indiziert sind. Hierbei werden schwer erkrankte Lungenareale entfernt, sodass gesündere Bereiche sich ausdehnen können. Eventuell ist eine Lungentransplantation indiziert. Medikamentöse Therapie nach Schweregrad Die medikamentöse Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung (Tabelle 2). Kombinationstherapien verbessern oftmals das Outcome. So kann beispielsweise eine Kombination aus zwei verschiedenen Bronchodilatatoren im Vergleich zur Erhöhung der Dosis eines einzelnen Bronchodilatators die Wirksamkeit der Therapie verbessern und die Nebenwirkungsrate senken. Bronchodilatatoren stellen die Basis der COPD-Therapie dar (Tabelle 3). Anticholinergika (Muscarinrezeptor-Antagonisten), Beta-2-Agonisten und Methylxanthine können als Kombinations- 148 ARS MEDICI 4 ■ 2012 BERICHT Tabelle 3: Medikamentöse Therapie Lang wirksame Muscarinrezeptor-Antagonisten (LAMA) Derzeit zugelassen: Tiotropium (Spiriva®) ❖ Wirkdauer: 24 Stunden ❖ Wird 1-mal täglich als Erhaltungstherapie angewendet Kurz wirksame Muscarinrezeptor-Antagonisten (SAMA) Inhalative Substanzen, z.B. Ipratropiumbromid (Atrovent®) ❖ Wirkdauer 6-8 Stunden 24 Stunden wirksame Beta-2-Agonisten (LABA 24) Inhalative Substanzen, derzeit verfügbar: Indacaterol (Onbrez®) ❖ Wirkdauer: 24 Stunden ❖ Wird 1-mal täglich angewendet Lang wirksame Beta-2-Agonisten (LABA) Inhalative Substanzen, z.B. Salmeterol (Serevent®) und Formoterol (Foradil®) ❖ Zurzeit auf dem Markt erhältliche Medikamente haben eine Wirkdauer von ❖ 12 Stunden ❖ Zurzeit auf dem Markt erhältliche Medikamente werden 2-mal täglich als ❖ Erhaltungstherapie eingesetzt Kurz wirksame Beta-2-Agonisten (SABA) Inhalative Substanzen, z.B. Salbutamol (z.B. Ventolin®), Fenoterol (Berotec N®) oder Terbutalin (Bricanyl®) ❖ Wirkdauer 4–6 Stunden ❖ Werden bei Bedarf als Notfallmedikation angewendet Methylxanthine, Roflumilast ❖ Orale Medikamente, z.B. Theophyllin retard (Euphyllin® retard N, Unifyl® Continus®) ❖ oder Roflumilast (Daxas®) ❖ Vorzugsweise bei Exazerbationen oder bei Nichtansprechen auf die Standard❖ therapien therapie verabreicht werden. In neue- ren klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass anders als beim Asthma bronchiale inhalative Muscarinrezep- Kasten 2: Risiko Rauchen tor-Antagonisten besser bronchodila- Nur in Ausnahmefällen entwickelt sich eine COPD allein durch das dauerhafte tatorisch wirken als kurz wirksame Einatmen von Stäuben oder Gasen, durch virale Infekte oder aufgrund einer gene- Sympathomimetika. Dies steht in tischen Veranlagung. Zumeist ist Rauchen zumindest mitbeteiligt. Und das Übereinstimmung mit der zentralen Erkrankungsrisiko steigt, je länger und je mehr der Betreffende zum Glimmstengel Rolle von Acetylcholin bei der Patho- greift. Auch Nichtraucher werden nicht verschont, wenn sie häufig den Qualm ande- physiologie der COPD und hat zur Ent- rer einatmen müssen. In den Bronchien machen sich vor allem die zahlreichen wicklung von Tiotropiumbromid ge- Oxidanzien aus dem Tabakrauch an ihr zerstörerisches Werk. Sie lösen dort führt. Tiotropiumbromid (Spiriva®) Entzündungsreaktionen aus und aktivieren die Makrophagen, die ihrerseits das wirkt selektiv an M3-Rezeptoren der Lungengewebe zerstören. Auch der Selbstreinigungsmechanismus der Bronchien Lunge. Es muss nur 1-mal täglich inha- gerät aus dem Gleichgewicht: Der Rauch zerstört die Zilien und verstärkt die lativ appliziert werden. Die empfohlene Schleimproduktion. Tagesdosis beträgt 18 µg. Der orale Phosphodiesterase-(PDE4-) Hemmer Roflumilast (Daxas®, nicht im einem Bronchodilatator zugelassen. milast ist kein direkter Bronchodilata- CH-Kompendium) ist für die Dauer- Eine von Professor Peter Calverley, tor, sondern eine nichtsteroidale, anti- therapie bei erwachsenen Patienten mit Universität Liverpool, vorgestellte ge- inflammatorisch wirksame Substanz. Die orale Applikations- form stellt einen Vorteil «Es ist von grösster Bedeutung, Exazerbationen zu verhindern, gegenüber der Inhalati- onsanwendung dar, die denn ihnen kommt eine Schlüsselfunktion beim Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko zu.» speziell älteren Patien- ten oft Schwierigkeiten bereitet. Bis ein Thera- schwerer und sehr schwerer COPD poolte Analyse zweier plazebokontrol- pieeffekt nachweisbar ist, können je- (FEV1 < 50%/Soll) und chronischer lierter Studien ergab, dass Roflumilast doch einige Wochen vergehen. Bronchitis sowie häufigen Exazerbatio- signifikant die Rate moderater und Bei symptomatischen GOLD-III- und nen zusätzlich zu einer Behandlung mit schwerer Exazerbationen senkt. Roflu- GOLD-IV-Patienten mit wiederkehrenden 150 ARS MEDICI 4 ■ 2012 BERICHT Exazerbationen kann zusätzlich zur Bronchodilatation eine Dauertherapie mit inhalativen Kortikosteroiden (inhalative corticosteroids, ICS) sinnvoll sein. Zu beachten ist, dass Glukokortikoide bei COPD keine so starken Effekte zeigen wie bei Asthma. Zu den am häufigsten eingesetzten ICS gehören Beclomethason (BECeco Easyhaler®, Qvar® 50/100/Autohaler™), Budesonid (z.B. Pulmicort®, in Symbicort®, in Seretide®, Vannair™), Fluticason (Axotide®, in Seretide®) und Triamcinolon. Zu den oralen Kortikosteroiden zählen Prednison und Methylprednisolon. Bei massiver Verschleimung können Mukopharmaka wie Acetylcystein (z.B. Fluimucil®), Ambroxol (z.B. Bisolvon®), Myrtol (z.B. Sibrovita®) und Cineol zum Einsatz kommen. Bei niedrigem Sauerstoffspiegel ist eine Sauerstofftherapie indiziert. Exazerbationen unter Kontrolle halten «Es ist von grösster Bedeutung, Exa- zerbationen zu verhindern», erklärte Professor Dario Olivieri vom Univer- sitätsklinikum Parma, Italien. «Ihnen kommt eine Schlüsselfunktion beim Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko zu.» Obwohl Antibiotika nicht zur Basisbehandlung gehören, werden sie bei einem grossen Teil der Exazerbatio- nen eingesetzt. Die Indikation für den Einsatz von Antibiotika hängt jedoch von bestimmten Voraussetzungen ab. Hierzu zählen eine Zunahme von Spu- tummenge und Sputumpurulenz im Zusammenhang mit der Exazerbation als klinische Indikatoren für das Vor- handensein einer bakteriellen Infek- tion. ❖ Claudia Borchard-Tuch Quellen: 50. COPD-Management: Poster Discussion 25. September 2011. 394. COPD-Mechanisms: Poster Discussion 27. September 2011. Oral Presentation: C. Blunt, et al. Lung cancer and COPD multidisciplinary teams: Exploring comparisons of patient perception, 25. September 2011. Oral Presentation: C. Blunt, et al.: Lung cancer and COPD multidisciplinary teams: Exploring comparisons of patient perception, 25. September 2011. Oral Presentation: D. Olivieri: Reducing exacerbations in COPD with OM-85: A multicentre, double-blind, placebocontrolled trial, 25. September 2011. Poster Discussion: P. Calverley, et al.: Impact of romflumilast on the rate and duration of exacerbations and and overall steroid load in patients with COPD 25. September 2011. Expertengespräch mit Prof. Dr. Marius M. Hoeper, Medizinische Hochschule Hannover, und PD Dr. med. Kai Michael Beeh, insaf Institut Wiesbaden, am 26.09.2011. 152 ARS MEDICI 4 ■ 2012