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Arsenicum: Mord(s)ärzte
Untertitel
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Tausende Tote in deutschen Spitälern – durch Ärztepfusch! Zwar gibt es gar keine verlässlichen Statistiken, weder in Deutschland noch in der Schweiz, aber auch die Schweizer Stiftung für Patientensicherheit schätzt erschreckend unpräzis «700 bis 1600» Ärztefehlertote. Ausser Panik bei potenziellen Patienten, ihrem pfuschenden Arzt zum Opfer zu fallen, und Angst bei den Ärzten, zum Mörder zu werden, bringen solche Schlagzeilen nichts.
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Mord(s)ärzte

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

T ausende Tote in deutschen Spitälern – durch Ärztepfusch! Zwar gibt es gar keine verlässlichen Statistiken, weder in Deutschland noch in der Schweiz, aber auch die Schweizer Stiftung für Patientensicherheit schätzt erschreckend unpräzis «700 bis 1600» Ärztefehlertote. Ausser Panik bei potenziellen Patienten, ihrem pfuschenden Arzt zum Opfer zu fallen, und Angst bei den Ärzten, zum Mörder zu werden, bringen solche Schlagzeilen nichts. Richtig ist, dass in diesem Beruf Fehler weder akzeptiert noch verziehen werden. Einfühlbar. Sie haben gravierende Folgen: Menschen leiden, sterben. Oft wird die wirtschaftliche Existenz auch des fehlbaren Arztes durch einen Schuldspruch vernichtet, der Beruf meist aufgegeben. Und dann wundert sich die Gesellschaft, dass Mediziner Fehler negieren und vertuschen? Vermutlich sind es wirklich Tausende von Toten. Aber sind Fehler, ist ein Blutzoll in einem so gefährlichen Metier wie der Medizin ganz vermeidbar? Und ist es wirklich immer Pfusch, also Nachlässigkeit und schlechte Arbeit aufgrund von Faulheit, Gleichgültigkeit, Arroganz und Unwissen? Oder sind es tragische, entschuldbare Fehler? Können sie nicht auch trotz nachvollziehbaren, klugen Denkvorgängen, trotz bestem Willen, trotz grösster Anstrengung und unübertreffbarer Sorgfalt geschehen, mit bestem Wissen und Gewissen? Die Gründe der Fehler müssen aufgedeckt werden, damit alle daraus lernen und Patienten überleben. Das CIRS-System dient dazu. Es schafft Fehlerkultur. Diese beginnt damit, dass sich Götter in Weiss eingestehen, dass sie keine sind. Sondern unvermeidbar Fehler machen. Keine angenehme Erkenntnis. Besonders wenn der strenge Präsident der Stiftung für Patientensicherheit mit schulmeisterlich gestrecktem Zeigefinger auf sie zeigt. (Frage des Korrektors: Auf die Fehler oder auf die fehlbaren Mediziner?) Der emeritierte Herr Kollege brachte seinen Untergebenen zu Klinikzeiten zwar viel Fachliches bei. Doch vielen erodierte er das Selbstwertgefühl, verursachte ständige Angst bei ihnen. Dabei hätte er Ärzte ermutigen sollen. Damit sie sich selbst und das eigene Handeln realistischer sehen. Dies taten Vorbildärzte wie Prof. Martin Allgöwer, der einmal pro Jahr in seiner «Kunstfehler»-Vorlesung seine eigenen Fehler und die

Gründe dafür sezierte. Unrichtige Interpretationen der Fakten, Müdigkeit, Selbstüberschätzung, Wissenslücken, Zeitdruck, Kommunikationsfehler … er sprach alles an und aus. Auch die Chefärzte Laffer, Scheidegger, Podvinec, Woggon, Dirnhofer, Stahl, Adler und Mumenthaler u.v.a.m. haben gütig weitergebildet. Den Junioren geholfen und ihnen die Courage vorgelebt, zu den eigenen Fehlern zu stehen, sie den Patienten mitzuteilen, daraus zu lernen … und sie sich selbst zu verzeihen. Es sind nicht nur die Schwächen des einzelnen Arztes, sondern oft das System, welches vermeidbare Fehler produziert. Assistenzärzte werden heute noch schlimmer ausgebeutet als früher, noch weniger durch die Kaderärzte weitergebildet – weil auch diese selbst immer mehr unter Druck stehen. Es wird ihnen immer mehr Administratives und Ökonomisches aufgebürdet. Dies hinterfragen jetzt Zürcher Ärzte, verbünden sich gegen die ausufernde Bürokratie. Wer hat noch Zeit für ruhiges Nachdenken, Nachlesen? Wer spricht noch mit den Patienten, statt nur am Computer zu sitzen? Wer erhält die Ressourcen, um seinen Nachwuchs liebevoll auszubilden? Die diplomierten Pflegefachleute! Zahlenmässig die weit stärkste Gruppe im Spital, gewerkschaftlich straff organisiert, wichtige Wähler für Politiker. Sie stellen Forderungen – und bekommen sie erfüllt. Zwar oft kompetente, erfahrene Berufsleute, die nicht selten junge Ärzte vor Fehlern bewahren. Aber die Pflege macht auch Druck auf sie, dringt in den Bereich anderer Berufe ein, überschätzt nicht selten ihr Wissen und ihre Befugnisse. Die Schlagzeilen «Pflege-Pfusch» gab es noch nicht …Vermutlich weil es die Ärzte sind, die für Versäumnisse oder Behandlungsfehler – auch von Pflegenden – juristisch in die Verantwortung genommen werden. In der Hausarztpraxis ist man wenigstens wirklich selbst schuld. Als sein eigener Chef und Untergebener bestimmt man die Arbeitsmenge und -prozesse, fällt Personalentscheide und wählt aus, welche Patienten man wie behandelt. Welch eine Autonomie im Vergleich zum Spital! Zwar werden auch Hausärzte immer öfter von ihren Patienten verklagt. Doch die Dunkelziffer ihrer Fehler ist vermutlich hoch – denn die in Jahrzehnten gewachsene Beziehung bewirkt oft, dass Patienten ihrem Hausarzt viele Fehler verzeihen, die ihm selbst schlaflose Nächte bereiten …

ARS MEDICI 4 ■ 2012

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ARSENICUM