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Arsenicum: Ewig weiblich
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Schuld an meinem BMI von 28,5 kg/m² ist meine schlanke Ehefrau: Sie kocht so gut. Da muss Mann dick werden. Meinen Patienten geht es genauso: Nur wegen Frauen rauchen, saufen, fressen sie. Sind allein und depressiv, gehen ins Bordell und nicht zur Vorsorge (weil die Partnerin/Mutter/Schwester sie nicht anmeldet), machen Risikosportarten oder Suizid. Sie können gar nichts dafür, denn Testosteron macht das schwache männliche Geschlecht urteilsunfähig. Speziell im mittleren Mannesalter, welches keineswegs das beste ist.
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Ewig weiblich

S chuld an meinem BMI von 28,5 kg/m² ist meine schlanke Ehefrau: Sie kocht so gut. Da muss Mann dick werden. Meinen Patienten geht es genauso: Nur wegen Frauen rauchen, saufen, fressen sie. Sind allein und depressiv, gehen ins Bordell und nicht zur Vorsorge (weil die Partnerin/Mutter/Schwester sie nicht anmeldet), machen Risikosportarten oder Suizid. Sie können gar nichts dafür, denn Testosteron macht das schwache männliche Geschlecht urteilsunfähig. Speziell im mittleren Mannesalter, welches keineswegs das beste ist. Die Vorkommnisse der letzten Zeit beweisen wieder: Goethe irrte. Das ewig Weibliche zieht uns hinunter – keineswegs hinan. Wir werden seit Evas Zeiten verführt – mit üblen Folgen. Geniesst man als Adam herrliche Nacktheit mit einer blutten Urfrau im Paradies, ohne Lust auf Obstkonsum oder Kommunikation mit Reptilien, fliegt man plötzlich raus. Bittere Erkenntnisse, Scham, Dresscode und Ursünde folgen. Der Tragödie zweiten Teil durchlitten jetzt wieder Promis. Schuld am gesponserten Häusle-Bau des deutschen Noch-Bundespräsidenten Wulff war – laut Boulevardpresse – nur seine zweite Gemahlin, eine tätowierte blonde PR-Frau: Sie entriss ihn seiner Ersten, einer Juristin, drängte ihn in die Amigo-Szene Hannovers und lebte den femininen Immobilienhunger aus. Auch Ex-SNB-Chef Philipp Hildebrand kann überhaupt nichts dafür, dass – laut Medien – seine eheliche Kunsthändlerin Kashya, eine amerikanische Doppelbürgerin, Devisengeschäfte über sein Konto zwecks Steueroptimierung machte. Nicht nur in SVPKreisen wittert man (suspekter Vorname, dunkle Augen!) den korrumpierenden Einfluss der Ausländerin auf den braven Schweizermann. Wie auch bei den Borer-ExFieldings. Weibliche «starke Persönlichkeiten» reiten auf echten Gäulen durch Botschaften, eine amerikanische Ex-Miss will Kinder und Pelzmäntel zurück. Sie äussern sich öffentlich empört über üble Datendiebe. Über angeblich promiskuitive gewalttätige Ex-Ehemänner. Laut den Gatten liessen diese sie «gewähren».

Aus Stolz auf ihre «emanzipierten modernen Frauen». (Alice Schwarzer, hast du das gewollt?) Ist es nicht ein Skandal, dass Bankangestellte Daten klauen und veröffentlichen? Wo kämen wir denn hin, wenn wir immer wüssten, was die Schönen, Reichen und Mächtigen so treiben? Darf ein Rechtsstaat Steuerhinterzieher-CD kaufen, oder macht er sich damit zum Hehler, der des Mammons wegen kriminelle Datenschutzgauner unterstützt? Gut, dass es die Yellow Press gibt, dank der man jede Schlammschlacht miterleben darf. Und die die Schuldfrage klärt. «Bunte»-Bilder über eine ExBürgerliche, die dank zweiter Ehe mit einem Grafen dessen Adelstitel erwarb und im Pool mit dem zukünftigen Dritten, dem Präsidenten Deutscher Radfahrer und deutschen Verteidigungsminister, Pilates-Übungen macht, stürzten jenen. Poolpartys sind gefährlich – das musste Profumo nach Plantschereien mit der Prostituierten Keeler erfahren. Schuld ist aber immer nur die Frau. Das Zimmermädchen bei Strauss-Kahn. Monica bei Bill. Die katholische Kirche stoppt den schlechten Einfluss der Frauen mit dem Zölibat. Nicht einkalkuliert wurden Chorknaben, Messdiener und Haushälterinnen. Doch was sollen meine Patienten und ich tun, beherrscht von dem von Nietzsche verspotteten «EwigMännlichen»? Meidung von Midlife und Frauen? Ist die Commedia denn wirklich göttlich, wenn Mann von der Masslosigkeit beim Essen und Trinken und der Wollust gereinigt wird, wie es Dante Aligheri sang? Will Mann dann überhaupt ins Paradiso? Diese Entscheidung, sowie die Verantwortung für das Leibeswohl und Seelenheil, delegieren wir daher an die Frauen. «Das ist deine Frühjahr-Entschlackungs- und Reduktionsdiät!», sagte meine, als ich mittags entsetzt auf den Rohkostteller starrte. In unserer Stadt gibt es ein Bordell mit integriertem Fast-Food-Restaurant. Vielleicht treffe ich dort – neben meinen Patienten – ein paar Promis, die sich der Lifestyle-Optimierung ihrer Gattinnen entziehen und dort im Pool blonde, adlige, ausländische, finanzjonglierende Sünderinnen zwecks Zweitheirat inklusive Karrierestopps kennenlernen wollen?

ARSENICUM

56 ARS MEDICI 2 ■ 2012