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BERICHT
Wird kindliches Asthma ausreichend therapiert?
Guidelines werden in der klinischen Praxis kaum beachtet
Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS), Amsterdam, 24.–28.9.2011
Internationale und nationale Guidelines existieren für die Diagnostik und Therapie des Asthma bronchiale.
Thematic Poster Session: V. Hovland, et al.: Asthma through childhood; do children remit from their disease? Thematic Poster Session: M. Shaheen, et al.: Quality of life in asthmatic children «a comparative study of patients' and parents' perception». Poster Discussion: N. Boluyt, et al.: Transparency in evidence-based pediatric asthma guidelines: GRADE and the other considerations.
Asthma bronchiale ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter. Mithilfe moderner Diagnoseund Therapieverfahren sollte das erkrankte Kind ohne Einschränkung ein normales Leben führen können.
Zumeist spielen Allergene beim kindlichen Asthma eine wichtige Rolle: Bei 85 bis 95 Prozent der Kinder wirken sie
Gründliche Diagnostik gefordert Wichtig für die Diagnose sind eine ausführliche Anamnese und eine gründliche klinische Untersuchung. Art, Häufigkeit und Zeitpunkt der Symptome sind von Bedeutung. Asthma kann zu seelischen Beschwerden führen, und umgekehrt können psychische Nöte ein Asthma verstärken – ein Circulus vitiosus. Es sollte systematisch untersucht werden, ob eine allergische Erkrankung besteht (spezifisches IgE, Prick-Test). Eine spastische Bronchitis im Säuglingsund Kleinkindesalter lässt sich klinisch jedoch nur schwer von asthmatischen Reaktionen abgrenzen. Mithilfe der Gerätediagnostik wird im Wesentlichen die Lungenfunktion untersucht (Spirometrie, Ganzkörperplethysmografie). Nachgewiesen werden sollte eine reversible obstruktive Ventilationsstörung nach Inhalation von Beta-2-Sympathomimetika. Bei un-
«Nur ein Drittel der Kinder, die über einen Zeitraum von 2 Jahren unter einer rezidivierenden obstruktiven Bronchitis gelitten hatten, wurden innerhalb eines 16-jährigen Beobachtungszeitraums beschwerdefrei.»
mit als Auslöser. Aber nur 10 bis 20 Prozent der Kinder sind von einem rein allergischen Asthma (exogenallergisch, extrinsisch) betroffen. Ein rein intrinsisches, nicht allergisch bedingtes Asthma findet man hingegen nur bei 5 bis 20 Prozent. Am häufigsten sind Mischformen. Zu den nicht allergischen Auslösern zählen vor allem Infekte. So werden 80 Prozent aller Asthmaepisoden beim Kind viral ausgelöst.
auffälliger Ruhelungenfunktion kann die bronchiale Hyperreagibilität durch einen Provokationstest wie standardisierte Laufbelastung oder unspezifische inhalative Provokation, meist mit Histamin oder Metacholin, nachgewiesen werden. Jedoch erlaubt die Lungenfunktionsuntersuchung erst ab dem Vorschulalter verlässliche Aussagen. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist eine Lungenfunktionsuntersuchung zur Asthmadiagnostik nicht möglich. Da-
her wurden für diese Altersgruppen zusätzliche diagnostische Kriterien definiert. Diese beziehen die klinische Symptomatik (Giemen, Pfeifen, Brummen) mit ein, zudem auch atopische Störungen wie das endogene Ekzem. Ausserdem wird auf charakteristische Minorkriterien der Atopie wie zum Beispiel chronisches Handekzem, Ohrläppchenrhagaden, doppelte Lidfalte, Juckreiz beim Schwitzen, Sensibilisierungen auf Allergene sowie die familiäre Atopiebelastung geachtet. Anhand von klinischen Kriterien und der Lungenfunktion wird das Asthma in drei Schweregrade eingeteilt (Tabelle 1).
Stufentherapie mit klaren Zielen «Kindliches Asthma führt zu einer Verschlechterung der Lebensqualität sowohl bei den erkrankten Kindern als auch ihren Familien», fasste Professor Malak Shaheen vom der Ain-ShamsUniversitätsklinik in Kairo die Ergebnisse seiner Studie zusammen. Hauptziel der Asthmatherapie ist, dem Kind beziehungsweise Jugendlichen ein normales Leben ohne Einschränkungen zu ermöglichen und damit seine Lebensqualität zu verbessern. Dies bedeutet, dass der Status eines kontrollierten Asthmas erreicht und aufrechterhalten werden sollte. Hierzu wurden fünf verschiedene Therapiestufen festgelegt, welche wiederum verschiedene Therapieoptionen beinhalten (Tabelle 2). Die Therapiestufen sind nicht dem Asthmaschweregrad des Patienten zuzuordnen. Mit Ausnahme des noch unbehandelten Patienten, dessen Schweregrad bei der Entscheidung, auf welcher Therapiestufe eine Langzeittherapie begonnen werden sollte, eine Rolle spielt, erfolgt die weitere Therapieeinstellung – das heisst die Zuordnung zu einer Therapiestufe – immer entsprechend dem jeweils aktuellen Grad der Asthmakontrolle.
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BERICHT
Tabelle 1:
Klassifikation der Asthmaschweregrade
Kriterium
Kontrolliertes Asthma
Teilweise kontrolliertes Asthma
Unkontrolliertes Asthma
Symptome tagsüber
nein
Einschränkung von Aktivitäten im Alltag Einsatz einer Bedarfsmedikation/ Notfallbehandlung Lungenfunktion (PEF oder FEV1)
Exazerbation*
nein nein normal nein
ja drei oder mehr Kriterien des «teilweise kontrollierten Asthmas» innerhalb einer Woche erfüllt
ja
ja
< 80% des Sollwerts (FEV1) oder des persönlichen Bestwerts (PEF) eine oder mehrere pro Jahr eine pro Woche *Jegliche Exazerbation in einer Woche bedeutet definitionsgemäss ein «unkontrolliertes Asthma». Definition Exazerbation: Episode mit Zunahme von Atemnot, Husten, pfeifenden Atemgeräuschen und/oder Brustenge, die mit einem Abfall von PEF oder FEV1 einhergeht. Tabelle 2: Medikamentöse Stufentherapie Schweregrad Bedarfstherapie Dauertherapie Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 RABA (Formoterol wird zur Bedarfstherapie in Stufe 1 nicht empfohlen) Alternativ oder zusätzlich: Anticholinergikum (z.B. Ipratropiumbromid) RABA RABA RABA RABA Bevorzugt: ICS niedrig dosiert Alternative: LTRA (Montelukast) ICS mitteldosiert oder LTRA niedrig bis mittel dosiert plus LTRA (Montelukast oder LABA) ICS hoch dosiert oder ICS mittel- bis hoch dosiert plus LTRA (Montelukast) und LABA Zusätzlich zu Stufe 4: orale Kortikosteroide (niedrigste wirksame Dosis) in begründeten Fällen: bei IgE-vermittelter Pathogenese monoklonaler Anti-IgE-Antikörper (Omalizumab) in begründeten Fällen: Retard-Theophyllin LABA: lang wirksame Betaagonisten, ICS: inhalatives Kortikosteroid, LTRA: Leukotrienrezeptorantagonist, RABA: rasch wirkende Beta-2Sympathomimetika Die Behandlung beginnt auf der Stufe, die dem Schweregrad entspricht. Gelingt es nicht, die Erkrankung ausreichend zu kontrollieren, muss man auf die nächsthöhere Stufe gehen. Ansonsten kann ein Rückgang auf die nächsttiefere Stufe erfolgen. «Problematisch ist, dass Richtlinien in der klinischen Praxis oft nicht genutzt werden», betonte Dr. Nicole Boluyt vom Emma Children’s Hospital in Amsterdam. Unbedingt beachtet werden müssen jedoch die Vorgaben zu der in Stufe 3 einsetzenden Therapie mit lang wirksamen Betaagonisten (LABA). Die FDA verfügte im Februar 2010, dass Kinder und Jugendliche LABA nur noch im Rahmen eines Kombinations- präparats erhalten dürfen, um eine versehentliche Monotherapie mit einem LABA auszuschliessen. Eine Kombinationstherapie aus niedrig dosierten inhalativen Kortikosteroiden (inhaled corticosteroids, ICS) plus LABA kommt nur infrage, wenn diese vorübergehend eingesetzt wird (z.B. im Fall respiratorischer Infektionen) oder wenn eine 26 ARS MEDICI 1 ■ 2012 BERICHT Therapie mit ICS in mittlerer Dosierung zu unerwünschten Nebenwirkungen führt. Die Bedenken gegenüber der Therapie mit LABA beruhen auf den Ergebnissen der SMART- und der SNS-Studie sowie einer Metaanalyse, die die FDA im Jahr 2008 durchgeführt hatte. In der SMART-Studie hatten 26 355 Asthmapatienten 4 Wochen lang zusätzlich zur Standardtherapie den LABA Salmeterol oder Plazebo eingenommen. Im Salmeterolarm kam es zu einem Anstieg der asthmabedingten Todesfälle um den Faktor 4,37 (Inzidenz: 0,10 vs. 0,02). In der SNS-Studie waren 25 180 Asthmapatienten 16 Wochen lang zusätzlich zur Standardtherapie mit Sal- meterol oder Salbutamol, einem rasch wirkenden Beta-2-Sympathomimetikum (RABA), behandelt worden. Hier kam es im Salmeterolarm zu einem dreifachen Anstieg der asthmabedingten Todesfälle (Inzidenz: 0,07 vs. 0,02 Prozent). Die Metaanalyse der FDA zeigte, dass das Risiko bei Kindern im Alter von 4 bis 11 Jahren am grössten ist. Schwere Asthmakomplikationen (Tod, Intubation, Hospitalisierung) traten in dieser Altersgruppe 14,8-mal häufiger auf. Die Gründe für diese Ereignisse sind noch unbekannt. Die Ergebnisse der Therapie des kindlichen Asthmas sind zurzeit noch unbefriedigend. «Nur ein Drittel der Kinder, die über einen Zeitraum von 2 Jahren unter einer rezidivierenden obstrukti- ven Bronchitis gelitten hatten, wurden innerhalb eines 16-jährigen Beobach- tungszeitraums beschwerdefrei», fasste Professor Vegard Hovland vom Uni- versitätskrankenhaus Oslo die Ergeb- nisse seiner Studie zusammen. Teilge- nommen an der Studie hatten 550 Kin- der, von denen 143 an einer chronisch wiederkehrenden obstruktiven Bron- chitis litten. Von diesen entwickelten 34 Prozent innerhalb eines Zeitraums von 10 bis 16 Jahren ein chronisches Asthma. ❖ Claudia Borchard-Tuch ARS MEDICI 1 ■ 2012 27