Transkript
BERICHT
Osteoporose
Was ist gesichert in der Therapie?
Osteoporose 2011 Fortbildungsveranstaltung, München, 8. Oktober 2011
Die Osteoporose ist die häufigste Knochenerkrankung beim Menschen. Weltweit sind 200 Millionen betroffen. Allmählich wird Ärzten und Laien bewusst, dass es sich bei der Osteoporose um eine Volkskrankheit handelt. Sie zählt zu den zehn bedeutendsten Erkrankungen der Welt.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
«Noch immer wird die Tragweite der Osteoporose unterschätzt», erklärte Prof. Marius Kränzlin, Universität Basel. Zahlreiche Patienten werden nicht ausreichend versorgt. Dass die vielen Leitlinien nicht immer übereinstimmen, erschwert die Situation zusätzlich.
serisiko möglichst rasch gefunden werden sollten. Sekundäre Ursachen einer Osteoporose müssen vor der Behandlung ausgeschlossen werden. «Es gibt jedoch deutliche Unterschiede in Bezug auf die Interventionsschwelle», gab Kränzlin zu bedenken. «Die meisten dieser Unterschiede sind nicht evidenzbasiert, sondern beruhen auf Konsens.» Im Folgenden ging Kränzlin genauer auf die Unterschiede ein. Bereits 2009 verabschiedete der Dachverband Osteologie (DVO) die überarbeitete S3Leitlinie zur Osteoporose. Das Risiko, innerhalb von 10 Jahren eine Fraktur an Wirbelkörper oder Hüfte zu erleiden, ist von entscheidender Bedeutung. Hierbei spielen spezielle Risikofaktoren eine wichtige Rolle (Tabelle 2). Die Gesamtsumme der einzelnen Risiko-
faktoren ist für das Frakturrisiko ausschlaggebend. Liegt das Frakturrisiko über 20 Prozent, empfiehlt die DVOLeitlinie eine genaue Osteoporoseabklärung; bei einem Frakturrisiko von über 30 Prozent wird zu einer Therapie geraten. Die Schweizerische Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) und die Österreichische Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel (ÖGKM) empfehlen, zunächst das 10-Jahres-Frakturrisiko gemäss FRAX einzuschätzen. Das unter der Leitung der WHO entwickelte Kalkulationswerkzeug steht seit Frühjahr 2008 zur Verfügung (www.shef.ac.uk/FRAX/). Im Gegensatz zu den DVO-Leitlinien werden Schwellenwerte bei FRAX nicht vorgegeben. Sie sind vielmehr Ländersache. So hat sich unter Berücksichtigung
Tabelle 1:
Leitlinien im Vergleich
DVO
SVGO
ÖGKM
Leitlinien in der Schweiz, Deutschland und Österreich Kränzlin verglich schweizerische, deutsche und östereichische Leitlinien miteinander. Allen Leitlinien gemeinsam ist, dass sie präventiven Massnahmen eine hohe Bedeutung beimessen (Tabelle 1). Muskeltraining und gute Ernährung wirken rasch und auch in hohem Alter günstig auf die Knochen. Die Wirkungen sind jedoch auf die Dauer der Durchführung begrenzt. So kann man eine Osteoporose im Alter nicht dadurch verhindern, dass man in jüngeren Jahren sportlich war und sich gesund ernährte. Einigkeit besteht auch darin, dass Menschen mit einem erhöhten Osteoporo-
Präventive Massnahmen Risikofaktoren → Abklärung BMD Screening
Labor
ja ja F ≥ 70 Jahre M ≥80 Jahre ja
ja ja nein
ja
Intervention: Fraktur T-Score Absolutes Risiko
ja ja nein - 2,5 30% 10–40%
DVO: Dachverband Osteologie SVGO: Schweizerische Vereinigung gegen Osteoporose ÖGKM: österreichische Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel BMD: Bone Mineral Density (Knochendichte)
ja
ja - 2,5
18 ARS MEDICI 1 ■ 2012
BERICHT
Tabelle 2:
Personen mit Empfehlung zur Osteoporose-Abklärung
1. Frauen ab 70 und Männer ab 80 Jahren
2. Frauen und Männer, die sich im Rahmen einer alltäglichen Situation bereits einen oder mehrere Wirbelkörper gebrochen haben
3. Frauen ab 60 und Männer ab 70 Jahren mit folgenden Risiken: ❖ Untergewicht (Body-Mass-Index < 20) ❖ Nikotinkonsum (Rauchen, Schnupftabak) ❖ Bruch von Arm, Bein, Rippen oder Becken ❖ (Ober-)Schenkelhalsbruch von Vater und Mutter ❖ mehr als zwei Stürze im Jahr ohne äusseren Anlass ❖ Immobilität (eingeschränkte Gehfähigkeit < 100 m)
4. Frauen und Männer, die an bestimmten Krankheiten leiden oder längerfristig bestimmte Medikamente einnehmen: ❖ Erwachsene in jedem Lebensalter ❖ – die länger als 3 Monate hochdosiert kortisonartige Tabletten einnehmen ❖ – mit einer Überfunktion der Nebenniere ❖ – mit einer Überfunktion der Nebenschilddrüsen ❖ Frauen ab 50 und Männer ab 60 Jahren ❖ – die niedrig dosiert mit kortisonartigen Tabletten behandelt werden ❖ – mit STH-Mangel bei Hypophysenvorderlappeninsuffizienz ❖ Frauen ab 50 Jahren, die mit Glitazonen bei Diabetes mellitus Typ 2 behandelt werden ❖ Frauen ab 60 und Männer ab 70 Jahren ❖ – nach einer weitgehenden oder kompletten Entfernung des Magens ❖ – mit rheumatoider Arthritis ❖ – die an Epilepsie leiden ❖ – mit Diabetes mellitus Typ 1 ❖ – mit Hyperthyreose ❖ – die sturzbegünstigende Medikamente wie Hypnotika oder Antidepressiva ❖ – einnehmen ❖ – unter Behandlung mit Aromatasehemmern nach Brustkrebs ❖ – unter antihormoneller Behandlung nach Prostatakarzinom
Tabelle 3:
Indikation zur medikamentösen Intervention bei Patienten ohne Fraktur in der Schweiz gemäss SVGO (10-Jahres-Frakturrisiko)
Alter
50 Jahre 60 Jahre 70 Jahre 80 Jahre
FRAX (Schweiz)
≥ 10% ≥ 15% ≥ 30% ≥ 40%
ökonomischer Aspekte gezeigt, dass in der schweizerischen Bevölkerung die Einleitung einer Therapie bereits dann kosteneffektiv sein kann, wenn das 10Jahres-Frakturrisiko bei 10 Prozent
liegt (Tabelle 3). «Für Österreich liegen derzeit noch keine entsprechenden Zahlen vor», erklärte Kränzlin. Die ÖGKM empfiehlt eine Intervention bei einem T-Score von -2,5 (Tabelle 1).
Wie viel Vitamin D3 braucht der Mensch? «Vitamin D3 und Kalzium senken das Frakturrisiko deutlich», betonte PD Dr. Stephan Scharla, Bad Reichenhall. Dies sei einer breiten Öffentlichkeit noch immer nicht bewusst. Zu wenig wird bedacht, dass Vitamin D3 nicht nur die Kalziumaufnahme fördert, sondern auch die Muskelkoordination verbessert. Besonders bei älteren Menschen lassen sich so Stürze vermeiden. Ein schwerer Mangel an Vitamin D3 lässt sich durch einen Aufenthalt von täglich 20 Minuten im Freien vermeiden, ein mässiger Mangel jedoch nicht. Daher empfiehlt Scharla, allen Patienten, die an Osteoporose erkrankt sind, täglich 800 bis 2000 Einheiten Vitamin D3 zu geben. Auch die Zufuhr einer gleichwertigen Dosis in mehrwöchentlichen Zeitabständen ist möglich. Zudem kann eine gezielte Supplementierung nach Bestimmung der SerumCalcidiol (25-Hydroxy-Vitamin D)Konzentration erfolgen; diese sollte höher als 20 ng/ml (50 nmol/l) sein. Während die Bedeutung von Vitamin D3 für die Prophylaxe der Osteoporose in der Bevölkerung eher unterschätzt wird, wird die von Kalzium überschätzt. Bei einer ausreichenden Vitamin-D3-Zufuhr genügt schon eine tägliche Einnahme von 1000 mg Kalzium für eine ausreichende Mineralisation des Knochens. Sofern dieser Bedarf durch eine kalziumreiche Ernährung (Käse, Milch, Joghurt, Quark) und Mineralwasser gedeckt wird, ist die zusätzliche Einnahme von Kalzium in Form von Brause- oder Kautabletten überflüssig. Die tägliche Gesamtkalziumzufuhr sollte 1500 mg nicht überschreiten.
Ohne Medikamente geht es oftmals nicht «In der medikamentösen Therapie stehen sich zwei Strategien gegenüber», erklärte Prof. Franz Jakob, Julius-MaximiliansUniversität Würzburg. Antiresorptiv wirkende Bisphosphonate wie Alendronat, Etidronat, Ibandronat, Risedronat und Zoledronat sowie Östrogene und der selektive Östrogen-Rezeptor-Modulator Raloxifen und Calcitonin hemmen den Knochenabbau, indem sie die Osteoklastenaktivität bremsen. Die osteoanabole Therapie mit dem Parathormonfragment Teriparatid oder mit
20 ARS MEDICI 1 ■ 2012
BERICHT
Kasten:
Parathormon
Parathormon ist ein wichtiger Regulator des Knochenstoffwechsels. Es erhöht die Konzentration von Kalzium im Blut und senkt diejenige von Phosphat. So steigert Parathormon die Konzentration von Kalzium, indem Parathormon
❖ Kalzium aus dem Knochen freisetzt
❖ die Wiederaufnahme von Kalzium in der Niere steigert
❖ die Synthese von Calcitriol stimuliert, wodurch die Kalziumaufnahme im Darm ansteigt.
rekombinantem Parathormon vermehrt hingegen die Knochensubstanz und kann die zerstörte Trabekelstruktur wiederherstellen. Eine Besonderheit ist Strontiumranelat, das gleichzeitig osteoanabol und antiresorptiv wirkt. Auf die Bedeutung des Parathormons (Kasten) zur Behandlung der Osteoporose ging Jakob im Folgenden näher ein. Bei intermittierender Applikation geringer Dosen stimuliert Parathormon die Proliferation und Differenzierung von Osteoblasten. «Bei einer Osteoporosetherapie wird 20 µg Teriparatid einmal täglich subkutan in den Oberschenkel oder in den Unterleib injiziert», so Jakob. Es kommt zu einer Vermehrung der Knochensubstanz und einer Wiederherstellung der Mikrostrukturen, wobei das Verhältnis von Kollagen zu Mineral in den neu gebildeten Knochen normal ist. Parathormon ist zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern mit einem hohen Frakturrisiko indiziert. «Auch bei Glukokortikoid-assoziierter Osteoporose ist Parathormon sehr wirkungsvoll», betonte Jakob. Glukokortikoide können schwere Defekte der Knochenformation und des Remodelling verursachen. Es kommt zu einem Verlust von Knochenzellen und zu einem Untergang der Knochenmatrix sowie der anorganischen Knochensubstanz. Die anabole Therapie mit Parathormon kann diese Knochendefekte wiederherstellen und neuen Knochen aufbauen.
In der Regel dauert die Therapie mit Parathormon 18 bis 24 Monate. Eine Anschlusstherapie mit Bisphosphonaten wird empfohlen. «Ob eine parallele Anwendung sinnvoll ist, muss hingegen genauer untersucht werden», sagte Jakob. Verschiedene Studien zeigten, dass gleichzeitig gegebenes Alendronat die knochenaufbauende Wirkung von Parathormon beziehungsweise Teriparatid deutlich verringerte. Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass für die volle osteoanabole Wirkung des Parathormons ein ungestörtes Remodelling erforderlich ist. Auch eine Kombination mit Zoledronat empfiehlt Jakob zurzeit noch nicht, obwohl eine erste Studie positive Resultate zeigte. «Es müssen aber noch weitere Ergebnisse abgewartet werden», so Jakob.
Was bringt die Zukunft? «Der humanisierte monoklonale Antikörper Denosumab bindet selektiv an RANKL», erklärte Prof. Lorenz Hofbauer, Universitätsklinikum Dresden. Da Osteoklasten für ihre Funktion RANKL (Receptor Activator des NF-κBLiganden) benötigen, wirkt Denosumab einem überschiessenden Knochenabbau entgegen. Vor Kurzem wurde Denosumab in der Schweiz, der Europäischen Union und den USA zugelassen. Schon seit längerer Zeit ist bekannt, dass dem Enzym Kathepsin K (Cat-K) eine zentrale Rolle bei der Funktion der Osteoklasten zukommt. Auf dieser Grundlage wurde der selektive Cat-KInhibitor Odanacatib entwickelt. Nachdem verschiedene Studien seine Wirksamkeit in der Osteoporosetherapie gezeigt haben, wird Odanacatib zurzeit in einer Phase-III-Studie bei 16 000 postmenopausalen Frauen getestet. MK-5422 ist ein Antagonist des kalziumsensitiven Rezeptors (Calcium Sensing Receptor, CaSR). Bei Gabe von MK-5422 wird dem Körper eine Hypokalzämie vorgetäuscht. Infolgedessen kommt es zu einem kurzen Ausstoss von Parathormon. Von Vorteil ist, dass MK-5422 im Gegensatz zu Parathormon oral gegeben werden kann. Zurzeit wird MK-5422 in Phase-II-Studien bei postmenopausaler Osteoporose untersucht. Erste Ergebnisse werden Mitte 2012 erwartet.
Bei zwei seltenen Erkrankungen – dem
Morbus van Buchem und der Skleros-
tose –, die mit einer Hyperostose ein-
hergehen, konnten Mutationen in
Genen nachgewiesen werden, die für
Sklerostin codieren. Diese Entdeckun-
gen verdeutlichten die Bedeutung des
Sklerostins im Gleichgewicht des Kno-
chenstoffwechsels und führten zur Ent-
wicklung eines monoklonalen Skler-
ostin-Antikörpers. Seine Wirksamkeit
in der Therapie der postmenopausalen
Osteoporose und von Knochenfraktu-
ren wird zurzeit in Phase-II-Studien
getestet.
Ziel eines weiteren neuen Therapie-
ansatzes ist das Protein Dickkopf 1
(DKK 1). Es bindet sich an einen Re-
zeptor auf der Oberfläche von Osteo-
blasten und hemmt so die Knochenbil-
dung. Inzwischen wurde ein DKK-1-
Antikörper entwickelt, der zurzeit
klinisch getestet wird. «Die Ergebnisse
der präklinischen Studien waren unein-
heitlich», sagte Hofbauer.
Bei den meisten neuen Therapieverfah-
ren müssen weitere Studienergebnisse
abgewartet werden. Die Vielfalt der
Angriffspunkte und Wirkmechanismen
weckt aber die Hoffnung, dass sich die
Osteoporose in Zukunft besser in den
Griff bekommen lässt.
❖
Claudia Borchard-Tuch
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Dimai H.P.: Diagnostik der Osteoporose. Wien Med
Wochenschr 2009; 159/9–10: 241–246. 2. Lange U. et al.: Osteoporose. Leitliniengerechte Pro-
phylaxe, Diagnostik und Therapie. Internist 2011; 52: 843–854. 3. Rachner T. D. et al.: Osteoporosis: now and the future. Lancet 2011; 377:1276–1287.
22 ARS MEDICI 1 ■ 2012