Transkript
INTERVIEW
«Eine Osteodensitometrie sollte bei mutmasslich längerfristiger Steroidanwendung immer durchgeführt werden»
Ein Interview mit dem Rheumatologen Adrian Forster zum Management der Knochengefährdung bei der therapeutischen Anwendung von Glukokortikoiden
Gegenüber der «gewöhnlichen», also in erster Linie der postmenopausalen Osteoporose weist die durch Verabreichung von Glukokortikoiden hervorgerufene Osteoporose einige Besonderheiten auf.
ARS MEDICI: Mit Abstand die meisten Osteoporosen dürften durch die zwei Faktoren Alter und Hormonentzug entstehen. Wie häufig sind demgegenüber durch Glukokortikoide hervorgerufene, iatrogene Osteoporosen? Dr. med. Adrian Forster: Die durch Glukokortikoide induzierte Knochenerkrankung stellt die häufigste sekundäre Osteoporose dar und gehört wohl auch zu den häufigsten und schwerwiegendsten iatrogenen Erkrankungen überhaupt. Bei etwa einem Prozent der erwachsenen Bevölkerung werden ja Glukokortikoide eingesetzt.
ARS MEDICI: Welche Menschen sind unter einer Steroidtherapie besonders Osteoporose-gefährdet? Forster: Die wichtigsten Risikofaktoren für eine Glukokortikoid-induzierte Osteoporose sind fortgeschrittenes Alter, ein tiefer Body-Mass-Index (unter 24) sowie die Grunderkrankung selber, zum Beispiel rheumatoide Arthritis, Polymyalgia rheumatica, entzündliche Darmerkrankung oder Lungenerkrankung. Risiken für Osteoporose generell sind unter anderem prävalente Frakturen, Rauchen, starker Alkoholkonsum, hohes Sturzrisiko, Hüftfraktur bei Eltern, eine hohe aktuelle Glukokortikoid-Dosierung oder kumulative Dosis respektive lange Therapiedauer und eine tiefe Knochendichte.
ARS MEDICI: Wann wird es für die Knochengesundheit kritisch? Forster: Es gibt wohl keine eigentliche Schwelle; schon bei niedrigen Dosierungen wie Prednison 2,5 bis 7,5 mg nimmt das Frakturrisiko nach dem Therapiebeginn rasch zu.
ARS MEDICI: Können Knochenprobleme auch bei topischer Steroidtherapie vorkommen? Forster: Ja, sogar unter inhalierten Glukokortikoiden kommt es zu einer Erhöhung des Frakturrisikos.
ARS MEDICI: Wie kommt die abnehmende Knochenqualität unter chronischer Zufuhr von Glukokortikoiden pathophysiologisch zustande? Forster: Hauptursache sind eine zahlenmässige Abnahme der Osteoblasten und eine Zunahme der Osteozyten-Apoptose,
was unter anderem über eine Reduktion des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors VEGF, der skeletalen Angiogenese und der Flüssigkeit im Knocheninterstitium zu einer schlechteren Knochenqualität beziehungsweise einer verringerten Knochenstabilität führt – und dies bereits bevor die Demineralisierung beginnt! Auch die Osteoklasten nehmen etwas ab, ihre Lebenszeit wird im Therapieverlauf aber verlängert. Zu einer Demineralisierung kommt es, weil die Knochenneubildung stärker beeinträchtigt wird als die Knochenresorption. Die Demineralisation ist im ersten Behandlungsjahr mit einer Knochendichteabnahme um 6 bis 12 Prozent oft stark; danach erfolgt diese aber mit etwa 3 Prozent pro Jahr langsamer.
ARS MEDICI: Über welche Komplikationsmöglichkeiten müssen die Patienten zu Beginn einer Behandlung mit Glukokortikoiden aufgeklärt werden? Forster: Die Patienten sind nicht nur über das Risiko für eine Osteoporose und Knochenbrüche aufzuklären, sondern auch über das Risiko für Osteonekrosen, neuropsychische Störungen, Katarakte, ein Glaukom, Elektrolytstörungen (Hypokaliämie), eine Hyperglykämie, eine Hypertonie, eine Flüssigkeitsretention, eine Gewichtszunahme, eine Hautatrophie, Wundheilungsstörungen, eine Myopathie, eine Nebennierenrindeninsuffizienz und eine verminderte Infektabwehr.
ARS MEDICI: Gibt es Messparameter, die eine Osteoporosegefährdung durch therapeutisch eingesetzte Steroide früh erfassen helfen? Forster: Am wichtigsten ist die Osteodensitometrie. Eine solche sollte bei mutmasslich längerfristiger Steroidanwendung immer durchgeführt werden. Bei älteren Patienten lohnen sich zudem eine Messung der Körperlänge, um eine Abnahme festzustellen, und allenfalls seitliche Röntgenaufnahmen der BWS und LWS. Zudem müssen anamnestisch die eben schon besprochenen Risikofaktoren erfasst werden. In Zusammenschau all dieser Parameter beziehungsweise Risikofaktoren kann das Frakturrisiko abgeschätzt werden. Vor Therapiebeginn mit Glukokortikoiden können die vor allem für die postmenopausale Osteoporose entwickelten Tools zur Schätzung des 10-Jahres-Frakturrisikos wie etwa das FRAX®-Tool nützlich sein. Während des Verlaufs der Glukokortikoid-Therapie sind solche Tools hingegen ungeeignet, weil sie die Dosierung und Anwendungsdauer der Glukokortikoide kaum oder gar nicht berücksichtigen.
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INTERVIEW
Zur Person
Dr. med. Adrian Forster ist Facharzt FMH für Rheumatologie, physikalische Medizin und Rehabilitation sowie für Innere Medizin. Er ist Chefarzt der Klinik St. Katharinental in Diessenhofen und steht ARS MEDICI als wissenschaftlicher Beirat zur Seite.
tid gilt es die Limitatio – «ungenügende Wirksamkeit oder schlechte Verträglichkeit einer Bisphosphonat-Therapie» – zu beachten. Teriparatid ist bei der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose besonders attraktiv, weil es anabol wirkt beziehungsweise am pathogenetischen Hauptproblem, nämlich der verminderten Osteoblastenbildung und der gesteigerten Osteozytenapoptose, ansetzt. Für die Entscheidungsfindung in der Prophylaxe und Therapie der Steroid-Osteoporose sind die Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (www.rheuma-net.ch/Richtlinien) sehr nützlich.
Die Entscheidungsfindung für die Prophylaxe und Therapie der Steroid-Osteoporose sollte aber nicht auf FRAX® oder anderen Tools, sondern auf den spezifischen Guidelines für die Glukokortikoid-induzierte Osteoporose basieren!
ARS MEDICI: Welche Parameter sollten vor oder bei Beginn einer absehbar länger dauernden Steroidtherapie bestimmt werden? Forster: Es empfehlen sich die vorher besprochenen Messungen. Zudem können labormässig nach Massgabe der klinischen Situation folgende Bestimmungen sinnvoll sein: 25-Hydroxy-Vitamin D, Kreatinin, Kalzium (zusammen mit Albumin), Glukose, Kalium und Lipidstatus.
ARS MEDICI: Unterscheiden sich postmenopausale und Kortikosteroid-induzierte Osteoporose im klinischen Bild? Forster: Bei der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose ist der spongiotische Knochen noch stärker betroffen; Wirbelkörperfrakturen sind dadurch besonders häufig. Klinisch ist die Progredienz schneller, das heisst, die Frakturen folgen rascher aufeinander. Osteonekrosen sind eine exquisite Komplikation der Glukokortikoid-Therapie; sie werden aber nicht zu den Osteoporosemanifestationen gezählt.
ARS MEDICI: Welche Symptome im Bereich der Knochen und Gelenke rufen bei Patienten unter Kortikosteroiden nach einer Bildgebung? Forster: Bei neu aufgetretenen Rückenschmerzen muss radiologisch immer nach Frakturen gefahndet werden. Kommt es zu länger anhaltenden starken Schmerzen einer Gelenkregion (z.B. Hüfte) und stellt sich diese konventionell-radiologisch unauffällig dar, muss mittels MRI nach einer Osteonekrose gesucht werden.
ARS MEDICI: Welche therapeutischen Möglichkeiten zur Verhütung von steroidinduzierten Frakturen stehen zur Verfügung? Forster: Eine adäquate Kalziumzufuhr und Vitamin-D-Supplemente sind obligatorisch. Nach Massgabe des Demineralisations- und Frakturrisikos kommen zudem entweder Bisphosphonate oder Teriparatid in Frage. Da nicht alle Bisphosphonate zur Prophylaxe beziehungsweise Therapie der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose zugelassen sind, muss die Indikation gemäss Spezialitätenliste vor Behandlungsbeginn immer geprüft werden. Auch für Teripara-
ARS MEDICI: Bestehen Unterschiede zur Therapie bei postmenopausaler Osteoporose, zum Beispiel in den Empfehlungen der SGVO oder DVO? Forster: Ja, es werden sehr unterschiedliche Therapieschwellen empfohlen: Beim Dachverband Osteologie (DVO) richtet sich die Schwelle nach dem geschätzten Frakturrisiko, wohingegen bei der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) die Therapieschwelle für dieses Risiko vom Alter abhängig gemacht wird neben der Empfehlung, ab einem T-Score von -2,5 unabhängig von den übrigen Risikofaktoren eine Behandlung zu beginnen. Persönlich kann ich beide SVGO-Empfehlungen nur schlecht nachvollziehen; insbesondere führt letztere, nur den T-Score berücksichtigende Empfehlung zu einer starken Ausweitung der Behandlungsindikation, welche mir aus sozioökonomischer Sicht inakzeptabel erscheint. Die differenziertesten Empfehlungen macht TOP, das internetgestützte Tool der OsteoporosePlattform der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (http://web.osteo-rheuma.ch).
ARS MEDICI: Ein Handicap der oralen Bisphosphonattherapie ist die schlechte Adhärenz. Bieten hier parenteral verabreichbare Wirkstoffe Vorteile? Forster: Ja, die parenteral verabreichbaren Substanzen Ibandronat und Zoledronat umgehen dieses Problem; zudem sind sie auch nicht mit dem Problem einer ungenügenden intestinalen Resorption verbunden. Allerdings sind die Kosten höher, und besonders bei Zoledronat kommt es gelegentlich zu Nebenwirkungen der Infusion.
ARS MEDICI: Gibt es Empfehlungen zur Dauer der Bisphosphonattherapie bei kortikosteroidinduzierter Osteoporose? Forster: Nein, wahrscheinlich sollte eine Bisphosphonattherapie aber weniger lang dauern als bei der postmenopausalen Osteoporose beziehungsweise ist die Indikation für einen Wechsel auf Teriparatid früher zu stellen.
ARS MEDICI: Wann kommt Teriparatid als Alternative zur Bisphosphonattherapie zum Einsatz? Forster: Bei der etablierten Glukokortikoid-induzierten Osteoporose darf Teriparatid gemäss der Spezialitätenliste (Limitatio!) bei ungenügender Wirksamkeit oder schlechter Verträglichkeit einer Therapie mit einem Bisphosphonat über eine maximale Behandlungsdauer von 24 Monaten eingesetzt werden. Aus den vorher diskutierten Gründen (anabole Wirkung) wechsle ich schneller von einem Bisphosphanat auf Teriparatid als bei der postmenopausalen Osteoporose.
ARS MEDICI: Wir danken für das Gespräch.
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