Transkript
Medien, Moden, Medizin
Rosenbergstrasse 115
Ignazio Cassis wird nicht mehr für den FMH-Vorstand kandidieren. Er zieht die Konsequenzen aus dem ManagedCare-Debakel, das die FMH-Führung angezettelt und zu verantworten hat. Immerhin: Cassis ist, soweit bekannt, der einzige, der sich nicht verbiegt und die Konsequenzen zieht aus dem Urabstimmungs-Nein zur Managed-CareVorlage. Chapeau! Andere Kollegen mit interessanten Pöstli in Führungsgremien – in Bern nicht anders als in Zürich – haben einen eleganten Schwenker gemacht und setzen sich jetzt voller Elan, wenn auch gegen die eigene Überzeugung, für das Referendum ein.
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Cassis ist selbstredend nicht gemeint, wenn ein «Ewig-Gestriger» in seinem Leserbrief (den wir nicht veröffentlichen – wir wollen uns schliesslich nicht noch unbeliebter machen, als wir es schon sind) moniert, die Führung der Hausärzte habe «nicht professionell auf das Urabstimmungsresultat reagiert», sondern «klammere sich mit eisigem Griff an ihre fortgesetzten Fehlentscheide».
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Falls Sie Cassis-Fan sind: Der Kollege hat eine eigene, höchst professionelle, wenn auch etwas lange nicht aktualisierte App, gratis herunter zu laden vom App-Store.
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Wir haben es schon mal angemerkt und man muss es zugeben: Die Führung unserer Standesorganisationen hat es nicht einfach. Macht sie – wie die FMH (ausser Cassis) – was die Basis will, müssen sie sich als Wendehälse und Sesselkleber beschimpfen lassen, die gescheiter demissionieren würden. Bleiben sie hingegen bei ihrer Linie und verweigern – wie bei den Hausärzten Schweiz – dem Referendum die Unterstützung und portieren stattdessen – gegen die Basis – die Managed-Care-Vorlage, wirft man ihnen vor, stur zu sein und nicht lern-
willig (oder man rät ihnen gar – in besagtem Leserbrief – sich «in ManagedCare-Ärzt/innen Schweiz umtaufen zu lassen»). Aber so ist sie halt, die Politik, erstens: man kann es nie allen recht machen, zweitens: Dank für seinen Einsatz darf man schon gar nicht erwarten, und drittens und am ärgerlichsten: egal, wie überzeugt man selber ist, Recht zu haben, am Ende entscheidet die Mehrheit (Leserbrief: «das dumbe Volk»).
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Man kann ja über die Post schimpfen wie man will, eines muss man ihr lassen: Sie ist pingelig genau bei ihren Dienstleistungen. Einziger Wermutstropfen: Sie erwartet das auch von ihren Kunden. Das hat zur Folge, dass Private, aber auch Verlage Hunderte(!) von Retouren gewärtigen müssen, bloss weil ein unachtsamer Mitarbeiter statt «Zentralstrasse 115» beispielsweise «Zentralsstrasse 115» oder «Zentralstrasse 114» oder «Zantralstrasse 115» getippt hat. Der Brief kommt garantiert retour mit dem Vermerk «Empfänger konnte nicht ermittelt werden». Man erinnert sich wehmütig an die Zeiten, als die Post stolz darauf war, einen an «Dr. Immer-Kummer, Zürich» gerichteten Brief mit wenigen Tagen Verspätung korrekt zustellen zu können.
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Schuld an den Tücken der professionalisierten Postzustellung sind übrigens nicht die Pöstler selber (denen dürfen Sie zu Weihnachten ruhig weiterhin ein kleines Präsent zukommen lassen, wie das früher üblich war – obschon, vielleicht ist das ja inzwischen auch schon verboten), schuld ist vielmehr die alles vereinfachende – aber zu nichts mehr nütze – Automatisierung. Schöne neue Welt. Die Jüngeren unter Ihnen kennen es bald gar nicht mehr anders; vermissen werden die gute alte Post nur die Älteren. Aber die (die Älteren wie die gute alte Post) gibt es ja bald nicht mehr.
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Es ist kein ganz neues Phänomen (auch Rudelmobbing genannt), dass auf einmal alle Journalisten in allen Zeitungen dieselben Personen mobben und die gleichen Institutionen «bashen», aber es trägt seit einiger Zeit auffällig politische Züge. In unseren Landen traf es die SVP und ihren Herrn Blocher, in Deutschland ganz bös Herrn Westerwelle und die deutsche FDP. Egal, was die Partei macht – man mokiert sich. Will sie Steuern senken, ist nun wirklich nicht die Zeit dafür. Will sie keine Steuern senken, hat sie ihre Ziele verraten. Ist die FDP für die Unterstützung Griechenlands, ist sie Mitläufer der CDU, will sie Griechenland Konkurs gehen lassen, handelt sie verantwortungslos. Will sie den Atomausstieg, ist das alles Wahlkampfgesäusel, will sie weiterhin Atomkraftwerke betreiben, hat sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ist Herr Rösler konziliant, hat er kein Profil, gibt er sich energisch, will er sich nur profilieren. Äussert sich die FDP euroskeptisch, dann ist sie es nicht, sondern «sie macht auf Euroskepsis». Aber so ist sie halt, die Politik: erstens … (siehe oben).
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Die Bundesanwaltschaft floppt wie keine andere Behörde. Ob Rütli-Bomber (nach einem Jahr in Untersuchungshaft wird der Verdächtige unschuldig entlassen), Hell’s Angels (das Resultat von acht Jahren Ermittlung: eine chaotische Anhäufung von Tondokumenten) oder der Fall Holenweger: Wäre die Bundesanwaltschaft ein Privatbetrieb, man hätte ihn längst geschlossen. Aber vielleicht dient sie ja dereinst als Vorlage für eine charmante Komödie à la Louis de Funès; dann hätte sie doch noch etwas Positives bewirkt.
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Und das meint Walti: Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 23 ■ 2011 973