Transkript
Gicht
Neue Therapieansätze
Fortbildung
Bei der Therapie der Gicht (Arthritis urica) unterscheidet man zwischen der Therapie des akuten Gichtanfalls und der harnsäuresenkenden Dauertherapie mit dem Ziel, akute Gichtanfälle sowie Folgeschäden wie Nierensteine, Nierenparenchymschäden und Tophi zu vermeiden. Für beide Indikationen gibt es neue Optionen, die hier vorgestellt und mit der Standardtherapie verglichen werden sollen.
BERNHARD MANGER
Doch dies änderte sich bereits einen Monat später, als eine randomisierte doppelblinde Studie publiziert wurde, die eine Therapie mit 35 mg/Tag Prednisolon mit 2 × 500 mg/Tag Naproxen (z.B. Proxen®) für jeweils fünf Tage verglich. Während und nach dieser Zeit unterschieden sich die Teilnehmer beider Studienarme – jeweils 59 Patienten – nicht signifikant, was die Verbesserung von Schmerz, allgemeiner Einschränkung und Gehbehinderung anging. Die Autoren folgern, dass eine systemische Steroidtherapie beim Gichtanfall eine wertvolle Alternative zu nichtsteroidalen Antirheumatika, insbesondere für Patienten mit Niereninsuffizienz oder erhöhtem gastrointestinalen Risiko, darstellt.
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind die am meisten eingesetzte Wirkstoffgruppe bei akuter Gicht. Von den Coxiben zeigt insbesondere Etoricoxib (Arcoxia®) in kontrollierten Studien eine gute Wirksamkeit. Aufgrund der Komorbiditäten und des kardiovaskulären Risikoprofils von Gichtpatienten ist der Einsatz von NSAR bei akuter Gicht jedoch nicht unproblematisch. Aus diesem Grund sind sowohl Colchicin als auch Kortikosteroide eine wichtige Alternative.
Glukokortikoide beim Gichtanfall Sowohl in den Empfehlungen der EULAR als auch in den britischen Richtlinien ist insbesondere der Hinweis bemerkenswert, dass nicht nur die bei uns teilweise noch verwendete hohe Dosis von 1 mg alle zwei Stunden, sondern auch schon 3 x 0,5 mg/Tag therapeutisch effektiv ist. Zudem kann mit dieser Dosierung die Rate von gastrointestinalen Unverträglichkeiten, insbesondere von starken Diarrhöen, drastisch reduziert werden. Im April 2008 erschien ein Cochrane Review über die Rolle der systemischen Glukokortikoidtherapie bei der akuten Gicht. Dieser gelangte zu dem Resultat, dass die Qualität der bis dahin vorliegenden Studien keine ausreichende Evidenzbasis für eine schlüssige Bewertung liefert.
Merksatz
❖ Die systemische Glukokortikoidtherapie beim Gichtanfall stellt eine wertvolle Alternative zu NSAR dar.
Biologika beim Gichtanfall In einer offenen Pilotstudie wurden zehn Patienten mit akuter Gicht mit dem Interleukin-(IL-)1-Inhibitor Anakinra für drei Tage mit einer Dosis von 100 mg/Tag behandelt. Es zeigte sich eine gute Verträglichkeit und bei allen Patienten kam es zum raschen Rückgang der Arthritis innerhalb von 24 bis 48 Stunden. Auch der IL-1-Antikörper Canakinumab (z.B. Idaris®) war in einer aktuellen kontrollierten Studie zur Behandlung des Gichtanfalls und zur Prophylaxe weiterer Anfälle gut wirksam. Aufgrund des hohen Preises von Biologika ist die IL-1-Blockierung beim Gichtanfall derzeit wohl hauptsächlich aus pathogenetischer Sicht von Interesse. Bei Einzelfällen kann es sich jedoch möglicherweise um eine interessante therapeutische Alternative handeln.
Harnsäuresenkende Therapie Der Goldstandard der harnsäuresenkenden Therapie ist der purinanaloge Xanthinoxidasehemmer Allopurinol (Zyloric® oder Generika). Zwei Probleme treten bei der Allopurinolbehandlung in der Praxis jedoch nicht selten auf: 1. Die Dosierung von Allopurinol muss bei einer Nieren-
funktionseinschränkung reduziert werden. Eine ausreichende Harnsäuresenkung (< 6 mg/dl) wird dann jedoch oft nicht erreicht. 2. Insgesamt nicht selten sind durch Allopurinol verursachte Hypersensitivitätsreaktionen der Haut (etwa 2%). Allopurinol ist die häufigste Ursache für die toxische epidermale Nekrolyse in Europa.
Allopurinol versus Febuxostat Die erste Neuzulassung in der medikamentösen Therapie der Gicht in den letzten 30 Jahren ist Febuxostat (in der Schweiz bisher nicht zugelassen), ein potenter neuer selektiver Inhibitor der Xanthinoxidase, der selbst keine Purinstruktur
ARS MEDICI 23 ■ 2011 989
Fortbildung
Kasten:
Febuxostat ist keine First-Line-Therapie, sondern sollte in folgenden Situationen in Betracht gezogen werden:
❖ Intoleranz von Allopurinol (Kreuzallergien sind nicht beschrieben und nicht zu erwarten) und Unwirksamkeit oder Kontraindikationen von Urikosurika.
❖ Nichterreichen des Therapieziels (6 mg/dl Serumharnsäure) mit der maximal individuell tolerierbaren Dosis von Allopurinol.
❖ Kontraindikationen: Febuxostatunverträglichkeit, mässige und schwere Leberfunktionsstörungen, schwere Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min), Schwangerschaft, Azathioprintherapie
❖ Vorsicht wird bei koronarer Herzerkrankung und Herzinsuffizienz empfohlen.
❖ Monitoring: Blutbild, Kreatinin (ggf. Clearance), Harnsäure, Transaminasen initial, nach 2 bis 4 Wochen, dann alle 8 Wochen, TSH initial und alle 6 Monate.
❖ Falls das Therapieziel mit 80 mg/Tag Febuxostat und auch mit einer Steigerung auf 120 mg/Tag nicht erreicht wird, kann eine Kombination mit einem Urikosurikum eingesetzt werden.
❖ Sollte das Therapieziel auch mit 120 mg/Tag Febuxostat gegebenenfalls in Kombination mit Urikosurika nicht erreicht werden, sollte die Therapie beendet werden.
aufweist. Dieser einmal täglich oral einzunehmende Wirkstoff wurde in den letzten Jahren in Phase-II- und -III-Studien getestet. Ende 2005 wurden die Ergebnisse einer grossen Phase-III-Studie (FACT-Studie) publiziert, die bei 760 Patienten die Wirksamkeit von 80 beziehungsweise 120 mg Febuxostat mit 300 mg Allopurinol verglich. Während die harnsäuresenkende Wirkung mit beiden Febuxostatdosierungen signifikant stärker war als unter Allopurinol, war die Reduktion von Tophusgrösse und die Häufigkeit von Gichtanfällen in beiden Armen vergleichbar. Sowohl unter Febuxostat wie unter Allopurinol wurden Leberwerterhöhungen bei etwa 4 bis 5 Prozent der Patienten beobachtet. Nachdem in den genannten Zulassungsstudien eine (allerdings nicht signifikante) Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse unter Febuxostat beobachtet worden war, wurden jetzt die Daten von 2269 Patienten der bisher grössten Studie
(CONFIRMS-Trial) mit Febuxostat versus Allopurinol publiziert. Von diesen Patienten hatten 48 Prozent eine milde, 18 Prozent eine mässige Einschränkung der Nierenfunktion, 64 Prozent eine Adipositas, 53 Prozent eine arterielle Hypertonie, 42 Prozent eine Hyperlipidämie und 14 Prozent einen Diabetes mellitus. Unter 80 mg Febuxostat erreichten 67 Prozent der Patienten eine Serumharnsäurekonzentration von < 6 mg/dl im Vergleich zu 42 Prozent unter 300 mg Allopurinol. Bezüglich der unerwünschten Wirkungen gab es keine signifikanten Unterschiede (Leberwerterhöhungen jeweils 7%). Insbesondere kardiovaskuläre Ereignisse traten unter der Febuxostattherapie nicht häufiger auf, sodass in dieser Hinsicht hier wohl Entwarnung gegeben werden kann.
Indikationen für Febuxostat Da die Tagestherapiekosten für Febuxostat etwa zehnmal so hoch sind wie die für Allopurinol, hat ein internationales Expertengremium ein Positionspapier mit Empfehlungen zum Einsatz von Febuxostat formuliert. Diese sind im Kasten zusammengefasst. Zu wenig bekannt ist immer noch die Tatsache, dass gerade in den ersten sechs Monaten nach Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie paradoxerweise die Häufigkeit von Gichtanfällen zunimmt. Dies erklärt sich durch die Mobilisierung von Gewebeablagerungen von Natriumurat (Abbildung). Aus diesem Grund sollte jeder Patient, bei dem eine Behandlung mit einem Xanthinoxidasehemmer (Allopurinol oder Febuxostat) begonnen wird, für diesen Zeitraum gleichzeitig eine Anfallsprophylaxe mit 2 × 0,5 mg Colchicin pro Tag oder mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum erhalten.
Vitamin C
Ein weiterer für die Allgemeinpraxis interessanter Ansatz zur
Harnsäuresenkung ist die Vitamin-C-Supplementation. In einer
randomisierten, kontrollierten Studie hatten 500 mg/Tag
Vitamin C einen milden, jedoch signifikant nachweisbaren
harnsäuresenkenden Effekt. Im Gesamtkollektiv war nach
zwei Monaten die Serumharnsäure im Mittel um 0,5 mg/dl
niedriger als zu Beginn. Eine Vitamin-C-Supplementation
wäre eine einfache und billige prophylaktische Methode, um
bei asymptomatischen, hyperurikämischen Patienten die
Erstmanifestation einer Gicht zu verhindern. Jedoch ist es
vorstellbar, dass Vitamin C in Kombination mit Xanthin-
oxidasehemmern oder Urikosurika den harnsäuresenkenden
Effekt verbessert. Um dies zu belegen sind sicher noch weitere
Erfahrungen erforderlich.
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Prof. Dr. med. Bernhard Manger Medizinische Klinik III Universitätsklinik Erlangen D-91054 Erlangen
Abbildung: Darstellung von ausgeprägten Natriumuratablagerungen (grün) am Grosszehengrundgelenk und Interphalangealgelenk 1 mittels Dual-Energy-Computertomografie
Interessenkonflikte: Der Autor hat in der Vergangenheit Honorare für Beratungstätigkeit und Fortbildungsvorträge von den Firmen Berlin Chemie und Novartis erhalten. Literatur beim Verfasser.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 6/2011. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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