Transkript
Behandlung von Arthrosen
Visco-Supplementation und Chondroprotektion im Fokus
Bericht
Latente oder symptomatische Arthrose? Aktivierte Arthrose mit Entzündung und Erguss? Oder Schmerzen bei Periarthropathie? Die Ergebnisse der klinischen Untersuchung leiten die Arthrosetherapie. Welchen Platz haben dabei Hyaluronsäure und Chondroprotektiva? Wertvolle Tipps vom Rheumatologie-Experten Dr. Pius Brühlmann, Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin, Universitätsspital Zürich, erhielten die Teilnehmer an einem Workshop im Rahmen des Symposiums Rheuma Top 2011, organisiert vom Universitätsspital Zürich und vom Inselspital Bern mit Unterstützung von Mepha Pharma AG.
ALFRED LIENHARD
Für die Therapie ist wichtig, ob es sich um eine symptomatische Arthrose ohne Erguss und Periarthropathie oder um eine aktivierte Arthrose mit Entzündung und Erguss oder um eine periarthropathische Arthrose handelt. Es kann auch ein Mischbild von aktivierter und periarthropathischer Arthrose vorliegen. Woher der Schmerz bei einer symptomatischen Kniearthrose stammt, muss im Einzelfall durch sorgfältige klinische Untersuchung eruiert werden. Quadrizeps-Krafttraining erreicht in klinischen Studien bei Kniearthrose eine höhere Effektgrösse als nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Mit topischen NSAR resultiert bei periarthropathischer Arthrose eine höhere Effektgrösse als bei aktivierter Arthrose. Patienten bevorzugen in der
Regel topische NSAR in Pflasterform gegenüber NSAR in Gelform, weil die feuchte Kammer unter dem Pflaster zusammen mit der permanenten Resorption zu höheren Wirkstoffkonzentrationen im Gewebe, bis in die Synovialmembran, führt. Dr. Brühlmann machte darauf aufmerksam, dass bei Liparthrosis sicca (adipöse Patienten mit Arthrose, Lipomatose und Varikose) bei der physikalischen Therapie nur Kälteanwendungen in Betracht kommen, da diese Patienten Wärme nicht ertragen.
Visco-Supplementation mit Hyaluronsäure Der Periarthropathieschmerz am Arthroseknie kann sofort durch lokale Infiltration (Steroid in kristalliner Form plus Lidocain) beseitigt werden. Bei symptomatischer, nicht aktivierter Arthrose ohne Periarthropathie kann ein intraartikulärer Knieschmerz durch intraartikuläre Injektion von Lidocain und Hyaluronsäure zum Verschwinden gebracht werden. Möglicherweise ist der Patient danach über Wochen bis Monate beschwerdefrei. Hyaluronsäure kann ins Kniegelenk (2 ml), ins Hüftgelenk (2 ml) oder bei Rhizarthrose ins Daumensattelgelenk (0,5– 1 ml) injiziert werden. Auch bei Hallux valgus ist die Hyaluronsäureinjektion (0,5 ml) sehr nützlich. Wenn Hyaluronsäure zusammen mit Lidocain injiziert wird, kann der bakteriostatische Effekt zur Infektionsprophylaxe genutzt werden. Zudem verschwindet der intraartikuläre Schmerz bei kombinierter Injektion sofort, was die Schmerzlokalisation diagnostisch bestätigt. Hyaluronsäure kann nicht nur bei ganz früher Arthrose, sondern auch bei stark fortgeschrittener Arthrose nützlich sein. Hyaluronsäure zählt nicht zu den chondroprotektiven Wirkstoffen, da
diesbezüglich keine Untersuchungsresultate vorliegen. Weil sich der Effekt hochmolekularer Präparate (z.B. Synvisc®) nicht vom Effekt von Präparaten mit tiefem Molekulargewicht unterscheidet, könne man sich bei der Auswahl vom Präparatepreis leiten lassen, so der Referent. Kostengünstig sei z.B. Sinovial®. Weitere Präparate sind zum Beispiel Ostenil® und Suplasyn®. Diese Präparate, die nicht in der Spezialitätenliste enthalten sind, werden von den Krankenkassen nicht vergütet, ausser von einigen Zusatzversicherungen. Es handelt sich um Medizinprodukte, nicht um registrierte Arzneimittel. Wenn die Hyaluronsäure versehentlich nicht im Gelenk, sondern periartikulär landet, sind kaum schädliche Auswirkungen zu erwarten. Frühere Befürchtungen, dass granulomatöse Entzündungen ausgelöst werden könnten, wurden inzwischen durch die umfangreichen Erfahrungen beim Unterspritzen von Falten mit Hyaluronsäure zerstreut. Häufig werden Serien von 3 bis 4 Injektionen empfohlen, aber auch eine einzige Injektion kann die Beschwerden oft für mehrere Monate beseitigen, obschon die Hyaluronsäure nur etwa 10 bis 14 Tage im Gelenk bleibt. Es wird angenommen, dass Hyaluronsäure langfristig an Zytokine und destruktive Metalloproteinasen bindet und deshalb über Monate günstige Wirkungen entfalten kann.
Die umstrittene Chondroprotektion ist Realität Als Chondroprotektiva kommen Chondroitinsulfat und Glucosaminsulfat in Betracht. Beides sind Bestandteile der extrazellulären Knorpelmatrix, welche die RNA-Synthetase, die Proteoglykansynthese und die Hyaluronsäuresynthese stimulieren. Überdies
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Bericht
hemmen sie Metalloproteinasen und die Leukozytenelastase. Die Durchführung guter Studien zur Chondroprotektion ist sehr anspruchsvoll. Die Intervention muss mindestens 2 Jahre dauern, danach sollte sich noch eine Beobachtungszeit von einem weiteren Jahr anschliessen. Zur quantitativen Beurteilung der Kniearthrose im Röntgenbild verwenden gute Studien pa-Bilder in 20°-Flexion, so der Referent. Computerisiert werden anhand der Röntgenbilder die Weite des Gelenkspalts und das Knorpelvolumen analysiert. In der Zürcher Studie, die vor 6 Jahren publiziert wurde, konnte mit Chondroitinsulfat im Vergleich zu Plazebo ein geringer, aber statistisch signifikanter chondroprotektiver Nutzen nachgewiesen werden (1). Während der Kniegelenkspalt bei den 150 Patienten, die Plazebo erhielten, im Lauf von 2 Jahren um durchschnittlich 0,14 mm enger wurde, veränderte sich die Gelenkspaltbreite bei den 150 Patienten der Chondroitinsulfatgruppe nicht. Die Studienresultate wurden später mit der gleichen Methodik in einer französischen Replikationsstudie bei doppelter Patientenzahl (622 Patienten, davon 309 in der Chondroitinsulfatgruppe und 313 in der Plazebogruppe) bestätigt (2). Beide Studien wurden mit Chondroitinsulfat aus Fischknorpel (Condrosulf® 800 mg) durchgeführt, nicht mit dem Präparat aus Hühnerknorpel (Structum® 500 mg). Auch Glucosaminsulfat erwies sich in Studien als chondroprotektiv wirksam, indem es die Gelenkspaltabnahme reduzierte. Glucosaminsulfat ist in der
Schweiz nur als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich und muss von den Krankenkassen nicht vergütet werden. Glucosamin steht auch als Hydrochlorid zur Verfügung (Nahrungsergänzungsmittel Voltaflex®), doch die Studien wurden nicht mit Glucosaminhydrochlorid durchgeführt. Zur Kombinationsbehandlung mit Chondroitinsulfat und Glucosaminsulfat liegen keine Studienresultate vor. Dr. Brühlmann nimmt an, dass die Kombination den Nutzen nicht erhöht. Kombinationspräparate seien nicht verfügbar. Wenn Patienten mit Kniearthrose mittels MRI untersucht werden, sind manchmal subchondrale Knochenmarkläsionen zu finden. Es handelt sich dabei um Flüssigkeitsansammlungen im Knochenmark. Wo der Knorpel reduziert ist, steigt der Druck auf den Knochen, der darauf mit verstärkter Flüssigkeitsansammlung reagiert. Knochenmarksläsionen im MRI sind ein Risikofaktor dafür, dass Jahre später eine Knietotalprothese nötig wird. Kürzlich konnte in einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie gezeigt werden, dass bei Patienten mit primärer Kniegelenksarthrose und klinischen Synovitiszeichen (Überwärmung, Schwellung oder Erguss) nach 12-monatiger Behandlung mit Chondroitinsulfat weniger Knochenmarkläsionen zu finden waren als in der Plazebogruppe (3). Mittels Computer kann im MRI 3-dimensional das Knorpelvolumen gemessen werden. Bei Behandlung mit Chondroitinsulfat nahm das Knorpelvolumen signifikant weniger stark ab als unter Plazebo – ein
deutlicher Hinweis auf einen Struktur-
effekt von Chondroitinsulfat. Der si-
gnifikante chondroprotektive Effekt
war bereits nach 6 Monaten im MRI
messbar. In der Studie wurden täglich
2 Kapseln zu je 400 mg Chondroitin-
sulfat aus Rinderknorpel verwendet
(Präparat Condrosan der Firma Bioibé-
rica, Barcelona, das in manchen euro-
päischen Ländern erhältlich ist).
In Genf wurde in einer randomisierten,
plazebokontrollierten Doppelblind-
studie mit insgesamt 162 Patienten
nachgewiesen, dass Chondroitinsulfat
(800 mg täglich während 6 Monaten)
im Vergleich zu Plazebo die Symptome
bei Fingerpolyarthrose günstig beein-
flusst (4). Die Abnahme der Hand-
schmerzen war unter Chondroitinsul-
fat signifikant stärker ausgeprägt und
die Handfunktion verbesserte sich si-
gnifikant mehr als in der Plazebo-
gruppe.
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Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Michel B, et al.: Chondroitins 4 and 6 sulfate in osteo-
arthritis of the knee: a randomized, controlled trial. Arthritis & Rheumatism 2005; 52: 779–786. 2. Kahan A, et al.: Long-term effects of chondroitins 4 and 6 sulfate on knee osteoarthritis. Arthritis & Rheumatism 2009; 60: 524–533. 3. Wildi L, et al.: Chondroitin sulphate reduces both cartilage volume loss and bone marrow lesions in knee osteoarthritis patients starting as early as 6 months after initiation of therapy: a randomised, doubleblind, placebo-controlled pilot study using MRI. Ann Rheum Dis 2011; 70: 982–989. 4. Gabay C, et al.: Symptomatic effect of chondroitin sulfate 4 & 6 in hand osteoarthritis – the finger osteoarthritis chondroitin treatment study (FACTS). Arthritis & Rheumatism 2011, Sep 6 (Epub ahead of print).
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