Transkript
FORTBILDUNG
Telcagepant — eine Alternative zu Triptanen?
Kliniker hoffen, dass der CGRP-Antagonist bei Versagen der klassischen Migränemedikamente weiterhilft
Mit CGRP-Rezeptorantagonisten steht möglicherweise
bald eine Alternative zu Triptanen zur Verfügung.
Der Vertreter Telcagepant erwies sich in klinischen
Phase-III-Studien als gleich wirksam wie Triptane,
schreiben die «Lancet»-Autoren Lars Edvinson und
Mattias Linde.
LANCET
Triptane gelten derzeit als die wirksamsten Medikamente in der Akuttherapie einer Migräne. Allerdings ist die therapeutische Ausbeute geringer als vielleicht gelegentlich suggeriert wird. Metaanalysen zeigen, dass bis zu einem Drittel der Patienten überhaupt nicht auf diese Medikamente anspricht, 40 Prozent aller Migräneanfälle bessern sich durch die Behandlung nicht. Hinzu kommt, dass Triptane nicht von allen Patienten gut vertragen werden. Und schliesslich sind diese Migränemedikamente bei Patienten mit einer aktiven kardiovaskulären Krankheit (mit Durchblutungsstörungen) und nicht kontrollierter Hypertonie kontraindiziert. Kurzum: Es besteht Bedarf an neuen Substanzen, die geeignet sind, in Fällen von Unverträglichkeit und Unwirksamkeit als gute Alternativen einzuspringen.
anfalls vom aktivierten N. trigeminus freigesetzt. Hier setzen die CGRP-Antagonisten an. Sie blockieren CGRP-Rezeptoren in den Blutgefässen und im Nervensystem und verhindern damit, dass die Entzündung entsteht oder aufrechterhalten bleibt.
Positive klinische Tests Auf dem Weg zur klinischen Reife hat Telcagepant die bisherigen Hürden mit einigem Erfolg genommen. Die vorliegenden Zulassungsstudien scheinen die Wirksamkeit des CGRP-Antagonisten zu bestätigen. In der ersten Phase-III-Studie wurde das Medikament bei 1380 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Migräne getestet. 81 Zentren in den USA und Europa nahmen daran teil. Telcagepant wurde in zwei Dosierungen gegen Plazebo und Rizatriptan (5 und 10 mg) getestet. Dabei erwies sich der CGRP-Antagonist in einer Dosierung von 300 mg als genauso wirksam wie das Triptan – in Bezug auf Schmerzrückbildung und Schmerzfreiheit sowie hinsichtlich der Rückbildung von Phono–/Photophobie und Übelkeit. Auch in niedriger Dosis von 150 mg schnitt Telcagepant besser ab als Plazebo. In einer weiteren Phase-III-Studie, so berichten die «Lancet»Autoren, konnte bei 1300 Migränepatienten die Überlegenheit gegenüber Plazebo bestätigt werden. Demnach kam es, je nach Dosierung (150 mg/300 mg), bei 54 beziehungsweise 55 Prozent der Behandelten zu einer Schmerzlinderung (Plazebo: 33%), schmerzfrei wurden 23 beziehungsweise 24 Prozent
Wie wirken CGRP-Antagonisten? Die grössten Hoffungen ruhen dabei derzeit auf den Calcitoningene-related-peptide-(CGRP-)Rezeptorantagonisten. CGRP ist ein Neuropeptid, das offenbar in der Pathophysiologie der Migräne eine wichtige Rolle spielt. Die Theorie lautet vereinfacht: Migränekopfschmerz basiert auf einer (sterilen) Entzündung von Blutgefässen der Hirnhaut. Die entzündlichen Prozesse werden vom Nervensystem selbst hervorgerufen (neurogene Entzündung). Folge der Entzündung ist die Überempfindlichkeit von Schmerzrezeptoren in der Hirnhaut. So wird aus dem normalen Pulsieren der Blutgefässe der hämmernde Migräneschmerz. CGRP soll hauptverantwortlich für die Entstehung der Entzündung sein. Das Neuropeptid wird während eines Migräne-
Merksätze
■ CGRP-Antagonisten stellen eine neue Substanzklasse in der Migränetherapie dar.
■ Bisherige klinische Studien mit Telcagepant zeigen eine mit Triptanen vergleichbare Wirkung.
■ Telcagepant weist im Gegensatz zu Triptanen keine vasokonstriktorischen Eigenschaften auf.
■ Die Verträglichkeit ist nach bisherigen Erkenntnissen gut. ■ Telcagepant ist bislang noch nicht zugelassen.
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(Plazebo: 11%), Photo- und Phonophobie verschwanden bei etwa jedem zweiten, Übelkeit bei zwei Drittel der Patienten. Auch beim sekundären Endpunkt «anhaltende Schmerzfreiheit über 24 Stunden» war Telcagepant dem Scheinmedikament signifikant überlegen. Inzwischen zeigt eine aktuelle Studie, dass Telcagepant auch bei wiederholtem Einsatz seine Wirksamkeit nicht einzubüssen scheint. Die wichtige Frage, wie gut und wie sicher das Medikament bei Patienten mit (stabiler) Gefässkankheit ist, ist noch unbeantwortet. Die Resultate einer bereits abgeschlossenen Studie, in der sich Telcagepant gegen Plazebo und Paracetamol beweisen musste, stehen noch aus.
Gute Verträglichkeit Nach Angaben der «Lancet»-Autoren lag die Nebenwirkungsrate unter 150 und 300 mg Telcagepant auf Plazebonieveau, während für Zolmitriptan häufiger unerwüschte Ereignisse registriert wurden. In einer Langzeitsicherheitsstudie wurde Telcagepant mit Rizatriptan 10 mg verglichen, wobei die Prüfmedikamente bei durchschnittlich etwa 30 Migräneanfällen pro Patient zum Einsatz kamen. Unter Telcagepant wurden deutlich weniger triptanspezifische Nebenwirkungen als unter Rizatriptan festgestellt. Zu den häufigsten Nebenwirkungen (jeweils unter 10%) unter dem CGRP-Antagonisten zählen trockener Mund, Schläfrigkeit, Schwindel, Übelkeit, Fatigue und Oberbauchbeschwerden. Insgesamt, so konstatieren die Autoren, erweist sich Telcagepant bislang als sicheres und gut verträgliches Medikament. Das allerdings gilt nur für die (intermittierende) Akuttherapie, nicht für die Langzeitapplikation: Im Rahmen einer Phase-IIaStudie wurde Telcagepant (140 mg/240 mg 2 × tgl.) über zwölf Wochen zur Migräneprophylaxe verabreicht. Diese Studie musste im April vergangenen Jahres abgebrochen werden, weil bei einigen Teilnehmern ein Anstieg der Leberenzymwerte in der letzten Studienphase beobachtet wurde. Dieses Alarmsignal war bereits bei einem anderen von Merck entwickelten CGRP-Antagonisten (MK-3207) aufgetreten, hier schon nach wenigen Dosen. Das bedeutete das Aus für diese Substanz. Nach Angaben von Merck weist MK-3207 eine andere Struktur und andere Eigenschaften auf als Telcagepant, weshalb man bei der Firma nicht von einem Klasseneffekt der CGRP-Antagonisten ausgeht. Die «Lancet»-Autoren lassen die Antwort auf diese Frage offen. Ungeklärt ist bislang auch, ob CGRP-Rezeptorantagonisten mit Triptanen kombiniert werden können, um eine wirksamere Therapie zu erreichen, und ob sie tatsächlich bei Patienten wirken, die nicht auf Triptane ansprechen. Momentan ist Telcagepant noch nirgends zugelassen. Eine zunächst für 2010 geplante Einführung in den USA erscheint nicht mehr realistisch.
schliesslich in der Migränetherapie nicht mehr ganz so neu
(wie es der Titel des «Lancet»-Beitrags suggeriert). Seit einiger
Zeit ist es zur Langzeitprophylaxe in vielen Ländern im
Einsatz. In ihrem Review bescheinigen die «Lancet»-Autoren
Topiramat jedenfalls den Rang eines Erstlinienmedikamentes
zur Anfallsprophylaxe, neben Substanzen wie Betablockern,
Flunarizin und Valproinsäure.
Topiramat ist demnach im Allgemeinen sicher und zumeist gut
verträglich. Die vorliegenden Daten lassen vermuten, so die
Autoren, dass sich unter der Langzeittherapie eine chronische
Migräne grundsätzlich wieder in eine episodische zurückver-
wandeln kann. Ein besonderes Merkmal ist, dass Topiramat
eher zu einer Gewichtsabnahme führt.
Nach Auffassung der Autoren kommt das Medikament zur
Anfallsprophylaxe insbesondere bei erwachsenen Patienten
infrage, wenn Übergewicht, Epilepsie oder Kontraindikaton für
Betablocker bestehen.
Pharmakooökonomische Studien zeigen, dass es günstiger ist,
bei chronischer Migräne Topiramat zu geben als kein Medika-
ment. Eine Analyse ergab jedoch, dass der Betablocker Propa-
nolol diesbezüglich überlegen ist. Topiramat sollte mindestens
über zwei bis drei Monate eingenommen werden, und zwar
individuell dosiert, am besten aber wohl in einschleichender
Dosierung, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Nach Mei-
nung der Fachgesellschaften sollte die Anfallsprophylaxe min-
destens sechs Monate dauern, bei manchen Patienten auch ein
Jahr. Beim Absetzen empfehlen die «Lancet»-Autoren eine aus-
schleichende Dosierung.
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Uwe Beise
Interessenkonflikte: Die Autoren des «Lancet»-Artikels haben Allergan, AstraZeneca, Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline und Merck beraten.
Lars Edvinson, Mattias Linde: New drugs in migraine treatment and prophylaxis: telcagepant and topiramate. Lancet 2010: 376: 645—655.
Topiramat zur Migräneprophylaxe geeignet In einem zweiten Abschnitt beschäftigt sich der «Lancet»-Artikel mit Topiramat, was manchem etwas eigenartig anmuten mag. Das als Antiepileptikum bekannte Medikament ist
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