Transkript
INTERVIEW
Protonenpumpenhemmer: Gibt es einen klinisch relevanten Säure-Rebound nach dem Absetzen?
Ein Gespräch mit dem Zürcher Gastroenterologen Oliver Götze
Nach dem Absetzen von Protonenpumpenhemmern
(PPI) kann es zu einer anhaltenden überschiessenden
Säuresekretion des Magens kommen. Bis anhin ist
aber unklar, welche klinische Relevanz ein solcher
Säure-Rebound hat. Wir sprachen darüber mit dem
Zürcher Gastroenterologen Oliver Götze.
ARS MEDICI: Gibt es Evidenzen dafür, dass es zu einem relevanten Säure-Rebound nach Absetzen von PPI kommt? Dr. med. Oliver Götze: Der Säure-Rebound ist schon länger in der Diskussion und in einer Reihe von Berichten und physiologischen Studien untersucht worden. In einem systematischen Review aus dem Jahr 2007 wurde jedoch aufgrund des heterogenen Studiendesigns und der Ergebnisse geschlussfolgert, dass es keine hinreichende Evidenz für eine klinische Relevanz des Rebound-Phänomens gibt. Im vergangenen Jahr hat eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie einer dänischen Arbeitsgruppe* Anlass zu der Vermutung gegeben, dass es sich doch um ein klinisch bedeutsames Problem handeln könnte. Die Studie wurde allerdings nur bei gesunden Probanden durchgeführt und kann somit nur eingeschränkt auf zum Beispiel Patienten mit Refluxerkrankung extrapoliert werden. Die Probanden erhielten 8 Wochen lang 40 mg Esomeprazol, danach 4 Wochen Plazebo oder 12 Wochen Plazebo. Nach dem Absetzen des Protonenpumpenhemmers klagten 44 Prozent der Teilnehmer in den folgenden 4 Wochen über mindestens ein säureassoziiertes Symptom. In der Vergleichsgruppe mit Plazebo waren es nur 15 Prozent.
ARS MEDICI: Wie kann man sich das Rebound-Phänomen pathophysiologisch erklären? Götze: Das Rebound-Phänomen basiert auf dem Mechanismus einer gegenregulatorischen Hypergastrinämie. Diese wiederum kann die funktionelle Kapazität von Parietal- und ECLZellen (entorochromaffine like cells) erhöhen und auch eine Hyperplasie von ECL-Zellen hervorrufen, die wiederum die hyperplastischen Protonenpumpe anregen. Aus physiologischen Studien wissen wir bereits, dass nach Absetzen eines PPI eine gastrale Hypersekretion mindestens 8 Wochen anhal-
ten kann, wobei die Säuresekretion um mehr als 50 Prozent über normal gesteigert wird.
ARS MEDICI: Was bedeutet das aber für die Patienten? Götze: Ganz sicher wissen wir das noch nicht, da hierzu noch keine wissenschaftlichen Daten für Patienten vorliegen. In der oben zitierten dänischen Studie hat man in einer Subgruppenanalyse jedoch festgestellt, dass die Probanden, die anamnestisch bereits einmal ein refluxassoziiertes Symptom aufwiesen, signifikant häufiger einen Rebound entwickelten. Das deutet zumindest darauf hin, dass der Rebound nicht nur bei Gesunden, sondern auch bei Refluxpatienten eine Rolle spielen kann, wobei es zurzeit keine Studiendaten gibt, die das Risiko eines Rezidivs der Refluxerkrankung zur Dauer und Dosierung der Initialbehandlung in Verbindung setzen. Des Weiteren sind übrigens Patienten, die Helicobacter-pylorinegativ sind, deutlich stärker betroffen als solche mit einer H.-pylori-Infektion, da unter PPI-Therapie bei H.-pylori positiven Patienten die Corpusgastritis durch H.-pylori zunimmt, die wiederum nach Absetzen der PPI die Säurehypersekretion durch die Entzündung des Magencorpus bremst.
«Helicobacter-pylori-negative Patienten sind besonders betroffen.»
ARS MEDICI: Welche praktischen Konsequenzen sollen Hausärzte aus den aktuellen Erkenntnissen ziehen? Götze: Grundsätzlich sollten PPI nur verschrieben werden, wenn eine wissenschaftlich gesicherte Indikation wie zum Beispiel die Therapie und Prävention von NSAR-Ulzera besteht. Das ist leider heute nicht immer der Fall. Derzeit nehmen etwa 5 Prozent der Bevölkerung einen PPI ein. Man kann aber davon ausgehen, dass bei 25 bis 70 Prozent diese Medikamente nicht zwingend erforderlich sind. Das gilt in erster Linie für Patienten mit einer funktionellen Dyspepsie, die ich für eine «weiche Indikation» zur PPI-Therapie halte. Auch wenn manche Guidelines einen Therapieversuch mit PPI bei Dyspepsiepatienten nicht ausschliessen, sollte man sich bewusst sein, dass man nach dem Absetzen verstärkt zusätzliche Symptome hervorrufen kann, die man durch das Medikament gerade verhindern wollte.
ARS MEDICI: Wie lange muss man mit einem PPI behandeln, um einen Rebound nach Absetzen zu riskieren?
938 ARS MEDICI 23 ■ 2010
INTERVIEW
Zur Person
Dr. med. Oliver Götze ist Oberarzt an der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich
Verlauf zeigen und umgekehrt solche, die kaum Beschwerden haben, aber einen deutlichen Befund aufweisen.
ARS MEDICI: Wie wirkt sich eine Hochdosis-PPI-Therapie bei Patienten mit Barrett-Ösophagus aus? Götze: Das ist eine interessante und klinisch wichtige Frage, denn es ist momentan nicht sicher auszuschliessen, dass sich ein Barrett-Ösophagus durch die PPI-bedingte Hypergastrinämie verschlechtert. Eine Studie** hat unlängst gezeigt, dass Patienten mit hohen Gastrinwerten häufiger höhergradige Neoplasien, das heisst hochgradige Dysplasien oder Adenokarzinome im Ösophagus hatten. Es ist allerdings noch unklar, ob es sich bei diesen Patienten nur um eine Subgruppe handelt. Dennoch stellt sich grundsätzlich die Frage, ob ein PPI überhaupt die richtige Strategie bei diesen Patienten ist.
Götze: Ein erhöhtes Risiko für einen Säure-Rebound besteht nach mindestens 8-wöchiger Therapie mit PPI. Für kürzere Behandlungszeiten unter 4 Wochen ist der Säure-Rebound vermutlich geringer ausgeprägt und klinisch nicht relevant.
ARS MEDICI: Hängt das auch von der verabreichten PPIDosis ab? Götze: Darüber gibt es noch keine verlässlichen Daten. Ich empfehle aber, eine möglichst geringe PPI-Dosis beziehungsweise bei milder Refluxerkrankung eine «Step down»-Strategie zu wählen, das heisst mit einer hohen PPI-Dosis zu beginnen und dann schrittweise zu reduzieren. Man kann also von 40 auf 20 mg heruntergehen und dann eventuell den PPI nur noch alle 2 Tage geben. Schliesslich ist es auch möglich, das Medikament nur bei Refluxbeschwerden einzunehmen. Allerdings muss ein solches Vorgehen in Studien noch genauer geprüft werden. Was wir aber bereits wissen, ist, dass die Mehrzahl der Patienten mit Refluxkrankheit auch dann im selben Stadium verbleiben können, wenn die Therapie unterbrochen wird.
ARS MEDICI: Sie forschen auch auf diesem Gebiet. Woran arbeiten Sie? Götze: Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den pathoanatomischen biomechanischen Grundlagen des Reflux. Unser Ansatz besteht darin, die Geometrie und Biomechanik des gastroösophagealen Übergangs bei Gesunden und Patienten mit Refluxkrankheit genauer zu beschreiben. Dabei setzen wir systematisch die Kernspintomografie ein, mit der wir eine dreidimensionale Darstellung erhalten. Dabei gewinnen wir auch Rückschlüsse über die Verteilung der Säure im Magen und wie sich Säure vom Magen in die Speiseröhre ausbreitet. Indem wir die Biomechanik dieser Vorgänge besser verstehen, hoffen wir, in Zukunft eine neue, differenziertere Einteilung von Refluxtypen und auch eine individueller gestaltete Therapie anbieten zu können.
ARS MEDICI: Können Sie uns ein Beispiel nennen? Götze: Stellt sich beispielsweise heraus, dass bei einem Refluxpatienten eine spezifische Tonussteigerung im unteren Ösophagussphinkter erforderlich wäre, könnte es sinnvoll sein, ihn mit einem Medikament zur Erhöhung des Tonus im unteren Ösophgagussphinkter zu behandeln.
ARS MEDICI: Sie sprechen von einer Übertherapie mit PPI. Wo sind Ihrer Meinung nach PPI als Dauermedikamente unumgänglich? Götze: Es gibt natürlich wissenschaftlich gesicherte Indikationen. PPI sind bei gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD), zur Prävention von Ulzera unter NSAR-Therapie, bei Zollinger-Ellison-Syndrom und im Rahmen einer Helicobacter-pylori-Eradikation angezeigt. H.-pylori-Infektionen nehmen übrigens tendenziell ab.
ARS MEDICI: Aber lassen sich Refluxösophagitis und Dyspepsie in der Praxis ohne Weiteres unterscheiden? Götze: Die Diagnose einer Refluxkrankheit kann tatsächlich schwierig sein, wenn nicht eindeutige säureassoziierte Beschwerden vorliegen. Zudem gibt es Patienten, die unter schweren Refluxbeschwerden leiden, aber keinen erosiven
ARS MEDICI: Könnte eine differenziertere Beschreibung auch dazu führen, dass man bei bestimmten Patienten ganz auf eine (PPI-)Behandlung verzichtet? Götze: Das wäre denkbar. Gerade bei Patienten mit geringgradigem Reflux wäre es wichtig zu wissen, wie man sie am besten behandelt, in welcher Dosierung man einen PPI geben sollte, oder ob diese Medikamente vielleicht sogar überflüssig sind, wie manche Experten sich bereits heute fragen.
ARS MEDICI: Dr. Götze, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Uwe Beise
Literatur: *Christina Reimer, et al.: Proton-pump inhhibitor therapy induces acid-related symptoms in healthy volunteers after withdrawl of therapy. Gastroenterology 2009; 137: 80—87. **Judy S. Wang et al.: Elevated serum gastrin is associated with a history of advanced neoplasia in Barrett’s esophagus. Am J Gastroenterology 2010; 105: 1039—1045.
ARS MEDICI 23 ■ 2010 939