Transkript
FORTBILDUNG
Hypotonie und Herzinsuffizienz
Was leisten Phytopharmaka?
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist der Einsatz von
Phytopharmaka begrenzt. Bei arterieller Hypotonie und
Orthostasesyndrom hat sich die fixe Kombination Adonis/
Maiglöckchen/Meerzwiebel/Oleander sowie Campher/
Weissdornbeeren bewährt. Bei Herzinsuffizienz NYHA II
ist die Wirksamkeit von Crataegus belegt.
DIETER LOEW
Die arterielle Hypotonie ist definiert als dauerhaft systolische Werte unter 100 mmHg bei Frauen sowie unter 110 mmHg bei Männern beziehungsweise diastolischen Werten unter 60 mmHg. Beim Orthostasesyndrom erleben die Patienten einen Blutdruckabfall um 20 mmHg systolisch beziehungsweise 10 mmHg diastolisch innerhalb von 3 Minuten beim Wechsel von der liegenden in die aufrechte Position (4).
Hypotonie als Risikofaktor Galt bisher der niedrige Blutdruck als lebensverlängernde Befindlichkeitsstörung, so bedarf es nach neueren epidemiologischen Studien eines Umdenkens besonders im Alter. Nach der US-amerikanischen nationalen Gesundheits- und Ernährungsstudie steigt im Alter die Prävalenz des Orthostasesyndroms (oH) mit Gleichgewichts-, Herzrhythmusstörungen, Ohnmacht, Angina-pectoris-Anfällen und Sturzgefahr an (8). In einer finnischen Studie (18) war bei 561 alten Menschen die Mortalität in der Gruppe mit niedrigem Blutdruck (< 120/70 mmHg) deutlich höher als in der Gruppe mit einem Blutdruck > 160/90 mmHg. Nach der ARIC-Studie (6), an der über 11 000 Personen im Alter von 45 bis 64 Jahren teilnahmen entpuppte sich das Orthostasesyndrom als signifikanter Risikofaktor für ischämischen Apoplex. Zudem war die 13-Jahres-Mortalität bei Patienten mit oH signifikant höher als bei den Kontrollen.
Typische Beschwerden Zu den charakteristischen Beschwerden der Hypotonie zählen unter anderen Sehstörung, Ohrensausen, Schwindel, Kopfschmerzen, Ermüdbarkeit, körperlich-geistige Erschöpfung,
Konzentrations- und Leistungsschwäche, Zittern, Palpitationen, Tachykardie, Angina-pectoris-Anfälle, Schweissausbruch, Kollapsneigung, Benommenheit, Gleichgewichtsstörungen, Standunsicherheit, Sturzgefahr, kalte Hände und Füsse, Angst, zerebrale Dysfunktion mit Synkopen und Wetterfühligkeit.
Therapieoptionen Grundsätzlich besteht die Therapie aus Allgemeinmassnahmen wie körperlicher Aktivität, vaskulärer Tonisierung (z.B. Wechselbäder nach Kneipp, Sauna, Bürstenmassage, Wadenmuskelgymnastik), gesunder Ernährung, ausreichender Trinkmenge, Kochsalzzufuhr (regt Durstgefühl an, erhöht intravaskuläres Volumen), Meidung hoher Temperaturen, Stützstrümpfen und Ausschaltung von Risikofaktoren (z.B. koffeinhaltige Getränke, Alkohol, Genussmittel). Reichen diese Massnahmen nicht aus, kommen an zugelassenen synthetischen Substanzen α-Sympathomimetika (Midodrin [Gutron®]) beziehungsweise α-βrezeptorenstimulierende Substanzen (Etilefrin [Effortil®], Oxilofrin) infrage. Zu beachten sind Nebenwirkungen und Gegenanzeigen wie Herzklopfen, ventrikuläre Rhythmusstörungen, Angina pectoris, KHK, Engwinkelglaukom und benignes Prostatasyndrom. Mit Dihydroergotamin wird der Venentonus gesteigert und die bei sympathikotoner Form erhöhte Katecholaminwirkung abgeschwächt. Mineralokortikoide (Fludrocortison [Florinef®]) reduzieren die Natrium- und steigern die Kaliumausscheidung. Nebenwirkungen sind Hypokaliämie und Gegenanzeigen, Alter über 65 Jahre, Hypertonie und metabolische Alkalose.
Merksätze
■ Insbesondere bei älteren Menschen stellen Hypotonie und Orthostasesyndrom einen Risikofaktor dar, der mit erhöhter Mortalität einhergeht.
■ Medizinhistorisch wurden Weissdornarten bereits in der Antike bei verschiedenen Beschwerden, aber erst Ende des 18. Jahrhunderts bei Herzerkrankungen angewendet.
948 ARS MEDICI 23 ■ 2010
HYPOTONIE UND HERZINSUFFIZIENZ
Tabelle 1: Pharmakologische Wirkungen Tabelle 1: von Crataegus
■ Steigerung der Kontraktion durch erhöhte intrazelluläre Ca++Konzentration in der Systole über Einstrom von Ca++-lonen durch Hemmung der Na+/ K+-ATPase (positiv inotrop)
■ Spontanfrequenz (weitgehend neutral) ■ Verkürzung der AV-Überleitung (positiv dromotrop) ■ Verlängerung der Refraktärzeit und Dauer des Aktionspotenzials
(negativ bathmotrop) ■ Steigerung der Koronar- und Myokarddurchblutung durch Vaso-
dilatation ■ Toleranz gegen Sauerstoffmangel, kardioprotektiv, antiarrhyth-
misch (am Ischämiemodell) ■ Senkung des peripheren Gefässwiderstands (Afterload) ■ antioxidativ, antiphlogistisch
Tabelle 2: Klinische Wirkungen von Crataegus
■ Ejektionsfraktion in Ruhe ↑* ■ Ejektionsfraktion nach Belastung ↑* ■ Druck-Frequenz-Produkt ↑* ■ anaerobe Schwelle (Ergospirometrie) ↑* ■ Arbeitstoleranz (Fahrradergometrie) ↑* ■ Lebensqualität ↑* ■ systolischer, diastolischer Blutdruck ↓
* = signifikant
Phytopharmaka Als Alternative bieten sich Extrakte aus Adonis/Maiglöckchen/ Meerzwiebel/Oleander sowie Campher mit Weissdornbeeren an. Sie sind toxikologisch, experimentell, klinisch-pharmakologisch und klinisch geprüft. Von der fixen Kombination D-Campher mit Weissdornbeeren liegen Dosis-WirkungsStudien der Einzelbestandteile und der fixen Kombination bei Probanden nach Lagewechsel beziehungsweise am Kipptisch vor (1, 2, 17, 26). Bereits innerhalb der ersten 5 Minuten stiegen Blutdruck und peripherer Widerstand signifikant an. Das visuelle Kurzzeitgedächtnis und die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit verbesserten sich gleichzeitig (26). Die positiven Kreislaufeffekte wurden in klinischen Studien bestätigt.
deren Wirksamkeitsprüfung. Tabelle 1 fasst die In-vitro-Effekte
am Myokard verschiedener Tierspezies, am menschlichen in-
suffizienten Myokard sowie die In-vivo-Wirkungen an klassi-
schen Modellen wie dem Langendorfherz oder dem Ganztier
zusammen (3, 12, 13, 23, 27). Daraus ergibt sich, dass Cratae-
gusextrakte (in der Schweiz z.B. Cardiplant® 450, Crataegus
Synpha®, Faros® 300) über mehrere Einzelwirkungen pleiotrop
synergistisch kardioprotektiv, antiarrhythmisch, vasorelaxie-
rend und vasoprotektiv wirken.
Zum Nachweis der Wirksamkeit bedarf es der humanpharma-
kologischen Bestätigung experimenteller Effekte und klinischer
Studien. Aufgrund pharmakologischer Wirkungen erfolgte
dies bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz Stadium
NYHA II anhand akzeptierter Messparameter (10) wie Ejek-
tionsfraktion (Herzkatheter, Radionuklid), Herz-Minuten-
Volumen (Einschwemmkatheter), Belastbarkeit (Fahrradergo-
metrie, Spiroergometrie) und Beschwerdesymptomatik (Ta-
belle 2). Die prospektiven Studien wurden von der Cochrane
Collaboration im Rahmen einer Metaanalyse (22) beurteilt
(10 Studien mit 855 Patienten mit NYHA I–III). Crataegus
verbesserte hämodynamische, ergometrische und subjektive
Parameter signifikant gegenüber Plazebo.
Zudem wurde eine Mortalitätsstudie (7, 11) mit dem Extrakt
WS 1442 bei 2681 Patienten NYHA II–III mit eingeschränkter
linksventrikulärer Funktion (< 35%) durchgeführt. Im Vergleich zu Plazebo wurde die kardiale Mortalität über die Studiendauer von 24 Monaten nicht signifikant gesenkt, lag jedoch im 6. und 18. Monat signifikant niedriger als unter Plazebo. Von dem Crataegusextrakt profitierten Patienten mit einer LEF > 25 Pro-
zent. Schwerwiegende Nebenwirkungen und Interaktion mit
der Komedikation wurden nicht beobachtet (7, 11).
■
Prof. Dr. med. dent. Dieter Loew Arzt für Pharmakologie Klinische Pharmakologie D-65191 Wiesbaden
Interessenkonflikte: keine deklariert Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2010.
Chronische Herzinsuffizienz Medizinhistorisch wurden Weissdornarten bereits in der Antike bei verschiedenen Beschwerden, aber erst Ende des 18. Jahrhunderts bei Herzerkrankungen angewendet. Mit dem Beginn des Chemiezeitalters und der modernen analytischen Verfahren erfolgten Isolierung, Identifizierung der Inhaltsstoffe und
ARS MEDICI 23 ■ 2010 949