Transkript
FORTBILDUNG
Hormonsubstitution in der Menopause
Indikation, Zeitfenster und Durchführung
Die heutigen Empfehlungen zur hormonellen Substi-
tution in der Menopause können am besten anhand
der geschichtlichen Entwicklung erklärt werden. Bis
heute gibt es keine vergleichbar wirksamen Therapie-
verfahren zur Linderung des klimakterischen Syn-
droms, die Substitutionsbehandlung erfolgt jedoch
mit einer viel geringeren Hormondosis als früher.
CHRISTIAN DE GEYTER
Die hormonelle Substitutionsbehandlung wurde in den Sechzigerjahren zur Überwindung der bis dato unbehandelbaren klimakterischen Beschwerden entwickelt. Damals stand lediglich eine östrogene Monotherapie zur Verfügung, deren erste Komplikationen sich in starken uterinen Blutungen und sogar in einer höheren Inzidenz des Endometriumkarzinoms manifestierten. Empirisch wurden aus dieser Erfahrung die heute noch verwendeten sequenziellen und kontinuierlich-kombinierten Schemata (Östrogene in Kombination mit Gestagenen) für die Hormonsubstitution entwickelt. Die Wirksamkeit dieser Therapieverfahren wurde bereits ab 1975 im Rahmen von damals noch nicht üblichen prospektiv-randomisierten Studien evaluiert. Bis heute stehen noch keine vergleichbar wirksamen Therapieverfahren für die Linderung des klimakterischen Syndroms zur Verfügung.
haltigen Präparationen immer mehr steigen lassen, was sich am deutlichsten anhand von Verkaufszahlen der sogenannten Hormonpräparate objektivieren lässt. Nach und nach wurden immer mehr positive Auswirkungen bei Langzeitanwendung beschrieben, wie die Primär- und Sekundärprävention bei kardiovaskulären Erkrankungen, Darmkrebs, Demenz, Harninkontinenz und so weiter.
Komplikationen: erst unter- dann überschätzt Im Gegensatz zu den oralen Ovulationshemmern galt die hormonelle Substitutionsbehandlung in der Menopause – wenn richtig durchgeführt – als frei von Komplikationen. Erste warnende Meldungen zur möglichen höheren Inzidenz venöser Thromboembolien erschienen zwischen 1992 und 1995. Diese wurden analog zur höheren Inzidenz venöser Thromboembolien bei der Einnahme oraler Ovulationshemmer betrachtet. Das höhere Mammakarzinomrisiko wurde erstmals 1997 im Rahmen einer gross angelegten Metaanalyse beschrieben. Es war allerdings die Women's Health Initiative (WHI), welche erstmals 2002 auch in der breiten Öffentlichkeit auf grosses Interesse stiess und den bis dahin ungebremsten Siegeszug der Hormonsubstitutionsbehandlung in der Menopause beendete. Die in der Laienpresse stark übertriebene Inzidenzsteigerung des Mammakarzinoms (plus 25%) unter Einnahme einer Kombination von konjugierten Östrogenen, insbesondere Premarin (konjugierte equine Östrogene) in der klassischen Dosierung von 0,625 mg täglich und Medroxyprogesteronacetat (2,5 mg),
Merksätze
Siegeszug der Hormonsubstitution Im Zuge der Wohlstandsgesellschaft und der immer besseren medizinischen Versorgung der Bevölkerung stieg die Lebenserwartung der Frau kontinuierlich an. Im Jahr 1860 lag sie noch bei 51 Jahren, während sie 1970 schon bei zirka 75 Jahren lag und heute auf 84 Jahre angestiegen ist. Da der Zeitpunkt der Menopause im Lauf der Zeit unverändert bei zirka 51 Jahre geblieben ist, wurde in den letzten Jahrzehnten die östrogenlose Lebensphase bei Frauen immer länger. Der in unserer Gesellschaft tief verankerte Wunsch des ewigen Jungseins hat das Bedürfnis für die Anwendung von östrogen-
■ Die Hormonsubstitution sollte heute nur noch bei Vorliegen eines klimakterischen Syndroms erfolgen, mit der niedrigsten wirksamen Dosis und jährlichen Kontrolluntersuchungen.
■ Nach fünf Jahren ist regelmässig zu evaluieren, ob die Therapie weitergeführt werden soll. Allzu häufige Aussetzversuche sollten unterbleiben.
■ Die Risiken einer Hormonsubstitution in der Menopause treffen nicht auf Frauen mit einem Climacterium praecox zu.
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HORMONSUBSTITUTION IN DER MENOPAUSE
beruhte auf einer statistisch signifikanten Zunahme von 7 Krebsfällen bei insgesamt zirka 15 000 Frauen nach einer Behandlungsdauer von vier Jahren. Die relative Abnahme der Brustkrebsinzidenz unter Einnahme einer östrogenen Monotherapie bei Frauen nach Hysterektomie blieb hingegen nahezu unbeachtet. Nach der Veröffentlichung der WHI-Studien wurden schlagartig viel weniger Hormonpräparate verschrieben. In verschiedenen Regionen der Welt, auch in der Schweiz, wurden daraufhin signifikant weniger Fälle mit postmenopausalem Mammakarzinom beschrieben. Diese Abnahme wurde aber teilweise auch auf einen Rückgang der Anzahl durchgeführten Mammografien zurückgeführt.
Niedrige Dosis und richtiges Zeitfenster Neben dem Rückgang der Hormonsubstitutionsbehandlungen gab es eine Tendenz, die verwendeten Dosierungen zu reduzieren. Heute wird die Substitutionsbehandlung mit einer viel geringeren Dosis vorgenommen, für die bislang im Rahmen von Studien keine höhere Mammakarzinominzidenz verzeichnet werden konnte. Die Wirksamkeit dieser Vorgehensweise hinsichtlich der Osteoporosevorbeugung wurde bereits aufgezeigt. Zudem liess sich in neueren gross angelegten Beobachtungsstudien nachweisen, dass insbesondere der Typ des verabreichten Gestagens eine Rolle für die Inzidenz des Mammakarzinoms spielt. Bezüglich der auch in der WHI dokumentierten kardiovaskulären Risiken einer Hormonsubstitution hat eine erneute Analyse der Daten zeigen können, dass die vermeintlich höheren Risiken auf eine zu spät durchgeführte Hormonsubstitution zurückzuführen waren. Eine rechtzeitig nach der Menopause eingeleitete Hormonsubstitution senkt hingegen das kardiovaskuläre Risiko nachhaltig. Es gibt hier also ein bestimmtes Zeitfenster, das nicht verpasst werden sollte (window of opportunity).
Indikation und Durchführung Die Hormonsubstitution sollte heute nur noch bei gegebener Indikation, das heisst bei Vorliegen eines klimakterischen Syndroms und unter Abwägung der Vor- und Nachteile einer Therapie erfolgen. Dabei sollte die niedrigste wirksame Dosierung eingesetzt werden. Die Patientin muss auch darüber aufgeklärt werden, dass eine Hormonbehandlung nur dann wirksam ist, wenn sie tatsächlich langfristig eingenommen wird und dass das Therapiekonzept nach wie vor über mehrere Jahre angelegt ist. Allzu häufige Aussetzversuche sollten unterlassen werden, da diese eine negative Prägung verursachen können, welche ein späteres Absetzen der Therapie verunmöglichen kann. Die Richtlinien zur Indikation und Durchführung einer Hormonsubstitution wurden von der Schweizerischen Menopausengesellschaft (SMG) veröffentlicht (www.meno-pause.ch). Zu den Kontraindikationen für eine Hormonsubstitution zählen unklare vaginale Blutungen sowie eine unbehandelte Endometriumhyperplasie, hormonabhängige Tumoren in der
Anamnese, wie zum Beispiel Mammakarzinom und Endome-
triumkarzinom, frühere venöse thromboembolische Erkran-
kungen wie tiefe Venenthrombose und Lungenembolie sowie
kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Ereignisse bei unbe-
handelter arterieller Hypertonie.
Die Risiken einer Hormonsubstitution in der Menopause tref-
fen nicht auf Frauen mit einem Climacterium praecox zu. Es
wird empfohlen, dass Frauen, bei denen die Menopause vor
dem 45. Lebensjahr eintritt, bis zum durchschnittlichen
Menopausenalter (51. Lebensjahr) eine Hormonsubstitution
erhalten.
Eine Hormonsubstitution setzt regelmässige Kontrollunter-
suchungen voraus, das heisst einmal jährlich. Im Rahmen die-
ser Kontrolluntersuchungen sollten die Gesundheitsanamnese
wiederholt und die Lebensgewohnheiten erfragt werden. Eine
Bestimmung des Blutdrucks, des Körpergewichts und der
Körperlänge sind ebenfalls unerlässlich. In zweijährlichen Ab-
ständen sollte zudem eine Mammografie veranlasst werden.
Massnahmen zur Bestimmung der Knochendichte, zum Bei-
spiel mittels DEXA, sind unter Anwendung einer Hormon-
substitution nicht erforderlich, jedoch sollte eine genügende
Einnahme von Kalzium (1000 bis 1500 mg täglich) sowie von
Vitamin D (zirka 800 bis 1200 Einheiten pro Tag) sichergestellt
werden.
Unter diesen Bedingungen kann eine Hormonsubstitution wei-
terhin beibehalten werden. Allerdings sollte man nach fünf
Jahren regelmässig evaluieren, ob die Therapie weitergeführt
oder ein Auslassversuch durchgeführt werden soll. Falls die
Substitutionstherapie beendet werden soll, muss diese lang-
sam und ausschleichend erfolgen. Die Patientin soll darauf
hingewiesen werden, dass klimakterische Beschwerden dann
erneut auftreten können.
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Prof. Dr. med. Christian De Geyter Abteilungsleiter
Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin
Universitätsspital Basel, Frauenklinik Spitalstrasse 21 4031 Basel
E-Mail: cdegeyter@uhbs.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
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