Transkript
STUDIE REFERIERT
Fibrate verhindern vor allem Koronarereignisse
Metaanalyse untersucht kardiovaskuläre Risikoreduktion
Verschiedene klinische Studien
haben hinsichtlich der kardiovas-
kulären Effekte der Fibrate über
inkonsistente Ergebnisse berichtet.
Eine systematische Übersicht und
Metaanalyse hat dies an grossen
Zahlen überprüft.
LANCET
Die Pharmakotherapie zur Senkung des LDL-Cholesterins ist besonders mit Statinen effektiv und führt zu einer substanziellen Reduktion der Risiken für koronare Herzkrankheit und Stroke sowie der Mortalität. Ein hohes Restrisiko für kardiovaskuläre Ereignisse bleibt jedoch, weshalb die Frage nach weiteren präventiven Therapiemöglichkeiten aktuell bleibt. Als alternative Angriffspunkte bieten sich eine Anhebung des HDLCholesterins sowie eine Senkung der Triglyzeridspiegel an. Entsprechende Studien haben aber keine einheitlichen Resultate ergeben. Die Wirkstoffgruppe der Fibrate, die am Peroxisom-ProliferatorRezeptor (PPAR-α) als Agonisten wirken, sind seit über 40 Jahren bekannt. Sie vermögen HDL-Cholesterin zu steigern und LDL-Cholesterin, Triglyzeride und Chylomikronenremnants zu senken. Die Auswirkungen auf vaskuläre Ereignisse sind jedoch ungewiss. Zudem hatte die Wirkstoffgruppe aufgrund der Toxizität der ersten Fibrate und des Rhabdomyolyserisikos, vor allem bei der Kombination von Gemfibrozil mit Stati-
nen, ein Imageproblem. In den letzten Jahren wurden einige grosse Studien abgeschlossen, die teilweise einen Behandlungsnutzen, teilweise aber auch keinen Effekt belegen konnten. Die australischen Autoren dieser Untersuchung wollten die bis heute vorliegenden Daten zusammenstellen und die Evidenzlage für klinische Endpunkte schärfer fassen.
Methodik Aus den üblichen Quellen eruierten sie systematisch die bis März 2010 publizierten, prospektiven, randomisierten, klinischen Studien mit Fibraten, welche Outcomes wie schwere Herz-KreislaufEreignisse, Koronarereignisse, Stroke, Herzinsuffizienz, koronare Revaskularisation, Gesamtmortalität, kardiale und nicht kardiale Mortalität, plötzlichen Herztod, neu auftretende Mikroalbuminurie sowie die Medikamentennebenwirkungen mit denjenigen unter Plazebo verglichen. Mit einem RandomEffects-Modell wurden die Reduktionen des relativen Risikos (RR) geschätzt.
Ergebnisse Die Autoren fanden 18 Studien mit den Daten von 45 058 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, bei denen 2870 schwere kardiovaskuläre Ereignisse, 4552 Koronarereignisse sowie 3880 Todesfälle aufgetreten waren. Die Liste der Fibratstudien reicht von 1971 (noch mit Clofibrat [ausser Handel]) über weitere Vertreter der Wirkstoffklasse wie Gemfibrozil (Gevilon®) und Bezafibrat (Cedur® retard), bis zu Fenofibrat (Lipanthyl®) sowie Etofibrat (Lipo-Merz®, ausser Handel) und der 2010 publizierten ACCORD-LIPIDStudie. In den Berechnungen der Autoren ergab sich für die Fibratbehandlung
gesamthaft eine RR-Reduktion bei den schweren kardiovaskulären Ereignissen um 10 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI] 0–18; p = 0,048) und bei den Koronarereignissen um 13 Prozent (95%-KI 7–19; p = 0,0001), aber kein Effekt auf Hirnschläge (RR -3%; 95%-KI -16–9; p = 0,69). Die Autoren fanden auch keinen Effekt der Fibratbehandlung auf die Risiken für Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität, plötzlichen Tod und nicht vaskuläre Mortalität. Fibrate reduzierten das Risiko für eine Albuminurieprogression um 14 Prozent (95%-KI 2–25; p = 0,028). Basierend auf den Ergebnissen bei 17 413 Patienten und 225 Ereignissen fand sich keine signifikante Erhöhung des Risikos für medikamentöse Nebenwirkungen (RR 1,21; 95%-KI 0,91–1,61; p = 0,19). Erhöhungen der Kreatininspiegel waren jedoch häufig (RR 1,99; 95%-KI 1,46–2,70; p = 0,0001).
Diskussion Diese positiven Ergebnisse der gepoolten Daten vieler Untersuchungen bei Individuen mit einem breiten Spektrum von Ausgangscharakteristika kontrastieren mit denjenigen einzelner Studien, die keinen Nutzen sahen, wie die Autoren einräumen. Das hier gesehene Ausmass der Risikoreduktion in der Gesamtpopulation ist bescheidener als mit anderen präventiven Medikationen, die die Lipide, den Blutdruck oder die Blutgerinnung als Angriffsort hatten. Wie auch in anderen Situationen ergibt sich der
Merksätze
■ Fibrate können das Risiko für schwere kardiovaskuläre Erkrankungen vorwiegend über eine Senkung der Koronarereignisse vermindern.
■ Der Substanzklasse könnte damit ein Platz bei Individuen mit hohem kardiovaskulären Risiko sowie bei gemischter Hyperlipidämie zukommen.
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STUDIE REFERIERT
Welchen Platz haben Fibrate in den Empfehlungen der Schweizerischen Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA)?
In den Empfehlungen der Schweizerischen Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA), die als Pocketguide in Zusammenarbeit mit den wichtigen Fachgesellschaften Anfang Jahr neu herausgekommen sind (Quelle: www.agla.ch), werden auch Interventions- und Therapieziele angegeben, und eine Tabelle gibt Hinweise zur Wahl der lipidsenkenden Medikamente in verschiedenen klinischen Situationen. Sie werden bestimmt durch die Art der Blutfettstörung, aber auch durch Unverträglichkeiten der Wirkstoffklassen erster Wahl oder die Notwendigkeit von Kombinationstherapien bei sonst refraktären lipidologischen Problemen. Darin ist neben den favorisierten Statinen auch für Fibrate ein Platz vorgesehen:
Hypercholesterinämie (Definition je nach Risikoniveau*)
Gemischte Hyperlipidämie (LDL erhöht; Triglyzeride 1,7–5,0 mmol/l)
Schwere Hypertriglyzeridämie (Triglyzeride > 5,0 mmol/l)
1. Wahl Bei Unverträglichkeit
Statin
■ Ezetimibe ■ Harz ■ Nikotinsäure ■ evtl. lipidologisches Konsilium
Statin
■ Fibrat ■ Nikotinsäure ■ evtl. lipidologisches Konsilium
Fibrat
■ Nikotinsäure ■ Fischöl ■ evtl. lipidologisches Konsilium
Medikamentenkombinationen ■ Statin + Ezetimibe bei Nichterreichen der Zielwerte ■ Statin + Harz
■ Nikotinsäure + Ezetimibe ■ Statin + Nikotinsäure ■ Fibrat + Ezetimibe ■ Statin + Fibrat** ■ evtl. lipidologisches Konsilium
■ lipidologisches Konsilium
* LDL-Cholesterin-Zielwerte für Hochrisikopatienten: < 2,6 mmol/l; für Pat. mit intermediärem Risiko: < 3,4 mmol/l; für Pat. mit niedrigem Risiko: < 4,1 mmol/l. Interventionswert für Pat. ohne weitere Risikofaktoren: ≥ 4,9 mmol/l. ** Cave! Myopathierisiko; Kombination Gemfibrozil + Statin kontraindiziert wahre klinische Wert sowohl aus dem Ausmass der proportionalen Risikoreduktion als auch aus dem absoluten Risiko innerhalb einer Bevölkerung. Bei Hochrisikopopulationen führt auch eine nur 10- bis 15-prozentige relative Risikoreduktion zu einer lohnenden Abnahme des absoluten Risikos und einer plausiblen «number needed to treat». Aus den Subgruppenanalysen einzelner Studien ebenso wie aus der hier vorgelegten Übersicht geht hervor, dass Individuen mit besonders hohen Triglyzeridausgangswerten und auch solche mit gleichzeitig tiefem HDL-Cholesterin speziell von Fibraten profitieren. Die ACCORD-LIPID-Studie war die einzige Untersuchung, bei der ein Fibrat zusammen mit einer Statinbasistherapie verabreicht wurde. Sie konnte keinen klaren Fibratzusatznutzen nachweisen. Allerdings hatte ACCORD-LIPID nicht die notwendige Grösse, um einen Effekt in der in dieser Metaanalyse berechneten Grössenordnung sicher nachzuweisen. Da die ACCORD-LIPID-Ergebnisse im Übrigen nicht von denjenigen der anderer Studien mit Fibraten abwichen, sehen die Autoren kein überzeugendes Argument für die Erwartung, dass Fibrate doch einen therapeutischen Nutzen bringen. Den therapeutischen Wert der vier Fibrate diskutieren die Autoren sehr vorsichtig. In ihrer Metaanalyse hätten alle Punktschätzungen einen Nutzen angedeutet. Ausserdem habe eine signifikante Korrelation zwischen dem Ausmass der Triglyzeridsenkung und der Risikoreduktion bestanden. Der grösste Behandlungsnutzen hinsichtlich koronarer Ereignisse sei bei hohen Triglyzeridwerten (und tiefen HDL-Cholesterinspiegeln) sowie bei gutem therapeutischem Ansprechen der Lipide auf das Fibrat zu erwarten. Mit dieser Feststellung verbindet sich die Hoffnung, dass zukünftig noch potentere PPRA-α-Antagonisten mit gleichzeitig akzeptablem Nebenwirkungsprofil in die praktische Anwendung kommen werden. Die Autoren betonen das grosse Volumen der von ihnen analysierten Daten, erwähnen aber als Einschränkung auch, dass sie sich nur auf publizierte Studien stützen konnten, womit zum Beispiel ein arg verzerrender Publikationsbias nicht auszuschliessen ist (wofür sie Hinweise fanden). Als Schlussfolgerung streichen sie je- doch heraus, dass die Fibrattherapie das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankun- gen reduziert, indem sie Koronarereig- nisse verhütet. Das Ausmass des Effekts ist mässig, bei Hochrisikopatienten und bei Individuen mit gemischter Hyper- cholesterinämie dürften die modernen Fibrate dank ihrer Sicherheit und guten Verträglichkeit aber eine Rolle bei der kardialen Protektion spielen. ■ Min Jun et al.: Effects of fibrates on cardiovascular outcomes: a systematic review and meta-analysis. Lancet 2010; 375: 1875— 1884. DOI: 10.1016/S0140-6736(10)60656-3. Interessenlage: Die Studie wurde durch den National Health and Medical Research Council of Australia finanziert. Halid Bas 972 ARS MEDICI 23 ■ 2010