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Titel
Das neue Antiarrhythmikum Dronedaron
Untertitel
Eine Alternative zu Amiodaron?
Lead
Das neue Antiarrhythmikum Dronedaron hat die Zulassung für paroxysmales und intermittierendes Vorhofflimmern (VHF) erhalten. Die wenigen Daten zeigen eine dem Amiodaron klar unterlegene antiarrhythmische Wirkung bei VHF, aber ein günstigeres Nebenwirkungsprofil. Dennoch sind Sicherheitsbedenken — insbesondere bei manifester Herzinsuffizienz — nicht ausgeräumt. Deshalb raten wir von einer Anwendung bei diesen Patienten ab. Bei speziellen Patienten mit VHF (ältere mit mässigem kardiovaskulärem Risiko ohne schwere Herzinsuffizienz) könnte Dronedaron einen gewissen Wert als Alternative zu Amiodaron erlangen.
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MEDIZIN — Fortbildung
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513
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FORTBILDUNG
Das neue Antiarrhythmikum Dronedaron
Eine Alternative zu Amiodaron?

Das neue Antiarrhythmikum Dronedaron hat die Zulassung für paroxysmales und intermittierendes Vorhofflimmern (VHF) erhalten. Die wenigen Daten zeigen eine dem Amiodaron klar unterlegene antiarrhythmische Wirkung bei VHF, aber ein günstigeres Nebenwirkungsprofil. Dennoch sind Sicherheitsbedenken — insbesondere bei manifester Herzinsuffizienz — nicht ausgeräumt. Deshalb raten wir von einer Anwendung bei diesen Patienten ab. Bei speziellen Patienten mit VHF (ältere mit mässigem kardiovaskulärem Risiko ohne schwere Herzinsuffizienz) könnte Dronedaron einen gewissen Wert als Alternative zu Amiodaron erlangen.

Die Wirksamkeit von Dronedaron zur Erhaltung des Sinusrhythmus bei paroxysmalem oder intermittierendem Vorhofflimmern (VHF) oder -flattern sowie zur Frequenzkontrolle bei einem Rezidiv wurde im Vergleich zu Plazebo in der Doppelstudie EURIDIS-ADONIS an 1237 Patienten belegt (2). Das Risiko eines Rezidivs im ersten Jahr wurde von 75,2 auf 64,1 Prozent gesenkt, die rezidivfreie Zeit verdoppelt und die Ventrikelfrequenz bei einem Rezidiv signifikant vermindert. Die erste als Letalitätsstudie angelegte, plazebokontrollierte Studie war ANDROMEDA und schloss hospitalisierte Hochrisikopatienten ein (dekompensierte Herzinsuffizienz, linksventrikuläre Ejektionsfraktion < 35%; VHF war kein Einschlusskriterium und lag nur bei einer Minderzahl der Patienten vor). Sie musste 2003 wegen erhöhter Letalität in der Verumgruppe (25 vs. 12; im Wesentlichen bedingt durch Progredienz der Herzinsuffizienz) nach Einschluss von 627 statt geplanten 1000 Patienten abgebrochen werden (3). Betroffen waren vor allem Patienten mit ohnehin ungünstiger Prognose (schwere Herzinsuffizienzsymptome, hochgradig reduzierte linksventrikuläre Funktion, Niereninsuffizienz). Nach einer Hypothese des Herstellers könnte ein Grund sein, dass die behandelnden Ärzte wegen eines geringfügigen Kreatininanstiegs in der Verumgruppe zum (ungerechtfertigten) Absetzen von ACE-Hemmern ARZNEIMITTELBRIEF Auf der Suche nach Substanzen mit gleicher antiarrhythmischer Wirkung wie Amiodaron, aber weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) wurde Dronedaron von SanofiAventis (damals Sanofi-Synthélabo) bereits Mitte der Neunzigerjahre entwickelt. Nach einer bewegten Forschungs- und Entwicklungsphase ist in Europa die Vermarktung unter dem Namen Multaq® erfolgt. Dronedaron ist ein dem Amiodaron chemisch nahe verwandtes Klasse-III-Antiarrhythmikum ohne Jodgehalt, und es ist weniger lipophil. Die für Amiodaron typischen und die Anwendung häufig limitierenden organspezifischen UAW (Schilddrüse, Leber, Lunge, Haut, Augen, Nervensystem; vgl. [1]) sollen unter Dronedaron nicht oder deutlich seltener auftreten, und die Halbwertszeit soll kürzer sein (ca. 24 h). Dronedaron wird durch Zytochrom P 450 (CYP) 3A4 metabolisiert und ist selbst ein Inhibitor von CYP3A4 sowie ein schwacher Inhibitor von CYP2D6. Merksätze ■ Dronedaron ist ein dem Amiodaron chemisch nahe verwandtes Klasse-III-Antiarrhythmikum ohne Jodgehalt, und es ist weniger lipophil. ■ Die für Amiodaron spezifischen endokrinen, pulmonalen und neurologischen UAW wurden unter Dronedaron nicht beobachtet. ■ In der bisher einzigen direkten Vergleichsstudie zeigte sich Dronedaron im primären kombinierten Endpunkt (VHF-Rezidiv oder vorzeitiger Abbruch der Studienmedikation) deutlich unterlegen. ■ Zur endgültigen Beurteilung des Risikoprofils müssen Langzeitdaten (z.B. Spontanmeldungen von UAW nach der Zulassung) abgewartet werden. 950 ARS MEDICI 23 ■ 2010 NEUES ANTIARRHYTHMIKUM beziehungsweise Angiotensin-II-Antagonisten veranlasst wurden. Der Grund für die höhere Sterblichkeit ist also nicht klar. Bemerkenswert ist, dass in Subgruppenanalysen anderer Studien (VALIANT, SCD-HeFT) unter Amiodaron auch eine erhöhte Letalität bei Hochrisikopatienten beschrieben wurde (4). Die FDA lehnte aufgrund der ANDROMEDA-Ergebnisse im August 2006 den Antrag auf Zulassung von Dronedaron ab. Als zweite Letalitätsstudie wurde daraufhin ATHENA gestartet (5). Zwei Autoren waren Angestellte der Herstellerfirma. In diese Studie wurden 4628 Patienten mit VHF und zusätzlichen Risikofaktoren (Alter > 75 Jahre oder einer der folgenden: Hypertonie, Diabetes, Vorhofvergrösserung, vorausgegangenes zerebrovaskuläres Ereignis, Ejektionsfraktion < 40%) eingeschlossen, die randomisiert mit Dronedaron zweimal täglich 400 mg p.o. (2301 Patienten) oder Plazebo (2327 Patienten) behandelt wurden. Primärer kombinierter Endpunkt war die erste Aufnahme ins Krankenhaus aufgrund kardiovaskulärer Ursache oder Tod. Sekundäre Endpunkte waren Tod, Tod aufgrund kardiovaskulärer Ursache und Krankenhausaufnahme aufgrund kardiovaskulärer Ursache. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 21 ± 5 Monate. 30,2 Prozent der Patienten in der Verum- und 30,8 Prozent in der Plazebogruppe setzten die Studienmedikation vorzeitig ab, hauptsächlich wegen Unverträglichkeit. Der primäre Endpunkt wurde in der Verumgruppe bei 734 Patienten (31,9%) und unter Plazebo bei 917 Patienten (39,4%) erreicht (Hazard Ratio: 0,76; Konfidenzintervall: 0,69–0,84; p < 0,001). Die selteneren Krankenhausaufnahmen waren multifaktoriell bedingt, unter anderem durch weniger VHF, Myokardinfarkte, instabile AP und Schlaganfälle. Es fand sich eine signifikant niedrigere kardiovaskuläre Letalität (2,7 vs. 3,9%) unter Dronedaron, die vor allem auf eine Reduktion der arrhythmogenen Letalität (plötzlicher Herztod) und Schlaganfall zurückzuführen ist. Dagegen traten häufiger Bradykardie, QT-Zeit-Verlängerung, gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Diarrhö), Exantheme und Serumkreatininerhöhung auf. Endokrine und pulmonale UAW waren in beiden Gruppen gleich häufig. In der Studie waren auch 200 Patienten mit stabiler Herzinsuffizienz im Stadium NYHA III und 179 Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion < 35 Prozent eingeschlossen. Die Resultate in diesen beiden Subgruppen mit erhöhtem Risiko unterschieden sich in einer Post-hoc-Analyse nicht von denen der Gesamtstudienpopulation. Zu dieser Studie gibt es eine Reihe kritischer Leserbriefe (7). Die Leser fragen zum Beispiel: Warum wurde Amiodaron nicht als Vergleichssubstanz gewählt? Warum wurde bei guter Frequenzkontrolle überhaupt antiarrhythmisch behandelt? Warum wurden die weniger günstigen Ergebnisse von Untergruppen nicht veröffentlicht, aber beim Zulassungsantrag vorgelegt? Die Fragen werden von den Autoren nicht befriedigend beantwortet. Man hat den Eindruck, dass schon durch das Studienprotokoll und die Auswahl der veröffentlichten Daten die Wirkungen von Dronedaron günstig dargestellt werden sollten. Das schränkt die Aussagekraft der ATHENAStudie erheblich ein. Der bisher einzige direkte Vergleich zwischen Dronedaron und Amiodaron wurde in der DIONYSOS-Studie (504 Patienten nach Kardioversion bei > 72 h persistierendem VHF) durchgeführt, wurde aber bis jetzt nur in einer Pressemitteilung von Sanofi-Aventis und noch nicht in Fachzeitschriften publiziert (6). Trotz der leidigen Erfahrung, dass die Zahlen in Pressemitteilungen nicht selten von denen abweichen, die dann der Zulassungsbehörde vorgelegt werden, seien sie hier ausnahmsweise wiedergegeben. Dabei zeigte sich Dronedaron im primären kombinierten Endpunkt (EKG-dokumentiertes VHF-Rezidiv oder vorzeitiger Abbruch der Studienmedikation; mittlere Nachbeobachtungszeit 7 Monate) deutlich unterlegen (55,3

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vs. 73,9%). In einem vordefinierten kombinierten Sicherheitsendpunkt schnitt Dronedaron hingegen signifikant besser ab (42 vs. 33,3%). Dieser Unterschied fand sich insbesondere bei den für Amiodaron typischen UAW, nicht jedoch bei den für Dronedaron charakteristischen gastrointestinalen UAW. Unter Dronedaron wurden weniger QT-Zeit-Verlängerungen und Bradykardien und keine Torsade-de-pointes-Tachykardien beobachtet. Zur Beurteilung des Sicherheitsprofils von Dronedaron stehen aus bisherigen Studien Daten von 6285 Patienten zur Verfügung, von denen 3282 mit Verum und 2875 mit Plazebo bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 12 Monaten (in ATHENA: 21 Monate) behandelt wurden. Die häufigsten unter Dronedaron beobachteten UAW waren: Diarrhö, Nausea, Emesis, Erhöhung des Serumkreatinins, Exanthem, Bradykardie, QT-Zeit-Verlängerung. Abgesehen von einer Torsade-dePointes-Tachykardie wurden keine proarrhythmogenen Effekte beobachtet. Der Anstieg des Serumkreatinins wird auf die hemmende Wirkung von Dronedaron auf einen tubulären Kreatinintransporter zurückgeführt. Eine Auswirkung auf die glomeruläre Filtrationsrate wurde nicht beobachtet. Häufigste Ursache für ein vorzeitiges Absetzen von Dronedaron waren die gastrointestinalen UAW. Die für Amiodaron spezifischen endokrinen, pulmonalen und neurologischen UAW wurden unter Dronedaron nicht beobachtet. Auf Grundlage dieser Daten kam die FDA im März 2009 in einem beschleunigten Verfahren schliesslich zu einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung von Dronedaron. Die Zulassung ist anfangs Juli 2009 erfolgt. Mit der ATHENA-Studie ist Dronedaron zwar das erste Antiarrhythmikum, für das eine niedrigere Letalität als unter Plazebo nachgewiesen wurde. Dennoch ist die Substanz aus verschiedenen Gründen vorerst kritisch zu beurteilen: ■ Die Resultate der ANDROMEDA-Studie mit erhöhter Leta-
lität bei dekompensierter Herzinsuffizienz und linksventrikulärer Ejektionsfraktion < 35 Prozent geben nach wie vor Anlass zur Besorgnis. Bei diesen Patienten sollte Drone- daron nicht angewendet werden. Die Kriterien, nach denen Patienten mit nur mässiger Herzinsuffizienz mit Dronedaron behandelt werden könnten, werden in der Praxis aber nicht immer klar sein, so zum Beispiel bei Patienten, die im Verlauf ihrer Erkrankung intermittierend kardial dekompensieren beziehungsweise das NYHA-Stadium wechseln. In der ATHENA-Studie wurde bei Patienten mit mässig schwerer Herzinsuffizienz insgesamt zwar keine erhöhte Letalität gefunden, jedoch in kleinen, deutlich unterrepräsentierten Subgruppen. ■ Es gibt noch keine grosse Studie zum direkten Vergleich mit Amiodaron und keine Evaluierung gegenüber anderen Antiarrhythmika, zum Beispiel Betablocker, Propafenon. ■ Zur endgültigen Beurteilung des Risikoprofils müssen Langzeitdaten (z.B. Spontanmeldungen von UAW nach der Zulassung) abgewartet werden, zumal einige der für Amiodaron typischen UAW auch erst unter länger dauernder Anwendung auftreten. ■ Es fehlen Daten zu permanentem VHF und anderen Rhythmusstörungen, zum Beispiel ventrikuläre Tachykardien. ■ Literatur: 1. AMB 2007, 41, 45. 2. Singh, B.N. et al.: EURIDIS = European trial in atrial fibrillation or flutter patients receiving Dronedaron for the maintenance of sinus rhythm and ADONIS = American-Australian-African trial with Dronedarone in atrial fibrillation or flutter patients for the maintenance of sinus rhythm. N. Engl. J. Med. 2007, 357, 987. 3. Kober, L. et al.: ANDROMEDA = Antiarrhythmic trial with Dronedarone in moderate to severe CHF evaluating morbidity decrease. N. Engl. J. Med. 2008, 358, 2678. 4. Thomas, K.L. et al.: Am. Heart J. 2008, 155, 87. 5. Hohnloser, S.H. et al.: ATHENA = A placabo-controlled, double-blind, parallel arm Trial to assess the efficacy of dronedarone 400 mg bid for the prevention of cardiovascular hospitalization or death from any cause in patients with atrial fibrillation/atrial flutter. N. Engl. J. Med. 2009, 360, 668. 6. DIONYSOS = Efficacy and safety of Dronedarone versus Amiodarone for the maintenance of sinus rhythm in patients with atrial fibrillation: www.europcronline.com/fo/exchange/news/press_ releases.php?news_id=2765 (Zugriff am 16. Juni 2009). 7. Correspondence. Dronedaron in Atrial Fibrillation. N. Engl. J. Med. 2009, 360, 2479. Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Arzneimittelbrief» Nr. 7, Juli 2009. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber D. von Herrath und W. Thimme. 952 ARS MEDICI 23 ■ 2010