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STUDIE REFERIERT
Blutwäsche bei chronisch entzündlicher Darmerkrankung
Aussieben von Granulozyten und Monozyten ist hilfreich
Effekt (keine Verbesserung oder Verschlechterung), partielle Besserung oder Verringerung der notwendigen Kortikosteroiddosis, komplette Remission beziehungsweise (fast) keine klinischen Symptome ohne vorherige Erhöhung der Kortikosteroiddosis. Darüber hinaus erfolgten endoskopische Untersuchungen und eine Evaluation der Lebensqualität mittels einer visuellen 100-Punkte-Skala.
Bei Patienten mit chronisch akti-
ver IBD, bei denen keines der ver-
fügbaren Medikamente anschlägt,
kann mithilfe der Granulozyten-
Monozyten-Apherese eine Remis-
sion erreicht werden, gegebenfalls
kann sie auch mehrfach angewen-
det werden.
BMC GASTROENTEROLOGY
Für die Behandlung von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) steht zwar eine ganze Reihe von Medikamenten zur Verfügung, doch helfen diese nicht allen Patienten. Der Anteil an Patienten mit chronisch aktiver IBD trotz Behandlung liegt bei etwa 6 (Colitis ulcerosa) bis 19 Prozent (Morbus Crohn). Die verfügbaren Medikamente sind überdies mit zum Teil gravierenden Nebenwirkungen verbunden, besonders gefürchtet sind opportunistische Infektionen. In der kürzlich publizierten Studie wurden die Langzeitverläufe von 40 IBD-Patienten dokumentiert, die sich mangels Erfolg der medikamentösen Therapien zwischen 2002 und 2006 mehrfach einer Granulozyten-Monozyten-Apherese unterzogen. Die Idee dahinter beruht auf der Erkenntnis, dass diese Zellen eine zentrale Rolle bei den inflammatorischen Prozessen der IBD spielen.
Studiendesign 15 der Patienten litten an Colitis ulcerosa, 25 an Morbus Crohn. Voraussetzung war eine mindestens 6 Monate andauernde Krankheitsaktivität ohne Remission trotz optimaler konventioneller medikamentöser Therapie (Kortikosteroide, 5-Aminosalizylate [5-ASA], Azathioprin, 6-Mercaptopurin). Allen MorbusCrohn- Patienten hatte man eine Behandlung mit Infliximab angeboten, doch die meisten verzichteten darauf aus Angst vor Nebenwirkungen (16 von 25). Die Granulozyten-Monozyten-Apherese (GMA) erfolgte mithilfe einer Filtersäule, die mit speziellen Zelluloseacetatkügelchen gefüllt ist (Adacolumn®). Wenn Blut durch die Säule fliesst, bleiben Granulozyten und Monozyten hängen, während Lymphozyten und Erythrozyten passieren und wieder zurück in den Organismus gelangen. Die Blutwäsche erfolgt unter Zusatz von Heparin und dauert zirka eine Stunde. Bei allen Patienten wurde fünfmal im Abstand von je einer Woche eine GMA durchgeführt. Falls eine Remission ausblieb, erfolgten eine bis drei weitere GMA. Um die Einstichstellen zu schützen, wurden diese mit EMLA®-Pflaster vorbehandelt. Während der GMA-Therapie und dem Follow-up wurden 25 Patienten gleichzeitig mit Azathioprin und 18 mit 5-ASA behandelt. Bei 7 Patienten in Remission wurde zu Beginn der Apheresebehandlung Prednison in ausschleichender Dosierung gegeben (im Mittel 17,5 mg [5–40 mg]). Am Ende der Behandlung erhielt keiner der Patienten noch systemische Kortikosteroide. Die Evaluation des Therapieeffekts erfolgte nach 5, 10 und 20 Wochen und wurde in drei Kategorien eingeteilt: kein
Resultate Nach der Therapie (5 GMA in 5 Wochen) fand sich bei 34 Patienten ein Ansprechen auf die Therapie (85%). 26 von ihnen (10 Colitis ulcerosa, 16 Morbus Crohn) erreichten eine klinisch wie endoskopisch nachweisbare Remission (65%), die über 2 bis 58 Monate anhielt (im Mittel 14 Monate). Von den Patienten in Remission nahmen während der gesamten Therapieund Follow-up-Phase 11 weiterhin Azathioprin und 10 Patienten 5-ASA ein. Bei 14 der 26 Patienten kam es im weiteren Verlauf zu einem Rückfall. Sie erhielten erneut eine GMA, was bei 13 von ihnen zu einer zweiten Remission führte. Bei erneuten Rückfällen führte bei 7 Patienten eine dritte GMA zur Remission, bei 3 Patienten waren vier, bei einem Patienten fünf GMA dafür nötig. Bei 2 Patienten verschlechterte sich der Zustand nach der zweiten, beziehungsweise vierten erneuten GMA. Die GMA wurde im Allgemeinen gut vertragen, schwere Nebenwirkungen traten nicht auf. 2 Patienten klagten vorübergehend über Kopfschmerzen, 4 über Müdigkeit. Keiner der Patienten beendete die GMA-Therapie vorzeitig.
Merksätze
■ Bei Patienten mit chronisch aktiver IBD trotz medikamentöser Behandlung ist die Granulozyten-Monozyten-Apherese eine Option.
■ Sie kann bei Rückfällen auch mehrfach wiederholt werden.
968 ARS MEDICI 23 ■ 2010
STUDIE REFERIERT
KOMMENTAR
Prof. Frank Seibold, Gastroenterologie Spital Tiefenau,
Spital Netz Bern
Granulozyten-MonozytenApherese: Top oder Flop?
Die ersten Berichte über die GranulozytenApherese aus Japan liessen aufhorchen: hohe Remissionsraten mit zum Teil lang anhaltendem Erfolg und dies bei zu vernachlässigenden Nebenwirkungen. Infolge dieser Pilotstudie wurden weltweit etliche Studien initiiert, die leider sehr unterschiedliche Ergebnisse erbrachten. In der Tat ist das Bedürfnis für weitere Therapiemöglichkeiten bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa vorhanden, da ein Teil der Patienten auf die konventionelle Therapie mit Kortikosteroiden, Immunsuppressiva oder TNF-alphaBlockern nicht anspricht. Somit wäre ein alternatives Therapiekonzept wie die Säulenapherese, welche zu einer selektiven Absorption von Granulozyten und Monozyten auf den Zelluloseazetatpartikeln führt, eine willkommene Alternative. In der vorliegenden Studie fand sich eine
klinische Antwort bei 85 Prozent der
Morbus-Crohn- und Colitis-ulcerosa-
Patienten, eine komplette Remission
wurde bei 65 Prozent der Patienten
erreicht. Allerdings muss darauf
hingewiesen werden, dass die vor-
liegende Studie einige Schwächen
aufweist: Es war keine plazebokon-
trollierte, randomisierte Blindstudie und auch
die eingeschlossenen Patienten sind in dieser
Studie relativ schlecht charakterisiert. Eine
grosse Multizenterstudie, welche plazebokon-
trolliert durchgeführt wurde, hatte leider keinen
signifikanten Effekt dieser Therapie gezeigt. Es
gibt unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten
bezüglich Studiendesign inklusive Patienten-
auswahl, die für dieses negative Studienergeb-
nis verantwortlich sein könnten.
Sowohl Untersuchungen wie diese, als auch
etliche weitere Studien scheinen dennoch zu
zeigen, dass einzelne Patienten von der Säulen-
apherese profitieren. Leider ist derzeit nicht
klar, welche Subpopulation von Patienten auf
diese Therapie ansprechen wird. Insgesamt be-
darf es weiterer Studien mit höheren Patienten-
zahlen bis diese Therapie den Gastroenterolo-
gen und ihren Patienten ausserhalb von Zentren
empfohlen werden kann.
■
tienten eine chronische, therapierefrak-
täre Entzündung aufwiesen. Dies sei so-
mit ein anderes, homogeneres Patienten-
kollektiv als in der oben genannten ne-
gativen Studie. Während damals alle
Patienten mit aktiver Erkrankung aufge-
nommen worden seien (also auch solche
mit fluktuierendem Krankheitsverlauf),
habe man sich hier auf Patienten mit
chronisch aktiver Entzündung konzen-
triert. Möglicherweise spielten die Mono-
zyten bei chronisch aktiver Erkrankung
eine grössere Rolle als bei der fluktu-
ierenden, was den positiven Effekt der
GMA im «chronischen» Patientenkollek-
tiv erklären könnte. Eine sichere Identi-
fikation derjenigen Patienten mit der
grössten Aussicht auf Erfolg mittels GMA
sei nicht zuletzt auch wegen der Thera-
piekosten wichtig. Die Autoren errechne-
ten, dass in ihrer Studie, die in Stockholm
durchgeführt wurde, ein Monat in Remis-
sion mit zirka 1150 US-Dollar Material-
kosten für die Apharesesäule zu Buche
schlug.
■
Renate Bonifer
Schlussfolgerungen Die hohe Remissionsrate von 65 Prozent in dieser Beobachtungsstudie steht im Gegensatz zu einer vor 2 Jahren publizierten plazebokontrollierten Studie bei Patienten mit Colitis ulcerosa, in der die
GMA nicht besser abschnitt als Plazebo (eine scheinbare Blutwäsche). Die Autoren der vorliegenden Studie räumen ein, dass die fehlende Plazebokontrolle sicher ein Schönheitsfehler ihrer Studie sei, man aber bedenken müsse, dass all ihre Pa-
Lindberg A et al.: Long-term follow-up with granulocyte and monocyte apheresis re-treatment in patients with chronically active inflammatory bowel disease. BMC Gastroenterology 2010; 10: 73.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren Referentenhonorare des Herstellers der Apharesesäulen, der auch die statistische Auswertung der Daten finanzierte. Auf Studiendesign, Datenerhebung und -auswertung sowie den Entscheid zur Publikation und das Verfassen des Manuskripts hatte der Hersteller keinen Einfluss.
ARS MEDICI 23 ■ 2010 969