Transkript
FORTBILDUNG
Testosteron: neue Präparate — neue Daten
Der Hypogonadismus ist die häufigste Endokrinopa-
thie des Mannes, wird aber immer noch oft übersehen
und nicht behandelt. Neben den klassischen primären
und sekundären Formen des Hypogonadismus spielt
heute angesichts der steigenden Lebenserwartung
und der Anforderungen an die Lebensqualität der
Altershypogonadismus eine immer grössere Rolle in
der Praxis. Alle Formen des Hypogonadismus können
mit Testosteron behandelt werden.
EBERHARD NIESCHLAG
Die Symptome des Testosteronmangels sind klinisch und biochemisch einfach zu erfassen (Tabelle 1). Bei sekundärem Hypogonadismus kann vorübergehend eine stimulierende Therapie mit GnRH oder Gonadotropinen durchgeführt werden, wenn Kinderwunsch besteht und die Spermatogenese entfaltet werden soll. Nach Eintritt der Vaterschaft wird wieder auf Testosteron umgestellt.
Alte Präparate Die Substitution mit Testosteron (1) wird seit über 70 Jahren praktiziert und zählt zu den sichersten Therapien. Jedoch entsprachen die zur Verfügung stehenden Präparate (Tabelle 2) lange Zeit nicht den Anforderungen an eine optimale Substitution. So führt das in den Fünfzigerjahren eingeführte injizierbare Testosteronenanthat (Testeroni enantas, Testoviron® Depot) in den ersten Tagen nach der Injektion zu einem unphysiologisch hohen Serumspiegel, um dann nach 2 bis 3 Wochen, vor der nächsten Injektion, wieder in den subphysiologischen Bereich abzufallen. Der Patient empfindet dieses ständige Auf und Ab als unangenehm. Solange es keine anderen Präparate gab, musste dieser Nachteil hingenommen werden. Obwohl inzwischen bessere Präparate auf dem Markt sind, wird Testosteronenanthat weiterhin häufig verschrieben,
da es die preiswerteste Form der Testosteronsubstitution darstellt. Das seit Ende der Siebzigerjahre zur Verfügung stehende orale Testosteronundecanoat (Testeroni undecylas, Andriol® Testocaps) ist in seiner Resorbierbarkeit schlecht vorhersagbar und muss zur vollen Substitution 3-mal täglich in Kapselform mit einer Mahlzeit eingenommen werden. Erst in den letzten Jahren wurden durch die Einführung transdermaler und neuer injizierbarer Präparate die von den Therapeuten geforderten physiologischen Testosteronserumspiegel erreicht.
Neue Präparate Die ersten transdermalen Präparate, die auf das Skrotum (Testoderm TTS*) oder das Abdomen (Androderm®*) aufgetragen wurden, sind entweder wegen Unpraktikabilität oder zu starker Hautirritationen wieder vom Markt verschwunden. Neuerdings kam erneut ein Pflaster zur klinischen Anwendung, das kaum Hautirritationen verursacht und in 3 verschiedenen Grössen/Dosierungen zur Verfügung steht (Testopatch®). Einen echten Durchbruch in der Anwendung bildeten die auf die Haut aufzutragenden Testosterongele, die entweder im Beutel (Androgel®, Testogel®, Testotop®*) oder in Tuben (Testim®*) angeboten werden. Ein weiteres Testosterongel kann mittels eines Dosierspenders feiner dosiert werden (Tostran®). Da die Haut des Skrotums besser resorbiert als das übrige Integument, konnte gezeigt werden, dass bei Auftragung von Testotop®* auf das Skrotum nur ein Fünftel der am übrigen Integument erforderlichen Gelmenge appliziert werden muss, um eine adäquate Substitution zu erreichen (2). Allerdings ist das Präparat für diese Applikationsform bisher nicht zugelassen.
Merksätze
■ Alle Formen des männlichen Hypogonadismus können mit Testosteron behandelt werden.
■ Die Wahl des Präparats sollte nach Aufklärung über die Vor- und Nachteile gemeinsam mit dem Patienten erfolgen.
■ Bei der Indikation für eine Testosteronsubstitution und der Dosiswahl muss sehr sorgfältig vorgegangen werden.
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Tabelle 1: Symptome des Hypogonadismus Tabelle 1: bei Knaben und Männern
Organ/Funktion vor abgeschlossener Pubertät
nach abgeschlossener Pubertät
Behaarung
Stimme Haut Knochen
Muskulatur Penis Hoden Libido und Potenz
horizontale Pubes gerade Stirnhaargrenze mangelnder Bart
fehlender Stimmbruch
kein Sebum, blass
eunuchoider Hochwuchs, Anämie unterentwickelt
infantil
klein
nicht entwickelt
Verlust der sekundären Geschlechtsbehaarung
— Sebum ↓, Fältelung Osteoporose, Anämie
Atrophie — Volumen ↓, Konsistenz ↓ Verlust
Tabelle 2: Präparate zur Testosteronsubstitution Tabelle 2: in der Schweiz
Applikation intramuskulär
Substanz
Testosteronenanthat 250 mg / 2—3 Wochen
Medikamente Testoviron® Depot 250
12 Wochen. Danach dauert das Regelintervall 12 Wochen. Je nach den dann erreichten Testosteronserumspiegeln kann das Injektionsintervall auf bis zu 14 Wochen verlängert oder bis auf 10 Wochen verkürzt werden. Die supraphysiologischen Spitzenwerte, wie sie bei Testosteronenanthat beobachtet werden, treten hier nicht auf. Bei Einhaltung der Injektionsintervalle in der angegebenen Form werden stets Serumwerte im physiologischen Bereich erzielt (4, 5).
Therapiewahl Die Wahl des Präparats sollte nach Aufklärung über die Vor- und Nachteile gemeinsam mit dem Patienten erfolgen. Jüngere Patienten neigen eher zur Wahl des intramuskulären Testosteronundecanoats, da im Schnitt nur 4 Injektionen pro Jahr erforderlich sind und der Patient sich in der Zwischenzeit nicht um die Substitution kümmern muss, während die Anwendung von Testosterongelen einen gewissen täglichen Aufwand mit sich bringt, den auf sich zu nehmen ältere Patienten eher bereit sind. Ausserdem empfehlen die Leitlinien zur Behandlung des Altershypogonadismus, dass zunächst mit einem kurz wirkenden transdermalen oder oralen Testosteronpräparat beim älteren Patienten begonnen wird und nach dem Ablauf eines nebenwirkungsfreien Jahrs auf ein Depotpräparat umgestellt werden kann (6).
Testosteronundecanoat
Nebido®
Überwachung der Therapie
1000 mg nach 6 Wochen,
Beim älteren Patienten (über 45 Jahre) muss vor
dann alle 12 Wochen
Therapiebeginn ein Prostatakarzinom durch di-
transdermal
Testosteron 50—125 mg in 5 g Gel täglich
Androgel® 25/50 mg Testogel® 25/50 mg Tostran® 20 mg
gitale Untersuchung und PSA-Bestimmung ausgeschlossen werden. Diese Untersuchung sollte ein halbes und ein Jahr nach Therapiebeginn wiederholt werden und danach in jährlichen Ab-
Pflaster
Testopatch® 1,2/1,8/2,4 mg/24 h
ständen. Ein auffälliger Tastbefund oder ein er-
oral
Testosteronundecanoat
Andriol® Testocaps
3—4 Kapseln à 40 mg
täglich
höhtes PSA verlangen eine sofortige Abklärung und ein eventuelles Absetzen der Testosterontherapie. In denselben Abständen wird auch das rote Blutbild überprüft (Erythrozyten und
Hämatokrit), da insbesondere bei älteren Patien-
ten die Erythropoese stimuliert wird und bei
Die neueste Entwicklung auf dem Sektor der transdermalen Überschreiten der Normalwerte die Gefahr von Thrombose
Testosteronpräparate bildet ein alkoholbasierter Spray, der in und Apoplex droht (7). Weiterhin dienen die in Tabelle 3 ange-
die Achselhöhle appliziert wird (Axiron®*). Hierbei handelt es gebenen Parameter zur Überprüfung der Testosterontherapie,
sich um eine einfach applizierbare Testosteronverabreichung, wobei vor allem auf die Knochendichte hingewiesen sei, die
die bei Frauen in niedriger Dosierung (3) bereits zugelassen ist unter Testosteronsubstitution zunimmt und eine Osteoporose
(nicht in der Schweiz).
verhindern kann.
2004 wurde zunächst in Deutschland und inzwischen welt-
weit Testosteronundecanoat zur intramuskulären Injektion Grenzwerte als Indikation zur Substitution
(Nebido®) eingeführt. 1000 mg in 4 ml öliger Lösung werden Da sich die Indikation für eine Testosteronsubstitution aus
injiziert, die zweite Injektion folgt nach 6 und die dritte nach der Diagnose Hypogonadismus ergibt, der durch klinische
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Tabelle 3: Überwachung Tabelle 3: der Testosteronsubstitutionstherapie
Psychische und sexuelle Parameter ■ allgemeines Wohlbefinden ■ geistige und körperliche Aktivität ■ Stimmung ■ Libido ■ Erektionen ■ sexuelle Aktivität
Somatische Parameter ■ Körperproportionen ■ Körpergewicht ■ Muskelmasse und Kraft ■ Fettmasse und -verteilung ■ Behaarung (Bart, Pubes, Stirnhaargrenze) ■ Sebum ■ Stimmbruch ■ lokale Nebenwirkungen an der Applikationsstelle
Laborparameter ■ Testosteron im Serum
(SHBG, freies Testosteron, Testosteron im Speichel) ■ Gonadotropine (LH, FSH) ■ (DHT, Estradiol) ■ Erythropoese (Hk, Erys, Hb) ■ ggf. Leberenzyme, Lipidwerte, HbA1c
Prostata/Samenblasen ■ Ejakulatvolumen ■ Prostatagrösse (Palpation und TRUS) ■ PSA im Serum ■ Uroflow
Knochen ■ Knochendichte
Symptome und niedrige Testosteronwerte im Blut charakterisiert ist, ergibt sich die Frage, ab welchen Testosteronwerten mit einer Substitution begonnen werden soll. Bisher wurden starre Grenzen angegeben, die allerdings überraschenderweise in verschiedenen Ländern auf unterschiedlichem Niveau liegen (8). So wird als unterer Grenzwert, unterhalb dessen eine Substitution indiziert ist, in Deutschland 10 bis 12, in Spanien 9, in Grossbritannien 8 und in Frankreich 7,5 nmol/l angenommen. Eine eingehendere Untersuchung der Grenzwerte ergab, dass einzelne Symptome unterschiedliche Schwellenwerte haben und bereits unter 15 nmol/l ein Verlust von Libido und Antriebskraft beobachtet werden, aber erst unter 8 nmol/l eine erektile Dysfunktion eintritt (9) (Abbildung). Die Einstellung der Ärzteschaft zu den verschiedenen Symptomen diktiert also die untere Normgrenze stärker als die Klagen des Patienten!
Testosteron nmol/l
Anzahl Patienten
20
n = 74
normal
15
Libidoverlust Verlust der Antriebskraft
12
Zunahme Fettmasse
10 Depressivität
Konzentrationsmangel
8 Diabetes (auch bei Nichtadipösen)
n = 69 n = 84 n = 65 n = 67
Hitze, Schwitzen erektile Dysfunktion
n = 75
0
Abbildung: Schwellenwerte des Testosterons für das Auftreten der Symptome des Altershypogonadismus bei 434 Patienten des Instituts für Reproduktionsmedizin (9).
Androgenrezeptorpolymorphismus Darüber hinaus spielt der Androgenrezeptorpolymorphismus eine Rolle bei der Transaktivierungsaktivität der Testosteroneffekte in den Zielorganen. Dies hat einen deutlichen Einfluss auf Wirkung und Nebenwirkungen einer Testosterontherapie (4). Auch die Körperzusammensetzung des einzelnen Patienten beeinflusst die Effektivität der Testosteronwirkung. So neigen adipöse Hypogonadale eher zu einer Polyzythämie als normalgewichtigte Hypogonadale. Bei der Dosierung des Testosterons werden die spezifischen Schwellenwerte für die einzelnen Symptome, der Polymorphismus des Androgenrezeptors und die Konstitution des Patienten in Zukunft eine grössere Rolle spielen, bei der optimalen Gewährleistung einer Substitution.
Metamorphose des Testosterons In den letzten Jahren gewinnen die Zusammenhänge zwischen metabolischem Syndrom und Hypogonadismus immer mehr an Beachtung (10). So ist die Prävalenz von Hypogonadismus bei Männern mit einem metabolischen Syndrom erhöht, und Patienten mit Hypogonadismus tragen ein höheres Risiko für die Entwicklung des metabolischen Syndroms, eines Diabetes mellitus, eines Bluthochdrucks und einer Dyslipidämie. Durch den Testosteronabfall wird auch die erhöhe Inzidenz der erektilen Dysfunktion beim metabolischen Syndrom erklärt. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass eine Testosterontherapie (bei nachgewiesenem Mangel!) die einzelnen Komponenten des metabolischen Syndroms günstig beeinflusst und somit immer häufiger Teil der therapeutischen Strategien beim metabolischen Syndrom wird (11).
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TESTOSTERON: NEUE PRÄPARATE — NEUE DATEN
Neuerdings konnte auch eine negative Assoziation von C-reaktiven Proteinen und Testosteron gefunden werden, was auf einen antiinflammatorischen Effekt des Testosterons hinweist (12). Als weiteres Beispiel der vielfältigen Funktionen des Testosterons seien auch Befunde aufgeführt, die erniedrigte Testosteronwerte im Blut als prädisponierend für kardiovaskuläre Erkrankungen betrachten (13) und eine Besserung der kardialen Situation bei sonst optimal behandelten Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz unter zusätzlicher Testosterongabe feststellten (14). Inzwischen schreiben epidemiologische Studien dem Testosteron eine Rolle als Prädiktor für die Lebenserwartung schlechthin zu. Man konnte zeigen, dass die Höhe der Testosteronkonzentrationen im Blut mit der allgemeinen Lebenserwartung positiv korreliert (15, 16). Auch wenn sich aus dieser Rolle des Testosterons als Prädiktor für den Gesundheitszustand schlechthin noch keine therapeutischen Konsequenzen ergeben, zeigen sie doch, wie sich die Perzeption des Testosterons als reines «Sexualsteroid» zum für den Gesundheitszustand bedeutenden Universalhormon wandelt.
Indikation sorgfältig stellen!
Abschliessend sei betont, dass bei der Indikation für eine
Testosteronsubstitution und der Dosiswahl sehr sorgfältig vor-
gegangen werden muss, wie eine jüngste Studie beweist (17).
Hierbei wurden im Schnitt 75-jährige Patienten aufgrund von
Immobilität (Gehstrecke um 100 Meter, weniger als 10 Stufen
steigen können) und niedrigen Testosteronwerten für eine
hoch dosierte Substitution ausgewählt. Da die Verumgruppe
mehr kardiovaskuläre Ereignisse als die Plazebogruppe ent-
wickelte, wurde die Studie abgebrochen.
Die Auswahl der Patienten widersprach allerdings den er-
wähnten internationalen Richtlinien (6), indem nicht auf Sym-
ptome des Hypogonadismus, sondern nur auf Immobilität ge-
achtet wurde, obwohl andere schwere Krankheiten (wie Herz-
insuffizienz) vorher optimal eingestellt oder kuriert sein
sollen. Die Testosterondosierung soll so gewählt werden, dass
die Serumwerte im unteren bis mittleren Normbereich liegen.
Wären diese Kriterien bei der abgebrochenen Studie beachtet
worden, wäre es wahrscheinlich nicht zu den Zwischenfällen
gekommen, denn auch eine vor Kurzem veröffentlichte Meta-
analyse von 51 Studien zur Testosteronbehandlung fand
keine Erhöhung kardiovaskulärer Ereignisse unter dieser
Therapie (7).
■
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Gesundheit des Mannes. 3. Auflage, Springer Heidelberg 2009. 2. Kühnert B, Byrne M, Simoni M et al.: Testosterone substitution with a new transdermal, hydro-
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Nieschlag Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie
Universitätsklinikum Münster Dogmakstrasse 11, D-48129 Münster E-Mail: Eberhard.Nieschlag@ukmuenster.de
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