Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Endlich ein eingängiger Name für ein Übel, das keineswegs nur Grossbritannien heimsucht, das in Grossbritannien aber kürzlich ein Thema wurde: Quangos. Quangos (der Begriff wurde bereits 1967 geprägt) sind «qua(si) n(on)g(overnmental) o(rganization)s». Organisationen also, die staatliche Funktionen wahrnehmen, aber ausserhalb der Verwaltung und jenseits jeglicher demokratischer Kontrolle agieren. Quangos messen, kontrollieren, prüfen, regulieren, zertifizieren, überwachen, fördern – grad wie es ihnen beliebt. Sie bieten ihren Mitarbeitern sichere, bequeme, von äusseren Einflüssen fast freie, autonom modifizierbare, von Effizienzzwängen unabhängige und, da selber kaum kontrolliert, meist gut bezahlte Arbeitsplätze. Es gibt sie auch in der Schweiz. Sie heissen dann zum Beispiel Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, Stiftung Umweltbildung Schweiz, Obsan (Schweizerisches Gesundheitsobservatorium) und so weiter.
■■■
Arthur Lydiard war der Erfinder des Joggens. Er starb 2004 – an einem Herzinfarkt (immerhin erst mit 87 Jahren – wer weiss, wann er ohne Joggen gestorben wäre). Jimi Heselden war der Erfinder des Segways, des bei der deutschen Polizei etwas holprig «Selbstbalance-Roller» genannten, elektrisch angetriebenen zweirädrigen «Personal Transporters», wie ihn auch amerikanische Polizisten benutzen. Heselden starb 62-jährig. Er konnte seinen Skooter vermutlich nicht rechtzeitig anhalten und stürzte über eine Klippe. Dumm gelaufen.
■■■
Diskussion mit Ruth Westheimer, der bekannten amerikanischen Sexberaterin (die rechtzeitig aus Nazi-Deutschland in die Schweiz floh und in einem Mädchen-
pensionat lebte). Thema: Sexualität im Alter. Westheimer: «Wenn die Schwiegermutter oder -tochter nicht nervt, das Paar keinen Streit hat, keine Arthrose schmerzt, kurz, wenn alles stimmt, dann kann man Sex haben bis ins Alter von 99. Was danach ist, weiss ich nicht.»
■■■
Mutige Aussage des Homöopathika herstellenden und anwendenden Drogisten Donat Baur im «Club»: «67 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben genug von dieser Spitzenmedizin.» Oops, wirklich? MRT, CT, PET, Intensivstationen, Transplantationen, High-Tech-Hörgeräte, Biologicals, Interferone, Zytostatika und so weiter und so fort – alles für bloss einen Drittel unserer Patienten? Und die anderen vertrauen auf Bioresonanz, Bachblüten und Kügelchen? Wer ums Himmels willen verursacht dann die immer höheren Gesundheitskosten?
■■■
Unterschiedliche Ansichten auch über die Datenlage: 22 Studien belegen Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit der Homöopathie, ist Baur überzeugt. Da sind andere anderer Meinung: Keine einzige methodisch saubere Studie hat bisher zweifelsfrei nachweisen können, dass Homöopathie wirkt. Ja was nun?
■■■
Popper warnte als erster vor Methoden und Systemen, die sich nicht falsifizieren lassen. Das Vorgehen hat selbstverständlich System: Es lässt sich die Unwirksamkeit einer Behandlung nicht wissenschaftlich nachweisen, wenn die wissenschaftliche Relevanz der Kontrollmethode daran gemessen wird, ob sie die Wirksamkeit der Behandlung bestätigt oder nicht. Anders
gesagt (grobe Interpretation der Forderungen von Herr Baur, Chefarzt ParacelsusKlinik): Wir akzeptieren zur Beurteilung der Wirksamkeit der Homöopathie nur Methoden, die nachweisen, dass die Homöopathie wirksam ist.
■■■
Fast alle Jahre wieder verfallen irgendwelche Leute auf eine alte Idee. Diesmal ist es Frau Nationalrätin Estermann, die die Sommerzeit abschaffen und einen neuen Sonderfall Schweiz – eine Zeitinsel CH – kreieren will. Warum nur? Weil sie (die Bevölkerung und vermutlich sie selber ebenso) monatelang nach der Umstellung nicht schlafen könne, weil die Herzinfarktrate steige, die Schüler in der Schule versagten, den Firmen riesige Umstellungskosten entstünden. Einzig die Kühe müssen diesmal nicht als Grund herhalten. Vielleicht würden all die Probleme – von der chronischen Schlafstörung über den Herzinfarkt bis zum Schulversagen – verschwinden, wenn sich Frau Estermann klar machen würde, dass nicht etwa die Zeit verstellt wird, sondern lediglich die Uhren, die die immer noch exakt gleiche Zeit messen.
■■■
Notfalls hilft Melatonin. Das gibts neuerdings auch in der Schweiz legal zu kaufen. Frau Estermann würde aber vermutlich auch Kamillentee helfen, wenn sie nur fest daran glaubte. Und den schulversagenden Schülern – soferns die tatsächlich gäbe – eine Stunde weniger am PC oder vor dem TV.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 21 ■ 2010 837