Transkript
BERICHT
Respiratorische Allergien bleiben häufig
Präventionsvorschläge reichen von «mehr Dreck» bis zu Würmern
In der Schweiz gibt es mehr als zwei Millionen von Allergien betroffene Personen, aber nur 180 ausgebildete Allergologen. Auf der Liste der häufigsten Konsultationen in der Praxis figurieren Allergien bereits an dritter oder vierter Stelle. Die allergologische Fortbildung der Hausärzte bedürfe noch der Verbesserung, sagen die Allergologen.
ALFRED LIENHARD
In den letzten Jahrzehnten nahm die Häufigkeit respiratorischer Allergien sehr stark zu. Bereits mehr als ein Drittel der Bevölkerung Europas ist sensibilisiert. Hausstaubmilben bilden die häufigste Allergiequelle, gefolgt von Gräserpollen und Katzenspeichel. In der Schweiz sind aktuell fast 25 Prozent der Bevölkerung von respiratorischen Allergien betroffen, wobei 15 Prozent an Heuschnupfen leiden und fast 10 Prozent an Asthma. Gemäss der aktuellen Hygienehypothese spielt verminderter Kontakt mit Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten eine wichtige Rolle bei der Zunahme der Allergiefälle. Abhilfe liesse sich möglicherweise durch «ein bisschen mehr Dreck» schaffen, wie sich Professor Dr. Arthur Helbling, Allergologisch-Immunologische Poliklinik, Universitäts-Inselspital, Bern, an der Jahresversammlung 2010 der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin ausdrückte.
Jedes zehnte Pferd hat Asthma Die Zunahme von Allergien beschränkt sich jedoch nicht auf Menschen, sondern sie betrifft auch Tiere. Bereits jedes zehnte Pferd hat Asthma. Offenbar
leben Schweizer Pferde in zu sauberen Ställen. Zudem werden sie innerlich allzu gründlich durch chronisches Entwurmen gesäubert. Für saisonale Atemwegsallergien spielt der durch Emissionen bedingte Anstieg des CO2-Gehalts in der Luft eine wichtige Rolle, weil er Pflanzen zu vermehrter und verfrühter Pollenproduktion antreibt. Typischerweise beginnen Pollenallergien im Schulalter bis etwa Mitte 20. Mehr und mehr kommen aber auch ältere Erwachsene, die über 50 sind, in die Sprechstunde, weil sie plötzlich erstmals an Heuschnupfen erkrankt sind. Pollen von Frühblühern (Hasel, Erle) gelangen bereits an sonnigen Wintertagen um die Fastnachtszeit in die Luft. An Ostern folgen dann die Birkenpollen. Auch die Esche ist im Frühling eine relevante Pollenallergiequelle. Wenn dieser Baum nicht in Betracht gezogen wird, besteht die Gefahr, dass die spezifische Immuntherapie nicht zum gewünschten Erfolg führt.
Ein einziges Gras testen Gräser beginnen, als Mittelblüher, ihre Pollen um Pfingsten freizusetzen. Als Repräsentant der über 10 000 Gräserarten wird in der Allergologie das Wiesenlieschgras verwendet. Da alle Gräser,
78. SGIM-Jahrestagung Basel, 19. bis 31. Mai 2010
mitsamt den Edelgräsern wie Roggen oder Weizen, kreuzreaktiv sind, muss nicht jedes Gras speziell getestet werden. Es ist ausreichend, ein einziges Gras zu testen. Die dadurch erreichte Kostenersparnis ist erheblich. Anfang August hat dann der Gemeine Beifuss (Artemisia vulgaris) als Spätblüher seinen Auftritt. Verwandt mit Beifuss ist das Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia), dessen Pollen sehr aggressiv ein allergisches Asthma provozieren können. In der Deutschschweiz ist Ambrosia, nicht zuletzt dank erfolgreichen Ausreissaktionen, von geringer Bedeutung.
Prototyp der Pilzallergien Bei Spätsommerasthma im August und September sollte immer an Pilzallergien gedacht werden. In dieser Jahreszeit werden beispielsweise Alternariasporen freigesetzt, die gefürchtet sind, weil sie gehäuft für tödliche Asthmaanfälle junger Patienten verantwortlich waren. Die ubiquitär vorkommenden Sporen des auf Gräsern wachsenden Schimmelpilzes Alternaria alternata können in die Lungen gelangen und bei sensibilisierten Personen eine saisonale allergische Rhinitis oder ein schweres Asthma auslösen.
Millionen von winzigen Bettgenossen Über die Hälfte der von ganzjährigen Atemwegsallergien betroffenen Personen
850 ARS MEDICI 21 ■ 2010
RESPIRATORISCHE ALLERGIEN
sind gegen Hausstaubmilben sensibilisiert, Kinder mit Asthma sogar zu 80 Prozent. Die oben nackten Hausstaubmilben sind unsere Bettgenossen und ernähren sich von unseren Hautschuppen. Eine Matratze enthält zwischen 100 000 und 10 Millionen Milben. Die behaarten Vorratsmilben leben dagegen im Stall oder im Tierfutter. Wer aber bei D. farinae an eine im Mehl lebende Vorratsmilbe denkt, ist auf dem Holzweg, denn es handelt sich um die amerikanische Hausstaubmilbe (in Europa: D. pteronyssinus). Bei Hausstaubmilbenallergien unterhält die meist nur geringgradige Allergenexposition eine chronische Entzündung in Nase, Nebenhöhlen und Bronchien. Erst indirekt werden beispielsweise beim Kochen (Dämpfe), bei Kälte oder bei sportlicher Aktivität Rhinitis- oder Asthmasymptome ausgelöst. Obschon also das Allergen die Symptome nicht unmittelbar auslöst, ist es letztlich für die Beschwerden verantwortlich. Im Wohnbereich stellt sich oft die naheliegendste Allergenquelle (z.B. Katze oder Hund) als falsche Fährte heraus. Eine umsichtige Abklärung der tatsächlichen Allergieursache lohnt sich, bevor das Haustier weggegeben oder das Haus verkauft wird, betonte Arthur Helbling.
Aktuelle komponentenbasierte Diagnostik Die Anamnese spielt in der Allergiediagnostik weiterhin die Hauptrolle. Bei der Haut- oder Bluttestung kann das für die Allergie verantwortliche Allergen neuerdings präziser erfasst werden. Insgesamt werden mehr als 100 einzelne Allergene unterschieden und durch eine spezielle Nomenklatur gekennzeichnet. Beispielsweise steht Bet v1 für das Hauptallergen, das als erstes Allergen (deshalb Ziffer 1) bei Birkenpollenkörnern (Betula verrucosa, deshalb Bet v) beschrieben wurde. Immuntherapieextrakte sind auf die Hauptallergene standardisiert. Wenn eine Sensibilisierung auf ein Hauptallergen vorliegt (z.B. Bet v1), kann von der spezifischen Immuntherapie (SIT) ein gutes Resultat erwartet werden. Weniger Erfolg versprechend ist diese Behandlung, wenn nur eine Sensibilisierung auf ein Nebenallergen (z. B. Bet v2) besteht.
Lend me a worm, please! Zurzeit erhalten weniger als 5 Prozent der Patienten mit Atemwegsallergien eine SIT. Die Indikation zur SIT sollte immer durch Allergologen gestellt werden, die Durchführung kann von Hausärzten übernommen werden. Bei All-
ergien, die durch Pollen oder Hausstaubmilben verursacht werden, ist bei mehr als 80 Prozent der Patienten mit guten Erfolgen der SIT zu rechnen. Bei Insektengiftallergien ist die SIT sogar in 95 Prozent der Fälle wirksam. Auch Tierallergien gegen Katze, Hund oder Pferd können mit der SIT behandelt werden. Eine neue Behandlungsmethode will Nutzen aus der Beobachtung ziehen, dass bei Personen, die mit Hakenwürmern infestiert sind, weniger Asthma und weniger Sensibilisierungen vorkommen. Jetzt laufen Versuche, Patienten im Februar mit Wurmeiern zu infestieren, damit sie im Juni von Heuschnupfen verschont bleiben. Im August steht dann die Entwurmung auf dem Programm. ■
Alfred Lienhard
ECHO
BNP-Test
Unnötige Kostenlawine «dank» Krankenkassenvergütung
Seitenlange Artikel über den Nutzen von BNP bestätigen mir nach über 40 Jahren Allgemeinpraxis, dass mein Labor und mein differenzialdiagnostisches Prozedere à jour sind. Weil Helsana und die OKK diesen — relativ teuren — Test aber nur bezahlen, wenn er im Grosslabor gemacht wurde — und weil diese Herren nicht einsichtig sind —, überweise ich jeden Fall, der mit BNP geklärt werden könnte und sollte, notfallmässig in die
Klinik. Immer mit entsprechendem Kommentar beim Patienten und beim Aufnahmearzt und im Bewusstsein, damit eine absolut unnötige Kostenlawine auszulösen. Ich schütze mich damit vor dem Vorwurf, einen akuten Fall — wegen Verzögerung durch das auswärtige Labor — nicht zeitgerecht erfasst zu haben. Ich hoffe, dass der Patient dann Konsequenzen beim Verbleib bei seiner Krankenkasse zieht. ■
Dr. med. Jakob Riediker 8307 Effretikon
ARS MEDICI 21 ■ 2010 851