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FORTBILDUNG
Reflux und funktionelle Erkrankungen der Speiseröhre — eine Volkskrankheit?
Als gastroösophagealen Reflux bezeichnet man einen durch eine transiente Relaxation des unteren Ösophagussphinkters bedingten Rückfluss von Mageninhalt in die Speiseröhre. Hauptsymptom bei Patienten mit Säurereflux ist retrosternales Brennen (Sodbrennen). Die Differenzialdiagnose von gastrointestinal bedingten retrosternalen Schmerzen umfasst aber neben der gastroösophagealen Refluxerkrankung weitere, sogenannte funktionelle Ösophaguserkrankungen. Die Diagnostik richtet sich nach den individuellen Beschwerden.
MARCEL HALAMA UND HEIKO FRÜHAUF
Ursachen der gastroösophagealen Refluxerkrankung Wie aus Zwillingsstudien bekannt ist, sind genetische Faktoren bei bis zu 30 Prozent der Patienten beteiligt. Wie bei den meisten funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen spielen jedoch äussere Faktoren und die indivuelle Lebensgewohnheit die führende Rolle (Tabelle 2) (2). Raucher haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, Refluxsymptome zu entwickeln, und auch Adipositas ist mit dem Auftreten einer Refluxerkrankung assoziiert. Darüber hinaus nehmen adipöse Patienten meist höhervolumige und kalorienreichere Mahlzeiten zu sich, die zu vermehrtem gastroösophagealem Reflux führen.
Pathophysiologie Der ösophagogastrale Übergang ist bei der Entstehung einer gastroösophagealen Refluxerkrankung von entscheidender Bedeutung. Bei gesunden Personen sowie Patienten mit mildem oder mässigem Reflux treten die meisten Refluxepisoden im Zusammenhang mit vorübergehenden Relaxationen des unteren Ösoophagussphinkters auf (sog. transient lower esophageal sphincter relaxations, TLESR). Patienten mit einer gastroösophagealen Refluxerkrankung weisen aber nicht notwendigerweise mehr TLESR auf, sondern vor allem strukturelle Veränderungen am ösophagogastralen Übergang, die
Etwa 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung leidet an regelmässigen Refluxbeschwerden. Nur etwa jeder Zweite dieser Patienten geht zum Arzt. Refluxbeschwerden sind definiert als Rückfluss von Mageninhalt (Luft, Speisen, Säure) in die Speiseröhre infolge transienter Relaxationen des unteren Ösophagussphinkters. Hauptsymptom der Patienten mit Säurereflux ist retrosternales Brennen (Sodbrennen). Weitere typische Beschwerden von Patienten mit einer gastroösophagealen Refluxerkrankung sind retrosternales Druckgefühl, Luftaufstossen, Dysphagie, Regurgitation von Speiseresten (Volumenregurgitation) oder epigastrisches Brennen. Extraösophageale Beschwerden der Refluxerkrankung können chronischer, typischerweise nächtlich auftretender Husten, Heiserkeit, asthmatische Beschwerden und Zahnschmelzerosionen sein. Etwas weniger klar ist die Assoziation mit Sinusitiden, rezidivierender Otitis media oder einer Lungenfibrose (Tabelle 1) (1).
Merksätze
■ Die Refluxerkrankung ist häufig, führt aber nur selten zum Aufsuchen des Arztes.
■ Jeder Patient mit Alarmsymptomen muss mittels Ösophagogastroduodenoskopie weiter abgeklärt werden.
■ Bei erosiver Refluxerkrankung ist meist eine Dauertherapie mit einem niedrig dosierten Protonenpumpeninhibitor notwendig.
■ Eine ungenügend behandelte erosive Refluxerkrankung kann zu schwerwiegenden Komplikationen führen.
■ Die Impedanz-pH-Manometrie ist der Standard zur Diagnose funktioneller Ösophaguserkrankungen.
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Tabelle 1: Mit Reflux assoziierte Symptomatik
Typische Symptomatik ■ Sodbrennen ■ nicht kardiale Thorakodynie ■ saurer Rückfluss
Atypische Symptomatik ■ Dysphagie ■ Globusgefühl ■ Dyspepsie/Bauchschmerzen
Extraösophageale Symptomatik ■ Heiserkeit/Halsschmerzen ■ chronischer Husten ■ Sinusitis/Otitis ■ Laryngitis/Stimmbandpolypen ■ erosive Veränderungen der Zähne ■ nicht atopisches Asthma bronchiale ■ rezidivierende Aspirationen/Lungenfibrose
Neoplasien ■ Adenokarzinome des Ösophagus ■ HNO-Tumore
Tabelle 2: Faktoren, welche zu Reflux führen Tabelle 2: können
Genetische Faktoren ■ positive Familienanamnese
Demografische Faktoren ■ Alter ■ kaukasische Abstammung ■ Adipositas ■ Schwangerschaft
Verhaltensassoziierte Faktoren ■ Rauchen ■ Alkohol ■ Mahlzeiten mit grossem Volumen ■ hochkalorische (fetthaltige) Mahlzeiten ■ schnelle Nahrungsaufnahme ■ hoher Salzgehalt ■ faserarme Kost
Umweltfaktoren ■ Helicobacter-pylori-Infektion
Medikamentöse Therapie ■ Medikamente mit relaxierendem Effekt auf den unteren
Ösphagussphinkter (Kalziumantagonisten, Anticholinergika, Theophyllin, Nitrate) ■ Medikamente, die eine Gastroparese verursachen (Opiate, Steroide) ■ nichtsteroidale Antirheumatika
während dieser Ereignisse zu einer verminderten Refluxbarriere führen (3). Sind diese strukturellen Veränderungen progredient, steigt das Risiko für Refluxereignisse während der kurzen Sphinkterrelaxationen, das Refluxvolumen nimmt zu und erreicht auch proximale Ösophagusabschnitte. Dies führt zu einer Zunahme der Häufigkeit und der Schwere von Refluxsymptomen (4). Bei Patienten mit schwerer gastroösophagealer Refluxerkrankung liegt oft eine axiale Hiatushernie vor. Dadurch kommt es zu einer weiteren Zunahme des Reflux, da grössere Volumina von Magensaft ungehindert in den Bruchsack und in die Speiseröhre gelangen können. Eine ineffektive Ösophagusmotilität mit konsekutiver unzureichender Clearance ist ein weiterer Faktor, der zur Entwicklung einer Refluxerkrankung beitragen kann. Dies ist vor allem auf eine verlängerte Kontaktzeit mit der Magensäure, aber auch anderen Substanzen wie Gallensalze oder Pepsin zurückzuführen und erhöht das Risiko für die Entwicklung mukosaler Komplikationen.
Ösophagogastroduodenoskopie Bei Patienten mit Alarmsymptomen (Dysphagie, Gewichtsverlust, Anämie, starken Schmerzen, länger dauernder Anamnese, Alter >50 Jahre, Erbrechen) sollte primär immer eine Ösophagogastroduodenoskopie erfolgen (5). Endoskopisch können alternative Diagnosen ausgeschlossen und der Schweregrad der Refluxösophagitis beurteilt werden. Ohne Alarmsymptome kann auch ohne vorherige endoskopische Abklärung eine probatorische Therapie mit einem Protonenpumpeninhibitor in einer Dosierung von 20 bis 40 mg/täglich für zwei bis vier Wochen durchgeführt werden. Bei fehlender Besserung sollte aber zwingend eine Ösophagogastroduodenoskopie erfolgen. Bei unauffälligem endoskopischem Befund kann trotzdem ein pathologischer gastroösophagealer Reflux vorliegen. Man spricht dann von einer sogenannten nicht erosiven gastroösophagealen Refluxerkrankung (NERD). Diese Diagnose kann nur mittels 24-Stunden-pH-Metrie gestellt werden.
24-Stunden-Impedanz-pH-Metrie Den Goldstandard in der Diagnostik der gastroösophagealen Refluxerkrankung stellt die 24-Stunden-Impedanz-pH-Metrie dar. Mit der pH-Metrie kann die pathologische ösophageale Säureexposition objektiviert und der Zusammenhang zwischen Refluxepisoden und Symptomen dokumentiert werden (Abbildung). Bei endoskopischem Nachweis einer Refluxösophagitis ist die pH-Metrie jedoch zur Diagnosestellung nicht erforderlich. Stehen Patienten bereits unter einer PPI-Therapie, ist der diagnostische Stellenwert der pH-Metrie begrenzt. Persistierende Symptome werden in dieser Patientengruppe selten durch Säurereflux verursacht. In diesen Fällen hat sich die Impedanz-pHMetrie bewährt, mit der die Bewegungsrichtung von die Speiseröhre passierenden Gas- und Flüssigkeitsboli zusätzlich zu deren pH-Wert bestimmt werden kann. So konnte mit dieser
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Videofluoroskopie Zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung insbesondere eines Zenker-Divertikels, bei dem typischerweise Erbrochenes morgens auf dem Kopfkissen zu erkennen ist, kann eine Videofluoroskopie durchgeführt werden. Hierzu wird röntgendichtes Kontrastmittel unter Durchleuchtung des Patienten geschluckt. Es kann danach der Reflux des Kontrastmittels vom Magen in die Speiseröhre, die Füllung von Divertikeln oder ein relevantes Passagehindernis dokumentiert werden.
Abbildung: 24-h-Impedanz-ph-Metrie (Ausschnitt) mit typischer saurer Refluxepisode. In der zweiten Kurve von unten ist deutlich der vorübergehende pH-Abfall im distalen Ösophagus erkennbar. Die unterste Kurve zeigt den sauren Magen-pH, in den übrigen Kurven ist der von unten nach oben fortschreitende vorübergehende Abfall der Impedanz während der sauren Refluxepisode zu beobachten.
Impedanz-pH-Manometrie Mittels Impedanz-pH-Manometrie kann man eine Refluxerkrankung von einem Ruminationssyndrom unterscheiden. Das Ruminationssyndrom tritt gehäuft bei Kindern oder Erwachsenen mit Essstörungen oder anderen psychiatrischen Erkrankungen auf. Bei der Rumination kommt es postprandial zu unbewusstem forciertem Aufstossen von geschluckter Nahrung. Es bestehen hierbei keine Übelkeit, keine Abdominalschmerzen, und die Nahrung schmeckt nicht sauer. Die aufgestossene Nahrung wird danach wieder zerkaut und geschluckt. Die Therapie besteht aus Verhaltenstraining.
Methode gezeigt werden, dass Protonenpumpeninhibitoren zwar die Magensäure supprimieren, nicht aber die Anzahl von (nicht sauren) Refluxepisoden reduzieren. Diese stellen eine häufige Ursache für persistierende Symptome unter der Therapie dar (6, 7). In einer kürzlich publizierten Studie wurden die Resultate der kombinierten Impedanz-pH-Metrie in einer Gruppe von Patienten mit endoskopisch negativer Refluxerkrankung, Patienten mit erosiver Ösophagitis und einer gesunden Kontrollgruppe miteinander verglichen (8). Wie auch in vorangegangenen Studien konnten 80 Prozent der von den Patienten angegebenen Beschwerden im Sinne von Magenbrennen und Regurgitation auf sauren Reflux zurückgeführt werden. Die Säureexposition des Ösophagus war bei Patienten mit endoskopisch negativer Refluxerkrankung niedriger als bei solchen mit erosiver Ösophagitis. Im Gegensatz dazu war die Assoziation zwischen Refluxereignissen und Symptomen (Symptomindex) sowohl für sauren als auch nicht sauren Reflux höher. Daher können Patienten mit einer empfindlichen Speiseröhre typische Refluxsymptome auch nach chemischen (Säure) oder mechanischen Reizen (wie Gas oder nicht saurem Reflux) entwickeln. Eine hohe Assoziation zwischen Symptomen und Refluxepisoden (Symptomindex) spricht daher für eine viszerale Hypersensitivität (9). Diese Befunde deuten darauf hin, dass die ösophageale Säureexposition (pH-Metrie) und die viszerale Sensitivität (Symptomindex/Impedanz-pH-Metrie) als unabhängige Faktoren zum Schweregrad der Refluxsymptomatik beitragen können. Diese Befunde können in der Praxis hilfreich sein, um die Therapie entweder auf eine Reduktion der Säureexposition des Ösophagus oder auf die verminderte Wahrnehmung von Refluxepisoden auszurichten.
Nicht medikamentöse Therapie Mit der Änderung der Lebensgewohnheiten kann man die Häufigkeit und Schwere von Refluxsymptomen reduzieren, eine medikamentöse Therapie lässt sich jedoch damit häufig nicht vermeiden. Nicht medikamentöse Therapieansätze zielen auf Gewichtsreduktion bei adipösen Patienten, Vermeiden von Mahlzeiten kurz vor dem Schlafengehen, Oberkörperhochlagerung und individuelle Vermeidung von auslösenden Speisen und Getränken (10). Für die empfohlenen Allgemeinmassnahmen fehlt allerdings eine klare wissenschaftliche Evidenz, wobei ein fehlender Wirksamkeitsnachweis nicht zwangsläufig bedeutet, dass diese Massnahmen wirkungslos sind!
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) PPI sind die Therapie der Wahl bei Patienten mit einer gastroösophagealen Refluxerkrankung. Protonenpumpeninhibitoren sind bezüglich Abheilung einer Refluxösophagitis und einer Symptomenlinderung den Histamin-2-Rezeptorblockern überlegen, die ihrerseits wiederum einem Plazebo überlegen sind. Die Wirksamkeit aller verfügbaren PPI ist im Wesentlichen gleich (11). Die empfohlene Therapie ist die Gabe einer Standarddosis einmal täglich (je nach gewähltem Präparat 20 bis 30 mg/Tag), idealerweise 20 bis 30 Minuten vor dem Essen. Bei fehlender Besserung kann auf eine zweimal tägliche Gabe erhöht werden. Die zusätzliche Einnahme eines H2-Rezeptor-Antagonisten hat keinen zusätzlichen Nutzen. Die additive oder gar alleinige Gabe von Metoclopramid bei Reflux ist aufgrund des Nebenwirkungsprofils nicht zu empfehlen (12). Nach 4- bis 6-wöchiger Therapie kann versucht werden, den Protonenpumpeninhibitor zu pausieren und auf eine bedarfsadaptierte «On-demand»-Therapie zu wechseln. Bei Patienten
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mit nicht erosiver Refluxerkrankung ist dies häufig erfolgreich, wohingegen bei Patienten mit erosiver Refluxösophagitis nach Absetzen des PPI innerhalb eines Jahres mit einer Rezidivrate von 80 Prozent gerechnet werden muss (13). Falls eine Dauertherapie notwendig sein sollte, ist die kleinste mögliche wirksame Dosis anzustreben. In einer kürzlich erschienen Studie konnte gezeigt werden, dass es nach Absetzen des PPI bei gesunden Kontrollpersonen zu vermehrten Symptomen kommt. Die Relevanz und der klinische Stellenwert dieser Befunde bei der Therapie von Patienten mit Refluxerkrankung sind gegenwärtig noch umstritten (14, 15). Die PPI-Therapie ist insgesamt gut verträglich. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (10%), Blähungen (5–10%), Diarrhö (5%) und Bauchschmerzen (5%). Im Langzeitgebrauch konnte einzig ein zweifach erhöhtes Risiko für eine Clostridium-difficile-Kolitis gezeigt werden (16). Eine grosse retrospektive Studie zeigte, dass Patienten, die Clopidogrel und einen PPI einnehmen, im Vergleich zu einer Clopidogrelmonotherapie keine vermehrten kardiovaskulären Nebenwirkungen entwickelten (17).
Seit wenigen Monaten sind in der Schweiz gewisse PPI in niedriger Dosierung auch rezeptfrei als sogenannte OTC-Medikation (over the counter) erhältlich und werden entsprechend beworben. Die Auswirkung der freien Verfügbarkeit dieser Substanzklasse insbesondere im Hinblick auf die Zunahme von Symptomen nach Absetzen kann noch nicht abgeschätzt werden.
Andere Medikamente gegen Refluxsymptome Trotz der verbesserten Möglichkeiten zur Erkennung von nicht sauren Refluxepisoden bleibt die medikamentöse Therapie persistierender Symptome unter Säuresuppression unbefriedigend. Die Erhöhung der PPI-Dosis kann zwar die viszerale Sensitivität durch eine Reduktion der Schleimhautirritation vermindern, die Refluxepisode an sich aber nicht verhindern. Alginatpräparate wie Gaviscon® können durch Ausbildung einer viskösen Schicht über den Mageninhalt kurzfristig helfen. Prokinetika wie Domperidon können durch eine Tonuserhöhung im unteren Ösophagussphinkter und vor allem durch eine Beschleunigung der Magenentleerung gastroösophagealen Reflux vermindern. Viszerale Analgetika wie niedrig dosierte
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trizyklische Antidepressiva, zum Beispiel Amitryptilin, können die Symptomatik durch eine Reduktion der Hypersensitivität auf Refluxepisoden verbessern. Baclofen, in der Schweiz unter dem Namen Lioresal® in Tablettenform für die Behandlung der muskulären Spastizität bei multipler Sklerose verfügbar, vermag die Häufigkeit der transienten Relaxationen des unteren Ösophagussphinkters zu reduzieren, ist in dieser Indikation jedoch nicht zugelassen. Aufgrund der beeinträchtigten Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Strassenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen ist das Medikament auch nicht unproblematisch.
Chirurgie Ein chirurgisches Vorgehen (Fundoplicatio) ist zu evaluieren, wenn 1. Patienten einen nicht kontrollierbaren Volumenreflux auf-
weisen oder 2. eine pH-metrisch dokumentierte, fehlende gastrale Säure-
suppression unter hoch dosierter PPI-Therapie mit verschiedenen PPI-Medikamenten besteht oder 3. ein gutes Ansprechen, aber eine schwere Unverträglichkeit besteht.
Kontrollierte Studien zeigen im Langzeitvergleich eine gleiche Effektivität für die Chirurgie wie für eine PPI-Dauertherapie. Die PPI-Therapie ist allerdings deutlich sicherer (10). Zudem brauchen 30 bis 50 Prozent der operierten Patienten nach fünf respektive zehn Jahren doch einen PPI.
Komplikationen bei Refluxerkrankungen Ob Patienten mit gastroösophagealer Refluxerkrankung Komplikationen erleiden, kann nicht vorausgesagt werden. Neuere Konzepte gehen davon aus, dass sich die Refluxerkrankung je nach Ausmass der Säureexposition primär als erosive oder nicht erosive Refluxösophagitis oder als Barrett-Ösophagus manifestieren kann. Die erosive Refluxösophagitis kann unbehandelt zu peptischen Stenosen/Strikturen führen, und ein Barrett-Ösophagus kann in ein Adenokarzinom übergehen (18). Peptische Strikturen/Stenosen: Bei andauernder Refluxösophagitis kann es im distalen Ösophagus zur Ausbildung narbiger Stenosen kommen. Die Patienten können sich dann häufig nur noch flüssig ernähren. Die Therapie besteht in der Dilatation der Stenose. Barrett-Ösophagus: Bei ungefähr 10 Prozent der Patienten mit einer erosiven Refluxerkrankung findet sich ein sogenannter Barrett-Ösophagus, der nur endoskopisch und bioptisch diagnostiziert werden kann. Hierbei kommt es zu einer intestinalen Metaplasie des Plattenepithels im distalen Anteil des Ösophagus. Der Barrett-Ösophagus gilt als Präkanzerose, weshalb in der Folge je nach Dysplasiegrad regelmässige Gastroskopien mit Entnahme von Quadrantenbiopsien aus dem Ösophagus notwendig sind. Zudem sollten diese Patienten dauerhaft und hoch dosiert mit PPI behandelt werden. Eine retrospektive Analyse zeigt, dass eine PPI-Therapie bei Patienten mit BarrettÖsophagus das Dysplasierisiko um 75 Prozent senkt (19).
Adenokarzinom: Ungefähr 10 Prozent der Patienten mit einem Barrett-Ösophagus entwickeln unbehandelt ein Adenokarzinom im distalen Ösophagus.
Funktionelle Erkrankungen der Speiseröhre Die Differenzialdiagnose von gastrointestinal bedingten retrostenalen Schmerzen beinhaltet aber neben der gastroösophagealen Refluxerkrankung weitere sogenannte funktionelle Ösophaguserkrankungen. Als funktionell bezeichnet man generell Erkrankungen, bei denen sich keine zugrunde liegende strukturelle oder organische Ursache finden lässt. Die wichtigsten Beschwerden von Patienten mit funktionellen Ösophaguserkrankungen sind neben Refluxbeschwerden retrosternale Schmerzen und Dysphagie (unspezifische Schluckstörung). Jede Dysphagie stellt eine Indikation zur Abklärung mittels Ösphagogastroduodenoskopie dar. Zur Diagnose von funktionellen Erkrankungen der Speiseröhre kann eine Ösophagusmanometrie einen wichtigen Beitrag leisten. Je nach den manometrisch vorliegenden Druckverhältnissen im tubulären Ösophagus lassen sich hypo- von hypertensiven Ösophagusmotilitätsstörungen unterscheiden. Hypotensive Motilitätsstörungen: Hypotensive Druckverhältnisse im tubulären Ösophagus finden sich bei Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen, typischerweise bei der Sklerodermie oder dem CREST-Syndrom. Es kommt dabei zu einem verzögerten bis fehlenden Transport von festen und flüssigen Speisen durch den tubulären Ösophagus und zu einer insuffizienten Clearance von Reflux. Der untere Ösophagussphinkter ist häufig hypoton und insuffizient. In der Ösophagogastroduodenoskopie kann deshalb bei diesen Patienten gehäuft eine Refluxösophagitis gefunden werden. Die Diagnose kann nur mittels Manometrie gestellt werden, eine alleinige endoskopische oder radiologische Abklärung ist ungenügend. Achalasie: Die Achalasie ist eine Erkrankung der Speiseröhre, die primär durch eine Aperistaltik (fehlende propulsive Kontraktionswellen) im tubulären Ösophagus gekennzeichnet ist. Sekundär kommt es zu einer fehlenden oder inkompletten Relaxation des unteren Ösophagussphinkters. Die Achalasie ist ein seltenes Krankheitsbild. Die Inzidenz liegt bei 0,03 bis 1/100 000 pro Jahr. Differenzialdiagnostisch muss eine Pseudoachalasie im Rahmen von Tumorerkrankungen ausgeschlossen werden. Zur Therapie stehen endoskopische und chirurgische Verfahren zur Verfügung. Welche Therapie eingesetzt wird, hängt unter anderem vom Alter des Patienten, den Komorbiditäten und den Präferenzen des Patienten ab. Diffuse Ösophagusspasmen/Nussknackerösophagus: Bei diffusen Ösophagusspasmen kommt es zu simultanen Muskelkontraktionen in der Speiseröhre. Es fehlt die sogenannte propulsive (vorwärtsgerichtete) Peristaltikwelle. Die Kraft der Muskelkontraktionen ist normal oder erhöht. Im Gegensatz dazu ist beim Nussknackerösophagus die propulsive Peristaltik vorhanden, aber die Druckamplituden der tubulären Kontraktion sind deutlich zu hoch (>180 mmHg). Die häufigste Ursache diffuser Ösophagusspasmen ist die Refluxerkrankung. Alle Patienten mit diffusen Ösophagusspasmen sollten primär
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während 4 bis 6 Wochen hoch dosiert mit Protonenpumpeninhibitoren behandelt werden. Wenn es zu keiner klinischen Besserung kommt, sollte sekundär ein Therapieversuch mit einem Kalziumantagonisten erfolgen. Der Protonenpumpeninhibitor sollte aber dennoch weiter eingenommen werden, da die Kalziumantagonisten zu einer Senkung des Drucks im unteren Ösophagussphinkter führen und somit Reflux begünstigen können.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Heiko Frühauf Oberarzt, Leiter Funktionsdiagnostik Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100 8091 Zürich
Tel. 044-255 26 45, Fax 044-255 45 91 E-Mail: heiko.fruehauf@usz.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
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