Transkript
FORTBILDUNG
Neue Wege in der Hepatitis-C-Therapie
Bessere, niederschwellige Bedingungen für die medikamentöse Behandlung schaffen
4 von 5 künftigen Patienten mit chronischer Hepatitis C
sind Drogenkonsumenten. Im Missverhältnis dazu
steht die Anzahl der Behandelten. Um diese Epidemie
und die damit verbundenen Kosten in den Griff zu be-
kommen, müssen in der Hepatitis-C-Therapie dringend
neue Wege begangen werden.
PHILIP BRUGGMANN
Hepatitis-C-Epidemie Die Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) weist bei Drogenkonsumenten das Ausmass einer Epidemie auf. Bei 3 von 4 Methadonpatienten in der Schweiz sind Antikörper gegen dieses Virus nachweisbar. 80 Prozent der neu infizierten Hepatitis-C-Patienten stecken sich durch Drogenkonsum an (1). Trotzdem werden drogenabhängige Hepatitis-C-Patienten viel seltener antiviral behandelt als Patienten mit anderen Ansteckungswegen (2). Sowohl heute wie vermehrt noch in Zukunft ist der Hepatitis-C-Therapiekandidat folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Person mit einem Drogenproblem. Nicht mehr die Überdosis, sondern Leberversagen ist die Haupttodesursache von Patienten unter Methadonsubstitution. Fast immer ist neben mehreren anderen hepatotoxischen Faktoren eine chronische Hepatitis-C-Virusinfektion im Spiel. Anstrengungen, die Versorgungslage bezüglich Hepatitis C in der Risikogruppe der Drogenkonsumierenden zu verbessern, sind demnach nicht nur aus epidemiologischen, sondern auch aus gesundheitsökonomischen Gründen angezeigt (3). Aufgrund der bestehenden Evidenz ist heute unbestritten, dass Drogenkonsumierende erfolgreich gegen Hepatitis C behandelt werden können (4).
Möglichst alle behandeln Sobald eine stabile Lebenssituation erreicht wird und unabhängig vom aktuellen Fibrosegrad ist aufgrund der multifaktoriellen Belastungssituation der Leber (Alkohol, Cannabis, Dauermedikationen etc.) und einer damit einhergehenden
erhöhten Zirrhosegefahr eine Hepatitis-C-Therapie bei möglichst jedem dieser Suchtpatienten anzustreben. In einer Studie von Volk et al. wird klar gezeigt, dass aus Public-Health-Sicht durch einen besseren Zugang zur Therapie mehr erreicht werden kann als durch die Verbesserung der Wirksamkeit einzelner angewandter Substanzen (5), sprich, dass so mehr HCV-Infizierte erfolgreich behandelt werden können und somit rascher eine relevante Verminderung des Viruspools in der Bevölkerung erreicht werden kann. Aus der Erfahrung der letzten Jahre wissen wir, dass der gängige Versorgungsweg über die Spezialpraxis/Kliniksprechstunde für viele Patienten mit einer Suchtproblematik nicht funktioniert hat. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und bestehen sowohl auf der Arzt- wie auch auf der Patientenseite. Hervorzuheben gilt es, dass die hohe Prävalenz an psychischer Komorbidität eine grosse Herausforderung an das Versorgungssystem stellt, respektive dass das aktuelle Hepatitis-CVersorgungssystem speziell für Drogenkonsumenten mit psychischen Erkrankungen nicht adäquat ist (4, 6).
Einbettung in die Grundversorgung Verschiedene Modelle haben gezeigt, dass mittels Integration der Hepatitis-C-Therapie in die Grundversorgung Patienten behandelt werden können, die in herkömmlichen Settings abgelehnt wurden (7, 8). Wird die Behandlung in einem multidisziplinären Team angeboten, kann den psychischen, sozialen und medizinischen Problemen während der Therapie am besten begegnet werden.
Merksätze
■ Hepatitis C bei Drogenkonsumenten stellt ein ernsthaftes öffentliches Gesundheitsproblem dar.
■ Die Integration der Hepatitis-C-Therapie in die Grundversorgung von Suchtpatienten hilft, der Unterversorgung entgegenzutreten.
■ Alle beteiligten Fachgebiete sind gefordert, zusammenzuarbeiten und gemeinsam neue Settings zu schaffen, um der steigenden leberbedingten Mortalität und Morbidität von Drogenabhängigen zu begegnen.
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FORTBILDUNG
In Zukunft gilt es also, in der Schweiz die Hepatitis-C-Therapie vermehrt an den Orten anzubieten, an denen die primäre Versorgung von Drogenkonsumierenden stattfindet. Dies ermöglicht neben einem multidisziplinären Therapieansatz auch die Verhinderung von Kontaktabbrüchen durch Zuweisungen – ein erhebliches Problem in der Versorgung dieser Patientengruppe – und eine engmaschige Betreuung während der ganzen Medikationsperiode, idealerweise gekoppelt an die Suchtbehandlung respektive Substitutionstherapie. Alle beteiligten Disziplinen und Berufsgruppen werden also gefordert sein, zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig Einblick in ihre Fachgebiete zu gewähren und ihre Dienste ausserhalb ihrer angestammten Behandlungslokalitäten anzubieten. Nur so kann eine bedarfsgerechte Versorgung einer bisher unterbehandelten und unterdiagnostizierten Patientenpopulation erreicht werden und ein ernsthaftes anstehendes öffentliches Gesundheitsproblem angegangen werden.
Sucht als Krankheit Zur bedarfsgerechten Hepatitis-C-Therapie von Suchtpatienten gehören weitere wichtige Voraussetzungen: Noch immer werden Drogenkonsumierende auch in Praxen und Spitälern diskriminiert, auch wird Sucht von vielen Leuten als moralische Schwäche gesehen. Die Patienten werden nicht selten angewiesen, «zuerst ihr Leben in den Griff zu bekommen», bevor auf insbesondere teure Behandlungen eingegangen wird. Daher gilt medizinisches Suchtverständnis als prioritäre Voraussetzung. Ohne Sucht als chronische, oft nicht heilbare Krankheit zu sehen, gelingt keine tragfähige Beziehung zu diesen Patienten. Der Drogenrückfall ist ein Teil dieser Krankheit und kein Charakterdefizit, das es durch Vorenthaltung von Therapien zu bestrafen gilt.
Leberbiopsie als unüberwindbare Barriere Die Leberbiopsie wird heute nicht mehr als obligate Vorabklärung für die Hepatitis-C-Therapieindikation gesehen. Die Leberpunktion ist besonders dann wichtig, wenn die Indikation zur antiviralen Therapie unklar ist und die Therapie mit geringeren Erfolgschancen und langer Dauer verbunden ist. Dies betrifft derzeit vorwiegend Genotyp-1-Patienten mit hoher Viruslast. Drogenpatienten lehnen nicht selten aus Angst vor Leberbiopsien die Hepatitis-C-Therapie ab. Noch immer werden in gewissen Zentren, meist aus wissenschaftlichen Gründen, Leberbiopsien vor Therapiebeginn obligatorisch verlangt. Dies führt aus oben genannten Gründen zum Ausschluss einer Patientengruppe, die dringend behandelt werden müsste. Eine adäquate, zurückhaltende und rein klinisch gesteuerte Indikation zur Leberbiopsie ist eine weitere wichtige Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Hepatitis-CTherapie. Als weitere Voraussetzungen sind zu erwähnen: Verzicht auf nicht evidenzbasierte Ausschlusskriterien (Alkoholkonsum, aktiver i.v.-Konsum), fundiertes Know-how der Pflegenden und des Arztes über Blutentnahmetechniken bei schwierigen venösen Verhältnissen sowie die Bereitschaft, im Bedarfsfall
den Patienten während der ganzen Therapie wöchentlich einmal zu sehen und nötigenfalls an Termine und Medikamenteneinnahme zu erinnern.
Alkohol und i.v.-Konsum: keine Kontraindikation per se Gerade Suchtpatienten, die es trotz mehrmaliger Versuche nicht schaffen, ihren Konsum ganz zu sistieren, werden häufig von HCV-Therapien ausgeschlossen. Aufgrund der Risikokonstellation sind das aber gerade die Patienten, die eine Therapie am dringendsten nötig haben. Die bestehende Literatur liefert denn auch keine Gründe für einen Therapieausschluss von aktiv i.v.-Drogen- oder aktiv Alkoholkonsumierenden. Die Durchführung einer antiviralen Theapie ist bei diesen Patientengruppen deutlich anspruchsvoller, da der anhaltende Substanzkonsum sehr wohl Auswirkungen auf die Therapieadhärenz hat und daher das Behandlungssetting entsprechend intensiviert und angepasst werden muss. Schafft es jedoch ein aktiver Alkohol- oder Heroinkonsument, zuverlässig eine Therapie durchzustehen, hat er die genau gleich guten Heilungschancen wie eine Person ohne Drogenkonsum (9).
Warten auf neue HCV-Medikamente? Die viel diskutierten neuen Substanzen in der Hepatitis-C-Therapie (direkt antiviral wirksame Proteaseinhibitoren) werden in der Schweiz in wahrscheinlich zwei Jahren erhältlich sein. Die Studienlage zeigt eine deutlich bessere Ansprechrate im Vergleich zur heutigen Goldstandardtherapie (pegyliertes Interferon und Ribavirin) für die schwieriger zu behandelnden Genotyp-1-Patienten. Bevor der Entschluss gefällt wird, mit der Hepatitis-C-Therapie bis zur Zulassung dieser neuen Substanzen zu warten, sollten die zusätzlichen Schwierigkeiten bedacht werden, die diese mit sich bringen können. Erhebliche zusätzliche Nebenwirkungen und anspruchsvolle Therapieregime (12-stündliche bzw. 3-mal tägliche Einnahme) stellen hohe Ansprüche an die Adhärenz, die bei Drogenpatienten durch verschiedene Umstände bereits limitiert ist.
Wenn alle beteiligten Berufsgruppen es schaffen, die oben
skizzierten neuen Wege in der Hepatitis-C-Therapie einzu-
schlagen, besteht eine gute Chance, die HCV-Prävalenz bei
Drogenkonsumenten ähnlich zu senken, wie dies in den letz-
ten Jahren für HIV der Fall war.
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Dr. med. Philip Bruggmann Leitender Arzt ARUD Zürich
Konradstrasse 32 8005 Zürich
Tel. 044-446 50 10
Interessenkonflikte: Mitglied Advisory Board MSD, Referentenhonorare von Roche und MSD, Projektunterstützung von Roche, MSD und Janssen-Cilag.
Das Literaturverzeichnis ist in der Onlinefassung zu finden: www.arsmedici.ch
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Literatur: 1. Broers B, Helbling B, François A, et al. Barriers to interferon-α therapy are higher in intravenous
drug users than in other patients with acute hepatitis C. Journal of Hepatology 2005; 42: 323—328. 2. Bruggmann P, Broers B, Meili D. Hepatitis-C-Therapie bei Patienten unter Opioidsubstitution:
Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM). Schweiz Med Forum 2007; 7: 916—919. 3. Sheerin IG, Green FT, Sellmann JD. The costs of not treating hepatitis C virus infection in injecting drug users in New Zealand. Drug and Alcohol Review 2003; 22, 159–167. 4. Hellard M, Sacks-Davis R, Gold J. Hepatitis C Treatment for Injection Drug users: a review of the Available Evidence. Clinical Infectious Diseases 2009; 49: 561—573. 5. Volk MI, Tocco R, Saini S, Lok AS. Public health impact of antiviral therapy for hepatitis C in the United States. Hepatology 2009; 50: 1750—1755. 6. Litwin AH, Kenneth A, Harris Jr. Successful treatment of chronic hepatitis C with pegylated interferon in combination with ribavarin in a methadone maintenance treatment program. Journal of Substance Abuse Treatment, 2009; 37, 32—40. 7. Wilkinson M, Crawford V, Tippet A et al. Community-based treatment for chronic hepatitis C in drug users: high rates of compliance with therapy despite ongoing drug use. Aliment Pharmacol Ther 2008; 29, 29—37. 8. Bruggmann P, Isler M, Kravecz L. Alles unter einem Dach: Multidisziplinäres Suchtmedizinangebot als Modell für erfolgreiche Hepatitis-C-Therapie. Suchtmed 2009; 11 (4): 191. 9. Anand BS, Currie S, Dieperink E et al. Alcohol use and treatment of hepatitis C virus: results of a national multicenter study. Gastroenterology 2006; 130: 1607—1616.
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