Transkript
Hypothyreose
Schilddrüsenhormone substituieren: So einfach wie es aussieht?
FORTBILDUNG
Die Ursachen für Hypothyreosen sind vielfältig. Ein Hypothyreose-Screening ist bei Frauen, bei Patienten über 40 Jahre, im Fall unspezifischer Beschwerden sowie bei geriatrischen und Risikopatienten sinnvoll. Besonders wichtig ist es, eine Hypothyreose in der Schwangerschaft nicht zu verpassen. Bei der Substitution älterer Personen ist Zurückhaltung geboten,
Wann ist ein Hypothyreose-Screening sinnvoll? Sinnvoll ist das Hypothyreose-Screening bei Frauen, Patienten über 40 Jahre im Fall unspezifischer Beschwerden sowie bei geriatrischen Patienten. Ausserdem ist es empfehlenswert bei Risikopatienten, beispielsweise nach Hyperthyreosetherapie, bei kombiniertem Autoimmunsyndrom (z.B. Diabetes mellitus Typ 1, Zöliakie, Vitiligo, Morbus Addison) und bei Rauchern. Kein Screening empfehle ich bei gesunden Männern ohne Risikofaktoren und bei schweren extrathyreoidalen Allgemeinerkrankungen. Bei hospitalisierten Patienten sollte nur bei Verdacht auf eine Dysthyreose ein gezieltes Screening durchgeführt werden.
da das TSH mit dem Alter ansteigt und viele 70-Jährige einen leicht erhöhten TSH-Wert haben, ohne dass eine Schilddrüsenerkrankung vorliegt.
DANIEL NOTH
Substitution bei Hypothyreose Die optimale Levothyroxindosis bei vollständig hypothyreoten Patienten beträgt zirka 1,8 µg pro kg Körpergewicht (KG) bei Kindern und jungen Erwachsenen, bei älteren Erwachsenen beträgt die Dosis zirka 0,5 µg pro kg KG. Der T4-Bedarf ist in der Regel bei vorausgegangener Thyreoidektomie höher als bei Autoimmunthyreoiditiden (wegen noch vorhandener
Manifeste Hypothyreosen zeichnen sich laborchemisch durch einen erhöhten TSH-Wert und gleichzeitig vermindertes freies T4 (und T3) aus. Ursachen sind kongenitale Hypothyreosen, Jodmangel, erworbene Hypothyreosen wie Autoimmunthyreoiditiden oder Hypothyreosen nach Schilddrüsenoperationen, nach Radiojodtherapie wegen Hyperthyreose, nach Bestrahlung der Kopf- und Halsregion oder bei Hämochromatose. Auch bestimmte Medikamente können eine Hypothyreose bewirken. Dazu gehört beispielsweise Lithium, welches mit der Schilddrüsenhormonfreisetzung interferiert, was bei jedem 3. Patienten zu einer passageren und bei jedem 10. zu einer persistierenden Hypothyreose führt. Amiodarone bewirkt bei bis zu 22 Prozent der Patienten eine Hypothyreose (vorwiegend durch Hemmung der Schilddrüsenhormonproduktion), und auch Interferon kann eine Hypothyreose auslösen. Patienten mit einer Thyreoiditis de Quervain oder einer Thyreoiditis postpartum benötigen in der Regel nur temporär oder gar keine Schilddrüsenhormonsubstitution. Nur selten persistiert bei diesen beiden zum entzündlichen Formenkreis gehörenden Schilddrüsenkrankeiten die Hypothyreose, was eine dauerhafte Schilddrüsenhormonsubstitution zur Folge hätte.
Merksätze
■ Ein Hypothyreose-Screening ist bei Frauen, bei Patienten über 40 Jahre, im Fall unspezifischer Beschwerden sowie bei geriatrischen und Risikopatienten sinnvoll.
■ Da das TSH mit dem Alter ansteigt, haben viele über 70-Jährige einen leicht erhöhten TSH-Wert, ohne dass eine Schilddrüsenerkrankung vorliegt.
■ Eine Schwangerschaft erhöht den Schilddrüsenhormon- und Jodbedarf um bis zu 50 Prozent. Die Schilddrüsenparameter sollen in 4- bis 6-wöchentlichen Abständen kontrolliert und die Dosis soll, sofern nötig, angepasst werden.
■ Für einen routinemässigen Einsatz von Schilddrüsenhormonen bei euthyreoten depressiven Patienten ist der Evidenzgrad noch zu niedrig.
■ Der Einsatz von Schilddrüsenhormonen zur Gewichtsreduktion bei euthyreoten Adipösen wird nicht empfohlen.
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FORTBILDUNG
Residualfunktion). Bei milden Hypothyreosen ist der Bedarf an T4 gewöhnlich etwas niedriger (0,5 µg/kg KG) (1).
Algorhithmus für die Substitution Bei manifester Hypothyreose, einem Alter <50 Jahre und fehlenden Hinweisen auf eine KHK kann mit einer Levothyroxindosis zwischen 0,05 und 0,075 mg pro Tag (bei klinisch und laborchemisch ausgeprägter Hypothyreose darf auch mit höheren Dosen gestartet werden) begonnen werden. Es ist wichtig, dass die Tabletteneinnahme nüchtern mit einem Glas Wasser 30 Minuten vor dem Frühstück erfolgt. Die TSH-Kontrolle und T4-Dosisanpassung werden alle 4 bis 6 Wochen durchgeführt, bis die Euthyreose erreicht ist. Danach erfolgen jährliche TSH-Kontrollen ausser in der Schwangerschaft (siehe unten) und bei Autoimmunthyreopathien (Kontrollen in 6-monatlichen Abständen wegen möglicher Abnahme der Residualfunktion und dadurch notwendiger Dosisanpassung). Älteren Leuten werden 0,025 bis 0,05 mg T4 pro Tag, Patienten mit nicht kontrollierter KHK 0,025 mg T4 pro Tag verabreicht. Gewisse Medikamente können mit der Thyroxinabsorption interferieren (Eisen, Kalziumkarbonat, Cholestyramin, Sucralfat, Aluminiumhydroxid-Gel) oder die Thyroxin-Clearance erhöhen (Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital, Rifampin). Gastrointestinale Krankheiten wie Zöliakie oder Autoimmungastritis können zu einer Malabsorption führen, was höhere T4-Dosen erfordert. Bei Beginn einer postmenopausalen Hormonersatztherapie muss bei zirka einem Drittel der Frauen die T4-Dosis erhöht werden (1).
Sonderfall subklinische Hypothyreose: Wann ist eine T4-Substitution angezeigt? Subklinische Hypothyreose heisst erhöhtes TSH bei normalen freien Schilddrüsenhormonen. Bei einem TSH >10 mU/l ist eine T4-Substitution nötig. Bei einem TSH >4,5 und <10 mU/l ist eine Risikostratifizierung angezeigt. Eine Substitution ist bei dieser Laborkonstellation unbedingt vor einer geplanten oder während einer Schwangerschaft beziehungsweise bei Infertilität sowie bei einer Struma diffusa oder bei klinischen Symptomen angezeigt. Das Problem besteht darin, dass nur zirka 30 Prozent der Betroffenen ein auf Hypothyreose verdächtiges Symptom aufweisen, während l7 Prozent der euthyreoten Kontrollgruppe ebenfalls mindestens ein für Hypothyreose verdächtiges Symptom haben (1). Im Zweifelsfall ist der Zulewski-Score nützlich (2). Der Nachweis einer Hyperlipidämie, erhöhter Anti-TPO-Antikörper oder Nikotin (Rauchen hemmt die Schilddrüse) sind ebenfalls Faktoren, die für eine T4-Substitution sprechen. Im Gegensatz dazu bin ich bei älteren Patienten mit diskret erhöhtem TSH mit einer T4-Substitution zurückhaltend.
Substitution in der Schwangerschaft Eine Schwangerschaft erhöht den Schilddrüsenhormon- und Jodbedarf um bis zu 50 Prozent. Dies ist vorwiegend auf eine erhöhte Degradation durch die plazentare Deiodinase, eine erhöhte Clearance von Iod durch die Niere und einen Anstieg des
thyroxinbindenden Globulins (TBG) in der Schwangerschaft zurückzuführen. Bei substituierten Schwangeren ist deswegen sofort nach Feststellung der Schwangerschaft die Bestimmung der Schilddrüsenhormone mit allfälliger Anpassung der T4Dosis angezeigt. Die Schilddrüsenparameter sollen während der Schwangerschaft in 4- bis 6-wöchentlichen Abständen kontrolliert und die Dosis sofern nötig angepasst werden. Es ist ein TSH-Wert von mindestens <2,5 mU/l im ersten Trimenon und ein solcher von mindestens <3 mU/l ab dem zweiten anzustreben. Eine auch nur leichtgradige Hypothyreose während der Schwangerschaft kann beim Kind zu Minderintelligenz führen. Falls vor Eintreten einer geplanten Schwangerschaft eine euthyreote Autoimmunthyreopathie bekannt ist, empfehle ich ebenfalls den Beginn einer Thyroxinsubstitution, um das Risiko von Fehl- und Frühgeburten (bedingt durch die Abnahme der Schilddrüsenfunktion) zu reduzieren (3).
Schilddrüsenhormontherapie bei Depression Wegen verzögerten Wirkungseintritts nach Beginn einer medikamentösen antidepressiven Therapie und/oder einer häufig ungenügenden Wirkung von Antidepressiva wurden bei der Behandlung von Patienten mit therapieresistenter Depression seit längerem Schilddrüsenhormone zur Wirkungsverbesserung (Augmentation) oder zur Beschleunigung des Wirkungeintritts (Akzeleration) eingesetzt. Eine Metaanalyse (4) konnte eine Verbesserung auf der Depressionsskala durch zusätzliche Gabe von Trijodthyronin bei therapierefraktärer Depression trotz trizyklischer Antidepressiva belegen. Allerdings waren die Qualität der einzelnen Studien sehr unterschiedlich, die Studienresultate sehr heterogen und die eingeschlossene Patientenzahl niedrig. Unter zusätzlicher Gabe von hoch dosiertem Levothyroxin (durchschnittlich 350 µg/Tag) kam es bei therapieresistenter Depression unter stationären Bedingungen bei 22 Prozent der Patienten zu einer deutlichen und bei 39 Prozent der Patienten zu einer mässigen Regredienz der Depressionssymptome, wobei 39 Prozent der Patienten die Therapie wegen Erfolglosigkeit oder Nebenwirkungen, vorwiegend Tachykardie, abbrechen mussten (5). Altshuler et al. (6) konnten in einer Metaanalyse zeigen, dass durch Gabe von durchschnittlich 20 bis 25 µg Trijodthyronin pro Tag der Wirkungseintritt von trizyklischen Antidepressiva signifikant beschleunigt werden konnte. Die T3-Therapie wurde gut toleriert. Auch in dieser Metaanalyse war die untersuchte Patientenzahl mit 125 relativ niedrig. Zusammenfassend ist der Evidenzgrad zurzeit zu niedrig, um Schilddrüsenhormone bei euthyreoten depressiven Patienten routinemässig einzusetzen.
Schilddrüsenhormontherapie bei Fettleibigkeit Da Schilddrüsenhormone den Grundumsatz erhöhen, wurden diese immer wieder als Therapie zur Gewichtsreduktion bei euthyreoten Probanden eingesetzt. Das Hauptziel der Schilddrüsenhormontherapie bei Fettleibigen bestand darin, während der Kalorienrestriktion den Fettverlust zu steigern, ohne dabei
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Muskelmasse und -kraft zu verlieren. Eine 2009 erschienene Arbeit im «JCEM» (7) dokumentierte in einer Metaanalyse inkonklusive Resultate. In den meisten Studien konnte unter einer T3-Therapie keine Gewichtsabnahme erreicht werden. Vor diesem Hintergrund kann der Einsatz von Schilddrüsenhormonen zur Gewichtsreduktion bei euthyreoten Adipösen nicht empfohlen werden.
Levothyroxin (T4) oder kombinierte Therapie T4/T3 Die Schilddrüse produziert vorwiegend T4 und zu zirka 15 bis 20 Prozent T3. Eine T4-Monotherapie ist aufgrund einer Halbwertszeit von sechs Tagen und der peripheren Konversion von T4 in T3 trotzdem die Substitutionstherapie der Wahl. Lonklaas et al. (8) konnten unter T4-Monotherapie bei thyreoidektomierten Patienten normale und stabile T3-Serumspiegel nachweisen. In einer Metaanalyse zeigte eine T4/T3-Kombinationstherapie keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber einer T4-Monotherapie bezüglich Symptomen (Müdigkeit, Ängstlichkeit, Depression), Lebensqualität, kognitiven Fähigkeiten und Gewichtsverlauf (9). Ich setze eine T4/T3-Kombinationstherapie deswegen nicht routinemässig ein. In ausgewählten Fällen, zum Beispiel bei Patienten mit hypothyreoten Symptomen trotz laborchemisch adäquater Substitution, darf ein Therapieversuch mit T4/T3 durchgeführt werden.
Welcher TSH-Wert ist anzustreben? Der TSH-Wert steigt mit dem Alter an. Bis zu 15 Prozent der über 70-Jährigen haben einen leicht erhöhten TSH-Wert, ohne dass eine Schilddrüsenkrankheit vorliegt. Vor diesem Hintergrund bin ich bei älteren Menschen mit diskret erhöhtem TSHWert mit einer Substitution zurückhaltend (siehe oben). Bei substituierten Patienten ist die Debatte nach wie vor im Gang, welcher TSH-Wert anzustreben ist. Bei wegen eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms thyroidektomierten Patienten wird in den ersten zwei bis drei Jahren eine TSH-Suppression empfohlen, danach darf bei Low-Risk-Patienten ein TSH-Wert im untersten Normbereich angestrebt werden. Bei Schwangeren ist ein TSH-Wert von mindestens 2,5 mU/l im ersten Trimenon anzustreben (siehe oben). Generell empfehle ich einen TSH-Wert im mittleren bis unteren Normbereich (sofern vom Patienten gut toleriert). Da Patienten mit supprimiertem TSH ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Herzkrankheiten, insbesondere Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und zudem auch für osteoporotische Frakturen haben (10), empfehle ich ausser bei Schilddrüsenkarzinompatienten keine TSH-Suppression.
Selensupplementation: Ja oder Nein? Das Spurenelement Selen spielt eine wichtige Rolle in der Schilddrüse. In einer vor drei Jahren publizierten Arbeit konnte gezeigt werden, dass bei Schwangeren mit Autoimmunthyreopathie (Anti-TPO positiv) durch Selensupplementation die Progression der Autoimmunthyreopathie, die Inzidenz einer Postpartum-Thyreoiditis und das Auftreten einer permanenten Hypothyreose reduziert werden konnten (11). Weitere prospektive, randomisierte, plazebokontrollierte Studien sind nötig, um den Einfluss einer Selensupplementierung zu untersuchen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann der generelle Einsatz von Selen bei Schilddrüsenkrankheiten noch nicht empfohlen werden. ■
Dr. med. Daniel Noth FMH Innere Medizin, Endokrinologie/Diabetologie
Spitalweg 1 3800 Unterseen
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur: 1. Roberts C, Landenson P: Hypothyroidism. Lancet 2004; 363: 793—803. 2. Zulewski H, Müller B, Exer P et al.: Estimation of Tissue Hypothyoridism by a New Clinical Score:
Evaluation of Patients with Various Grades of Hypothyroidism and Controls. JCEM 1997; 82: 771—776. 3. Negro R, Formoso G, Mangieri T et al.: Levothyroxine Treatment in Euthyroid Pregnant Women with Autoimmune Thyroid Disease: Effects on Obstetrical Complications. JCEM 2006; 91: 2587—2591. 4. Aronson R, Offman H, Joffe R et al.: Triiodothyronine Augmentation in the Treatment of Refractory Depression: A Meta-Analysis. Arch Gen Psychiatry 1996; 53: 842—848. 5. Pfeiffer H, Scherer J, Albus M: L-Thyroxin-Hochdosierung bei therapieresistenter Depression. Nervenarzt 2004; 75: 242—248. 6. Altshuler L, Bauer M, Frye M et al.: Does Thyroid Supplementation Accelerate Tricyclic Antidepressant Response? A Review and Meta-Analysis of the Literature. Am J Psychiatry 2001; 148: 1617—1622. 7. Kaptein E, Beale E, Chan L: Thyroid Hormone Therapy for Obesity and Nonthyroidal Illnesses: A Systematic Review. JCEM 2009; 94: 3663—3675. 8. Jonklaas J, Davidson B, Bhagat S et al.: Triiodothyronine Levels in Athyreotic Individuals During Levothyroxine Therapy. JAMA 2008; 299: 769—777. 9. Grozinsky-Glasberg S, Fraser A, Nahshoni E et al.: Thyroxine-Triiodothyronine Combination Therapy Versus Thyroxine Monotherapy for Clinical Hypothyroidism: Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. JCEM 2006; 91: 2592—2599. 10. Flynn R, Bonellie S, Jung R et al.: Serum Thyroid-Stimulating Honnone Concentration and Morbidity from Cardiovascular Disease and Fractures in Patients on Long-Term Thyroxine Therapy. JCEM 2010; 95: 186—193. 11. Negro R, Greco G, Mangieri T et al.: The Influence of Selenium Supplementation on Postpartum Thyroid Status in Pregnant Women with Thyroid Peroxidase Autoantibodies. JCEM 2007; 92: 1263—1268.
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