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STUDIE REFERIERT
HRT: Hormonpflaster ohne Schlaganfallrisiko?
Ergebnisse einer Fallkontrollstudie zeigen höhere Sicherheit bei transdermaler Applikation
Sind Hormonpflaster eine sichere
Applikationsform für die post-
menopausale Hormonersatzthera-
pie? In einer im «British Medical
Journal» publizierten Fallkontroll-
studie war die transdermale Appli-
kation jedenfalls nicht mit einem
erhöhten Schlaganfallrisiko ver-
bunden.
Schlaganfälle gehören bekanntlich neben Mammakarzinom, Herzinfarkt und venösen Thrombosen zu den potenziellen Risiken einer postmenopausalen Hormonersatztherapie. Es war die Women’s Health Initiative (WHI-Studie), die diese Assoziation erstmals aufdeckte. Inzwischen sind mehrere Metaanalysen erschienen, welche die Resultate bestätigt haben. Die Östrogen(-Gestagen-)Präparate wurden in den einschlägigen Studien stets oral verabreicht. Möglicherweise ist die transdermale Hormonapplikation weniger riskant, da die Hormone hierbei gleichmässiger freigesetzt werden und zudem der sogenannte First-PassEffekt nach Resorption der Hormone aus dem Darm entfällt. Das liessen erste Studien vermuten, in denen der Einfluss von Hormonpflastern auf verschiedene kardiovaskuläre Risikomarker untersucht wurde. Eine Arbeitsgruppe um Samy Suissa von der pharmakoepidemiologischen Forschungsabteilung der McGillUniversität in Montreal wollte es etwas genauer wissen. Zusammen mit Epidemiologen am Bremer Institut für Präven-
tionsforschung und Sozialmedizin hat sie Daten der britischen General Practice Research Database (GPRD) ausgewertet. Bei der GPRD handelt es sich um die weltweit grösste Datenbank von Patienten aus Allgemeinarztpraxen. In ihr sind anonymisierte Informationen von mehr als 6 Millionen Patienten enthalten, darunter sowohl die Verordnung von Medikamenten als auch die Diagnosen der Patienten. Damit war es den Forschern möglich, die Hormonersatztherapie zum Auftreten von Schlaganfällen in Beziehung zu setzen. Von den insgesamt 870 000 Frauen im Alter von 50 bis 79 Jahren, also der hier ins Auge gefassten Zielgruppe, hatten 15 710 einen Schlaganfall erlitten. Den Schlaganfallpatienten wurden bis zu 4 Kontrollpersonen gegenübergestellt. Erwartungsgemäss war die orale Einnahme von Östrogenen (plus 35%) und von Östrogen-Gestagen-Kombinationen (plus 24%) mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert. Bei den transdermalen Applikationsformen war dies nicht der Fall, für die Östrogen-GestagenKombination wurde sogar ein tendenziell erniedrigtes Risiko ermittelt. Bei oralen und transdermalen Applikationsformen war das Schlaganfallrisiko abhängig von der Dosis und der Dauer der Anwendung. Die höhere Dosis (>50 µg) war auch bei Anwendung des Hormonpflasters mit einer signifikant höheren Rate an Schlaganfällen assoziiert, ein tendenziell erhöhtes Risiko bestand auch bei einer Anwendungsdauer von mehr als einem Jahr. Die Dosis- und Zeitabhängigkeit gilt im Allgemeinen bei Fallkontrollstudien als Hinweis darauf, dass es sich um einen kausalen Zusammenhang handeln könnte.
Noch keine praktischen Konsequenzen Die Autoren müssen jedoch einräumen, dass ihre Studie nur erste Hinweise für eine möglicherweise erhöhte Sicherheit der transdermalen Hormontherapie liefere. Jetzt müssten randomisierte klinische Studien folgen. Unklar ist derzeit auch, ob und wie sich die Art der Hormonapplikation auf das KHK-Risiko auswirkt. Eine plazebokontrollierte Studie, die Papworth HRT Atherosclerosis Study (PHASE), untersuchte das Risiko akuter Koronarereignisse unter transdermaler Östrogenanwendung (80 µg) bei 255 postmenopausalen Frauen. Dabei war die Eventrate in der HRT-Gruppe erhöht, ohne dass statistische Signifikanz erreicht wurde. Die Studie weist allerdings einige Mängel auf, zum Beispiel eine hohe Dropout-Rate von 40 Prozent in der Verumgruppe. Auch die Frage nach dem Thromboembolierisiko lässt sich noch nicht sicher beantworten, auch wenn mehrere Beobachtungsstudien kein erhöhtes Risiko bei Anwendung von Hormonpflastern fanden. Es wird nun darauf ankommen, ob die Ergebnisse in randomisierten klinischen Studien bestätigt werden können. Momentan, so schlussfolgern die Autoren, lasse sich anhand dieser Studie noch keine bevorzugte Empfehlung für die transdermale Hormonapplikation aussprechen. ■
Uwe Beise
Christel Renoux, et al.: Transdermal and oral hormone replacement therapy and the risk of stroke: a nested case-control study. BMJ 2010; 340: c2519.
Interessenkonflikte: Ein Autor der Originalpublikation gibt Verbindungen zu Organon, Schering und Wyeth an.
Merksätze
■ Die Hormonersatztherapie (Östrogen mit/ohne Gestagen) geht mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einher.
■ Die transdermale Applikation zeigt in der aktuellen Studie keinen Anstieg der Schlaganfallrate, zumindest in niedriger Dosierung (< 50 µg).
ARS MEDICI 21 ■ 2010 879