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Titel
Wie man Prostatabeschwerden umgehen soll
Untertitel
NICE-Guidelines zum Management von LUTS bei Männern
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Symptome vonseiten der unteren Harnwege (lower urinary tract symptoms: LUTS) nehmen bei Männern mit dem Alter zu und erreichen bei etwa 30 Prozent der über 65-Jährigen störende Ausmasse, die eine Behandlung erforderlich machen können. Hier sind die neuesten Empfehlungen des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) prägnant zusammengefasst.
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MEDIZIN — Fortbildung
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628
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FORTBILDUNG
Wie man mit Prostatabeschwerden umgehen soll
NICE-Guidelines zum Management von LUTS bei Männern

Symptome vonseiten der unteren Harnwege (lower
urinary tract symptoms: LUTS) nehmen bei Männern
mit dem Alter zu und erreichen bei etwa 30 Prozent
der über 65-Jährigen störende Ausmasse, die eine Be-
handlung erforderlich machen können. Hier sind die
neuesten Empfehlungen des britischen National Insti-
tute for Health and Clinical Excellence (NICE) präg-
nant zusammengefasst.
BMJ
Die NICE-Empfehlungen basieren auf systematischen Reviews der besten verfügbaren Evidenz und entstehen unter expliziter Berücksichtigung der Kosteneffektivität. Wo nur geringe Evidenz vorliegt, stützen sich die Empfehlungen auf die Erfahrungen der Expertengruppe und die Meinung darüber, was ein gutes Vorgehen («good practice») sei. Die «Prostatabeschwerden», oder eben LUTS, werden nach gängiger Lehre auf die 3 Stadien des Blasenzyklus – Speicherung des Urins, Entleerung sowie Postmiktion, wenn die Blase wieder zum Speichern übergeht – aufgeteilt (Kasten).
Initiale Evaluation Die anfängliche Erfassung der Probleme sollte in jeglicher Art von Praxis und auch von nicht auf LUTS Spezialisierten immer die folgenden Punkte berücksichtigen. Die NICE-Empfehlungen wenden sich dabei direkt an die Ärztinnen und Ärzte: ■ Erstellen Sie immer eine Allgemeinanamnese, um mögliche
LUTS-Ursachen und Komorbiditäten zu erfassen. Fragen Sie nach allen Medikamenten inklusive pflanzliche Präparate wie beispielsweise Serenoa-repens- oder Kürbissamen-Extrakt. ■ Bieten Sie eine körperliche Untersuchung an, die auf urologische Symptome und andere medizinische Leiden abzielt. Dazu gehören eine Inspektion von Abdomen und äusseren Genitalien sowie eine Rektaluntersuchung.

■ Verlangen Sie von Männern, deren Symptome mit der Lebensqualität interferieren, die Aufzeichnung eines Miktionstagebuchs mit Angaben zu Miktionsfrequenz und den getrunkenen und entleerten Volumina.
■ Erfassen Sie mit Dipstick im Urin Blut, Glukose, Eiweiss, Leukozyten und Nitrite.
■ Bieten Sie Information und Beratung an, und lassen Sie dem Patienten Zeit, um zu entscheiden, ob er eine Bestimmung des prostataspezifischen Antigens will, wenn seine Symptome eine Blasenausgangsobstruktion durch eine benigne Prostatavergrösserung nahelegen, sich die Prostata bei der rektalen Palpation aborm anfühlt oder der Patient Ängste wegen Prostatakrebses hegt.
■ Veranlassen Sie eine Kreatininbestimmung (und Abschätzung der glomerulären Filtationsrate) nur bei Verdacht auf eine Nierenbeeinträchtigung, zum Beispiel bei palpabler Blase, nächtlichem Einnässen, rezidivierenden Harnwegsinfekten oder anamnestischem Hinweis auf Harnsteine.
■ Eine Überweisung zum Spezialisten soll erfolgen bei rezidivierender oder persistierender Harnwegsinfektion, Harnverhalt, Verdacht auf Nierenbeeinträchtigung oder Verdacht auf urologisches Karzinom.
■ Erfassen Sie bei Männern, die wegen ihrer LUTS an eine Therapie denken, die Ausgangssymptomatik mit einem validierten Symptomscore (z.B. dem International Prostata
Merksätze
■ LUTS betreffen Frauen und Männer. Es ist aber falsch zu glauben, dass Männer bloss von obstruktiven Symptomen betroffen sind und nur Frauen an Inkontinenz leiden.
■ Männer zögern oft, über ihre Beschwerden zu sprechen; hier können Hausärztinnen und -ärzte Hilfestellung leisten.
■ Die Symptome können nach einer einfachen Grundabklärung durch Allgemeinmassnahmen sowie allenfalls Medikamente oder durch chirurgische Eingriffe bei Obstruktion effektiv beeinflusst werden.
■ Ein Miktionstagebuch hilft bei der Erfassung auslösender Faktoren.

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WIE MAN MIT PROSTATABESCHWERDEN UMGEHEN SOLL

Kasten: Einteilung der «lower urinary tract symptoms» (LUTS)
Speicherung (auch Symptome der hyperaktiven Blase) ■ Harndrang ■ erhöhte Miktionsfrequenz tagsüber ■ Nykturie ■ Urininkontinenz
Entleerung ■ zögernder Miktionsbeginn ■ Pressen ■ schwacher Harnstrahl ■ gespaltener Harnstrahl oder Harnsprühen ■ intermittierender Harnstrahl ■ terminales Tröpfeln
Entleerung ■ Tröpfeln nach der Miktion ■ Gefühl der unvollständigen Entleerung

Abklärung beim Urologen ■ Männer mit komplizierten oder stark störenden Sympto-
men, die auf eine konservative Beratung und Behandlung nicht angesprochen haben, sollten an den Spezialisten überwiesen werden. ■ Eine Zystoskopie soll nur bei klarer klinischer Indikation (z.B. rezidivierende Harnwegsinfekte, sterile Pyurie, Hämaturie, schwere Symptome, Schmerz) erfolgen. ■ Eine Bildgebung der oberen Harnwege erfordert ebenso eine klinische Indikation (chron. Retention, Hinweise auf Infekt oder Hämaturie).
Chirurgische Eingriffe bei Entleerungsproblemen Die NICE-Empfehlungen zählen hier eine ganze Palette heute bei Harnentleerungssymptomen wegen benigner Prostatavergrösserung angebotener chirurgischer Verfahren auf, ohne ins Detail zu gehen. Allerdings wird ausdrücklich erwähnt, dass minimalinvasive Eingriffe (transurethrale Nadelablation, Mikrowellen, fokussierter Ultraschall, Ethanolablation und Laserkoagulation) wegen noch ungenügender Evidenz nicht als vorteilhaftere Alternativen zur transurethralen Prostataresektion (TURP), monopolaren transurethralen Vaporisation der Prostata (TUVP) oder Holmium-Laser-Enukleation der Prostata (HoLEP) angesehen werden dürfen.

Symptom Score, IPSS), um Veränderungen im Verlauf dokumentieren zu können.
Konservatives Management ■ Männern mit Speichersymptomen, insbesondere mit Urin-
inkontinenz, sollten temporär Einlagen empfohlen werden, um die täglichen Aktivitäten aufrechtzuerhalten, bis eine Diagnose und ein Behandlungsplan erstellt sind. ■ Wenn die Symptome nicht wirklich störend oder kompliziert sind, soll der Patient mit derErklärung der möglichen Ursachen für die Beschwerden beruhigt werden. Dazu können allgemeine Empfehlungen wie die Anpassung der Flüssigkeitsaufnahme kommen. Bieten Sie eine erneute Beurteilung an, wenn sich an den Symptomen etwas ändern sollte. ■ Männern mit Symptomen der hyperaktiven Blase (Kasten) sollten Sie ein Blasentraining empfehlen und Ratschläge zu Flüssigkeitsaufnahme, Kaffee- und Alkoholkonsum und zur Verwendung von Einlagen geben.
Medikamentöse Behandlung ■ Männer mit mittelschweren oder schweren Symptomen
sollten Sie die Verschreibung eines Alphablockers (Alfuzosin, Doxazosin, Tamsulosin oder Terazosin) anbieten. ■ Männer mit Symptomen der hyperaktiven Blase sind Kandidaten für ein Anticholinergikum, wobei die NICE-Guidelines keine detaillerte Empfehlung geben.

Barrieren überwinden

Zum richtigen Umgang mit LUTS bei Männern gehört auch die

Berücksichtigung vieler assoziierter Aspekte wie Psyche, Se-

xualität und soziale Situation. Bei Inkontinenz kann der Hin-

weis auf entsprechende Selbsthilfegruppen hilfreich sein.

Die NICE-Empfehlungen heben schliesslich hervor, dass Män-

ner sich oft nur schwer entschliessen können, mit ihren als

peinlich empfundenen Symptomen beim Arzt vorzusprechen,

obwohl die Auswirkungen auf die Lebensqualität oft ganz be-

trächtlich sind. Die vielfach empfundene Stigmatisierung soll

angesprochen und im Gespräch überwunden werden. Für Ärz-

tinnen und Ärzte wichtig ist es zudem, sich vor dem Stereotyp

«Männer haben nur Obstruktion, Frauen haben Inkontinenz»

zu hüten.

Halid Bas

Clare Jones et al.: Management of lower urinary tract symptoms in men: summary of NICE guidance. BMJ 2010;340:c2354.DOI 10.1136/bmj.c2354.
Interessenkonflikte: Die Autorinnen und Autoren erhielten Unterstützung von NICE und deklarieren Beraterbeziehungen mit diversen Pharmafirmen.

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