Transkript
FORTBILDUNG
Strategie bei Niereninsuffizienz
Blutdrucksenkende Therapie
Hypertonie ist bei Niereninsuffizienz häufig und
fördert wiederum deren Progression. Daher ist die
konsequente Hypertonietherapie bei eingeschränkter
Nierenleistung besonders wichtig. Welche Parameter
für die Therapieentscheidung eine Rolle spielen,
wie hoch der Blutdruck beim niereninsuffizienten
Hypertoniker sein sollte und wie man das am besten
erreicht, wird im folgenden Beitrag dargestellt.
WALTER ZIDEK
Hypertonie ist eine typische Begleiterscheinung einer Niereninsuffizienz. Insbesondere bei glomerulären Nierenerkrankungen ist mit einer Erhöhung des Blutdrucks zu rechnen. Milde Störungen der Nierenfunktion sind häufig nicht am Serumkreatinin ablesbar, sondern offenbaren sich nur, wenn man die glomeruläre Filtrationsrate bestimmt.
Wichtigstes Therapieziel: Progression der Niereninsuffizienz verlangsamen Das Ziel der Hypertoniebehandlung unterscheidet sich bei Niereninsuffizienz vom Behandlungsziel bei Hypertonie im Allgemeinen: Generell wollen wir im Rahmen der Hypertoniebehandlung einerseits die direkten Folgen der Hypertonie verhindern wie Hirnmassenblutung und Linksherzinsuffizienz. Andererseits gilt es, die indirekten Folgen aufgrund der vaskulären Schäden abzuwenden, wie zerebrovaskuläre Insuffizienz, KHK und Niereninsuffizienz. Beim Hypertoniker mit Niereninsuffizienz kommt als wichtiges Ziel der Therapie hinzu, die Progression der Niereninsuffizienz zu verlangsamen. Der Grad der Niereninsuffizienz nimmt allmählich zu, bis eine terminale Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit erreicht ist – Hypertonie ist ein Faktor, der die Progression beschleunigt (Abbildung 1). Umgekehrt kann die Behandlung der Hypertonie die Progression einer Niereninsuffizienz verlangsamen. Aus diesem
Grund werden die Antihypertensiva bei Niereninsuffizienz vor allem auch unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, ob sie besonders effektiv die Progression der Niereninsuffizienz verzögern können.
Zielblutdruck Eine weitere Besonderheit bei Hypertonie mit Niereninsuffizienz ist der Zielblutdruck: Während bei unkomplizierter Hypertonie ein Zielblutdruck von < 140/90 mmHg gilt, soll bei Niereninsuffizienz der Blutdruck unter 130/80 mmHg gesenkt werden, und wenn eine Proteinurie von > 1 g pro Tag besteht, unter 125/75 mmHg.
Bei Proteinurie Blutdruck besonders streng einstellen Auch die Proteinurie ist ein wichtiger Risikofaktor für die Progression der Niereninsuffizienz. Generell gilt: Je höher die Proteinausscheidung, desto rascher schreitet die Niereninsuffizienz voran. Der Effekt einer besonders deutlichen Blutdrucksenkung ist umso stärker, je ausgeprägter die Proteinurie ist (Abbildung 2). In der MDRD-Studie liess sich durch eine strenge Blutdruckeinstellung unter 125/75 mmHg eine signifikant geringere Progression der Niereninsuffizienz erzielen, wenn gleichzeitig die Proteinausscheidung über 1 g pro Tag lag. Bei niedrigerer Proteinurie hatte hingegen die strengere Blutdruckeinstellung keinen signifikanten Einfluss auf die Progression.
Merksätze
■ Für Patienten mit Hypertonie und diabetischer Nephropathie sind ACE-Hemmer beziehungsweise AT1-Blocker im Allgemeinen die initiale Therapie.
■ Bei Niereninsuffizienz scheint die Kombination RAS-Hemmer/Kalziumantagonist der Kombination RAS-Hemmer/Diuretikum überlegen zu sein.
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STRATEGIE BEI NIERENINSUFFIZIENZ
Relatives Risiko (95% CL) ⌬ GFR (ml/min/Jahr)
40
30
20
10
0
syst. diast.
< 120 < 80 120–129 130-139 140–159 160–179 180–209 ≤ 210 80–84 85–89 90–99 100–109 110–119 ≥ 120 Abbildung 1: Relatives Risiko (adjustiert) einer terminalen Niereninsuffizienz in Abhängigkeit vom Blutdruck in mmHg nach Daten der MRFIT-Studie. Das Risiko bei einem optimalen Blutdruck wurde = 1 gesetzt (4). Zielblutdruck (mmHg) < 140/90 < 125/75 0 -5 -10 < 1 1—< 3 3+ < 1 1—< 3 3+ Eiweissausscheidung g/Tag Abbildung 2: Änderung der glomerulären Filtrationsrate pro Jahr in Abhängigkeit von der Eiweissausscheidung in g/Tag und der Intensität der Blutdruckeinstellung (5). Diabetische Nephropathie Für die diabetische Nephropathie liegen bereits zahlreiche Studien zur Beeinflussung der Progression durch die antihypertensive Therapie vor. Sowohl für den Typ-1-Diabetes als auch für den Typ-2-Diabetes ist klar, dass die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) geeignet ist, auch unabhängig von der Blutdrucksenkung die Progression der diabetischen Nephropathie zu verlangsamen. Speziell für den Typ-2Diabetes war längere Zeit umstritten, ob ACE-Hemmer und AT1-Blocker gleichwertig sind. Die DETAIL-Studie hat für Typ2-Diabetes im Vergleich Enalapril vs. Telmisartan bei beginnender diabetischer Nephropathie gezeigt, dass beide Substanzen etwa gleichwertig sind (2). Nicht diabetische Nierenerkrankungen Für die nicht diabetischen Nierenerkrankungen ist die Evidenzlage in den letzten Jahren ebenfalls klarer geworden. Der gegenwärtige Erkenntnisstand lässt sich so zusammenfassen, dass der zusätzliche Nutzen einer RAS-Blockade unabhängig von der Blutdrucksenkung vom Ausmass der Proteinurie abhängt. Vor allem bei ausgeprägter Proteinurie ist eine Blockade des RAS hilfreich, um die Progression der Niereninsuffizienz zu verlangsamen. RAS-Blocker: zu wenig eingesetzt RAS-Blocker werden bei Niereninsuffizienz noch zu wenig eingesetzt. Der Grund hierfür sind wahrscheinlich unter anderem die Warnhinweise, die zum Gebrauch von ACE-Hemmern oder AT1-Blockern bei Niereninsuffizienz formuliert wurden. Richtig ist, dass sich durch Blockade des RAS eine eingeschränkte Nierenfunktion akut weiter verschlechtern kann. Die selektive Dilatation des glomerulären Vas efferens senkt akut den Filtrationsdruck im Glomerulum und damit auch die glomeruläre Filtration. Die Senkung des intraglomerulären Drucks ist sogar eine der Voraussetzungen dafür, dass langfristig die nephroprotektiven Mechanismen ihre positiven Wirkungen entfalten. Einschleichende Dosierung und engmaschige Kontrollen sind also notwendig, um die Phase der kurzfristigen Nierenfunk- tionsverschlechterung zu begrenzen. Bei einem Kreatininanstieg um mehr als 30 Prozent des Ausgangswertes sollte die Dosis des RAS-Blockers reduziert werden. Bei einer geringeren GFR als 20 ml/min sollte keine RAS-Blockade mehr begonnen werden. Bestimmte Patienten sind prädisponiert, nach Beginn einer RAS-Blockade eine Verschlechterung der Nierenfunktion zu entwickeln: Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten ■ mit Flüssigkeitsmangel durch Diuretikatherapie oder sons- tige Flüssigkeitsverluste (z.B. Diarrhö) ■ mit verminderter Nierenperfusion, etwa Patienten mit Herz- insuffizienz ■ unter gleichzeitiger vasokonstriktiver Medikation wie etwa nichtsteroidalen Antirheumatika oder COX-2-Hemmern. Diuretikum oder Kalziumantagonist als Kombipartner? Bis jetzt war die Gabe eines Diuretikums bei Hypertonie und Niereninsuffizienz nahezu selbstverständlich. Aufgrund der vermutlichen Wasser- und Kochsalzretention bei Niereninsuffizienz ging man von einem gesteigerten Flüssigkeits- und NaCI-Bestand im Organismus aus. Es liegt auch nahe, hierin einen pathogenetischen Faktor für die Hypertonieentstehung zu sehen und dies ins therapeutische Konzept umzusetzen. Dementsprechend war es lange Zeit selbstverständlich, Hypertonie bei Niereninsuffizienz mit einer Kombinationstherapie unter Einschluss eines Diuretikums zu behandeln. Die Daten der ACCOMPLISH-Studie könnten hier eine neue Orientierung in der Hypertonietherapie bei Niereninsuffizienz bewirken. In dieser Studie waren zwei Kombinationstherapien bei Hypertonie miteinander verglichen worden, nämlich die Kombination zwischen dem ACE-Hemmer Benazepril und Hydrochlorothiazid und die Kombination Benazepril mit Amlodipin. Hinsichtlich des kardiovaskulären Outcomes hatte sich die Kombination mit Amlodipin bei weitgehend ähnlicher Blutdrucksenkung als überlegen erwiesen. Nun liegen auch die Daten hinsichtlich der Entwicklung der Nierenfunktion unter beiden Kombinationstherapien vor (1). ARS MEDICI 17 ■ 2010 681 FORTBILDUNG Progression und Gesamt + Progression und kv + eGFR < 15 Dialyse Kreatinin × 2 Endpunkt 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 Hazard Ratio (95%-KI) Abbildung 3: Vergleich der Kombinationen Benazepril plus Amlodipin und Benazepril plus Hydrochlorothiazid hinsichtlich der Entwicklung der Nierenfunktion. Parameter waren «Endpunkt» (Kreatininverdoppelung, eGFR < 15 ml/ min/1,73 m2 oder Dialysepflichtigkeit), Kreatininverdoppelung, Dialysepflichtigkeit, eGFR < 15 ml/min/1,73 m2, Progression der Nierenerkrankung und kardiovaskulärer Tod sowie Progression der Nierenerkrankung und Gesamtmortalität (1). Eine Hazard Ratio < 1 zeigt einen Vorteil der Kombination Benazepril plus Amlodipin an. ■ Thiazide sind bei einer GFR < 30 ml/min nicht ausreichend effektiv. Daher sollten bei einer geringeren GFR grundsätzlich Schleifendiuretika eingesetzt werden. ■ Bei eingeschränkter Nierenfunktion gehen K+-sparende Diuretika mit einem erhöhten Risiko für eine Hyperkaliämie einher. Ein Schwellenwert der GFR, ab dem mit einer Hyperkaliämie zu rechnen ist, lässt sich nicht definieren. Neben der eingeschränkten Nierenfunktion begünstigen folgende Faktoren eine Hyperkaliämie unter K+-sparenden Diuretika: – Hyporeninämischer Hypoaldosteronismus (Diabetes mellitus, renaltubuläre Azidose Typ IV) – K+-Substitution – Leberzirrhose – ACE-Hemmer, AT1-Blocker – NSAR – Kalzineurininhibitoren – Cotrimoxazol. Überraschenderweise zeigt sich bei der Entwicklung der Nierenfunktion ebenfalls eine signifikante Überlegenheit der Kombination ACE-Hemmer plus Amlodipin (Abbildung 3). Diese Befunde lassen in Zukunft auch bei Niereninsuffizienz und Hypertonie die Kombination eines RAS-Hemmers mit einem Kalziumantagonisten als die bevorzugte initiale Therapie erscheinen. Selbstverständlich ist auch weiterhin ein Diuretikum dort notwendig, wo die symptomatische Therapie von Ödemen dies erfordert. Die Erklärung für diese zunächst überraschenden Befunde könnte eher in einer nachteiligen Wirkung des Diuretikums auf die Nierenfunktion liegen als in einer spezifischen protektiven Wirkung des Kalziumantagonisten. So zeigen auch retrospektive Daten einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz und dem Verbrauch von Diuretika (3). Generell ist für den Gebrauch von Diuretika bei Niereninsuffizienz Folgendes zu beachten: Grundsätzlich gilt, dass bei Einsatz von K+-sparenden Diure- tika trotz Niereninsuffizienz eine engmaschige Überwachung des K+-Haushalts notwendig ist. Der Einsatz von Betablockern bei Niereninsuffizienz folgt im Wesentlichen den gleichen Prinzipien wie bei Nierengesun- den. Sowohl die European Society of Hypertension als auch die Deutsche Hochdruckliga sehen die Betablocker derzeit noch unter den Antihypertensiva der ersten Wahl, wenngleich an- dere Leitlinien wie zum Beispiel die britischen dies nicht mehr tun. Hier sind die zukünftigen Tendenzen noch nicht absehbar. Sinnvoll wird der Einsatz von Betablockern weiterhin vor allem bei niereninsuffizienten Patienten mit kardialen Indi- kationen für Betablocker sein, wie zum Beispiel Herzinsuffi- zienz, koronarer Herzerkrankung und tachykarden Herzrhyth- musstörungen. ■ Prof. Dr. med. Walter Zidek Medizinische Klinik IV Charité Universitätsmedizin Berlin D-12200 Berlin diabetische Nephropathie ACE-Hemmer/AT1-Blocker + ggf. Kalziumantagonist Hypertonie und Niereninsuffizienz Proteinurie > 200 mg/g Kreatinin
nicht diabetische Nephropathie
Antihypertensiva entsprechend Zielblutdruck,
Begleiterkrankungen/ Endorganschäden
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 9/2010. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Proteinurie < 200 mg/g Kreatinin Abbildung 4: Therapieschema für die Hypertoniebehandlung bei Niereninsuffizienz 682 ARS MEDICI 17 ■ 2010