Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
Rosenbergstrasse 115
Ein Arzt im Bundesrat? Im Juni vergangenen Jahres, beim Rücktritt von Pascal dem Grossen, der trotz seiner Grösse keine Lücke hinterliess, stand das schon einmal zur Diskussion. Wir schrieben damals und wiederholens heute – nur um wenige Aktualitäten ergänzt: Er wills unbedingt werden. Und da er als Tessiner zu einer zu hätschelnden Minderheit mit intaktem Lobbying gehört, könnte er es gelegentlich, und sei es beim siebten Anlauf, schaffen: Ignazio Cassis, der für die FDP seit 2007 im Nationalrat sitzt. Eigentlich vielversprechend, immerhin ist der 49-jährige Kollege Vizepräsident der FMH. Nur, daneben sitzt der rührige Mediziner mit zwei FMH-Titeln (Innere Medizin sowie Prävention und Gesundheitswesen) im Vorstand des Forum Managed Care, ist Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung Equam und Präsident von Public Health Schweiz sowie Mitglied von InfoSocietyDays, dem Fachbeirat des swiss eHealth Forums. Von 1997 bis 2008 war er zudem Kantonsarzt, seit 1998 ist er «Médecin associé» des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Lausanne, seit 2001 Lehrbeauftragter an der Universität Lugano. Von 1991 bis 1999 war Cassis Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen, von 1997 bis 2005 Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen, von 2000 bis 2003 Mitglied der Nationalen Arbeitsgruppe «Koordination der Spitzenmedizin in der Schweiz», seit 2005 ist er Mitglied der Nationalen Expertenkommission «Prävention und Gesundheitsförderung» und ebenso lange Mitglied der Steuergruppe «Nationale eHealth-Strategie» und schliesslich seit 2008 im Vorstand der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Viel übereinstimmende Erfahrung mit den nicht mit öffentlichen Geldern finanzierten, sondern unternehmerisch tätigen praktizierenden Kollegen, der sogenannten Basis, lässt sich daraus leider nicht ableiten. Viel eher bewegt sich der Tessiner Kollege im Dunstkreis von mit Steuergeldern alimentierten Institutionen. Eigentlich sollte man ja nicht motzen, wenn endlich mal ein Kollege
einen Hang zu öffentlichen Ämtern und politischen Mandaten entwickelt. Aber muss es gleich einer jener Liberalen sein, die mehr vom Staat verstehen (und von ihm halten) als von freiem Unternehmertum?
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Die letzten beiden Vorstösse von Ignazio Cassis waren Fragen im Rahmen der Fragestunden des Bundesrats und betrafen die Solarien (Verbot für Jugendliche) sowie die Gesundheitsförderung und Prävention (Einsparungen im Rahmen des Sparpakets von Bundesrat Merz), einige andere Vorstösse waren reiner Italianità-Lobbyismus. So zum Beispiel die Motion «Förderung der Italianità in der Bundesverwaltung. Eine Ombudsperson im EPA: Der Bundesrat wird beauftragt, eine Person zu bezeichnen, die in der Bundesverwaltung für die Förderung der italienischen Sprache zuständig ist und für eine angemessene Vertretung der italienischsprachigen Minderheit zu sorgen hat.»
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Eher kurios (wie bereits früher berichtet) die Interpellation von Kollege Cassis mit Namen «Mehr schweizerische Musik in den Sendungen der SSR SRG idée suisse», mit den Fragen, ob der Bundesrat auch die Meinung vertrete, dass der im Radio gespielte Anteil an schweizerischer Musik die Einkünfte und die künstlerische Produktion der Musikerinnen und Musiker direkt beeinflusse und ob er bereit sei, die SSR SRG idée suisse dazu aufzurufen, mehr schweizerische Musik zu übertragen.
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Bei einigen statistischen Methoden wird man den Verdacht nicht los, sie seien entwickelt worden, um mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen positiven Effekt nachweisen zu können. Daneben gibt es statistische Methoden, bei denen man den Verdacht nicht los wird, sie seien gezielt entwickelt worden, um nachzuweisen, dass
statistische Auswertungen in Wirklichkeit keine zuverlässigen Aussagen zulassen. Sind an Ersterem Pharmaindustrie und allenfalls Forscher interessiert, sind es an Letzterem vor allem die Statistiker selber. Denn: Jede unzuverlässige Methode ruft nach Statistikern, die noch raffiniertere und zuverlässigere Methoden entwickeln. Bis die Methoden dermassen raffiniert sind, dass ausser ein paar Spezialisten kein Schwein mehr versteht, worum es eigentlich geht. Was wiederum gut ist für die Statistiker, ohne die endlich keiner mehr auskommt, der irgendeine wissenschaftliche Aussage machen – oder anzweifeln – will.
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Schon mal etwas von Funnell-Plot gehört? Kaum. Eine grafische Darstellung, mit der sich nachweisen lässt, ob Metaanalysen zuverlässige Resultate liefern. Genauer: Ein Streudiagramm in einem kartesischen Koordinatensystem, wobei der Behandlungseffekt auf der x-Achse gegen die Studiengröße auf der y-Achse aufgetragen wird. Alles klar? Hauptproblem des Funnel-Plot ist, dass es nicht die Qualität der eingeschlossenen Studien erfasst. Es fehlt also zweifellos ein statistisches Modell, mit dem sich überprüfen lässt, ob und unter welchen Bedingungen man Funnell-Plots glauben darf.
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Dass statistische Korrelationen kein Beweis für eine kausale Beziehung sind, leuchtet jedem ein, auch wenn es manche – so es ihnen in den Kram passt – bei Gelegenheit dann doch behaupten. Keine Ursache-Wirkungs-Beziehung besteht (vermutlich) hinter der statistischen Auffälligkeit, dass die Genfer im Vergleich zu anderen Kantonen die höchsten Krankenkassenprämien, am wenigsten selbstdispensierende Ärzte und das strengste Hundegesetz haben sowie die meisten Verkehrsunfälle produzieren.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 17 ■ 2010 661