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Osteoporose: Kalziumsupplemente erhöhen das Infarktrisiko
Experten fordern nun eine Überarbeitung der bestehenden Empfehlungen
BERICHT
Entgegen einer verbreiteten Annahme ist nicht bewiesen, dass die Einnahme von Kalziumsupplementen geeignet ist, das Knochenbruchrisiko zu senken. Möglicherweise steigt sogar das Hüftfrakturrisiko. Jetzt gibt es zudem deutliche Hinweise, dass die Einnahme von Kalziumtabletten das Herzinfarktrisiko erhöht.
UWE BEISE
Kalziumsupplemente führen zu einer erhöhten Herzinfarktrate. Diesen überraschenden Befund hat bereits vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe um Mark J. Bolland von der Universität Auckland in einer randomisierten klinischen Studie bei gesunden postmenopausalen Frauen erhoben. Die Teilnehmerinnen hatten Kalzium zur Osteoporoseprävention eingenommen (BMJ 2008; 336: 262–266). Bolland hat nun elf weitere Doppelblindstudien mit insgesamt mehr als 8000 Teilnehmern in einer Metaanalyse zusammengefasst (BMJ 2010; 341: c3691) und fand die Ergebnisse bestätigt: Nach einer Behandlungszeit von durchschnittlich 3,6 Jahren erkrankten die Patienten unter Kalziumsupplementierung, zumeist Frauen in höherem Lebensalter, etwa 30 Prozent häufiger an einem Herzinfarkt. Auch das Schlaganfallrisiko war tendenziell erhöht, ebenso trat der Composite-Endpunkt aus Herzinfarkt, Schlaganfall oder plötzlichem Herztod häufiger ein. Die Gesamtsterblichkeit fiel allerdings nicht signifikant höher aus. Bolland hält nach diesen Ergebnissen eine Neubewertung der Kalziumsupplementierung für erforderlich. Diese Auffassung teilt auch Prof.
Heike Bischoff-Ferrari, Leiterin des Zentrums Alter und Mobilität an der Universität Zürich und Osteoporoseexpertin an der Rheumaklinik am Universitätsspital Zürich. «Die Studie ist methodisch gut. Das sind robuste Ergebnisse, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann», erklärt die Expertin gegenüber ARS MEDICI. Zudem sei der dahinter vermutete Pathomechanismus, nämlich die vaskuläre Kalzifizierung, durchaus plausibel.
«Kalzium ist eine heilige Kuh in der Osteoporoseprävention» Ob Kalziumtabletten überhaupt nennenswert zur Frakturprävention beitragen, ist ohnehin fraglich. In einer Metaanalyse war Bischoff-Ferrari vor wenigen Jahren zu einem alarmierenden Ergebnis gekommen: Patienten, die Kalziumsupplemente einnahmen, wiesen ein um 64 Prozent höheres Hüftfrakturrisiko auf (Am J Clin Nutr 2007; 86; 1780–90). «Wir brauchten lange, um die Studie publizieren zu können», erklärt Bischoff-Ferrari, «denn Kalzium ist in der Osteoporoseprävention eine heilige Kuh, obwohl es nie eine Studie gegeben hat, die die Wirkung auf das Frakturrisiko eindeutig unter Beweis gestellt hat.» Kalzium, betont Bischoff-Ferrari, sei
allerdings zweifelsfrei notwendig für die Knochengesundheit. «Mir ist sehr wichtig, dass wir jetzt nicht den Fehler begehen, Kalzium grundsätzlich als riskant zu verteufeln und die Menschen nun keine Milch mehr trinken», sagt sie. Allerdings empfehle sie ihren Patientinnen, Kalzium möglichst über die Nahrung zu beziehen, was im Allgemeinen auch ohne Weiteres möglich sei. «Das Problematische an den Kalziumtabletten ist, dass sie zu einem akuten Anstieg der Serumkalziumwerte führen.» Der Grund, warum Kalziumtabletten überhaupt so oft verschrieben werden, liegt für Bischoff-Ferrari vor allem darin, dass momentan zu hohe Kalziumzielwerte empfohlen werden. Hier sei eine Neubestimmung dringend erforderlich.
Präparate müssen neu dosiert werden
Anders als Kalzium nehmen wir Vit-
amin D nicht unbedingt in ausreichen-
der Menge zu uns. Deshalb sei eine Sup-
plementierung durchaus sinnvoll, meint
Bischoff-Ferrari. Vitamin D hat im Ge-
gensatz zu Kalziumsupplementen kar-
dial eher ein schützendes Potenzial,
gleichzeitig sorgt es dafür, dass Kalzium
vermehrt aus dem Magen-Darm-Trakt
aufgenommen wird. Bischoff-Ferrari hält
es deshalb für notwendig, in Kombinati-
onspräparaten das Vitamin D höher und
das Kalzium niedriger zu dosieren. Die
Pharmaindustrie sei gefordert, entspre-
chende Präparate auf den Markt zu brin-
gen. Es gebe nämlich durchaus weiter-
hin einen Bedarf an Kombinations-
präparaten.
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Uwe Beise
ARS MEDICI 17 ■ 2010 673