Transkript
STUDIE REFERIERT
Angst und Asthma
Angststörungen sind bei Asthmatikern häufig
KOMMENTAR
Dr. med. Hanspeter Anderhub La Punt Chamues-ch
Möglicherweise wäre für manche
Asthmapatienten eine anxio-
lytische Therapie sinnvoller als
die Erhöhung der Kortisondosis,
um eine bessere Symptomkontrolle
zu erreichen.
THERAPEUTIC ADVANCES IN RESPIRATORY DISEASES
Dass Angstzustände bei Asthmatikern eher zu finden sind als in der gesunden Bevölkerung, ist weder erstaunlich noch eine Neuigkeit. Trotzdem weiss man bis heute nicht, ob eher die Angst das Asthma verschlimmert oder umgekehrt. Diese Frage kann auch eine Beobachtungsstudie von Maria Cordina und ihren Ko-Autoren von der Universität Malta nicht beantworten. Ihre Arbeit enthält jedoch einige Daten und Schlussfolgerungen, die für die Praxis durchaus relevant sind.
Studiendesign 201 konsekutive, ambulante Patienten einer Asthmaklinik, die vom Hausarzt zugewiesen worden waren, wurden in die Studie eingeschlossen. Neben der FEV1-Messung (forciertes expiratorisches Volumen) wurden soziodemografische und medizinische Daten erhoben sowie allfällige Angstsymptome mithilfe des Beck Anxiety Inventory (BAI) erfasst. Der BAI hat eine Punkteskala von 0 bis 63, wobei ab 16 Punkten von mitt-
leren Angstsymptomen und ab 26 von einer schweren Angststörung gesprochen wird. Als klinisch relevant gilt ein Punktwert von 16 oder mehr.
Resultate 58 Prozent der Patientinnen und Patienten hatten ein FEV1 von ≥ 80 Prozent, 23 Prozent ein FEV1 zwischen 60 und 79 Prozent, und 19 Prozent kamen nur auf 19 Prozent des erwarteten FEV1. Die meisten wurden gemäss GINA-Stufe 4 und 5 behandelt (57,7%), mit einer hohen inhalativen Kortisondosis von >1 mg Beclometason oder Äquivalent pro Tag. Gemäss Beck Anxiety Inventory fanden sich bei etwa der Hälfte der Patienten klinisch relevante Angstsymptome (≥ 16 Punkte). Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass an diese Asthmaklinik in erster Linie Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Asthma zugewiesen werden, sodass der wahre Anteil unter allen Asthmapatienten vermutlich geringer sei. Nur bei jedem Fünften der Patienten mit klinisch relevanter Angstsymptomatik war diese zuvor bereits diagnostiziert und behandelt worden. Frauen waren häufiger von Angststörungen betroffen als Männer. Patienten mit stärkeren Angstsymptomen wurden in der Regel intensiver behandelt und erhielten mehr Kortison, obwohl die objektiven FEV1-Werte nicht zwingend mit dem Vorhandensein oder dem Ausmass einer Angststörung korreliert waren. So fanden sich beispielsweise bei den Frauen im Durchschnitt höhere «Angstwerte» bei gleichzeitig höherem durchschnittlichem FEV1.
Tranquilizer haben in der Asthmabehandlung gar nichts verloren!
Hat jemand Asthma, dann sind seine Luftwege verengt. Er hat Mühe, Luft zu bekommen, er bekommt Angst. Je länger das Asthma dauert, je häufiger die Anfälle auftreten, umso gravierender wird seine Angst, eines Tages am Asthma zu ersticken. Die Angst, von einem Asthmanfall gepackt zu werden, ist omnipräsent, zeichnet den Patienten, der wie gelähmt dahinvegetiert. Jene Vielzahl von Patienten, welche therapeutisch leider immer noch mangelhaft oder gar nicht kontrolliert sind — weil die Asthmatherapie meistens auf eine reine Symptom- und Anfallsbehandlung ausgerichtet ist und der Entzündungsgedanke als Basis des Geschehens zugunsten reiner Symptome oder FEV1Werte verdrängt wird —, jene Patienten wissen nie, wann das Asthma wieder zuschlägt. Sie verlieren ihr Selbstvertrauen und glauben
Merksätze
■ Angststörungen kommen bei Asthmatikern relativ häufig vor und können bei der Beurteilung der asthmatischen Symptome in die Irre führen.
■ Die Dosierung von Asthmamedikamenten sollte in erster Linie auf objektiven Messwerten (FEV1) beruhen.
692 ARS MEDICI 17 ■ 2010
STUDIE REFERIERT
nicht mehr an den Arzt und seine therapeutischen Möglichkeiten. Eine miserable Compliance ist die Folge. Ein Circulus vitiosus und schliesslich der Gang zur Psychotherapie, die an der Ecke wartet! Leider gehören zu den Charakteristika der heutigen, durch Guidelines gesteuerten Asthmatherapie das «so wenig wie möglich» und das «so rasch als möglich wieder absetzen». Dies bezieht sich vor allem auf die topischen Steroide, bei denen viele Ärzte gedanklich immer noch Mühe haben, sie von den systemischen Steroiden abzugrenzen. Der bei diesem Konzept immer wieder drohende Einsatz von systemischen Steroiden bleibt damit Ultima Ratio und wird höchstens kurz vor dem letzten Stündchen in Erwägung gezogen. Meistens ist das anvisierte Behandlungsziel eine nur oberflächliche, labile Beschwerdefreiheit. Dabei wird vergessen, dass dies nur in den wenigsten Fällen eine nachhaltige «Entzündungsfreiheit» bewirkt. Die Symptome sind bloss «fast ganz» verschwunden, die Spirometrie zeigt «tolle Werte», oder sie ist in jedem Fall viel besser geworden … Alle sind happy, und die Therapie wird abgesetzt. Die ganz Forschen sprechen schon von «Heilung». Mit den heutigen medikamentösen Therapien wird dieser Zustand in der Regel sehr rasch erreicht. Man denkt an die Guidelines, behandelt zu kurz oder unterdosiert, vergisst darob die Chronizität der Entzündung beim Asthma und erhält als Quittung ein Wiederaufflam-
men und Weitermotten der bronchialen Hyperreaktivität, die direkte Folge der Entzündung! Diese wellenförmigen Schwankungen des Tonus der Bronchien sind für die vielen unterschwelligen Asthmasymptömchen verantwortlich, sie verursachen einen grossen Leidensdruck und vermindern entscheidend die Lebensqualität. Neben den klassischen Asthmasymptomen, die alle kennen, gibt es eine Vielzahl von Manifestationen, die zunächst überhaupt nicht an ein Asthma erinnern. Thorakale Druckgefühle, in Ruhe oder bei Anstrengungen, ein Gefühl des Nicht-Durchatmen-Könnens, häufige Seufzeratmungen: alles Folgen der durch die weitermottende Entzündung unterhaltenen bronchialen Hyperreaktivität und Tonusschwankungen der Bronchien. Vielfach spielen neben beispielsweise klimatischen Einflüssen (Wetter-, Temperatur- und Klimawechsel) auch emotionale Momente mit hinein, wie zum Beispiel Mobbing, Todesfälle, Scheidungen, Heimweh und Schulstress bei Kindern, als nur wenige Beispiele. Hier lassen uns Klinik und Spirometrie oft völlig im Stich. Alles normal! Als Nicht-Fachmann ist man ratlos, und dann kommt dieser Artikel mit der Empfehlung, lieber Psychopharmaka als mehr Steroide einzusetzen, gerade recht. Als Fachmann wird man solche Probleme mit einer gezielten inhalativen Methacholinprovokation rasch entlarven und als Asthma erkennen. Als Praktiker ist Ihnen diese subtile Diagnostik tariflich leider verwehrt. Sie kön-
nen sich aber mit einem systemischen Kortisontrial, sozusagen dem «Methacholintest des armen Mannes», behelfen: Spritzen Sie einmal 40 oder 80 mg Triamcort i.m., oder — wenn Sie konservativer eingestellt sind und die bekannten Nachteile der oralen Therapie (unsichere Compliance, Magenunverträglichkeit, deutlich grössere Kortisonmenge) nicht fürchten — verabreichen Sie 40 mg Prednison täglich über 10 bis 14 Tage und beobachten Sie, was passiert. Verbessern sich oder verschwinden die Symptome, ist das der Beweis, dass Sie die Entzündung und damit die bronchiale Hyperreaktivität in den Griff bekommen haben. Und die Schlussfolgerung? Sie haben es mit einem Asthma zu tun, und die Verabreichung von Psychopharmaka wäre ein Kunstfehler! Nehmen Sie die Asthmatherapie wieder in vollem Umfang auf. Denken Sie daran: Beschwerdefrei heisst nicht unbedingt entzündungsfrei, und erst «höher dosiert und länger verabreicht» ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung der chronischen Entzündung und damit des Asthmas. Die Akzeptanz der Therapie durch die Patienten wird steigen, die Ängste werden sich verflüchtigen. Erstmals können solche geplagten Patienten als Asthmatiker leben, als ob sie kein Asthma hätten. Und niemand käme auf die Idee, hier noch Psychopharmaka einzusetzen!
Schlussfolgerungen Da die Kortisondosis eher mit dem Angstniveau als dem FEV1 korreliert, scheinen sich Ärzte bei der Verschreibung inhalativer Kortikoide bei Asthmapatienten eher auf deren Schilderungen als auf objektive Messwerte zu verlassen, spekulieren Maria Cordina und ihre Ko-Autoren. Sie warnen davor, ein psychologisches Problem als medizinisches zu missdeuten und immer höhere Kortisondosen zu verschreiben. Vielmehr raten sie dazu, nach allfälligen zugrunde liegenden Angststörungen zu suchen.
Ausserdem gibt das Autorenteam aus Malta zu bedenken, dass Asthmamedikamente wie inhalierte Kortikosteroide, Andrenorezeptor-Agonisten und Theophyllin selbst unter Verdacht stehen, Angststörungen auslösen zu können. Auf der anderen Seite haben anxiolytische Medikamente, wie beispielsweise die Benzodiazepine, negative Auswirkungen auf die Atmung, sodass ihr Gebrauch bei Asthmapatienten problematisch ist. Aus diesem Grund raten die Autoren zu nicht medikamentösen Verfahren wie der kognitiven Verhaltenstherapie, um
Angststörungen bei Asthmatikern zu be-
handeln.
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Renate Bonifer
Cordina M et al.: Anxiety and the management of asthma in an adult outpatient population. Ther Adv Resp Dis 2009; 3(5): 227233.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keine Interessenkonflikte.
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