Transkript
FORTBILDUNG
Metastasiertes Nierenzellkarzinom
Moderne Behandlung bei fortgeschrittenem Stadium
Durch das bessere Verständnis der molekularen
Mechanismen bei der Entstehung des Nierenzellkar-
zinoms konnten in den letzten Jahren verschiedene
neue Behandlungsoptionen entwickelt werden.
Durch den Einsatz zielgerichteter Therapeutika wie
Bevacizumab, Everolimus, Sorafenib, Sunitinib und
Temsirolimus konnte eine deutliche Verbesserung
der Ansprechraten und der progressionsfreien Über-
lebenszeit erreicht werden. Da die Nebenwirkungen,
Interaktionen und Kosten dieser Substanzen nicht
unerheblich sind, sollten sie generell nur von Ärzten
eingesetzt werden, die in der Tumorbehandlung und
im Umgang mit diesen Medikamenten Erfahrung
haben. Die Kombination und ideale Reihenfolge im
Einsatz dieser Therapeutika wird in laufenden Studien
untersucht.
ARNOUD TEMPLETON, CHRISTIAN ROTHERMUNDT
In der Schweiz erkranken jährlich gut 700 Menschen an einem Nierenzellkarzinom (RCC), und etwa 320 Menschen sterben daran (1). Die Inzidenz nimmt in den westlichen Ländern jährlich um 2 bis 3 Prozent zu und ist bei Männern fast doppelt so hoch wie bei Frauen. Das typische Erkrankungsalter liegt zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Bei lokalisierter Erkrankung ist die Nephrektomie beziehungsweise Tumorektomie im Sinne einer Teilnephrektomie die Therapie der Wahl. Mittlerweile wird die Operation häufig laparoskopisch durchgeführt, und es kommen vermehrt auch Roboter-assistierte Techniken zur Anwendung.
Ein Viertel der Patienten haben bereits bei Diagnosestellung eine fortgeschrittene und damit unheilbare Erkrankung, ein Drittel der initial in kurativer Intention operierten Patienten erleidet im Verlauf einen Rückfall. Die häufigste Histologie des RCC ist die hellzellige (75%), gefolgt von der papillären (15%), der chromophoben und dem Onkozytom (je 5%). Bei Rezidiv oder Metastasierung waren die therapeutischen Optionen bis vor 3 Jahren beschränkt. Als Standard galt lange eine Immuntherapie mit Interferon-alpha (IFN-α) oder Interleukin-2 (IL-2). Diese Therapien zeigten Ansprechraten von 10 bis 15 Prozent und teilweise schwerwiegenden Nebenwirkungen. Die Therapie mit hochdosiertem IL-2 führte bei vereinzelten Patienten zu gelegentlich andauernden kompletten Remissionen, war aber mit einer relevanten Therapie-bedingten Mortalität assoziiert. Das RCC ist im Wesentlichen resistent gegen Chemotherapie und wenig strahlensensibel. In den letzten Jahren sind verschiedene neue Substanzen zur Behandlung des Nierenzellkarzinoms klinisch erforscht und zugelassen worden, wobei das bessere Verständnis der Pathogenese des hellzelligen RCC viel zur Entwicklung dieser neuen Therapeutika (targeted therapies) beigetragen hat (Kasten).
Merksätze
■ In der Schweiz erkranken jährlich etwa 700 Menschen an einem Nierenzellkarzinom, 320 sterben daran, die Inzidenz nimmt jährlich um 2 bis 3 Prozent zu.
■ Durch das bessere Verständnis der molekularen Mechanismen bei der Tumorentstehung konnten verschieden zielgerichtete Medikamente zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms entwickelt werden.
■ Der Einsatz neuer Medikamente wie Bevacizumab, Everolimus, Sorafenib, Sunitinib und Temsirolimus kann die Prognose beim metastasierten Nierenzellkarzinom deutlich verbessern.
■ Ungelöst bleibt das Problem der hohen Kosten dieser Medikamente.
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METASTASIERTES NIERENZELLKARZINOM
Kasten: Molekulare Basis der zielgerichteten Therapien bei RCC
Die Von-Hippel-Lindau-Erkrankung (VHL), welche eine sehr hohe Inzidenz hellzelliger Nierenzellkarzinome aufweist, wird durch Keimbahnmutationen im VHL-Tumorsuppressor-Gen auf Chromosom 3 verursacht. Auch bei der sporadischen Form des hellzelligen Nierenzellkarzinoms weist die Mehrzahl der Fälle Störungen des VHL-Gens durch somatische Mutationen, Hypermethylierung des Promotors oder chromosomale Verluste auf. Das Genprodukt (VHL-Protein) hat unter anderem die Funktion, den Hypoxia Inducible Factor alpha (HIF-α) zu binden und dadurch dessen Polyubiquitinierung* und Abbau zu begünstigen. Die Inaktivierung des VHL-Gens führt in den Zellen zur Akkumulation von HIF-α, welcher über eine Aktivierung verschiedener weiterer Gene zu einer erhöhten Produktion zahlreicher Wachstumsfaktoren wie Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) und Platelet Derived Growth Factor (PDGF) führt. Diese Wachstumsfaktoren binden an spezifische TyrosinkinaseRezeptoren der Tumorzelloberfläche, was unter anderem zu Zellproliferation, Tumorangiogenese, Tumorwachstum und Metastasierung führt. Die spezifische Hemmung dieser Prozesse wird unter dem Begriff der zielgerichteten Therapien (targeted therapies) zusammengefasst und hat sich als wirksame Strategie zur Verhinderung des Tumorwachstums und damit zur Tumorbehandlung erwiesen. *Der Begriff Polyubiquitinierung bedeutet, dass viele Moleküle des zellulären Proteins Ubiquitin an ein Zielmolekül binden, welches dadurch in seinen Eigenschaften verändert wird. Ubiquitin kommt in allen Körperzellen vor (es ist ubiquitär) und hat dort Regulationsfunktionen. Je nachdem, wie viele Ubiquitin-Moleküle an eine zelluläre Substanz binden, wird beispielsweise deren Halbwertszeit, Funktionalität oder die Lokalisation innerhalb der Zelle verändert.
Dieser Artikel gibt unter Darstellung der wichtigsten Studienergebnisse der in der Schweiz zugelassenen «targeted therapies» eine Übersicht über die moderne Behandlung des metastasierten RCC. Da bisher weder für die Erstlinientherapie direkte Vergleichsstudien vorliegen noch die beste Reihenfolge für den Einsatz der verschiedenen Substanzen im Alltag bekannt ist, erfolgt die Darstellung der verschiedenen Optionen chronologisch nach Erscheinungsdatum der relevanten PhaseIII-Studien und gemäss Therapielinie gefolgt von einem möglichen (in unserer Klinik häufig angewandten) Therapiealgorithmus.
Zuerst operieren? Die Frage, ob vor Beginn einer palliativen Therapie beim primär metastasierten Nierenzellkarzinom eine Tumor-Nephrektomie durchgeführt werden soll, ist bislang nicht beantwortet, hierzu laufen Studien. Tatsache ist jedoch, dass in den Zulassungsstudien für Sunitinib, Bevacizumab, Sorafenib, Temsiro-
limus und Everolimus die Mehrheit der Patienten nephrektomiert war. Wegen des fraglichen Stellenwerts dieses operativen Vorgehens müssen die Risiken der Nephrektomie ernst genommen und gegen den potenziellen Nutzen aufgewogen werden. Es soll explizit erwähnt werden, dass bei einer Subgruppe von Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom eine Verlaufsbeobachtung ohne Therapie (active surveillance) durchgeführt werden kann, da es sich bisweilen um eine sehr langsam progrediente Erkrankung handelt und sich, wenn auch selten (in weniger als 1% der Fälle), Spontanremissionen ereignen können. Die Metastasenchirurgie hat weiterhin ihren Platz, insbesondere wenn eine Resektion aller Metastasen mit geringem Risiko erreicht werden kann.
Erstlinientherapie Sunitinib (Sutent®) Sunitinib ist ein oraler Multi-Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI), welcher sowohl die Tumorzellproliferation als auch die Angiogenese durch Inhibition von PDGF-Rezeptor-α und -β (PDGFR), VEGF-Rezeptor (VEGFR), c-Kit protein (c-KIT) und FMS-like-Tyrosinkinase 3 (Flt-3) hemmt. In einer internationalen randomisierten Studie untersuchte man bei 750 nicht vorbehandelten Patienten mit hellzelligem mRCC die Wirkung von Sunitinib im Vergleich zu IFN-α (2). Dabei wurde in repetitiven 6-Wochen-Zyklen täglich 50 mg Sunitinib (4 Wochen Behandlung, gefolgt von 2 Wochen Behandlungspause) oder die bisherige Standardtherapie IFN-α mit einer Zieldosis von 3-mal pro Woche 9 Mio. IE s.c. verabreicht. Die mediane progressionsfreie Überlebensdauer (PFS) war als primärer Endpunkt in der mit Sunitinib behandelten Gruppe gut doppelt so lang wie in der mit IFN-α behandelten Gruppe (11 vs. 5 Monate, p <0,001). Zudem zeigten sich unter Sunitinib eine deutlich höhere objektive Ansprechrate (31 vs. 6%, p <0,001) und eine bessere Lebensqualität (p <0,001). Die mediane Gesamtüberlebensdauer (OS) betrug 26,4 versus 21,8 Monate (p = 0,051), wobei 65 Prozent der mit IFN-α behandelten Patienten im Verlauf noch Sunitinib oder ein anderes neues Medikament erhielten (3). Im Vergleich zu IFN-α litt unter Sunitinib ein grösserer Anteil der Patienten unter ausgeprägter Hypertonie, Fatigue, Diarrhö, Hand-Fuss-Syndrom und Erbrechen. Die Rate konstitutiver Symptome wie Fatigue und Asthenie war in beiden Behandlungsarmen ähnlich hoch, Influenza-artige Symptome, Fieber, Schüttelfrost und Muskelschmerzen traten unter IFN-α häufiger auf. Laborchemisch zeigten sich bei den mit Sunitinib behandelten Patienten häufiger Thrombozytopenie und Neutropenie (3). Weitere wichtige Nebenwirkungen der Behandlung mit Sunitinib umfassen EKG-Veränderungen (Verlängerung der QTc-Zeit) und die Abnahme der linksventrikulären Funktion (4), weshalb auf eine gute Behandlung von kardiovaskulären Risikofaktoren zu achten und die Herzfunktion zu überwachen ist. Des Weiteren kann die Einnahme von Sunitinib das Risiko von Blutungen erhöhen. Darum sollten insbesondere bei antikoagulierten Patienten die Gerinnungsparameter
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FORTBILDUNG
engmaschig kontrolliert werden. Ausserdem sollte unter Behandlung mit Sunitinib die Schilddrüsenfunktion überwacht (Hypo- und Hyperthyreose) und bei Diabetikern gegebenenfalls die antihyperglykäme Therapie reduziert werden (5, 6). Da Sunitinib über Cytochrom P450 3A4 (CYP 3A4) metabolisiert wird, ist bei der Komedikation auf entsprechende Interaktionen zu achten. Als Informationsquelle bezüglich Nebenwirkungen und Interaktionen kann die Internetseite www.cancerdrugs.ch empfohlen werden.
Temsirolimus (Torisel®) Temsirolimus ist ein spezifischer Hemmer der mTOR-Kinase, eines Schlüsselproteins der intrazellulären Signaltransduktion, das Zellteilung, Zellwachstum und Apoptose reguliert. In einer randomisierten 3-armigen Studie (ARCC-Studie) verglich man bei 626 Patienten mit mRCC Temsirolimus mit IFN-α sowie die Kombination der beiden Substanzen (7). Eingeschlossen werden konnten bei dieser Phase-III-Studie alle Histologien, aber nur Patienten mit mindestens 3 der folgenden als prognostisch ungünstig angesehenen Kriterien (Details siehe weiter unten): erhöhte Laktatdehydrogenase, erhöhtes Kalzium, vermindertes Hämoglobin, kurze Zeit zwischen Diagnosestellung und Einschluss in die Studie, verminderter Allgemeinzustand oder Metastasen in mehreren Organen. Die Patienten erhielten IFN-α mit einer Zieldosis von 3-mal pro Woche 18 Mio. IE s.c. oder Temsirolimus 25 mg i.v. wöchentlich oder eine Kombination von Temsirolimus 15 mg i.v. wöchentlich plus IFN-α mit einer Zieldosis von 3-mal 6 Mio. IE s.c. pro Woche, jeweils bis zur Tumorprogression. Primärer Endpunkt war die Gesamtüberlebensdauer. Während die objektive Remission in den beiden Monotherapiegruppen vergleichbar war (<10%), zeigte sich eine median gut 3,5 Monate längere Gesamtüberlebensdauer in der nur mit TemsirolimusMonotherapie behandelten Gruppe (10,9 vs. 7,3 Monate; p = 0,007). Auch das progressionsfreie Intervall war in dieser Gruppe deutlich länger (3,8 vs. 1,9 Monate; p <0,0001). Die Ergebnisse im Kombinationsarm lagen zwischen jenen der Monotherapien. In einer zuvor nicht geplanten Subgruppenanalyse zeigte sich zudem bei den Patienten mit nicht hellzelligen Nierenzellkarzinomen unter Temsirolimus ein Trend zu einer besseren Gesamtüberlebensrate als bei denjenigen mit hellzelligen Nierenzellkarzinomen. Die in dieser Studie unter Temsirolimus am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Asthenie, Hautausschlag, Anämie, Nausea, Anorexie, Schmerzen, Dyspnoe, Infektionen, Diarrhö, Ödeme, Husten, Fieber, Stomatitis und Laborwertveränderungen wie Hyperglykämie, Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie.
Bevacizumab (Avastin®) Bevacizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen VEGF, einen in der Angiogenese wichtigen Wachstumsfaktor. Durch die Bindung des Antikörpers an diesen Faktor wird dieser inaktiviert und dadurch die Bildung neuer Blutgefässe gehemmt.
In einer Plazebo-kontrollierten Studie (AVOREN-Studie) verglich man bei 649 Patienten mit metastasiertem hellzelligem RCC (mRCC) nach Nephrektomie die Behandlung mit IFN-α plus Plazebo mit IFN-α plus Bevacizumab (8). Die Patienten erhielten IFN-α mit einer Zieldosis von 3-mal pro Woche 9 Mio. IE s.c. und zusätzlich alle 2 Wochen 10 mg Bevacizumab pro kg Körpergewicht oder Plazebo bis zur Tumorprogression. Die progressionsfreie Überlebensdauer war in der mit INF-α und Bevacizumab behandelten Gruppe fast doppelt so lang wie in der Vergleichsgruppe (10,2 vs. 5,4 Monate; p = 0,0001), die mittlere Gesamtüberlebensdauer betrug mit IFN-α und Plazebo 21,3 Monate, unter der Kombinationsbehandlung mit IFN-α und Bevacizumab 23,3 Monate (p = 0,34). Der primäre Endpunkt der Studie wurde nicht erreicht, was am ehesten durch die Verfügbarkeit und Anwendung aktiver Substanzen nach Krankheitsprogredienz erklärt wird. Die häufigsten mit Bevacizumab assoziierten Nebenwirkungen waren in dieser Studie arterielle Hypertonie und Proteinurie, ausserdem Fatigue/Asthenie, Diarrhö und Kopfschmerzen. Weitere wichtige berichtete Nebenwirkungen sind unter anderem Blutungen, gastrointestinale Perforationen, Wundheilungsstörungen und das Auftreten thromboembolischer Ereignisse, auch im arteriellen System. Zusätzlich traten verschiedene IFN-α-assoziierte Nebenwirkungen wie Grippeähnliche Symptome oder Depression auf.
Zweitlinientherapie Sorafenib (Nexavar®) Sorafenib ist ein weiterer oraler Multi-Tyrosinkinase-Inhibitor, der die RAF-Kinase (ein wichtiges Enzym der Signalübertragung im Rahmen der Zellproliferation), aber auch VEGFR, PDGFR, c-KIT und Flt-3 hemmt. In der TARGET-Studie randomisierte man 903 Patienten mit fortgeschrittenem hellzelligem RCC, welche unter Standardtherapie eine Krankheitsprogression aufwiesen, in einen Behandlungsarm mit Sorafenib (400 mg 2-mal täglich p.o.) oder einen Plazeboarm (9). Der primäre Endpunkt der Studie war die Gesamtüberlebensdauer, ein sekundärer Endpunkt das progressionsfreie Intervall. Da sich bei einer geplanten Interimsanalyse ein deutlich verlängertes progressionsfreies Intervall im Sorafenib-Arm zeigte (median 5,5 vs. 2,8 Monate; p <0,01), wurde den Patienten der Plazebogruppe ein Wechsel in die Verumgruppe angeboten, worauf 48 Prozent dieser Patienten auch Sorafenib erhielten. Am Ende der Studie war die Gesamtüberlebensdauer unter Sorafenib vergleichbar mit der Plazebo-Behandlung (17,8 vs. 15,2 Monate; p = 0,15), bei Nicht-Berücksichtigung der während der laufenden Studie von der Plazebo- in die Verumgruppe gewechselten Patienten zeigte sich mit Sorafenib ein Überlebensvorteil von 3,5 Monaten (17,8 vs. 14,3 Monate; p = 0,029) (10). Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Sorafenib gehören Diarrhö, Hautausschlag, Fatigue, Hand-Fuss-Syndrom, Alopezie, Nausea, Pruritus, Hypertonie, Erbrechen, Anorexie, Obstipation, Dyspnoe, Husten und sensorische Neuropathie. Da auch schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen
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METASTASIERTES NIERENZELLKARZINOM
Prognose des Nierenzellkarzinompatienten
Erstlinientherapie Zweitlinientherapie Drittlinientherapie
gut/intermediär
Sunitinib alternativ: Bevacizumab + INF-α
Everolimus alternativ: Sorafenib
Sorafenib
schlecht
Temsirolimus alternativ: Sunitinib
Everolimus alternativ: Sorafenib
?
Abbildung: Therapiealgorithmus am Kantonsspital St. Gallen
beschrieben sind, werden insbesondere bei kardial vorbelasteten Patienten Kontrollen der Herzfunktion empfohlen. Ferner sollte neben Interaktionen mit anderen Medikamenten auf Blutungszeichen geachtet und sollten speziell bei mit Kumarin-Präparaten antikoagulierten Patienten engmaschig die Gerinnungswerte überwacht werden. Auch die Schilddrüsenparameter (Hypo- und seltener Hyperthyreosen) und die Blutchemiewerte sollte man im Auge behalten.
Die häufigsten Nebenwirkungen (alle Schweregrade) bei Patienten, die mit Everolimus behandelt wurden, waren Stomatitis, Hautausschlag, Fatigue, Asthenie, Diarrhö, Anorexie, Nausea, Husten und Erbrechen. Auch Laborwertveränderungen wie Anämie, Dyslipidämie, Hyperglykämie, KreatininAnstieg, Lymphopenie und Hyperphosphatämie wurden bei vielen Patienten beobachtet. Bei 3 Prozent der Patienten trat zudem eine schwere Pneumonitis auf.
Everolimus (Afinitor®) Everolimus ist ein spezifischer oraler mTOR-Inhibitor, der durch Hemmung des mTOR-Signalwegs Zellteilung, Zellwachstum und Apoptose blockiert. In der RECORD-1-Studie verglich man bei 410 Patienten mit fortgeschrittenem RCC nach Versagen mindestens einer gegen VEGF gerichteten Tyrosinkinase-Inhibitor-Therapie (Sunitinib, Sorafenib) Everolimus mit Plazebo (2:1 Randomisation) (11). Da eine Interimsanalyse einen Unterschied von gut 2 Monaten im progressionsfreien Intervall ergab (4,0 vs. 1,9 Monate, p <0,0001), wurde die Studie vorzeitig gestoppt. Ein nachweisbarer Überlebensvorteil in der Everolimusgruppe lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Aufgrund der vorzeitigen Entblindung und des Wechsels von Patienten von der Plazeboin die Verumgruppe ist ein entsprechender Nachweis auch nicht mehr zu erwarten. Die Lebensqualität (gemessen mit dem EORTC-QLQ-C30-Fragebogen) war in beiden Behandlungsgruppen gleich.
Therapiealgorithmus Onkologie Kantonsspital St. Gallen Da wie eingangs erwähnt zu den neueren Therapien bisher keine Vergleichsstudien vorliegen und auch die vermutlich beste Sequenz nicht adäquat untersucht ist, ist die Frage nach der optimalen Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms offen. Der behandelnde Onkologe sollte insbesondere unter dem Aspekt der Verträglichkeit (verschiedene Nebenwirkungsprofile) und des Verabreichungsmodus (oral vs. parenteral) die verschiedenen Aspekte mit dem Patienten besprechen. Als Grundlage der Entscheidungsfindung kommt in unserer Klinik der in der Abbildung skizzierte Therapiealgorithmus zur Anwendung. Eine schlechte Prognose haben Patienten mit 3 oder mehr der folgenden Faktoren: ■ Laktatdehydrogenase (LDH) >1,5-mal obere Norm ■ Kalzium korrigiert >2,5 mmol/l ■ Hämoglobin erniedrigt ■ Zeit zwischen Diagnosestellung und Therapiebeginn <1 Jahr
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FORTBILDUNG
■ verminderter Allgemeinzustand (Karnofsky Performance Status 60–70%)
■ Metastasen in mehreren Organen
Kosten
Im Zusammenhang mit den stetig steigenden Gesundheitskos-
ten sind nicht zuletzt auch die Preise der oben beschriebenen
Medikamente in den Fokus der gesundheitspolitischen Dis-
kussion gerückt: Die reinen Medikamentenkosten, das heisst
ohne Konsultation, Laborkontrollen, Bildgebung, Behandlung
von Nebenwirkungen etc., betragen für einen 70 kg schweren
Patienten für 12 Wochen etwa (12):
■ Sunitinib (Sutent®, Pfizer)
Fr. 15 919.–
■ Everolimus (Afinitor®, Novartis)
Fr. 16 789.–
■ Sorafenib (Nexavar®, Bayer)
Fr. 17 940.–
■ Temsirolimus (Torisel®, Pfizer)
Fr. 17 915.–
■ Bevacizumab* (Avastin®, Roche) +
IFN-α (Roferon®-A, Roche)
Fr. 29 313.–
Ob diese Kosten unter Berücksichtigung der Wirkung auf die
progressionsfreie Überlebensdauer beziehungsweise Gesamt-
überlebensdauer und der Therapie-assoziierten Nebenwirkun-
gen gerechtfertigt erscheinen, ist letztlich keine medizinisch-
wissenschaftliche Frage, sondern vielmehr eine gesellschaftli-
che. Dabei bleibt die Festlegung eines «akzeptablen Preises»
für ein gewonnenes Lebensjahr mit guter Lebensqualität (qua-
lity adjusted life year, QALY) eine wichtige gesellschaftspoli-
tische Herausforderung (13).
■
Literatur: 1. www.nicer-swiss.ch, National Institute for Cancer Epidemiology and Registration 2010 (zitiert
1. März 2010). 2. Motzer RJ et al.: Sunitinib versus interferon alfa in metastatic renal-cell carcinoma. N Engl J Med
2007; 356(2): 115—124. 3. Motzer RJ et al.: Overall survival and updated results for sunitinib compared with interferon alfa
in patients with metastatic renal cell carcinoma. J Clin Oncol 2009: 27(22): 3584—3590. 4. Di Lorenzo G et al.: Cardiovascular toxicity following sunitinib therapy in metastatic renal cell
carcinoma: a multicenter analysis. Ann Oncol 2009; 20(9): 1535—1542. 5. Billemont B et al.: Blood glucose levels in patients with metastatic renal cell carcinoma treated
with sunitinib. Br J Cancer 2008; 99(9): 1380—1382. 6. Templeton A et al.: Remission of diabetes while on sunitinib treatment for renal cell carcinoma.
Ann Oncol 2008; 19(4): 824—825. 7. Hudes G et al.: Temsirolimus, interferon alfa, or both for advanced renal-cell carcinoma. N Engl J
Med 2007; 356(22): 2271—2281. 8. Escudier B et al.: Bevacizumab plus interferon alfa-2a for treatment of metastatic renal cell
carcinoma: a randomised, double-blind phase III trial. Lancet 2007; 370(9605): 2103—2111. 9. Escudier B et al.: Sorafenib in advanced clear-cell renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2007;
356(2): 125—134. 10. Escudier B et al.: Sorafenib for treatment of renal cell carcinoma: Final efficacy and safety re-
sults of the phase III treatment approaches in renal cancer global evaluation trial. J Clin Oncol 2009; 27(20): 3312—3318. 11. Motzer RJ et al.: Efficacy of everolimus in advanced renal cell carcinoma: a double-blind, randomised, placebo-controlled phase III trial. Lancet 2008; 372(9637): 449—456. 12. www.kompendium.ch, Arzneimittel-Kompendium der Schweiz 2010 (zitiert 19. Februar 2010), Stand: 29. April 2010 13. www.nice.org.uk/newsroom/features/measuringeffectivenessandcosteffectivenesstheqaly.jsp. Measuring effectiveness and cost effectiveness: the QALY, 2010 (zitiert 1. März 2010).
Korrespondenzadressen: Dr. Arnoud Templeton
Dr. Christian Rothermundt Onkologie/Hämatologie
Kantonsspital St. Gallen 9007 St. Gallen
Tel. 071-494 11 11 Fax 071-494 63 25 E-Mail: arnoud.templeton@kssg.ch christian.rothermundt@kssg.ch
Interessenlage: Beide Autoren haben keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.
*Der Versicherer hat in dieser Indikation pro Behandlungsjahr maximal 56899 Franken für Avastin® zu tragen. Die diesen Betrag übersteigenden Kosten übernimmt die Herstellerfirma.
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