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Editorial
Nicht nur Drogenkonsum selbst fordert seine zahlreichen Opfer, der weltweit geführte «Krieg gegen Drogen» tut es auch. In der «Wiener Erklärung»* haben vergangene Woche Wissenschaftler aus aller Welt anlässlich der 18. International AIDS Conference unmissverständlich zur Sprache gebracht: Die restriktive Drogenpolitik, wie sie in vielen Ländern noch vorherrscht, ist gescheitert. Drogenkonsum und ihre Folgen lassen sich nicht mit harten Strafverfolgungsmassnahmen unter Kontrolle bringen. Die Erfahrungen zeigen das Gegenteil: In vielen Ländern steigt die Zahl der i.v.-Drogenkonsumenten, und immer mehr von ihnen infizieren sich mit HIV. Sie sind auch Opfer verfehlter Gesundheitspolitik.
Wiener Erklärung, untergräbt die HIV-Prävention und eine angemessene Therapie. Längst ist ja erwiesen, dass eine dauerhafte antivirale Therapie nicht nur den Betroffenen hilft, sondern zugleich der Ausbreitung der HIV-Infektion entgegenwirkt. Die Verfasser der Wiener Erklärung fordern die Regierungen auf, endlich mehr Möglichkeiten evidenzbasierter Behandlung für Drogenabhängige
Die Opfer verfehlter Drogenpolitik
In einigen Ländern Osteuropas und Zentralasiens, wo sich die HIV-Epidemie derzeit am raschesten ausbreitet, soll der Anteil von Drogenkonsumenten unter den HIV-Infizierten bereits zwei Drittel betragen. Dort sind bis zu 70 Prozent der Drogenkonsumenten HIV-positiv. In Russland etwa hat sich die Zahl der Infizierten innerhalb der letzten zehn Jahre von 100 000 auf eine Million verzehnfacht, teilt die International AIDS Society mit. Das Land gilt als Musterbeispiel für eine verfehlte Drogenpolitik. Die Regierung setzt ausschliesslich auf Bestrafung der Süchtigen und schafft damit erst den Nährboden für die weitere Ausbreitung von HIV. Gefängnisse gelten nach Einschätzung der International AIDS Society als Brutstätten von Infektionen wie HIV, Hepatitis B und C und Tuberkulose.
Wer eine Verbesserung der tristen Zustände erreichen will, muss als erstes aufhören, Drogenkonsumenten zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Denn genau diese Haltung, heisst es in der
zu schaffen und erfolglose Behandlungszentren zu schliessen, in denen Drogenabhängige menschenrechtswidrig zwangstherapiert werden.
Dass es den Initiatoren der Wiener Erklärung gelingt, viele Regierungen zum Umdenken zu bewegen, bleibt zu hoffen, ist aber zumindest auf kurze Sicht unwahrscheinlich. Auch in fortschrittlicheren Ländern haben beispielsweise Methadonprogramme und die Abgabe von sterilen Spritzbestecken erst nach langen Diskussionen Akzeptanz gefunden. Selbst in den USA, wo die Drogenpolitik vor allem von konservativen Kräften als ideologisches Kampfgebiet gilt, ist die Haltung der Regierung noch unklar. Immerhin hat die Leiterin des National Institute on Drug Abuse, Dr. Nora Volkow, laut «New York Times» Zustimmung zur Wiener Erkärung signalisiert.
Uwe Beise
*www.diewienererklarung.com/index.html
ARS MEDICI 15 ■ 2010 577