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BERICHT
5-alpha-Reduktasehemmer: zur Krebsprävention geeignet?
Auch Dutasterid senkt das Prostatakrebsrisiko, doch der praktische Nutzen ist umstritten
Ist eine Chemoprävention des Prostatakrebses möglich? Diese Frage beschäftigte Urologen auf dem Jahreskongress der European Association of Urology (EAU) in Barcelona. Ein grosses Potenzial bringen dafür die 5-alpha-Reduktasehemmer Finasterid und Dutasterid mit. Wie hoch der praktische Nutzen allerdings ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Urologen Gerald Andriole, St. Louis, und Noel Clarke, Manchester, trugen ihre Differenzen offen aus.
UWE BEISE
Männer, die wegen einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) 5-alpha-Reduktasehemmer (5-ARI) einnehmen, haben ein geringeres Risiko, ein Prostatakarzinom zu entwickeln. Das ist keine neue Erkenntnis. Bereits vor einigen Jahren hatte sich im Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) gezeigt, dass die tägliche Einnahme von Finasterid das Krebsrisiko um 24,8 Prozent innerhalb von 7 Jahren senkte. An der Studie hatten mehr als 18 000 Männer im Alter ab 55 Jahren teilgenommen. Dass die Verkündigung der Resultate nicht augenblicklich Begeisterung in Fachkreisen auslöste, hing mit einem Befund zusammen, der den Urologen zunächst Sorgen bereitete. Es zeigte sich nämlich, dass unter Finasterid mehr aggressive Tumore (Gleason-Score > 7) aufgetreten waren als in der Plazebogruppe. Das alarmierende Signal wurde erst später von den Experten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Artefakt entlarvt.
Vor wenigen Monaten ist nun mit der REDUCE-Studie der Nachweis gelungen, dass auch unter Dauertherapie mit Dutasterid, dem zweiten Vertreter der 5-ARI, das Prostatakrebsrisiko signifikant gesenkt wird. Professor Gerald Andriole, Washington University Medical School in St. Louis, stellte auf dem EAU-Jahreskongress in Barcelona die Ergebnisse der Studie vor, kurz nachdem diese im «New England Journal of Medicine» (N Engl J Med 2010; 362: 1192–1202) veröffentlicht worden sind. An der von GlaxoSmithKline finanzierten Studie nahmen mehr als 8000 Männer im Alter zwischen 55 und 75 Jahren teil. Die Teilnehmer wurden alle aufgrund ihres Alters, aber auch aufgrund ihrer erhöhten PSA-Spiegel (2,5–10 ng/ ml) und aufgrund eines Krebsverdachts, weswegen im zurückliegenden halben Jahr eine Prostatabiopsie durchgeführt werden musste, als Hochrisikopatienten eingestuft. Männer mit einem Prostatavolumen von über 80 ccm waren von der Mitwirkung ausgeschlossen, um, wie Andriole sagte, die Drop-out-Rate
REDUCE: Reduction by Dutasteride of Prostate
Cancer Events
Veranstaltung: EAU Barcelona Plenarsitzung: Prostate Cancer — from prevention to risk calculator
18. April 2010
wegen BPH-Beschwerden gering zu halten. Männer, die unter starken Prostatabeschwerden litten (IPSS > 25 bzw. bei bestehender Alphablockertherapie > 20), durften ebenfalls nicht teilnehmen. Die eine Hälfte der Patienten nahm während der Studie täglich 0,5 mg Dutasterid ein, die andere Plazebo. Am Ende des 2. und des 4. Studienjahrs (oder bei ausserplanmässiger Indikation) wurde erneut biopsiert.
Krebsrisiko sinkt um 23 Prozent Die Auswertungen brachten das erwartete und erhoffte Resultat: Unter der Dutasteridtherapie wurden im Lauf der 4 Jahre 23 Prozent weniger Prostatakarzinome entdeckt. Das absolute Krebsrisiko sank in dieser Kohorte von 25 auf 20 Prozent. Allerdings handelte es sich dabei fast ausschliesslich um Karzinome geringerer Malignität. Interessant ist gleichwohl ein genauer Blick auf die Daten. So fällt auf, dass nach der zweiten Biopsie (nach 4 Jahren) etwas mehr aggressive Tumoren in der Dutasteridgruppe zu verzeichnen waren. Nach Auffassung von Andriole, der auch Hauptautor der Studie ist, bedeutet dies allerdings kein ernst zu nehmendes Warnsignal. Der Urologe erklärte diesen Sachverhalt dadurch, dass nach der ersten
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BERICHT
Biopsie nach zwei Jahren in der Plazebogruppe 142 Patienten mehr aufgrund einer Prostatakrebsdiagnose aus der Studie ausgeschieden seien als unter Dutasterid. Ein Teil dieser Tumoren wäre erfahrungsgemäss mit der Zeit aggressiver geworden und folglich bei der zweiten Biopsie entsprechend aufgefallen. Diesen Bias mit einkalkuliert, könne man davon ausgehen, dass Dutasterid die Bildung aggressiver Tumore nicht begünstige. Andriole ging auch auf ein besonderes Phänomen unter der ARI-Therapie ein. Offenbar, so lautet zumindest die Hypothese, unterdrücken diese Medikamente die PSA-Bildung in erster Linie in gutartigem Prostatagewebe (also bei BPH) sowie bei Tumoren mit geringerer Malignität. «Ein Anstieg des PSA-Spiegels unter Dutasterid ist deshalb ein starker Indikator, dass sich ein aggressiver Tumor gebildet hat», meinte Andriole. Insgesamt, so das Fazit des amerikanischen Urologen, sei die Therapie mit 5-ARI bei Hochrisikopatienten ein geeignetes Mittel, um das Prostatakrebsrisiko zu senken respektive das Karzinomwachstum zumindest über die Dauer der Studie zu supprimieren. Die Behandlung sei geeignet, eine Übertherapie und Überdiagnose von Prostatatumoren einzudämmen, abgesehen von den günstigen Effekten auf eine BPH, die in der REDUCEStudie bestätigt wurden. Unklar ist jedoch, welche Männer am ehesten von der Behandlung profitieren. Diesen Patientenkreis genauer zu definieren, sei nun die anstehende Aufgabe, meinte Andriole.
«Hippokrates würde sich im Grab umdrehen» Eine gänzlich andere Interpretation der Studiendaten lieferte im Anschluss daran Professor Noel W. Clarke, urologischer Onkologe der Universitätsklinik Manchester. «Die Studien mit Dutasterid und Finasterid haben unsere Erkenntnisse enorm erweitert, aber wir dürfen aus ihnen nicht die falschen Schlüsse ziehen», warnte er. Bei kritischer Analyse müsse man feststellen, dass es mit der Chemoprävention des Prostatakrebses nicht weit her sei. Sein Haupteinwand lautet: Sowohl Finasterid als auch Dutasterid senken nur das Risiko für die wenig malignen (Low-Grade-)Prostatakarzinome, also jene mit einem Gleason-Score bis 6. Diese Tumore würden jedoch in der grossen Mehrheit der Fälle auch auf lange Sicht den Betroffenen kaum ernsthafte Probleme bereiten. «Die Wahrscheinlichkeit, an einem niedriggradigen Karzinom zu sterben, ist ziemlich gering», meinte Clarke. Zudem gäbe es bis heute keine Belege dafür, dass 5-ARI die Krebssterblichkeit beeinflussten. Ebensowenig klar sei, ob die Behandlung mit diesen Medikamenten die Krankheitsprogression beeinflusst. Um eine bevölkerungsweit beachtliche Krebsprävention zu erzielen, müssten allein in Grossbritannien Millionen Männer über viele Jahre behandelt werden. Nach den Guidelines der American Urology Association (AUA) und der American Society of Clinical Oncology (ASCO) aus dem Jahr 2008 müssen 71 Männer über 7 Jahre behandelt werden, um
einen Krebsfall zu verhindern. «Das ist
keine grosse Ausbeute», resümierte
Clarke. AUA und ASCO sehen das frei-
lich anders: «Die Behandlung mit 5-ARI
senkt die Wahrscheinlichkeit der Prosta-
takrebsdiagnose und damit auch die
einer Behandlung. Allein dies ist ein po-
sitiver klinischer Endpunkt.» Dieses Sta-
tement kritisierte Clarke scharf. «Hippo-
krates würde sich im Grab umdrehen,
müsste er so etwas hören!», meinte der
Urologe. «Wir geben ein Medikament,
um eine Diagnose zu verhindern, die
oftmals gar keine Behandlung erfordert.
Ist das weise? Ich denke nicht!»
Stattdessen gab er zu bedenken, dass
unter einer Langzeittherapie «mit selte-
nen, aber signifikanten Nebenwirkungen»
zu rechnen sei. Nach den Erkenntnissen
aus PCPT und REDUCE würden unter
der Behandlung mit Finasterid und Du-
tasterid fast 6 Prozent eine erektile Dys-
funktion erleiden, fast genauso häufig
sei mit Libidoverlust zu rechnen. Etwa
2 Prozent entwickelten eine Gynäko-
mastie. Und dies bei einem ziemlich ge-
ringen Nutzen und vergleichsweise
hohen Kosten.
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Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
Korrigendum
Olmesartan: Sturm im Wasserglas?
Rubrik «Medien Moden Medizin» in ARS MEDICI 14/10, S. 548
In diesem Kurzbeitrag wurde über eine geplante Sicherheitsüberprüfung des Angiotensin-II-Rezeptorblockers Olmesartan durch die US-amerikanische FDA berichtet. Dabei wurden diesem Wirkstoff fälschlicherweise die Präparate Kinzal® und Micardis® zugewiesen. Diese enthalten jedoch den Wirkstoff Telmisartan und sind von der FDA-Überprüfung in keiner Weise betroffen. Wir entschuldigen uns für diesen Fehler.
Redaktion AM, H.B.
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