Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
INTERPELLATION
Prioritäre Massnahmen zur Stärkung der Hausarztmedizin
Edith Graf-Litscher Nationalrätin SP Kanton Thurgau
Interpellation vom 1.12.2009
Am 1. Oktober 2009 wurde die Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin» lanciert. Gemäss den Initianten droht in wenigen Jahren ein gravierender Hausärztemangel. Bis in 7 Jahren werden rund 3200 und bis in 12 Jahren rund 4700 neue Hausärztinnen und Hausärzte benötigt, um den heutigen Bestand zu decken. Dabei wurde die demografische Entwicklung noch nicht berücksichtigt. Die Stärkung der Hausarztmedizin und die Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung sind zentrale Faktoren, um die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen bremsen zu können. Erstens behandeln die Grundversorger 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten selber und verhindern so teure Folgekosten. Zweitens belaufen
sich die Kosten der Hausarztmedizin auf lediglich 7 Prozent der Kosten der Grundversicherung. In diesem Zusammenhang möchte ich dem Bundesrat folgende Frage stellen: Welche Massnahmen schlägt er zur Stärkung der Hauszartmedizin und zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung auf der Stufe Gesetze und Verordnungen vor? Wie beurteilt er den Vorschlag, eine gemischte Expertengruppe einzusetzen, die prioritäre Massnahmen erarbeitet?
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
Über die Interpellation berichtete ARS MECIDI in Ausgabe 6/2010
Die Antwort des Bundesrates vom 5.3.2010
1. Es trifft zu, dass sich bei der ärztlichen Grundversorgung ein Mangel abzeichnet und es schon heute für Eigentümer von Einzelpraxen schwierig ist, Nachfolger zu finden. Offensichtlich will die jüngere Generation von Ärztinnen und Ärzten nicht mehr in den bisherigen Strukturen, mit langen Präsenzzeiten und mit den historisch gewachsenen Erwartungshaltungen an die Berufsrealität tätig sein. Diese Generation sucht neue betriebliche Modelle (insbesondere das Modell der Gruppenpraxis). Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist primär eine Aufgabe der Kantone und liegt in deren Regelungskompetenz. Der Bund hat hier nur beschränkte Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten. Die eidgenössischen Räte haben mit ihrem Beschluss vom 12. Juni 2009 betreffend die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ein Zeichen zugunsten der ärztlichen Grundversorgung gesetzt. Sie haben die Grundversorger vom Nachweis eines Bedürfnisses ausdrücklich ausgenommen. Mit der Weiterentwicklung des
Krankenversicherungsgesetzes im Bereich von Managed Care sollen für die Grundversorger beziehungsweise für die Vernetzung der verschiedenen implizierten Berufsgruppen attraktivere Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der Bundesrat nimmt die Problemlage ernst. Er hat am 27. Januar 2010 einen Bericht (…) betreffend die Aufwertung der Hausarztmedizin vorgelegt. In diesem Bericht werden ausgehend von einer Klärung des Begriffs Grundversorgung das Tätigkeitsprofil der Grundversorger analysiert, der Reformbedarf in Aus- und Weiterbildung untersucht, die Frage der ärztlichen Grundversorgung in Randregionen angegangen und die Einkommenslage der Grundversorger aufgezeigt. Weiter hat sich der Bundesrat im Zusammenhang mit der Motion 08.3608 Fehr Jacqueline, «Strategie gegen Ärztemangel und zur Förderung der Hausarztmedizin», bereit erklärt, die Thematik der Grundversorgung vertieft zu prüfen und in einem Bericht konkrete Massnahmenvorschläge zu unterbreiten. Der Bericht ist auf Ende 2010 geplant.
2. Seit 2006 besteht eine Plattform der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) sowie des Bundes, welche verschiedene Massnahmen zur Stärkung der ärztlichen Grundversorgung vorgeschlagen hat. Ihre Bemühungen wurden hauptsächlich in zwei Arbeitsgruppen koordiniert: a. Modelle für die Verbesserung der Weiterbil-
dung für angehende Hausärzte, inkl. Finanzierung der Praxisassistenz (Leitung GDK, in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit, BAG, sowie einer Arbeitsgruppe mit Mehrheitsbeteiligung der Grundversorger). b. Reorganisation der Notfalldienste und allfällige Vereinheitlichung der Notfallnummer 144 (Federführung GDK, in Zusammenarbeit mit BAG sowie einer Arbeitsgruppe bestehend aus Grundversorgern, Kantonsärzten, FMH und kantonalen Ärztegesellschaften). Die Probleme sind erkannt und werden bearbeitet. Die Einsetzung einer neuen, weiteren Expertengruppe erachtet der Bundesrat als wenig hilfreich und nicht notwendig.
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
552 ARS MEDICI 14 ■ 2010
ANFRAGE
Meldepflicht der Ärzte
Adrian Amstutz Nationarat SVP Kanton Bern
Anfrage vom 10.12.2009
Ich frage den Bundesrat: Wie kann er sicherstellen, dass Patienten als Führer von Motorfahrzeugen von der Strasse ferngehalten werden können, wenn das Risiko von schweren Beeinträchtigungen der Gesund-
heit, ja sogar Lebensgefahr für andere Strassenbenützer besteht? Ist er bereit, eine Meldepflicht für Ärzte in Erwägung zu ziehen? Bei einer solchen Meldung läge mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Fahrunfähigkeit vor. Fahr-
unfähige könnten so gezielt, wirksam und mit wenig administrativem Aufwand aus dem Verkehr gezogen werden.
Über die Anfrage berichtete ARS MECIDI in Ausgabe 5/2010
Die Antwort des Bundesrates vom 24.2.2010
Das geltende Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 erlaubt seit 1975 den Ärzten, den Strassenverkehrsämtern nicht fahrgeeignete Personen zu melden. Anlässlich der Revision des Strassenverkehrsgesetzes in den Jahren 1973 bis 1975 wurde die Frage der Einführung einer Meldepflicht im Parlament einlässlich beraten und in der Folge abgelehnt. In seiner Antwort auf die Motion Chiffelle 96.3605 vom 9. Dezember 1996 hat der Bundesrat erneut die Gründe dargelegt, warum eine solche Meldepflicht abgelehnt wurde: — Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und
Patient könnte gefährdet werden. Kranke oder an Süchten leidende Personen würden dazu verleitet, aus Zweifel an der Verschwiegenheit des Arztes von notwendigen Untersuchungen abzusehen. — Eine gesetzliche Meldepflicht wäre nicht zweckmässig, denn der Kreis der zur Meldung verpflichteten Personen und die zu melden-
den Fälle könnten kaum abschliessend umschrieben werden. Es würde sich beispielsweise die Frage stellen, ob auch paramedizinische Berufe unter die Meldepflicht fielen. — Die Durchführbarkeit einer solchen Massnahme ist fraglich, weil eine Unterlassung der Meldung kaum festzustellen wäre. — Zudem stellt sich die Frage der Rechtsfolgen einer solchen Unterlassung. Diese Gründe haben ihre Gültigkeit nicht verloren. Sie zeigen auch auf, dass es selbst bei einer Einführung einer Meldepflicht keine absolute Sicherheit geben könnte. Auch wäre nicht gewährleistet, dass jeder Arzt oder jede Ärztin aufgrund einer Krankheit oder eines Gebrechens, das die Fahreignung beeinträchtigen könnte, Meldung an das Strassenverkehrsamt machen würde, da ihnen das diesbezügliche verkehrsmedizinische Fachwissen fehlt. Auch in Via sicura, dem Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenver-
kehr, sieht der Bundesrat aus denselben Gründen von einer Meldepflicht der Ärzte ab. Er schlägt aber vor, dass die kantonalen Invalidenversicherungsstellen Daten über psychische Erkrankungen, die für die Beurteilung der Fahreignung und der Fahrkompetenz erforderlich sind, den Zulassungsbehörden bekannt geben dürfen. Bei einer solchen Meldung sollen die Zulassungsbehörden die erforderlichen Abklärungen vornehmen. Das geltende Strassenverkehrsrecht kennt bereits ein wirksames Instrumentarium, mit dem ungeeignete Personen vom Strassenverkehr ferngehalten werden können. So darf der Führerausweis niemandem erteilt werden, der nicht über die erforderlichen physische und psychische Leistungsfähigkeit verfügt, an einer Sucht leidet oder aus charakterlichen Gründen nicht geeignet ist. Zudem kann der Führerausweis sofort vorsorglich entzogen werden, wenn ernsthafte Bedenken an der Fahreignung bestehen. Solche Bedenken können auch entstehen, ohne dass die betroffene Person am Strassenverkehr teilgenommen hat.
ARS MEDICI 14 ■ 2010 553