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Thromboseprophylaxe mit Xabanen
Die laufenden Studien mit Edoxaban
Die Thromboseprophylaxe bei Patienten mit Vorhofflimmern wie auch postoperativ und bei länger dauernder Immobilisation ist mit den bisher verfügbaren Medikamenten nur unbefriedigend möglich. Die Wirksamkeit lässt zu wünschen übrig, die Nebenwirkungen sind gefährlich, und der Kontrollaufwand ist erheblich. Edoxaban, ein Vertreter der neuen Substanzgruppe der Xabane, wird zurzeit bei Patienten mit Vorhofflimmern sowie neu auch bei chirurgischen Patienten (HOKUSAI-VTE-Studie) auf seine Wirksamkeit und Sicherheit hin untersucht. An einem Presseanlass in Nürnberg gaben die Studienverantwortlichen Auskunft.
RICHARD ALTORFER
In zahlreichen Bereichen der Medizin herrscht, so jedenfalls erscheint es dem Aussenstehenden, in Bezug auf Innovationen Ruhe. Zum Beispiel bei der Behandlung der Hypertonie: Die verfügbaren Medikamente sind offensichtlich wirksam, gut verträglich und kostenmässig akzeptabel. Auf anderen Gebieten ist zwar durchaus kreative Unruhe zu verspüren, doch dominiert trotz intensiver Forschung klinisch-therapeutischinnovativ Flaute. Und dann ist da der dritte Bereich, der lange Jahre unbearbeitet blieb, anscheinend wenig beachtet, trotz unbefriedigenden therapeutischen Möglichkeiten. Die Thromboseprophylaxe gehört dazu. Seit die Forschung neue interessante Pharmaka entwickelt hat, ist die Prophylaxe tiefer Venenthrombosen wieder ins Zentrum des Interesses gerückt.
Eine peri- und postoperative Thromboseprophylaxe ist bei vielen chirurgischen und orthopädischen Eingriffen unerlässlich. Ob ein Patient eine tiefe Beinvenenthrombose, eine Lungenembolie oder ein postthrombotisches Syndrom erleidet, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Eine Rolle spielen die Art des Eingriffs und der Narkose, aber auch individuelle Gegebenheiten. Aufgrund von Alter, Anamnese, genetischer Disposition, Konstitution und Begleitkrankheiten wie Varikosis, Herzinsuffizienz, neurologischen Störungen mit Parese oder Malignom können Patienten mit niedrigem, mittlerem und hohem Risiko differenziert werden. Eine gezielte Thromboseprophylaxe ist sicher bei allen Patienten mit mittlerem oder hohem Thromboserisiko und bei grossen Eingriffen mit länger dauernder Immobilisation indiziert. Nach grossen orthopädischen Operationen beispielsweise würden ohne Thromboseprophy-
laxe weit über 50 Prozent der Patienten eine tiefe Venenthrombose entwickeln und bis zu 3 Prozent von ihnen in der Folge an einer Lungenembolie sterben. Die verfügbaren thromboseverhindernden Massnahmen, von der Kompressionstherapie bis zur Antikoagulation, waren und sind allerdings immer noch entweder ungenügend wirksam oder aber mit zu vielen unangenehmen Nebenwirkungen behaftet. Das ideale Antikoagulans, das rasch wirkt, oral und nur einmal täglich verabreicht werden kann, eine grosse therapeutische Breite aufweist, keine Laborkontrollen benötigt, keine Nebenwirkungen wie Blutungen verursacht und nicht mit anderen Medikamenten interagiert, gibt es leider nicht. Aber immerhin brachte die Forschung in den vergangenen Jahren einige Innovationen hervor. Zu den in den letzten Jahren entwickelten Alternativen zu Standardheparin und niedermolekularem Heparin sowie ähnlichen Koagulationshemmern gehört auch Edoxaban, ein direkter oraler Faktor-Xa-Inhibitor wie das bereits früher eingeführte Rivaroxaban (Xarelto®) oder die noch in Entwicklung befindlichen Inhibitoren Apixaban oder Otamixaban, die in der Substanzgruppe der Xabane zusammengefasst werden. Eine Übersicht über die «Familie» der Antithrombotika gibt die Tabelle auf Seite 558.
Edoxaban bei Vorhofflimmern Das Phase-II-Programm von Edoxaban wurde erfolgreich für orthopädische und kardiologische Indikationen abgeschlossen. Für Patienten, die einmal täglich 60 mg beziehungsweise 30 mg Edoxaban erhielten, konnte eine mit dem VitaminK-Antagonisten Warfarin vergleichbare
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Faktor-Xa-Inhibitoren
Über natürlich vorkommende Faktor-XaInhibitoren wurde 1987 erstmals berichtet: Antistasin wurde aus den Blättern einer in Mexiko heimischen Pflanze (Haementeria officinalis) extrahiert. Nur wenig später entdeckte man einen weiteren Faktor-Xa-Hemmer in einer Zeckenart (Ornithodoros moubata). Bei den synthetischen Faktor-Xa-Inhibitoren lassen sich zwei Typen unterscheiden:
1. Substanzen (die sog. Xabane), welche die Bildung von Thrombin durch die Blockierung von FXa direkt hemmen (z.B. Rivaroxaban, Edoxaban, Apixaban, Otamixaban etc.).
2. Substanzen, die indirekt über FXa einen Kofaktor wie Antithrombin blockieren.
Sicherheit und Verträglichkeit gezeigt werden. Es handelte sich dabei um die weltweit ersten Resultate einer klinischen Studie zur Antikoagulation mit einem oralen Faktor-Xa-Hemmer bei Patienten mit Vorhofflimmern. Die Häufigkeit von Embolien war in den Behandlungsgruppen mit einmal täglicher Verabreichung (Edoxaban 60 mg bzw. 30 mg einmal täglich) mit der Embolieinzidenz in der mit Warfarin behandelten Patientengruppe vergleichbar. Die Erkenntnisse dieser Dosisfindungsstudie lieferten entscheidende Erkenntnisse für die optimale Dosierung von Edoxaban in der Phase-III-Studie ENGAGEAF TIMI 48 (Effective Anticoagulation with Factor Xa Next Generation in Atrial Fibrillation). In dieser multizentrischen, doppelblinden und randomisierten Studie werden zirka 20 500 Patienten einer von drei Behandlungsgruppen zugeteilt: 30 mg Edoxaban einmal täglich, 60 mg Edoxaban einmal täglich oder Warfarin. Die der Warfaringruppe zugeteilten Patienten erhalten einmal täglich Warfarin, dessen Dosierung so angepasst wird, dass die Gerinnungsparameter in einem bestimmten Zielbereich (INR-Werte zwischen 2,0 und 3,0)
Nutzen der Antikoagulation bei Vorhofflimmern
In Europa leiden ca. 4,5 Millionen Menschen an Vorhofflimmern. Ohne Antikoagulation ist das Schlaganfallrisiko bei diesen Patienten um das Fünffache erhöht. In der ENGAGE-AFTIMI-48-Studie soll gezeigt werden, dass diese Patienten mit Edoxaban einfach, effektiv und sicher therapiert werden können. Die erwartete mediane Behandlungsdauer im Rahmen der Studie liegt bei 24 Monaten, der Abschluss der Studie wird im ersten Halbjahr 2012 erwartet.
liegen. Edoxaban wird mit Warfarin hinsichtlich der Prävention von Schlaganfällen und systemischen embolischen Ereignissen bei Patienten mit Vorhofflimmern verglichen. Als primärer Endpunkt hinsichtlich der Sicherheit wird die Häufigkeit des Auftretens von schwerwiegenden und klinisch relevanten, nicht schwerwiegenden Blutungen verwendet.
HOKUSAI VTE Eignet sich der direkte Faktor-Xa-Hemmer Edoxaban auch zur Therapie und Prävention venöser Thrombembolien (VTE)? Diese Frage soll jetzt eine zweite, gross angelegte, pivotale Phase-III-Studie beantworten. Die Studie mit dem exotischen Namen HOKUSAI VTE wurde an einem Presseanlass in Nürnberg vorgestellt. Ziel ist, Sicherheit und Wirksamkeit von Edoxaban zur Therapie und Prävention rezidivierender thrombembolischer Ereignisse bei Patienten mit tiefer Venenthrombose (TVT) und/oder Lungenembolie (LE) zu untersuchen. Eingeschlossen sind etwa 7500 Patienten an 450 Klinikzentren in 40 Ländern. «In den 6 grossen Ländern Europas erleiden jährlich über 750 000 Menschen
Edoxaban
eine tiefe Venenthrombose, und rund 370 000 Todesfälle werden jährlich auf eine tiefe Venenthrombose mit nachfol-
gender Lungenembolie zurückgeführt», sagte Prof. Dr. Henri Bounameaux, Professor der Inneren Medizin und Direktor der Abteilung für Angiologie und Hämostase der Universitätsklinik Genf. Aber nicht nur die akuten, fatalen Komplikationen einer TVT sind von Bedeutung, Spätfolgen wie eine chronische pulmonale Hypertonie oder ein postthrombotisches Syndrom sind ebenfalls unerfreulich. Die verfügbaren Antikoagulanzien wie Heparin und Vitamin-K-Antagonisten sind zwar wirksam, unterliegen jedoch diversen Limitierungen. Heparine sind zur Injektion bestimmt und daher zur langfristigen Therapie weniger geeignet. Vitamin-K-Antagonisten werden oral verabreicht, haben jedoch zahlreiche Wechselwirkungen mit anderen Arzneiund Nahrungsmitteln. Die momentane Standarddauertherapie der Wahl mit einem Vitamin-K-Antagonisten erfordert daher ein umfassendes Monitoring und eine kontinuierliche Dosisanpassung, um exzessive Blutungen zu vermeiden und eine effektive Gerinnungshemmung zu gewährleisten, wie Prof. Dr. med. Sebastian Schellong, Professor
der Inneren Medizin, Leiter der Abteilung Innere Medizin II des städtischen Lehrkrankenhauses Friedrichstadt, Dresden, meinte. Mit HOKUSAI VTE soll untersucht werden, ob Thrombosepatienten effektiv und sicher mit einem einfachen und bequemen Dosierungsschema behandelt werden können. Wie Prof. Dr. Harry R. Büller, Professor für Innere Medizin, Leiter der Abteilung für Gefässmedizin am wissenschaftlichen medizinischen Zentrum Amsterdam und Vorsitzender des HOKUSAI VTE
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Tabelle: Übersicht über die gesamte Gruppe der Antithrombotika
Thrombozyten-
Glycoprotein IIb-/IIIa-Inhibitoren Abciximab, Eptifibatid, Tirofiban
aggregationshemmer ADP-Rezeptor/P2Y12-Inhibitoren Thienopyridine (Clopidogrel, Prasugrel, Ticlopidin), Ticagrelor***
Prostaglandinanalogon (PGI2) Beraprost, Prostacyclin, Iloprost, Treprostinil
COX-Inhibitoren
Acetylsalicylsäure/Aspirin*, Aloxiprin, Kalzium, Indobufen, Triflusal
Thromboxan-Inhibitoren
Thromboxan-Synthase-Hemmer (Dipyridamol, Picotamid), Rezeptorantagonist (Terutroban***)
Phosphodiesteraseinhibitoren Cilostazol, Dipyridamol, Triflusal
Andere
Cloricromen, Ditazol
Antikoagulanzien
Vitamin-K-Antagonisten (II-, VII-, IX-, X-Hemmer)
Cumarine: Acenocumarol, Coumatetralyl, Dicoumarol, Ethylbiscoumacetat, Phenprocoumon, Warfarin 1,3-Indandione: Clorindion, Diphenadion, Phenindion Sonstiges: Tioclomarol
Faktor-Xa-Hemmer (mit einigen II-Hemmern)
Heparin-Gruppe/
niedermolekulare Heparine: Bemiparin, Certo-
Glykosaminoglykane/ parin, Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin, Parna-
(Antithrombin-Binding) parin, Reviparin, Tinzaparin
Oligosaccharide: Fondaparinux, Idraparinux
Heparinoide: Danaparoid, Sulodexid, Dermatansulfat
Direkte Xa-Inhibitoren Xabane: Apixaban, Otamixaban, Rivaroxaban, Edoxaban
Direkter Thrombin-II-Hemmer
bivalent: Hirudin (Bivalirudin, Lepirudin, Desirudin) einwertig: Argatroban, Dabigatran, Melagatran**, Ximelagatran**
Andere
REG 1, Defibrotid, Ramatroban, Antithrombin III, Protein C (Drotrecogin alfa)
Thrombolytika/ Fibrinolytika
Plasminogen-Aktivatoren: r-tPA (Alteplase, Reteplase, Tenecteplase), UPA (Urokinase, Saruplase), Streptokinase*, Anistreplase, Monteplase Andere Serin-Endopeptidasen: Ancrod, Fibrinolysin Brinase
Nichtarzneimittel Citrate, EDTA, Oxalsäure
*WHO-EM; **vom Markt zurückgezogen; ***zugelassen
Die Studie HOKUSAI VTE ist nach dem japanischen Künstler und Maler Katsushika Hokusai (1760—1849) der Edo-Periode benannt. Die Stadt Edo ist heute unter dem Namen Tokio bekannt.
Steering Committee ausführte, handelt es sich dabei um eine ereignisgesteuerte, doppelblinde «double-dummy»-Studie mit Parallelgruppen, in der Patienten randomisiert zwei unterschiedlichen Therapiegruppen zugewiesen werden.
Beide Gruppen erhalten mindestens 5 und bis zu 12 Tage lang Enoxaparin oder unfraktioniertes Heparin, danach folgt eine Doppelblindtherapie mit Warfarin mit einem Ziel-INR von 2 bis 3, oder Edoxaban 60 mg einmal täglich. Die Patienten werden gemäss geltenden Therapiestandards und internationalen Leitlinien bis zu 12 Monate lang behandelt. Der primäre Effektivitätsendpunkt von HOKUSAI VTE ist ein Rezidiv einer symptomatischen VTE (d.h. Kombination aus TVT, nicht tödlicher LE und tödlicher LE). Zur primären Sicherheits-
bewertung dient die Inzidenz von massiven (Major-) und klinisch relevanten, nicht massiven (Non-Major-)Blutungen. Der Sponsor, Daiichi Sankyo, erwartet den Abschluss der Studie im Jahr 2012.
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Richard Altorfer
Die Berichterstattung basiert auf Referaten anlässlich einer von Daiichi Sankyo organisierten internationalen Pressekonferenz. Die Teilnahme am Anlass wurde durch die Firma ermöglicht. Auf den Text nahm Daiichi Sankyo keinen weiteren Einfluss. Die Publikation erfolgt ohne finanzielle Unterstützung durch die Firma.
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