Transkript
P O L I T- FO RU M
UNDHEIT IN BÄRN
POSTULAT
Medizinische Grundversorgung in ländlichen Gebieten
Ruedi Lustenberger Nationalrat CVP Kanton Luzern
Postulat vom 11.12.2009
Der Bundesrat wird beauftragt, in einem Bericht aufzuzeigen, ob und in welchem Ausmass die medizinische Grundversorgung in den ländlichen Gebieten der Schweiz heute gewährleistet ist und wie sie unter anderem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Der Bericht soll zudem Massnahmen zur Verbesserung der medizinischen Grundversorgung vorschlagen. Insbesondere sollen dabei folgende Massnahmen vertieft geprüft werden: ■ die Aufhebung des Numerus clausus ■ die schweizweite Vereinheitlichung der Tarmed-
Tarife ■ die Stärkung der Allgemeinpraktiker im Rah-
men der medizinischen Ausbildung ■ die Schaffung von Anreizen für Kooperationen
zwischen Ärzten, zwischen Ärzten und Regionalspitälern sowie zwischen den Regionalspitälern.
Begründung In vielen ländlichen Regionen der Schweiz scheint heute die medizinische Grundversorgung nicht
mehr gewährleistet. Der Bundesrat hat dies auch in seiner Beantwortung der Interpellation 04.3786 anerkannt. Dieser Abbau der medizinischen Grundversorgung steht in eklatantem Widerspruch zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Die Ursachen für den Rückgang in der Grundversorgung sind sehr vielfältig. Dazu gehören auf der Angebotsseite verschiedene Faktoren wie die Überalterung der Allgemeinpraktiker, die hohen Präsenzzeiten, die Einkommensunterschiede, bedingt durch den regional differenzierten TarmedTarif, sowie auf der Nachfrageseite beispielsweise die gestiegenen Ansprüche der Patienten und der demografische Wandel. Gerade die zunehmende Überalterung wird unweigerlich zu steigenden Ansprüchen an die medizinische Grundversorgung führen. Die Ausbildung der angehenden Ärzte scheint ein zentraler Ansatz für die Lösungssuche zu sein. Es muss ein vordringliches Anliegen sein, wieder vermehrt einheimische Allgemeinpraktiker auszubilden und diesen eine attraktive Arbeitsstelle in den ländlichen Regionen anzubieten.
Zu attraktiven Arbeitsplätzen gehören zwingend auch gleichwertige Verdienstmöglichkeiten. Diese sind heute durch den regional differenzierten Tarmed-Tarif nicht gegeben. Es ist unverständlich, warum ein Arzt im ländlichen Raum für die gleiche Leistung nicht den gleichen Tarif verrechnen kann wie ein Arzt im städtischen Gebiet. Ein erhebliches Potenzial zur Verbesserung der Grundversorgung dürfte zudem in den Kooperationsmodellen liegen. Die Ärzte können sich untereinander zu Praxisgemeinschaften zusammenschliessen und so die individuellen Präsenzzeiten reduzieren. Im gleichen Sinn ergeben sich Synergiepotenziale durch die Zusammenarbeit mit Regionalspitälern und unter den Regionalspitälern, welche auch eine Grundversorgungsfunktion einnehmen.
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
Die Antwort des Bundesrates vom 5.3.2010
Der Bundesrat hat ein grosses Interesse an der Sicherung einer qualitativ hochstehenden Grundversorgung in der Schweiz, und er ist sich der zunehmenden Probleme für die medizinische Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität bewusst. Der Handlungsspielraum des Bundes gemäss der verfassungsmässigen Kompetenzordnung ist jedoch beschränkt, und die Zuständigkeit für die Gesundheitsversorgung liegt primär bei den Kantonen. Der Bundesrat hat sich der Frage der Grundversorgung bereits angenommen und hat am 27. Januar 2010 einen Bericht in Beantwortung der
Postulate 07.3279 Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SR (06.2009) und 07.3561 Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR (06.2009) betreffend die Aufwertung der Hausarztmedizin vorgelegt. In diesem Bericht werden ausgehend von einer Klärung des Begriffs Grundversorgung das Tätigkeitsprofil der Grundversorger analysiert, der Reformbedarf in Aus- und Weiterbildung untersucht, die Frage der ärztlichen Grundversorgung in Randregionen angegangen und die Einkommenslage der Grundversorger aufgezeigt. Weiter hat sich der Bundesrat im Zusammenhang
mit der Motion Fehr Jacqueline 08.3608, «Strategie gegen Ärztemangel und zur Förderung der Hausarztmedizin», bereit erklärt, die Thematik der Grundversorgung vertieft zu prüfen und in einem Bericht konkrete Massnahmenvorschläge zu unterbreiten. Der Bericht ist auf Ende 2010 geplant. Die Probleme sind erkannt und werden bearbeitet. Damit wird dem Anliegen des vorliegenden Postulats bereits Rechnung getragen. Für den Bundesrat besteht aus heutiger Sicht kein weitergehender Handlungsbedarf. Er lehnt das Postulat deshalb ab.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
512 ARS MEDICI 13 ■ 2010
INTERPELLATION
Wo bleibt der Service public im Gesundheitswesen?
Ida GlanzmannHunkeler Nationalrätin CVP Kanton Luzern
Interpellation vom 9.12.2009
Mit Besorgnis nehmen wir die Tendenzen der Gesundheitspolitik in der ländlichen Gegend wahr: ■ Hausärzte, die sich pensionieren wollen, finden
keine Nachfolge; ■ der Bundesrat will die Selbstdispensation ab-
schaffen; ■ der Tarmed in den ländlichen Kantonen unter-
scheidet sich wesentlich von den Städten; ■ der Zugang zu Hausärzten wird für die Bevöl-
kerung in der ländlichen Gegend immer schwieriger. Wir finden, dass auch die ländliche Bevölkerung einen guten Zugang zu Hausärzten haben muss und dass der Service public auch im Gesundheits-
wesen gewährleistet werden muss, daher sind wir froh um einige klärende Antworten des Bundesrates: 1. Wie nimmt er diese Tendenzen wahr? 2. Welche Bestrebungen unternimmt er, dass
Hausärzte eine gute Ausgangslage für ihre Praxis im ländlichen Raum haben? Mit Besorgnis verfolgen wir die Veränderungen, dass kaum noch Schweizer Ärzte für die Nachfolge gefunden werden oder diese Nachfolge nicht langfristig garantiert werden kann. 3. Der Bundesrat gab unlängst bekannt, dass er die Selbstdispensation abschaffen will. Dies ist eine weitere Massnahme, die Leute auf dem
Land zu benachteiligen. Die Versorgung mit Medikamenten wurde bis anhin in denjenigen Kantonen mit Selbstdispensation gut gewährleistet, und kranke und vor allem ältere Menschen mussten nicht lange Wege zum Besorgen der Medikamente in Kauf nehmen. 4. Was unternimmt er, dass in Zukunft Ärzte auf dem Land, die eine ausgewogene Hausarztmedizin — oft noch verbunden mit Notfalldiensten — anbieten, gegenüber denjenigen in städtischen Gebieten nicht benachteiligt werden? 5. Unterstützt er die Bestrebungen, dass auch in Zukunft eine flächendeckende ärztliche Versorgung gewährleistet werden kann?
Die Antwort des Bundesrates vom 5.3.2010
1./2. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass es immer schwieriger wird, junge Ärztinnen und Ärzte zu finden, die bereit sind, gerade in ländlichen Regionen den Beruf des Grundversorgers zu ergreifen und bestehende Einzelarztpraxen zu übernehmen. Diese Tatsache ist für die Generation der abtretenden Hausärztinnen und Hausärzte nicht immer einfach zu akzeptieren. Einerseits haben sie während ihrer Berufslaufbahn in ihre Praxen investiert und tragen so das finanzielle Risiko, wenn sie keine passende Nachfolge finden. Neben diesen materiellen Momenten stellt sich andererseits auch die Frage nach der Wertschätzung der gelebten Berufsjahre, die durch das Desinteresse der jüngeren Berufsgeneration infrage gestellt wird. Wie Studien aufzeigen, gehen die Berufswünsche der jungen Berufsgeneration klar hin zu Gruppenpraxen. Sie sehen sich — wenn möglich — in Netzwerken eingebunden, um auch die Belastung durch den Notfalldienst abzufedern und Arbeits- und Privatleben besser zu vereinbaren. Akzentuiert zeigt sich diese Problematik gerade auch bei den jungen Medizinerinnen, die von ihrer Grundhaltung her für den Beruf der Hausärztin prädestiniert wären, welche sich jedoch mit dem hergebrachten Berufsbild des Hausarztes schwer tun. 2. Der Bundesrat nimmt die Situation ernst. In Beantwortung der Postulate 07.3279 Kommission
für soziale Sicherheit und Gesundheit SR (06.2009) und 07.3561 Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR (06.2009) betreffend die Aufwertung der Hausarztmedizin hat er am 27. Januar 2010 verschiedene hier angesprochene Fragen zur Hausarztmedizin in einem Bericht dargestellt. In diesem Bericht werden ausgehend von einer Klärung des Begriffs Grundversorgung das Tätigkeitsprofil der Grundversorger analysiert, der Reformbedarf in Aus- und Weiterbildung untersucht, die Frage der ärztlichen Grundversorgung in Randregionen angegangen und die Einkommenslage der Grundversorger aufgezeigt. Im Zusammenhang mit der Motion Fehr Jacqueline 08.3608 ist der Bundesrat bereit, die Thematik der Grundversorgung vertieft zu prüfen und in einem Bericht konkrete Massnahmenvorschläge zu unterbreiten. Der Bericht ist auf Ende 2010 geplant. 3. Der Bundesrat schlägt im Rahmen der laufenden Vernehmlassung zur Revision des Heilmittelgesetzes vor, die ärztliche Arzneimittelabgabe (Selbstdispensation) im Grundsatz zu verbieten. Die Kantone sollen jedoch die Möglichkeit erhalten, Ärztinnen und Ärzten die Abgabe von Arzneimitteln zu erlauben, sofern der Zugang zu einer öffentlichen Apotheke nicht gewährleistet ist. Damit kommt der Bundesrat den Bedürfnissen von Randregionen entgegen. Die Anwendung
von Arzneimitteln im Rahmen der ärztlichen Behandlung sowie bei Haus- und Hofbesuchen bleibt in jedem Fall zulässig. Dass eine Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ohne Selbstdispensation durchaus möglich ist, belegen die Erfahrungen im angrenzenden Ausland und in Kantonen, welche die Arbeitsteilung zwischen Apothekern und Ärzten (Rezeptur-Modell) seit vielen Jahren kennen (beispielsweise Wallis oder Freiburg). Die Vernehmlassung ist noch im Gang. Das weitere Vorgehen ist abhängig vom Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens. 4./5. Grundsätzlich unterstützt der Bund im Interesse der Patientinnen und Patienten eine möglichst flächendeckende und jeder Person zugängliche medizinische Versorgung. Dies kann aber nicht gleichgesetzt werden mit dem Festhalten an starren Strukturen. Gerade die Erwartungen einer zukünftigen Generation von Ärztinnen und Ärzten verlangen Veränderungen hin zu neuen Praxismodellen. Im Rahmen der Plattform der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) und des Bundes wurden verschiedene Massnahmen zur Stärkung der ärztlichen Grundversorgung vorgeschlagen. Namentlich die Frage des Notfalldienstes wurde unter der Leitung der GDK aufgenommen und kantonal reorganisiert.
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
ARS MEDICI 13 ■ 2010 513