Transkript
FORTBILDUNG
Varikosis
Operation — nur für junge Patienten?
Die Varikosis der Beine kann man schon als Volks-
krankheit bezeichnen. Gemäss der Bonner Venen-
studie (11 ) geben 29 Prozent der Erwachsenen an,
schon einmal ein Varizenproblem gehabt zu haben.
14,6 Prozent führten bereits eine Kompressionsthera-
pie durch, 5,5 Prozent liessen sich sklerosieren, und
6,9 Prozent wurden operiert. Bisher galt die Opera-
tion vor allem für sonst gesunde junge Menschen als
Therapie der Wahl. Doch auch ältere Patienten pro-
fitieren durchaus vom Eingriff.
STEPHAN EDER
Bei der primären Varikosis handelt es sich um eine degenerative Erkrankung der Venenwand im Bereich des epifaszialen Venensystems, bei der eine genetische Disposition angenommen wird. Häufig steht die Stauungssymptomatik mit Unterschenkelödemen, Spannungsgefühl, nächtlichen Wadenkrämpfen und schweren Beinen im Vordergrund. Frauen sind diesbezüglich häufiger betroffen als Männer. Bei fortschreitendem Befund wird die Varikosis deutlich sichtbar, und es kommt zu trophischen Hautveränderungen, bevorzugt am distalen medialen Unterschenkel. Häufige Komplikationen sind die Stauungsdermatitis, die Varikophlebitis (mit dem Risiko der fortgeleiteten Phlebothrombose), die Varizenblutung und letztlich das Ulcus cruris varicosum (Tabelle 1).
Diagnostik Nach der klinischen Untersuchung soll die weiterführende Diagnostik die hämodynamische Funktion des tiefen und epifaszialen Venensystems darstellen und ihre medizinische Relevanz einschätzen. Die Umgebungsdiagnostik beurteilt das arterielle Gefässsystem, das Lymphsystem und die Hautsituation (Tabelle 2). Bei palpablen Fusspulsen und fehlender Claudica-
tio-Symptomatik gilt eine relevante pAVK als ausgeschlossen. Wichtiges Kriterium für ein Lymphödem ist das Stemmer-Zeichen am Zehengrundglied (fehlende Abhebbarkeit der interdigitalen Haut). Die Duplexsonografie ist inzwischen Standardmethode in der Venendiagnostik. Bei dieser Untersuchung werden morphologische und funktionelle Informationen beurteilt und umfassende Aussagen zur Varikosis möglich (Abbildung 1).
Indikation zur Therapie Eine progrediente Stauungssymptomatik und/oder fortschreitende trophische Hautveränderungen (bis zum Ulkus) stellen die klassischen Indikationen zur Therapie dar. Zunehmend wird die operative Sanierung auch vor orthopädischen Eingriffen (z.B. Knieendoprothetik) gefordert. Therapiemöglichkeiten sind die Kompressionsbehandlung, die Sklerotherapie und die Operation sowie jegliche Kombinationen hiervon. Grundsätzlich ist die Kompressionstherapie in jedem Stadium möglich und wird hier nicht besprochen, auch die lokale Sklerosierungsbehandlung wäre ein eigenes Thema. Ziel der Behandlung ist immer eine Besserung der venösen Hämodynamik.
Entwicklung der Varizenchirurgie Die wichtigste Indikation zur Operation einer Varikosis stellte früher das fortgeschrittene Ulkusleiden dar. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden oftmals grosse Inzisionen am gesamten Bein oder im Bereich der Ulzera durchgeführt oder monströse Varizen multipel perkutan umstochen.
Merksätze
■ Therapiemöglichkeiten bei Varikosis sind Kompressionsbehandlung, Sklerotherapie und Operation.
■ Unter den insgesamt seltenen postoperativen Komplikationen stehen Nervenverletzungen (N. saphenus und N. suratis) an erster Stelle.
■ Gerade im Alter kann die Varizenoperation sinnvoll sein, wenn das Anlegen von Kompressionsstrümpfen zunehmend Probleme bereitet.
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VA R I KOS I S
alle Bilder: © Eder
Tabelle 1: Komplikationen der Varikosis
■ Stauungsdermatitis ■ mit Juckreiz ■ Varizenblutung
■ Varikophlebitis ■ Phlebothrombose ■ Ulcus cruris varicosum
Tabelle 2: Ziele der Diagnostik bei Varikosis
■ Stadium, Ausdehnung ■ einschätzen ■ tiefes Venensystem: Ausschluss ■ postthrombotisches Syndrom
■ arterielles System: ■ Ausschluss pAVK ■ Lymphsystem: ■ Ausschluss Lymphödem
Abbildung 1: Duplexsonografie der Krosse mit beginnender Klappeninsuffizienz
Die systematische Chirurgie der Varikosis begann mit den Prinzipien der Exstirpation (Madelung, Rostock 1884) und der proximalen Ligatur (Trendelenburg, Bonn 1891). Eine umfassende Zusammenstellung der chirurgischen Entwicklung wurde von Hach 2001 veröffentlicht.
Aktuelle Operationstechniken Die Operation der Varikosis ist heute einer der am häufigsten durchgeführten chirurgischen Eingriffe. In Deutschland wurden 2002 über 300 000 Operationen bei Varikosis durchgeführt, davon etwa die Hälfte ambulant. Als klassische Methode der operativen Therapie gehen die Krossektomie und das Stripping der insuffizienten Stammvene auf Babcock (2) zurück. Allerdings umfasst die Babcock-Operation immer das Stripping der gesamten Vena saphena magna bis zum Knöchel. Aus heutiger Sicht ist aus vielerlei Gründen nur die Entfernung des erkrankten Segments sinnvoll. Am häufigsten (> 40%) findet sich der distale Insuffizienzpunkt der Stammvarikosis am proximalen Unterschenkel, nur sehr selten (ca. 2%) am Knöchel (9). Das Stripping wird inzwischen überwiegend in Invaginationstechnik durchgeführt. Hierfür wird
Abbildung 2: Zustand nach Strippingoperation mit Miniphlebektomie bei Ulcus cruris
die Vene bis zum distalen Insuffizienzpunkt sondiert und der
Stripper dort über eine Stichinzision ausgeleitet. Nach Fixie-
rung der Vene am Ende erfolgt das invaginierende (und somit
gewebeschonende) Stripping, indem die Vene quasi durch sich
selber herausgezogen wird.
Vorteilhaft ist auch die Operation in Blutleere. Hierdurch ent-
fallen die früher häufig angegebenen sehr blut- und hämatom-
reichen Operationen. Auch ist nur in weitgehender Blutleere
die ordentliche Durchführung der Miniphlebektomie über
kleine Stichinzisionen möglich (Abbildung 2).
Relevante Perforansinsuffizienzen, meist am medialen
Unterschenkel, werden über kleine Hautinzisionen auf Fas-
zienniveau ligiert und durch-
trennt oder bei massiver Der-
matoliposklerose oder Ulkus
endoskopisch subfaszial aus-
geschaltet (Abbildung 3). Auf-
grund einer höheren Kom-
plikationsrate wird diese Tech-
nik aber nicht routinemässig
Abbildung 3: Endoskopische Sicht einer insuffizienten Vena perforans
durchgeführt. Bei den endovenösen Operationsverfahren werden Son-
den vom distalen Insuffizienzpunkt eingeführt und intraopera-
tiv unter sonografischer Kontrolle bis zur Mündungsstelle vor-
geschoben (Abbildung 4). Die Obliteration wird thermisch
durch Radiofrequenz oder Laser erreicht. Ein Verschluss der
mündungsnahen Krosse im Sinne der bis heute als Goldstan-
dard geltenden kompletten Krossektomie ist nicht möglich,
Abbildung 4: Endovenöse Varizenchirurgie: Die Sonde wird am distalen Insuffizienzpunkt eingeführt und bis zur Mündungsstelle vorgeschoben.
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und deren Notwendigkeit wird zurzeit wissenschaftlich diskutiert. Problematisch sind sehr hohe technische Kosten und Einmalartikel von zirka 500 Euro. Die Kosten dieser Operationsverfahren werden derzeit von den GKV nicht erstattet. Vergleichende Studien sind rar, mehrere aktuelle Metaanalysen (3, 7, 12) zeigen keinen eindeutigen Vorteil einzelner Operationstechniken im kurz- oder mittelfristigen Verlauf.
Tabelle 3: Operationskomplikationen (Literatur)
■ Phlebothrombose
0,2% ■ Lymphzyste/-fistel 4%
■ Nachblutung
0,2% ■ N.-saphenus-Läsion 5—39%
■ Verletzung grosser Gefässe 0,01% ■ N.-suralis-Läsion 1—3%
Komplikationen Komplikationen der Varizenchirurgie sind insgesamt sehr selten (Tabelle 3). Allgemeine chirurgische Komplikationen wie Phlebothrombose und revisionsbedürftige Nachblutungen werden mit jeweils zirka 0,2 Prozent angegeben. Eine medikamentöse Thromboseprophylaxe mit Heparin ist in der Regel nicht erforderlich. Intraoperative Verletzungen der grossen Gefässe sind eine Rarität (0,01%). Lymphbahnen werden bei diesem Eingriff aufgrund ihrer Lagebeziehung zwangsläufig in Mitleidenschaft gezogen, gefährdete Bereiche sind die Leiste (Krossektomie) und im Rahmen der Miniphlebektomie der ventromediale Unterschenkel und der Fussrücken. Lymphzysten/-fisteln treten in zirka 4 Prozent auf. Für den Patienten von grosser Relevanz sind Verletzungen der rein sensiblen N. saphenus und N. suralis im Verlauf der Stammvarikosis. Die sehr unterschiedlich angegebenen Komplikationsraten gehen auf verschiedene Operationstechniken zurück und sind heute sicherlich deutlich geringer (< 5%). Varizenchirurgie beim alten Menschen – ist das sinnvoll? Bis anhin gilt die Operation der fortgeschrittenen chronischen venösen Insuffizienz bei Varikosis vor allem bei jungen, sonst gesunden Patienten als Therapie der Wahl. Im Alter wird häufig die konservative Kompressionstherapie durchgeführt. Schwierigkeiten dabei können jedoch aufgrund einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Beine (Arthrose Hüfte/ Kniegelenk), nachlassender Kraft in den Armen oder von rheumatoiden Veränderungen der Fingergelenke entstehen. Ein selbstständiges Anziehen von Kompressionsstrümpfen wird dann fast unmöglich. In unserer Klinik operierten wir innerhalb von 20 Monaten 72 über 70-jährige Patienten mit primärer Varikosis und analysierten retrospektiv den perioperativen Verlauf. Bei 23 Patienten (33%) war ein Ulcus cruris varicosum die Operationsindikation. Eine Stammveneninsuffizienz fand sich bei 53 Patienten (73%), in 4 Fällen war die Vena saphena magna betroffen, in 7 Fällen beide Systeme, und bei 8 Patienten handelte es sich um einen Rezidiveingriff. In 83 Prozent wurde der Eingriff in Spinalanästhesie durchgeführt. Postoperative Komplikationen fanden sich bei 10 Patienten (keine Majorkomplikationen). Die Entlassung erfolgte im Schnitt nach 4 Tagen (1–22, Median: 2. postoperativer Tag). Im weiteren ambulanten Verlauf (im Mittel 15,7 Monate nach der Operation) traten weitere 5 Komplikationen (3-mal eine relevante Phlebitis) auf, jedoch keine Majorkomplikation wie Thrombose, Myokardinfarkt, Apoplex oder Tod. Zur weiteren postoperativen Kompressionstherapie wurde bei 41 Patienten (57%) die Behandlung mit Oberschenkelkompressionsstrümpfen KKL II lediglich für 4 bis 6 Wochen empfohlen. Bei 8 Patienten (11%) wurden weiterhin Unterschenkelkompressionsstrümpfe KKL II für bis zu 12 Monaten empfohlen und bei 23 Patienten (32%, Ulkuspatienten) auf Dauer. Diese Strumpfversorgung war im postoperativen Verlauf (bis 6 Wochen) bei 53 Patienten (74%) selbstständig möglich, bei 12 (17%) half die Familie, und bei 7 (9%) war die tägliche Versorgung durch die Sozialstation notwendig. Bei der Kontrolle nach zirka 16 Monaten trugen noch 27 Patienten regelmässig Kompressionsstrümpfe. Bei 18 Patienten (67%) war keine Hilfe notwendig, bei 7 Patienten (26%) erfolgte das Strumpfanziehen weiterhin durch die Sozialstation, und nur noch 2 Patienten (7%) wurden von Familienangehörigen versorgt. Bei 23 Patienten wurde die primäre Operationsindikation aufgrund eines Ulcus cruris varicosum gestellt. Nach im Mittel 15,7 Monaten war es bei 16 Patienten (70%) abgeheilt, bei 3 Patienten deutlich kleiner. In 2 Fällen war es unverändert oder grösser, und 2 Patienten hatten nach erfolgter Abheilung bereits ein Rezidivulkus (9%). Die Zufriedenheit wurde mit «sehr gut» bewertet, die Beschwerden waren deutlich gebessert. Fast alle Patienten würden sich sofort wieder für die operative Therapie entscheiden. Zusammenfassung Die Varizenoperation ist bei eindeutiger Indikation und ver- tretbarem Operationsrisiko auch oder gerade im Alter sinnvoll, auch weil die Kompressionstherapie zunehmend Probleme und Abhängigkeiten bereitet. Es kommt im Verlauf zu einer deutlichen Besserung der angegebenen Symptomatik, sodass die Patienten mit der Operation und dem Erfolg sehr zufrieden sind. ■ Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads Dr. med. Stephan Eder Gefässchirurgie und Phlebologie Wundtherapiezentrum, Klinikum Konstanz D-78464 Konstanz Interessenkonflikte: keine deklariert Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2009. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. 538 ARS MEDICI 13 ■ 2010