Transkript
FORTBILDUNG
Therapie von Hitzewallungen ohne Hormone
Ein Blick auf die Alternativen
Für viele Frauen sind Hitzewallungen in den Jahren
um die Menopause ein quälendes Problem. Die rasche
und meist sehr effektive Hilfe durch eine Hormon-
ersatztherapie kann aus verschiedenen Gründen wie
gewichtige Kontraindikationen oder eindeutige Pa-
tientinnenpräferenz nicht in Betracht kommen. Dann
wenden sich die Blicke von Patientinnen und Ärztin-
nen suchend den Behandlungsalternativen zu.
HALID BAS
Mehrere Studien, die hinter einen quasi ubiquitären Einsatz von weiblichen Geschlechtshormonen in der Menopause grosse Fragezeichen setzten, haben viel zum Interesse für therapeutische Alternativen beigetragen. Der Wegfall der ovariellen Östrogenproduktion erhöht unter anderem das Risiko für Hitzewallungen, Nachtschweiss, vaginale Trockenheit und rezidivierende Harnwegsinfekte und eine verstärkte Abnahme der Knochendichte. Gegen solche Probleme kann eine Hormonersatztherapie (Östrogen allein oder in Kombination mit einem Gestagen) effektiv sein, wofür Metaanalysen von randomisierten kontrollierten Studien mit gutem Design und konsistent anwendbarer Evidenzbasis sprechen (1). Für die Hormonersatztherapie gibt es eine längere Liste von Kontraindikationen. Gewichtigste Gegenanzeigen sind sicherlich vorangegangene Brustkrebsdiagnose, bekannte koronare oder zerebrale Gefässerkrankungen sowie gewichtige kardiovaskuläre Risikokonstellationen (BMI, BD, Lipide etc.) und bekannter venöser Thromboembolismus.
Keine Hormone … In diesen Situationen, aber auch wenn betroffene Frauen mit belastenden Symptomen aus Angst vor Hormonen nach einer therapeutischen Alternative suchen, schlägt die Stunde für eine Reihe mehr oder weniger schulmedizinischer Behand-
lungsansätze. Tabelle 1 listet einige in den USA, aber auch in Europa empfohlene medikamentöse Optionen auf (nach [2]). Es handelt sich dabei um chemisch charakterisierte Wirkstoffgruppen mit zentralnervösem Ansatz wie Clonidin, verschiedene Antidepressiva (Fluoxetin, Paroxetin, Mirtazapin, Trazodon, Venlafaxin) oder das Antiepileptikum Gabapentin. Daneben gibt es eine Fülle von Angeboten aus pflanzlicher Herkunft, die entweder als Medikamente, als Nahrungsergänzungsmittel oder als Aufforderung zur «guten Ernährung» in allen erdenklichen Quellen angepriesen werden. Darunter sind besser dokumentierte (Traubensilberkerze, Soja) und weniger bis zweifelhaft dokumentierte und standardisierte Produkte (Rotklee, Dong Quai u.a.).
… aber wo bleibt die Evidenz? Sowohl bei der Hormonersatztherapie als auch bei den alternativen Ansätzen sind grosse kulturelle Unterschiede augenfällig. Sie schlagen sich nicht nur nieder in den Empfehlungen an Patientinnen und Ärzte, im Angebot von verschreibungspflichtigen und frei verkäuflichen Präparaten oder in allen möglichen
Merksätze
■ Sowohl bei der Hormonersatztherapie (HRT) als auch bei den alternativen Ansätzen zur Behandlung von Hitzewallungen sind grosse kulturelle Unterschiede augenfällig.
■ Zu den Ausweichmöglichkeiten bei Kontraindikationen für die HRT oder mangelnder Akzeptanz der HRT gehören Clonidin oder Antidepressiva einerseits, Präparate pflanzlichen Ursprungs sowie weitere komplementär- und alternativmedizinische Interventionen andererseits.
■ Insbesondere für Phytotherapeutika sowie komplementär- und alternativmedizinische Ansätze ist die Evidenzlage noch immer ziemlich unbefriedigend.
■ Zur Behandlung von Hitzewallungen sind hinsichtlich Wirkungen und Nebenwirkungen Extrakte der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa) am besten dokumentiert.
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FORTBILDUNG
Tabelle 1: Beispiele für nichthormonale Wirkprinzipien zur Behandlung von Hitzewallungen
«Chemische»: ■ Clonidin ■ Fluoxetin ■ Paroxetin ■ Venlafaxin ■ Mirtazapin ■ Trazodon ■ Melatonin ■ Vitamin E
Pflanzliche: ■ Cimicifuga racemosa (= Actaea racemosa, Traubensilberkerze) ■ Rotklee-Isoflavone ■ Soja-Isoflavone ■ Nachtkerzenöl (Oenothera biennis) ■ Ginseng (Panax ginseng) ■ Yamswurzel (Dioscorea spez.) ■ Dong Quai (Angelica sinensis, Angelikawurzel, Engelswurz)
(nach einer US-amerikanischen Publikation [1])
Nahrungsergänzungsmitteln mit unterschiedlichen Qualitätsstandards, sondern auch in der Art und Durchführung wissenschaftlicher Studien und der daraus abgeleiteten «Evidenz». Einige evidenzbasierte Empfehlungen gibt Tabelle 2 wieder (ebenfalls nach [2]).
Evidenz kämpft mit geografischen und sprachlichen Gräben … Eine viel zitierte systematische Evidenzübersicht von US-amerikanischen Autorinnen (3) zu komplementären und alternativen Therapien im Management von Menopausesymptomen erschien 2006. Sie fanden damals 70 Primärstudien, die ihren Einschlusskriterien entsprachen. 48 waren mit biologischen Wirksubstanzen (Pflanzenextrakte, Vitamine, Diäten) durchgeführt worden und ergaben hinsichtlich des klinischen Nutzens ein bunt gemischtes Bild. Die restlichen Studien (etwa mit Atem- und Muskelentspannungsübungen, Magnetauflagen, manipulativen und körperorientierten Techniken, aber auch mit traditioneller chinesischer Medizin oder Homöopathie) zeigten wenig Nutzen. Die Schlussfolgerung blieb denn auch sehr verhalten: «Obwohl individuelle Studien für gewisse Therapien einen Nutzen annehmen lassen, ist die Datenlage nicht ausreichend, um eine Effektivität irgendeiner dieser komplementären und alternativen Therapien zu stützen.» Die Autorinnen fanden aber, dass sich eine ernsthafte Forschung mit rigoroser Methodik für etliche dieser potenziellen Behandlungsansätze lohnen müsste.
… und mit (zu) oft schlechter Studienqualität Von zwei europäischen Pionieren der Forschung zu Behandlungsalternativen, Edzard Ernst in London und Francesca Bor-
relli in Neapel, kam harsche Kritik an der in ihrer Einschätzung nur dem Namen nach «systematischen» Übersicht. Insbesondere die Beschränkung auf englischsprachige Publikationen verdamme diese Evidenzsuche zur bedenklichen Unvollständigkeit, und – in diesem Zusammenhang ein wichtiger Einwand – jede der alternativen Therapien besitze auch Nebenwirkungen, von denen in der Review aber praktisch nichts stehe. Letzterem Einwand begegneten die Autorinnen mit dem Hinweis, dass ihre unvollständige Diskussion der Nebenwirkungen auf dem Fehlen jeglicher Hinweise zu diesem wichtigen Studienendpunkt in den Originalpublikationen beruhe. Diesem Vorwurf versuchen Firmen heute vermehrt Rechnung zu tragen, auch bei Praxiserfahrungsberichten (5). Auch eine andere systematische Review US-amerikanischer Autorinnen brachte nur wenige handfeste Ergebnisse (6). Hier kamen je 10 Studien mit Antidepressiva und Clonidin zusammen sowie 6 Studien mit anderen verschreibungspflichtigen Medikamenten und 17 Studien mit pflanzlichen Isoflavonen. Für gewisse Wirkstoffe konnten die Autorinnen eine formelle Metaanalyse wagen, da ausreichende Daten zur Frequenz der Hitzewallungen unter aktiver Therapie respektive Plazebo vorlagen. Eine statistisch signifikante Abnahme der täglichen Anzahl von Hitzewallungen ergab sich unter selektiven Serotonin- oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI bzw. SNRI) um im Mittel -1,13, unter Clonidin um -0,95 und Gabapentin um -2,05. Keine Reduktion der Hitzewallungen liess sich unter Isoflavonen aus Rotkleeextrakten nachweisen. Bei Soja-Isoflavonen waren die Ergebnisse gemischt. Die Autorinnen ziehen Bilanz: «SSRI oder SNRI, Clonidin und Gabapentin bieten Evidenz für ihre Wirksamkeit. Die Effekte sind jedoch geringer als für Östrogen, nur wenige Studien sind publiziert worden, und die meisten haben methodologische Unzulänglichkeiten, die Verallgemeinerungsmöglichkeit ist beschränkt, und Nebenwirkungen und Kosten können den Einsatz für viele Frauen einschränken. Diese Therapien dürften am nützlichsten sein für hochsymptomatische Frauen, die kein Östrogen einnehmen können, sind aber für die meisten Frauen keine optimale Wahl.»
Die immer gleichen Einwände … Einen durchaus gewichtigen Platz bei den nichthormonalen Ansätzen zur Behandlung von Hitzewallungen nehmen Wirkstoffe (eigentlich: Wirkstoffgemische) pflanzlichen Ursprungs
☞ LINKS
www.menopause-info.ch (für Ärztinnen und Ärzte)
www.meno-pause.ch (für Patientinnen)
www.menopause-gesellschaft.de
www.mayoclinic.com/health/menopause/ds00119
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ein. Dabei handelt es sich um Phytoöstrogene wie etwa in Sojaoder Rotkleezubereitungen oder um Extrakte aus Cimicifuga racemosa, die heute aufgrund östrogenagonistischer (Knochen) sowie östrogenantagonistischer (Brust, Uterus) Effekte zu den selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM) gezählt werden. Inzwischen gibt es eine beachtliche Zahl von Studien, denen immer wieder die gleichen Einwände entgegenschlagen: (Zu) kurze Studiendauer von oft nur einigen wenigen Wochen, wenig überzeugende Methodik ohne saubere Vergleichsgruppen, unterschiedliche Erfassung der Studienendpunkte (Zielsymptome), geringe Patientinnenzahlen, was angesichts der bekannt hohen Plazeboansprechrate menopausaler Beschwerden (durchaus bis 40%) die Würdigung der Studienergebnisse erschwert. Dazu kommt, wie oben schon erwähnt, eine Nachlässigkeit bei der sehr oft nicht firmenunabhängigen Berichterstattung von Nebenwirkungen und Interaktionen, die es auch bei den pflanzlichen Heilmitteln durchaus gibt. Schliesslich ist auch hier zu vermuten, dass negative Studien nie publiziert wurden, also in die Evidenzeinschätzung nicht einfliessen können.
… aber ein gewisser Wandel bei der Einschätzung? Exemplarisch lässt sich all dies bei der seit Längerem breit eingesetzten Therapie mit Cimicifuga-racemosa-Extrakten verfolgen. Francesca Borrelli und Edzard Ernst hatten schon 2002 eine systematische Review zur Wirksamkeit der Therapie menopausaler Symptome mit Traubensilberkerzeextrakten veröffentlicht (7). Damals konnten sie nur gerade 4 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) berücksichtigen (obwohl sie keine Sprachbarrieren errichtet hatten) und kamen zum Befund, dass sich für die Wirksamkeit von C. racemosa «keine zwingende Evidenz» ergebe. Die geringen nützlichen Effekte in gewissen Studien liessen sich durch einen zentralen Angriffspunkt erklären, eine östrogene Aktivität sei nicht völlig auszuschliessen. Und abschliessend das Mantra der evidenzbasierten Medizin: «Zusätzliche rigorose RCT sowie biochemische und chemische Untersuchungen sind gerechtfertigt.» 6 Jahre später hat dasselbe Autorenpaar die systematische Review wiederholt (8). Diesmal kamen 6 Studien bei 1112 peri- und postmenopausalen Frauen zusammen. Jetzt lautete die Schlussfolgerung etwas positiver: «Die Evidenz aus diesen RCT zeigt
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Tabelle 2: Einschätzung einiger nichthormoneller medikamentöser Optionen bei Hitzewallungen
Klinische Empfehlung
Fluoxetin Effektive Behandlungsoption bei Hitzewallungen, doch die Evidenz ist limitiert
Paroxetin Effektive Behandlungsoption bei Hitzewallungen
Venlafaxin Effektive Behandlungsoption bei Hitzewallungen
Clonidin Effektive Behandlungsoption bei Hitzewallungen
Soja- und andere Isoflavone Können in der Kurzzeitbehandlung von Hitzewallungen hilfreich sein
Traubensilberkerze Kann in der Kurzzeitbehandlung von Hitzewallungen hilfreich sein
Tagesdosen in verschiedenen Studien
20 mg
Dauer der Studien
9 Wochen
20 bis 40 mg
4 Wochen
37,5 bis 150 mg
4 bis 12 Wochen
0,1 mg
8 bis 12 Wochen
40 bis 164 mg
7 bis 12 Wochen
16 bis 127 mg
8 Wochen bis 1 Jahr
(nach einer US-amerikanischen Publikation [1])
keinen konsistenten Effekt von Traubensilberkerze auf menopausale Symptome; ein günstiger Effekt auf perimenopausale Frauen kann nicht ausgeschlossen werden.» Und wieder folgte die Gebetsformel: «Die Wirksamkeit von Traubensilberkerze als Therapie menopausaler Symptome ist unsicher, und weitere rigorose Studien sind gerechtfertigt.» Dieselben Wissenschaftler meldeten sich einige Monate später mit einer weiteren Publikation, nun mit einer systematischen Review zu den Nebenwirkungen von Traubensilberkerzepräparaten (9). Beunruhigende Fragen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Cimicifugazubereitungen waren durch verschiedene Fallberichte und Meldungen an Heilmittelbehörden aufgeworfen worden (Hinweise in [10]). Dabei ging es vor allem um Fälle akut verlaufender schwerer Leberfunktionsstörungen. Ferner gibt es auch Fallberichte, die einen Zusammenhang zu Myopathien postulieren (z.B. [11]). Bei ihrer Suche in den üblichen Datenbanken (berücksichtigt wurden diesmal auch Beobachtungsstudien und Fallberichte) fanden Borrelli und Ernst 13 klinische Studien, 3 Postmarketinguntersuchungen, 4 Fallserien und 8 Einzelfallberichte. Sie konnten Entwarnung geben: «Die klinischen Studien legen nahe, dass Traubensilberkerze sicher ist. In den meisten Fallberichten ist die kausale Zuweisung problematisch.» Auch dieses Mal folgt eine formelhafte Schlussfolgerung: «Traubensilberkerze ist mit ernsthaften Sicherheitsbedenken assoziiert worden, die dringend weiterer Untersuchung bedürfen.» Die «Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen» in den Produktinformationen dieser Präparate im Schweizer «Kompendium» raten bei vorbestehender Leberschädigung von der Einnahme
von Cimicifugaextrakten ab und erwähnen Einzelfälle teil-
weise schwerwiegender Leberschädigungen. Wie bei anderen
pflanzlichen Präparaten kommt der Quelle und Qualität der
Extrakte sehr grosse Bedeutung zu.
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Halid Bas
Literatur: 1. Roberts H: Managing the menopause. BMJ 2007; 334: 736—741. 2. Carroll DG: Nonhormonal therapies for hot flashes in menopause. Am Fam Phys 2006; 73: 457—464. 3. Nedrow A et al.: Complementary and alternative therapies for the management of menopause-
related symptoms. Arch Intern Med 2006; 166: 1453—1465. 4. Edzard E, Borrelli F: Alternatives for Menopause (letter & reply by Anne Nedrow), Arch Intern Med
2007; 167; 515—516. 5. Kaiser WD, Martin R, Schellenberg R, Schrader E, Saller R: Cimicifuga-racemosa-Extrakt ZE 450 bei
Wechseljahrsbeschwerden. Praxisstudie. Ars Medici, 17, 2008; 771—774. 6. Nelson HD: Nonhormonal therapies for menopausal hot flashes — Systematic review and meta-
analysis. JAMA. 2006; 295: 2057—2071. 7. Borrelli F, Ernst E: Cimicifuga racemosa: a systematic review of its clinical efficacy. Eur J Clin
Pharmacol. 2002; 58(4): 235—241. 8. Borrelli F, Ernst E: Black cohosh (Cimicifuga racemosa) for menopausal symptoms: a systematic
review of its efficacy. Pharmacol Res. 2008 Jul; 58(1): 8—14. 9. Borrelli F, Ernst E: Black cohosh (Cimicifuga racemosa): a systematic review of adverse events.
Am J Obstet Gynecol. 2008 Nov; 199(5): 455—466. 10. Gori L, Firenzuoli F: Is Black cohosh a hepatotoxic medicinal herb? Forsch Komplementärmed
2007; 17: 109—110. 11. Minciullo PL et al.: Muscle damage induced by black cohosh (Cimicifuga racemosa). Phytomedi-
cine 2006; 13: 115—118.
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