Transkript
FORTBILDUNG
Management von Durchbruchschmerzen
Eine Gratwanderung zwischen Basisanalgesie und Bedarfsmedikation
Neben den kontinuierlichen, gleichförmigen oder
belastungs- beziehungsweise bewegungsinduzierten
Tumorschmerzen treten bei etwa 60 Prozent der
Betroffenen akute vorübergehende Schmerzspitzen
auf. Wenn diese nicht auf eine unzureichende Basis-
schmerztherapie zurückzuführen sind und auch
ein Tumorprogress oder ein sogenannter Crescendo-
schmerz auszuschliessen sind, benötigen diese
Patienten unbedingt eine zusätzliche Bedarfsanalge-
sie, welche diese Durchbruchschmerzen adäquat
kontrolliert.
PETER HÜGLER UND SUSANNE STEHR-ZIRNGIBL
Schmerz ist das häufigste Symptom von Patienten, die an Malignomen leiden. Bei 30 bis 45 Prozent aller Tumorpatienten ist dies das erste «sichtbare» Symptom ihrer Krebserkrankung (1), obwohl Schmerzen prinzipiell erst verhältnismässig spät im Verlauf auftreten. Dabei ist «Tumorschmerz» keine Diagnose im Sinne der Schmerztherapie, er kann unterschiedlichste Ursachen haben (Tabelle 1), sowohl akut als auch chronisch sein und jeweils einzeln oder in allen denkbaren Kombinationen auftreten. Abhängig von der Lokalisation des Tumors leiden durchschnittlich 50 Prozent aller Malignompatienten unter Schmerzen. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung sind im Mittel 70 Prozent und im Terminalstadium sogar bis zu 100 Prozent der Krebspatienten schmerzbelastet. Ausser dem kontinuierlichen, gleichförmigen oder belastungs- und bewegungsinduzierten Tumorschmerz, der sich durch die Grunderkrankung oder die Therapie verändert, treten bei etwa 60 Prozent der Patienten akute vorübergehende Schmerzspitzen auf. Diese sogenannten Durchbruchschmerzen können trotz adäquater Schmerztherapie auftreten. Grundsätzlich unterscheidet man dabei drei unterschiedliche Formen:
■ Durchbruchschmerzen, die durch eine Aktion des Patienten ausgelöst werden, zum Beispiel durch Bewegung, Schlucken, Wasserlassen, Defäkation oder Husten. Dabei handelt es sich um plötzliche, nur kurz andauernde Schmerzen.
■ Schmerzen, die am Ende eines Dosierungsintervalls auftreten. Da diese Schmerzen der Medikamenteneinnahme zugeordnet werden können, zählen sie nicht zu den «klassischen» Durchbruchschmerzen. Hier erfolgt die Therapie am ehesten durch eine Adjustierung der Analgetikadosis oder des Einnahmeintervalls der Basisschmerzmedikation.
■ Bei den sogenannten idiopathischen Durchbruchschmerzen gibt es keine erkennbare Ursache und keinen Bezug zum Zeitpunkt der Einnahme der Schmerzmedikation.
Erstmals wurde der Begriff «Durchbruchschmerz» vor rund 15 Jahren in der Literatur verwendet (3). Portenoy und Hagen definierten die Durchbruchschmerzen kurz darauf als «eine vorübergehende Exazerbation von Schmerzen vor dem Hintergrund einer sonst stabilen Schmerzsituation bei regelmässiger Opiattherapie» (4). Diese Definition impliziert einen zeitlich limitierten, intensiven Schmerz, der die sonst stabile Situation gleichsam «durchbricht». Heute unterscheidet man zwischen Durchbruchschmerzen mit und ohne signifikanten Hintergrundschmerz. Neben dieser Beziehung zur Basismedikation sind das Zeitmuster (auslösende Faktoren), die Vorhersagbarkeit, die Patho-
Merksätze
■ Vorzugsweise wird bei der Schmerztherapie für die Basis- und die Bedarfsmedikation die gleiche Substanz eingesetzt, wobei die Dosierung der Bedarfsmedikation in der Regel 15 bis 20 Prozent der Tagesdosis der Basismedikation entspricht.
■ Je schneller die Wirkung der zusätzlichen Analgesie einsetzt, desto gezielter kann sie im Einzelfall therapeutisch wirken.
■ Neben intravenös appliziertem Morphin erfüllt insbesondere sublinguales, transmukosales und intranasales Fentanyl die Forderung nach einem sehr schnellen Wirkeintritt.
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Tabelle 1: Schmerzursachen bei Tumorpatienten1:
Tumorbedingte Schmerzen (60—90%) ■ Knochenmetastasen, primäre Knochentumoren ■ Ulzeration von Haut und Schleimhaut mit und ohne Infekt ■ Verlegung von Blut- und Lymphgefässen ■ Infiltration parenchymatöser Eingeweide ■ Verlegung von Hohlorganen ■ Kompression oder Infiltration von Nerven und/oder Rückenmark ■ erhöhter Hirndruck
Therapiebedingte Schmerzen (10—15%) ■ Operation (Nervenläsion, Ödem, Narben, Muskelverspannungen,
Stumpf- oder Phantomschmerz, Reflexdystrophie) ■ Bestrahlung (Strahlenfibrose, radiogene Enteritis, Kolitis, Zystitis,
Zosterneuralgie) ■ Chemotherapie (Neuropathie, Mukositis, Zosterneuralgie)
Tumorassoziiert (5—20%) ■ Zosterneuralgie ■ Dekubitus ■ Infektionen ■ Thrombosen oder Embolien
Tumor- und therapieunabhängige Schmerzen (3—10%) ■ sämtliche nicht maligne Schmerzsyndrome möglich (z.B. Kopf-,
Rücken-, Gelenkschmerzen)
nach (2)
physiologie und die Ätiologie relevante Faktoren für das Verständnis von Durchbruchschmerzen. Insgesamt handelt es sich beim Durchbruchschmerz um eine distinkte heterogene klinische Entität, die ein individuelles Management erfordert (Abbildung 1).
Prävalenz von Durchbruchschmerzen Bis heute gibt es nur wenige Studien zu Durchbruchschmerzen mit eher kleinen Kollektiven, sodass lediglich uneinheitliche statistische Daten zur Prävalenz existieren. Die Angaben zur Inzidenz des Durchbruchschmerzes variieren zwischen 19 und 100 Prozent. In der Regel treten sie bei fortgeschrittener Erkrankung häufiger auf. Wahrscheinlich leiden 75 Prozent der Patienten mit Tumormetastasen an Durchbruchschmerzen, wobei sich die Frequenz, die Dauer und die Intensität der Schmerzepisoden unterscheiden. So wurden bei einem metastasenbelasteten Patientenkollektiv durchschnittlich drei Episoden pro Tag beobachtet, die – bei einer durchschnittlichen Schmerzintensität von 7 auf einer 10-Punkte-Skala – im Schnitt 52 Minuten lang anhielten (5).
Diagnose von Durchbruchschmerzen Wesentlich für das Erkennen individueller Durchbruchschmerzproblematiken ist eine suffiziente und stabile Therapie der Tumorbasisschmerzen. Grundlage dafür ist stets ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten zu seiner Tumoranamnese, in dem man sich exakt über Tumorstadium, Tumortherapie und den aktuellen Schmerzstatus abhängig von der aktuellen Medikation und unter speziellen Belastungen informiert. Einen allgemeinen Überblick innerhalb von nur fünf Minuten
Abbildung 1: Algorithmus für das Management von Durchbruchschmerzen
Tumorschmerzen
starke Dauerschmerzen
ja WHO-Empfehlungen anwenden
nein
ja
lindernde/auslösende Faktoren
Patienten informieren/beraten
nein unzureichende Schmerzlinderung
neuropathische Schmerzen viszerale Schmerzen
einschiessender
elektrisierender brennender Schmerz
Schmerztyp
stechender Schmerz bei Bewegung
kolikartige Schmerzen Schmerz bei Berührung
Knochenschmerzen Weichteilschmerzen
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erlaubt hier das Brief Pain Inventory (6). Zur Beschreibung der Schmerzsituation gehören eine detaillierte Dokumentation der Schmerzmedikation und ihrer Komedikation sowie deren exakte Dosierungen, Applikationsmodi und Dosisintervalle. Ebenso relevant ist die Erhebung nicht maligner Komorbiditäten und deren medikamentöse Therapie. Einen spezifischen Erhebungsbogen zum episodischen Schmerz gibt es bis heute nicht. Daher kann es helfen, wenn die Patienten ein Schmerztagebuch führen, das Angaben zur Häufigkeit der Durchbruchschmerzen, ihrer Spitzenintensität, Lokalisation und Qualität (neuropathisch, nozizeptiv), den auslösenden Faktoren sowie ihrer Vorhersagbarkeit enthält. Ebenso wichtig ist es, belastende Faktoren zu dokumentieren und Copingstrategien aufzunehmen, die schmerzlindernd oder präventiv wirken. In der täglichen Praxis sind solche Aufzeichnungen aber stets mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden – ein unter Umständen limitierender Faktor. Ausserdem erfordern sie eine differenzierte Kommunikation zwischen Arzt und Patient, die für beide Seiten eine Herausforderung darstellt. Zudem gibt es bis jetzt keine wissenschaftlich begründeten Untersuchungen über derart ausführliche Erhebungen und Beratungen. Auch deshalb klaffen im klinischen Alltag Theorie und Realität oft noch weit auseinander.
Differenzialdiagnose von Durchbruchschmerzen Jeder Verdacht auf kurzzeitige Schmerzspitzen im Rahmen einer kontinuierlichen Tumorschmerztherapie nach den Regeln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bedarf einer sorgfältigen Analyse. Zunächst müssen eine inadäquate Schmerzmedikation, individuell nicht kompatible Opiate oder auch ein inkorrektes Dosierungs- beziehungsweise Applikationsmuster ausgeschlossen werden. Zusätzlich ist die adjuvante medikamentöse Therapie zu überprüfen und gegebenenfalls zur Unterstützung der Basistherapie zu optimieren. Unbedingt ausgeschöpft werden sollten zudem die Möglichkeiten, die nicht medikamentöse Verfahren und Massnahmen bieten. Da Schmerzen vor allem ein Warn- beziehungsweise Alarmsignal sind, muss differenzialdiagnostisch bei einer steigenden Frequenz oder einer höheren Intensität der episodischen Schmerzen auch ein Progress des Tumors in Betracht gezogen werden. Eine entsprechende Diagnostik kann frühzeitig in die Wege geleitet werden, drohende onkologische Notfälle gilt es präventiv zu beeinflussen. Diagnostische und pflegerische Massnahmen können ebenso wie die Durchführung einer Tumortherapie Durchbruchschmerzen induzieren und/oder verschlimmern. Aber auch nicht maligne Komorbiditäten können die Ursache für plötzlich durchbrechende Schmerzspitzen sein (z.B. gutartige Erkrankung, Bandscheibenbeschwerden, Arthritis). Ein sogenannter Schmerznotfall entsteht typischerweise de novo oder vor dem Hintergrund gut kontrollierter Schmerzen (7). Vom Durchbruchschmerz zu unterscheiden ist auch der «Crescendoschmerz», der durch eine progrediente Zunahme der Schmerzintensität charakterisiert ist. Diese kontinuierlich steigende Schmerzintensität kann in den meisten Fällen dem Basisschmerz zugeordnet werden.
Prädiktive Faktoren bei Durchbruchschmerzen Zu der Frage, welcher Tumorpatient zu welchem Zeitpunkt unter Durchbruchschmerzen leiden wird, gibt es nur wenige Untersuchungen. In einer umfassenden Studie (8) wurden jedoch fünf prädiktive Faktoren identifiziert: ■ belastungsabhängiger Schmerz ■ neuropathischer Schmerz ■ Opiattoleranz ■ Alkohol- oder Medikamentenabusus ■ psychologische Überlagerung im Sinn einer Überbelastung (8).
Darüber hinaus scheint eine nicht ausreichende, möglicherweise problematische medikamentöse Einstellung bei Tumorschmerzpatienten die Wahrscheinlichkeit des Entstehens von Durchbruchschmerzen zu steigern.
Management von Durchbruchschmerzen Die multidisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation ist beim Management von Durchbruchschmerzen unverzichtbar. Beispielsweise treten bewegungsabhängige Schmerzen, die durch ossäre Metastasen bedingt sind, häufig im Verlauf von pflegerischen Massnahmen auf. Dementsprechend wichtig ist es, das Pflegepersonal in die Dokumentation und Evaluation von Durchbruchschmerzen einzubeziehen, um die Informationsdichte zu erhöhen und damit zeitgerecht geeignete Therapiemassnahmen anbieten zu können. Aus dem gleichen Grund ist der enge interdisziplinäre Kontakt zur internistischen Onkologie, Radioonkologie, Chirurgie und Radiologie wichtig. Immer wenn dies möglich ist, ist eine kausale Therapie der Beschwerden einer symptomatischen vorzuziehen. Auch im palliativen Bereich muss bei einem Anstieg der Schmerzen zwischen einem neu aufgetretenen Schmerzgeschehen und Durchbruchschmerzen differenziert werden, um zum Beispiel pathologische Frakturen, einen beginnenden Querschnitt oder eine tumorbedingte Darmobstruktion rechtzeitig erkennen zu können und entsprechend individuell therapeutisch einzugreifen. Eine Strahlentherapie in Kombination mit Bisphosphonaten beispielsweise kann den Basisschmerz ossärer Metastasen lindern und reduziert damit häufig auch bewegungs- beziehungsweise belastungsinduzierte Durchbruchschmerzen (9). Die Radiatio beziehungsweise operative Entfernung nervenkomprimierender Tumorformationen wiederum kann unter Umständen eine Reduktion neuropathischer Durchbruchschmerzen bewirken (10). Dementsprechend sind regelmässige interdisziplinäre und interprofessionelle Schmerzkonferenzen beziehungsweise -konsile wichtig und sinnvoll.
Aktuelle Therapiekonzepte Vor zehn Jahren antworteten nur 9 Prozent der befragten Ärzte auf eine Umfrage zur Anwendung von transdermalem Fentanyl. Immerhin gaben 93 Prozent von diesen an, das WHOSchema zu kennen. Ein hoher Prozentsatz der Patienten war jedoch nach eigener Einschätzung unterversorgt, und bei 84 Prozent der Patienten war keine Zusatzmedikation für
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Schmerzspitzen vorgesehen (11). Diese Daten reflektieren den immer noch grossen Handlungsbedarf zum Thema Schmerz, insbesondere aber zum Durchbruchschmerz. Grundsätzliche Voraussetzung einer adäquaten Durchbruchschmerztherapie ist eine sorgfältige Schmerzanamnese (Tabelle 2). Basierend auf der Anamnese und Evaluation des allgemeinen klinischen Status gilt es zunächst, einen multimodalen, interdisziplinären Therapieplan zu erstellen. Das Management von Durchbruchschmerzen ist eine Gratwanderung. So wird der Versuch, alle Schmerzepisoden bereits prophylaktisch durch die Erhöhung der Basismedikation zu therapieren, durch die dafür erforderliche hohe 24-Stunden-Dosis ein erhebliches Mass an unerwünschten Wirkungen induzieren. Wird dagegen die Basistherapie auf den Dauerschmerz ohne Belastung reduziert, werden wahrscheinlich unverhältnismässig viele, nach Intensität und Häufigkeit unterschiedliche Schmerzspitzen auftreten. Idealerweise muss daher eine 24-Stunden-Medikation für den Basisbedarf, in der Regel auf der Basis von retardierten Opioiden oder transdermalen Systemen, mit einer möglichst schnell wirksamen Bedarfsmedikation kombiniert werden. Im Idealfall sollten gleiche Wirksubstanzen retardiert (Basistherapie) und mit schnellem Wirkeintritt sowie mit kurzer Wirkungsdauer und ausreichender Wirkung (Durchbruchschmerztherapie) zur Verfügung gestellt werden. Invasive Verfahren (Tabelle 3) können indiziert sein, es muss aber immer sorgfältig zwischen dem medizinisch Machbaren und dem im individuellen Fall Sinnvollen differenziert werden. Nicht zuletzt sind häufig auch psychosoziale Aspekte für die Therapieplanung von entscheidender Bedeutung. Je schneller die Wirkung der Bedarfsmedikation einsetzt, desto gezielter kann sie im Einzelfall therapeutisch genutzt werden. Dies ist vor allem bei unvorhersehbaren einschiessenden und nur kurz dauernden Schmerzattacken von Bedeutung. Die schnellste Wirkung wird mit intravenös gegebenem Morphin erreicht, das der Patient auch selbst über eine Schmerzpumpe steuern kann (patientenkontrollierte Analgesie, PCA). Ähnlich effektiv ist der Einsatz von oral transmukosalem Fentanyl. Wichtig für den optimalen Einsatz der Bedarfsmedikation erscheint darüber hinaus eine adäquate, auf die Basistherapie abgestimmte Dosis, die in der Regel 15 bis 20 Prozent der Tagesdosis beträgt. Vorzugsweise wird die gleiche Substanz verordnet – also zum Beispiel nicht retardiertes Morphin als Bedarfsmedikation bei retardiertem Morphin als Basistherapie. Aktuelle Arbeiten zum oralen transmukosalen Fentanyl weisen jedoch darauf hin, dass möglicherweise keine Korrelation zwischen Basismedikation und effektiver Bedarfsdosis besteht. Nicht zuletzt auch deshalb müssen Medikamente zur oralen transmukosalen Anwendung individuell titriert werden.
Was ist die ideale Bedarfsmedikation? Für Schmerzattacken, deren Gipfel innerhalb weniger Minuten erreicht ist, ist die intravenöse, subkutane oder transmukosale systemische Applikation von Opioiden indiziert. Diese Therapieoptionen haben sich ebenfalls bewährt, wenn es sich um
Tabelle 2: Schmerzanamnese Tabelle 3: bei Durchbruchschmerzen
■ Schmerzintensität ■ Schmerzlokalisation (identisch mit Dauerschmerz?) ■ Pathophysiologie (somatisch, viszeral, neuropathisch gemischt) ■ Ätiologie (tumorassoziiert, therapieassoziiert, idiopathisch) ■ zeitliche Charakteristika (Häufigkeit, paroxysmaler oder allmäh-
licher Beginn, Dauer) ■ zeitlicher Zusammenhang mit Dauermedikation («end of dose
failure»)
Tabelle 3: Invasive Therapie Tabelle 4: bei Durchbruchschmerzen
■ anästhesiologische Blockaden, Katheterverfahren ■ chemische Neurolysen ■ chirurgische Denervierung ■ primäre chirurgische Versorgung (Gelenkersatz, Ileusentlastung) ■ neurochirurgische Eingriffe (Kordetomie, Rhizotomie)
Durchbruchschmerzen handelt, die bis zu 30 Minuten andauern. Alternativ können in dieser Situation aber auch schnell freisetzende, also nicht retardierte Opioide per os gegeben werden. Dauert die Schmerzattacke 30 bis 60 Minuten lang an, ist es ebenfalls sinnvoll, zunächst ein nicht retardiertes Präparat oral einzusetzen. Insbesondere sublinguales, transmukosales und intranasales Fentanyl erfüllt die Forderung nach einem sehr schnellen Wirkeintritt. Die direkte Resorption über die Schleimhaut von Mund und Nase umgeht den hepatischen First-Pass-Metabolismus, sodass die analgetisch wirksame Plasmaspitzenkonzentration bereits nach 10 bis 15 Minuten erreicht ist, schon 30 Minuten später jedoch wieder unter den therapeutischen Bereich absinkt. In der Schweiz stehen derzeit zwei fentanylhaltige Fertigarzneimittel für diesen Applikationsweg zur Verfügung, die zur Behandlung von tumorbedingten Durchbruchschmerzen zugelassen sind: ■ ein fentanylhaltiger Kunststoffstick, bei dem die transmuko-
sale Aufnahme des Wirkstoffs durch mechanisches Reiben an der Wangeninnenseite erfolgt (Actiq®) ■ eine sich schnell auflösende fentanylhaltige Sublingualtablette, bei der der Wirkstoff an spezielle mukoadhäsive Partikel gebunden ist, die zum einen die sublinguale Resorption zusätzlich beschleunigen und zum anderen das Verschlucken und somit auch die gastrointestinale Resorption verhindern sollen (Abstral®). ■ In der EU, aber noch nicht in der Schweiz zugelassen sind eine fentanylhaltige Buccaltablette, bei der die transmuko-
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Kontrolle des Dauerschmerzes
Schmerznotfall Crescendoschmerz
«end of dose failure»
idiopathische Schmerzen
Durchbruchschmerzen (vorhersehbar)
schnelle Dosiseskalation nicht retardierter Opioide
Dosiseskalation der Dauermedikation oder Applikationsintervall der lang wirksamen
Opioide verringern
Einsatz nicht retardierter Opioide so oft wie nötig
Prophylaxe mit nicht retardierten, kurz wirksamen Opioiden
Durchbruchschmerzen (nicht vorhersehbar)
Therapie mit nicht retardierten Opioiden
so oft wie möglich
wenn möglich Ätiologie definieren und behandeln
Eskalation der Medikation gegen die Durchbruchschmerzen (wie indiziert)
Bestimmung der Basisanalgesie für eine
effiziente Schmerzkontrolle und Umstellung der Behandlung auf lang wirksame Opioide
bei häufigen Episoden (> 4-mal täglich):
Dosiseskalation der lang wirksamen Opioide,
parallel die Behandlung mit schnell wirksamen Opioiden fortsetzen
bei häufigen Episoden (> 4-mal täglich):
Dosiseskalation der lang wirksamen Opioide,
parallel die Behandlung mit schnell wirksamen Opioiden fortsetzen
Einsatz eines Regimes zur Therapie von
Durchbruchschmerzen
falls indiziert: patientenkontrollierte Analgesie (i.v.-PCA),
Spinalanalgesie
Abbildung 2: Die Behandlung von Durchbruchschmerzen — ein Therapiealgorithmus.
sale Wirkstoffaufnahme im Wangenschleimhautbereich durch lokale pH-Wertveränderungen erfolgt, sowie ein fentanylhaltiges Nasenspray als wässrige Lösung.
Die genannten Fertigarzneimittel sind in unterschiedlichen Do-
sisstärken verfügbar und sollen unabhängig von der jeweiligen
Opiattagesdosis zunächst in der jeweils geringsten verfügbaren
Dosis eingesetzt werden. Anhand der präparatespezifischen
Titrationsschemata gilt es dann, die individuell erforderliche
Dosis zu definieren, welche die Durchbruchschmerzen des Pa-
tienten effektiv lindert. Dies gibt einerseits dem Patienten eine
hohe Sicherheit, die niedrigste, effektivste analgetische Dosis
zu erhalten, andererseits ist es jedoch ein sehr zeitaufwendiges
Verfahren, das eine enge Kooperation zwischen Arzt und Pa-
tient voraussetzt.
Letztlich bleibt die Therapie von Durchbruchschmerzen bis
heute empirisch und hängt in hohem Masse vom Engagement
des beteiligten therapeutischen Teams in enger Kooperation
mit dem Patienten und dessen sozialen Umfeld ab. Auch etab-
lierte Algorithmen (Abbildung 2) können hier nur Entschei-
dungshilfen sein.
■
Dr. med. Peter Hügler (Chefarzt) Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und
Schmerztherapie Knappschaftskrankenhaus Bottrop Osterfelderstrasse 175, D-46242 Bottrop E-Mail: peter.huegler@kk-bottrop.de
(Korrespondenzadresse)
Dr. med. Susanne Stehr-Zirngibl (Leitende Ärztin) Schmerztherapeutisches Zentrum St. Vinzenz-Krankenhaus
Verbund kath. Kliniken Düsseldorf
Interessenkonflikte: keine deklariert
Das Literaturverzeichnis ist in der Onlinefassung zu finden: www.arsmedici.ch
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift «Notfall & Hausarztmedizin». Der Nachdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung durch Verlag und Autoren. Der Abschnitt über die Zulassungssituation fentanylhaltiger sublingualer, transmukosaler oder intranasaler Medikamente wurde durch die Redaktion für die Schweiz angepasst (Stand Swissmedic: 1.2.2010).
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